Theaterkritik | Jelinek-Gastspiel im DT - Es ist zu spät

Mi 10.05.23 | 08:01 Uhr | Von Barbara Behrendt
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Gastspiel Schauspielhaus Zürich Sonne, los jetzt! von Elfriede Jelinek Regie: Nicolas Stemann Bühne: Katrin Nottrodt Kostüme: Katrin Wolfermann Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel Video: Johanna Bajohr Licht: Basil von Breitenbach Dramaturgie: Bendix Fesefeldt. (Quelle: Philip Frowein / Schauspielhaus)
Audio: rbb24 Inforadio | 10.05.2023 | Barbara Behrendt | Bild: Philip Frowein / Schauspielhaus

Mit Nicolas Stemanns Zürcher Jelinek-Inszenierung "Sonne, los jetzt!" gehen die Autor:innentheatertage am Deutschen Theater zu Ende. Ein düsteres Spektakel über den Klimawandel, ein Abgesang auf die Welt. Von Barbara Behrendt

Stockdunkel ist es im Theaterraum. Dann eine Stimme, die ein Gedicht von T.S. Eliot spricht: "The world will not end with a bang, but with a whimper." Die Welt wird nicht mit einem Knall zu Grunde gehen, sondern mit einem Gewimmer.

Aus dem Schwarz senkt sich ein gigantischer Himmelskörper auf die Bühne herab. Eine weiße, gleißende Sonnenscheibe, ausgerechnet aus Eis, die in den Augen blendet. Dazu eine Stimme aus dem Off: "Was ist das, was da durch den Raum jagt? Das bin doch nicht ich! Schauen wir mal nach. Darunter kräuselt sich die Flut. Auch Berge gibt es. Ja, ich bin es. Ich bin ein fixer Stern, bewegt sich da endlich was? Erde, Bewegung! Im Donnergang arbeite ich mich voran und werfe mit Flammen. Jeder Flammenwerfer schaut alt aus neben mir. Ich bin die Mutter, aus deren Hand ganze Länder den Tod empfangen."

Können Sie sich vorstellen, tot zu sein?

Eine ganze Weile und immer wieder lauscht man dieser Sonnenstimme, die manchmal zynisch, manchmal gelangweilt, oft unbeteiligt von der Zerstörung spricht, die sie über diese kleine Erde und die Menschen bringt.

Ganz verkohlt sind die schon zu Beginn des Abends. Schwarze Kleidung, schwarze Masken vor dem Gesicht. Sie besprühen einander mit Wasser, als kühlte das ihre Körper. Und sie versuchen, sich das für jedes Wesen Undenkbare vorzustellen: die Unendlichkeit, das Immer, den Tod. "Können Sie sich vorstellen, tot zu sein? Endlos?" flüstern sie.

Dann fällt der Vorhang. Die schwarzen Menschen treten davor und stimmen einen Abgesang auf die Welt an: "Es ist zu spät, es ist zu spät!"

Ein Requiem, ein Totenlied auf die Welt

Ein ungeheuer bedrückender und gleichzeitig ästhetisch beeindruckender Beginn. Hoffnungsloser, deprimierender war ein Jelinek-Text wohl nie – und auch keine der vielen Jelinek-Uraufführungen von Nicolas Stemann. Der Abend ist ein einziges Requiem, ein Totenlied auf die Welt, die im Klimawandel untergehen wird.

Stemann ist natürlich versierter Regisseur genug, um diese Apokalypse mit viel Bombast und Unterhaltung zu konterkarieren. Etwa, wenn drei Schauspielerinnen in Rokoko-Kostümen und mit E-Gitarren "Highway to Hell" schmettern, während die vierte als Sonnenkönig verkleidet vor ihnen herumspringt.

Überhaupt wird hier einiges aufgefahren an Kostümwechseln, Musik, Requisiten – die Regieeinfälle purzeln nur so durcheinander. Vielen Szenen haftet dennoch etwas Bitteres an. Wenn sich Alicia Aumüller im Bikini am Strand in der Sonne braten lässt und der glühende Planet das eher interessiert und befremdet beobachtet.

Jeder Mann ein Gott

Das Ich, das hier in Elfriede Jelineks Worten spricht, ist zum einen die Sonne. Also eine Stimme, die mit größtmöglicher Distanz auf das lächerliche Erden-Treiben schaut – und all das schon vor sich sieht, was wir nach wie vor zu verdrängen suchen. Zum anderen ist es ein Text, der nichts als "Ich" sagt. Er ist auch eine Selbstanklage, eine Infragestellung des menschlichen Ichs: "Alles dreht sich um mich und meine Werke. Ich bin der Sonnenmann. Jeder Mann ein Gott. Wenn ich will, kann ich auch eine Frau sein."

Das Dilemma: die Apokalypse fasziniert

Im Laufe des Abends geht die Welt dann nicht unter, sondern sie schmilzt zu einer großen Pfütze auf der Bühne. Das Sonnengestirn hat sich zu einem blauen Erdball gefärbt und ist dann in sich zusammengefallen. Letzte Eisfetzen hängen noch in der Luft, während die Schauspieler:innen das Aussterben der Arten und des Menschen verkünden, 2058 wird es anstehen.

Eine düstere, effektvolle Inszenierung, die ewig um denselben Untergangsgedanken kreist und sich doch nicht von der Stelle bewegt. Ein großes Spektakel ist dieser Weltuntergang – dem man, das ist das Dilemma, doch ziemlich fasziniert zusieht.

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.05.2023, 7:55 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

1 Kommentar

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  1. 1.

    Wenn das Publikum fasziniert ist, wird die Aufführung ein Erfolg. Das ist für das konkrete Theater doch nicht schlecht. Ausserdem hat die Jelinek jede Menge konstruktiver Power in ihren Texten.
    Zur Erinnerung: es gibt Dramen, die sind so entsetzlich, dass es wirklich desorientiert, wenn man im Theater sitzt.
    Harold Pinter wäre da zu nennen, der hat Sachen geschrieben, die hält man psychologisch kaum aus.
    Diese harten Stücke werden kaum noch gespielt, so mein Eindruck. Weil es zu viel wäre für das Publikum, also für uns.

    Polt meinte mal vor dreissig Jahren über ein fiktives Buch: "Gehaltvoll aber doch obszön." Heute in den Zeiten ichbezogener Triebhaftigkeit, die uns das Internet beschert, ist es am Theater schrecklich, aber doch auch faszinierend, sonst käme ja keiner...
    Schon der Kitchen Sink Realism wäre heute unaufführbar. Zu öööödeeee...
    Aber vielleicht bin ich auch nur zu unausgeschlafen und sehe deshalb zu schwarz.
    Oder ich bin zu alt.
    Oder zu doof.

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