Frühkritik | Benjamin von Stuckrad-Barre im BE - "Ich hoffe, die kommen in den Knast und nicht ich"

Do 20.04.23 | 09:52 Uhr
  3
Benjamin von Stuckrad-Barre bei seiner Lesung im Berliner Ensemble (Quelle: dpa picture alliance/Hannes P. Albert)
Audio: rbb24 Inforadio | 20.04.2023 | Hendrik Schröder | Bild: dpa picture alliance/Hannes P. Albert

Benjamin von Stuckrad-Barre hat ein neues Buch geschrieben. "Noch wach?" heißt es. Darüber war im Vorfeld viel diskutiert worden. Vor allem, wie sehr der Skandal bei der "Bild"-Zeitung darin vorkommt. Nun gab es Antworten. Von Hendrik Schröder

Es gibt ja Leute, die finden Benjamin von Stuckrad-Barre - nennen wir ihn im Folgenden so wie er sich selbst den ganzen Abend über "Stucki" (er habe sich heute als "Stucki" verkleidet, sagt er, weil er keinen Anzug trägt) - unsympathisch, überheblich und irgendwie nervig. Die wurden in den ersten Minuten der Lesung in ihrer Meinung eher bestätigt.

Denn wie ein Rockstar kommt "Stucki" zu Musik auf die Bühne: gestreiftes Shirt, Chinos, leger - und feuert das Publikum an, noch lauter zu applaudieren. Er läuft hin und her und rudert mit den Armen in den Zuschauerraum. Wie geil findet der sich denn?, denkt man. Aber dann kommt die Auflösung: Er ist einfach unsicher, hat Angst und reagiert über. "Ich bin scheiße aufgeregt", sagt er. "Vielleicht werden wir uns viel verzeihen müssen nach diesem Abend. Bei der allerersten Lesung zu einem neuen Buch weiß man nie: Mögen die Leute einen noch, hat man noch einen Nerv getroffen?"

Kettenrauchen und Promis

Schon blitzt mit den ersten Sätzen dieser schlaue Schelm aus seinen Augen, den man wirklich sehr mögen kann. Fahrig greift er immer wieder zu seinen Zigaretten. Er dürfe zur dramaturgischen Untermalung hier rauchen, sagt er, das sei mit dem Theater-Indentanten so abgestimmt. Wer möge, der könne kommen und sich neben ihn setzen und auch rauchen. Macht leider keiner. Obwohl das Berliner Ensemble am Mittwochabend knallvoll ist mit Leuten, Fans, Presse und Promis - von Katja Riemann bis Jan Josef Liefers. Die Stimmung ist bombig. Schade, das hätte eine echte Party werden können. Aber egal, es will sich da auch keiner zum Affen machen, also liest dann Stuckrad-Barre auf diese einmalig pointierte Art, wie wirklich nur er seine Texte lesen kann.

Er liest vom Chefredakteur eines Fernsehsenders, der mal Kriegsreporter war und jetzt Volontärinnen mit herzerweichenden Geschichten umgarnt, liest von anderen Medienchefs, die nachts explizite Textnachrichten an weibliche Kolleginnen verschicken.

Klatsch und Wirklichkeit

Die Frage vor der Veröffentlichung war ja: Wie viel der Geschichte von "Noch wach?" erinnert an den Machtmissbrauchsskandal bei der "Bild"-Zeitung, wie viel an den gechassten Julian Reichelt, der im Vorfeld schon hatte verlauten lassen, sein Anwalt werde jede Zeile prüfen und gegebenenfalls werde man klagen. Alles überflüssig. Wer will, erkennt natürlich die Mechanismen, die aus der Chefredaktion der "Bild" bekannt wurden, erkennt vielleicht Reichelt, vielleicht Springer Chef Döpfner. Das ist ein schönes Tool, um für Klatsch und Aufregung zu sorgen und das Buch zu verkaufen.

Und Verlag und Autor haben das Spiel ja auch sozusagen zu Ende gespielt, indem es vorab keinerlei Leseproben gab, keine Rezensionsexemplare, kein Interview mit Stuckrad-Barre, nichts. Und die Neugierde immer größer wurde. Aber es ist kein Enthüllungsbuch geworden, keine Doku hinter den Kulissen. Es ist Literatur.

Vielleicht werden wir uns viel verzeihen müssen nach diesem Abend. Bei der allerersten Lesung zu einem neuen Buch weiß man nie, mögen die Leute einen noch, hat man noch einen Nerv getroffen

Benjamin von Stuckrad-Barre im Berliner Ensemble

Diese Dinge passieren

"Noch wach?" ist ein Roman über Männer, die ihre Position ausnutzen, um von ihnen mehr oder weniger abhängige Frauen zu konsumieren und dann wegzuschmeißen. Ob sie Chefredakteur oder Filmproduzent sind oder Max Mustermann heißen, ist eigentlich völlig egal. Weil diese Dinge ständig und überall passieren.

"Also ich hoffe mal, dass die in den Knast kommen und nicht ich", sagt Stuckrad-Barre fast ganz am Ende in Anspielung auf die angedrohten Klagen gegen das Buch. Donnernder Applaus. Wenn sich "Noch wach?" so gut liest, wie Stucki es an diesem Abend auf der Bühne performt, ist es richtig gut. Missbrauch und Macht, in Popliteratur verpackt und zwischendurch auch noch beißend komisch. Groß, ja, wichtig.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.04.2023, 07:55 Uhr

3 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 3.

    Hmm, ja...liest sich rotzig frech, spritzig provokant, eisig vibrierend zwischen den Zeilen, also ich fands gut, die Kostprobe. Der Autor ist wie er ist. Das Buch zeigt auf was abgeht, hinter den Blättern. Über Harvey gibts sowas, über andere Größen auch, dieses hier kullert aus dem Rahmen. Etwas. Aber auffällig frech und...intelligent.

  2. 2.

    Text vorlesen lassen, anhören, gut gesprochen, macht Lust auf das Buch :)

  3. 1.

    Schade, dass der hochverehrte Herr Recih-Ranicki dieses Buch nicht mehr vorab lesen und beurteilen durfte...... Ich würde gerne sein Urteil über Buch und dessen Vortänzer erfahren wollen. Sorry, aber das Gehabe auf der Bühne war doch infantil und lächerlich. Ich nehme solche Narzisten nicht ernst. Ist aber nur meine Meinung, ich respektiere das Alles natürlich, Ablehnung wäre nicht minder infantil.

Nächster Artikel