Bilanz nach fünf Jahren "Themis" - Vertrauensstelle meldet 2.000 Gespräche wegen sexueller Belästigung in Kulturbranche

Di 02.05.23 | 20:43 Uhr | Von Maria Ossowski
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Claudia Roth (r, Bündnis 90/Die Grünen), Staatsministerin für Kultur und Medien, und Ferda Ataman, unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, nehmen an einem Pressegespräch zu fünf Jahren Vertrauensstelle Themis teil. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)
Bild: Kay Nietfeld/dpa

#metoo ist in der Kulturbranche ein großes Thema. Für Betroffene hat die Kulturstaatsministerin zusammen mit Kulturverbänden vor fünf Jahren den Verein Themis gegründet. Nun haben die Verantwortlichen eine Bilanz gezogen. Von Maria Ossowski

"Fünf Jahre Themis" - die Einladung zum Bilanzgespräch am Kabinettstisch der Bundesregierung existierte bereits, als der "Spiegel" [Bezahlinhalt] in der vorigen Woche Übergriffe am Filmset der Produktionsfirma Constantin unter Til Schweiger publik machte. Demütigungen, sexuelle Übergriffe, Machtmissbrauch. Die Betroffenen hatten sich auch an Themis gewandt. Die Psychologinnen und Juristinnen des Vereins bieten Beratung an, vor allem nach sexuellen Übergriffen.

Angriffe kommen in jedem dritten Fall zur Sprache

Insgesamt 2.000 Beratungsgespräche hat die Vertrauensstelle seit ihrer Gründung vor fünf Jahren geführt. Der Beginn aller Gespräche ähnelte sich: Die Opfer fragten, ob sie vielleicht zu sensibel wären, wenn sie sich sexuelle Anmache oder Übergriffe zu Herzen nähmen. 50 Prozent der Beschwerden bezogen sich auf verbale, nonverbale oder Online-Belästigungen, 37 Prozent auf körperliche Angriffe und fünf Prozent auf schwere körperliche Gewalt. 2022 hatte Themis zehn Vergewaltigungsopfer beraten.

Doch Themis kann nicht eigenständig handeln, sondern nur beraten. "Themis würde nie auf die Idee kommen, wenn eine Beschwerde kommt, diese an den Arbeitgeber zu geben. Das geht immer nur über die Betroffenen selbst", sagt die Vereinsvorsitzende Eva Hubert. "Nur die können sagen: 'Ich möchte die Beschwerde weitergeben, ich möchte, dass Sie vermitteln.' Wir respektieren immer den Schutzraum der Betroffenen."

Machtmissbrauch allein ist kein Straftatbestand, sondern eine zivilrechtliche Angelegenheit. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) erklärte anlässlich des Jubiläums am Dienstag, sie könne sich deshalb vorstellen, die staatliche Förderung von Filmen abhängig zu machen von klaren Vorgaben: "Wenn der Kinofilm "Manta Manta" mit 2.102.272 Euro gefördert worden ist, dann reicht es mir nicht aus, dass die Produktionsfirma Constantin sagt, die Vorwürfe stimmen nicht, sondern die müssen jetzt liefern. Die müssen erklären, wie das passieren konnte."

Weniger Möglichkeiten für Freie oder Scheinselbständige

Auch die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, pochte auf mehr Maßnahmen zum Schutz vor sexueller Belästigung in der Kulturbranche. "Allzu lange fand sexuelle Belästigung im Kultur- und Medienbereich abseits des Scheinwerferlichts statt", sagte Ataman. Die aktuelle Berichterstattung über Vorwürfe am Film-Set Schweigers zeigten, dass es offenbar ein extrem großes Machtgefälle gebe.

Auch unsichere Arbeitsverhältnisse tragen nach Auffassung Atamans dazu bei, dass Belästigung mitunter nicht öffentlich wird. Etwa, weil man abhängig sei vom Wohlwollen eines Produzenten oder eines Regisseurs. Anders als Angestellte habe der große Anteil Freier oder Scheinselbständiger im Kulturbetrieb kaum eine Handhabe, um sich zu wehren. Sie hätten Angst, dass sie auf einer imaginären schwarzen Liste landen könnten und nicht mehr beschäftigt würden.

"Themis", so Ataman, sei "großartig im Empowern, im Aufklären und Dasein. Aber am Ende des Tages kann man nicht wirklich sagen: 'Hey, wenn sie dahin gehen, bekommen sie so und so viel Entschädigung oder Schadensersatz.'" Das aber sei de facto noch nicht gegeben, erklärt Ataman weiter. "Das muss passieren und das ist in der Tat eine Sache, wo die Politik einen geltenden Diskriminierungsschutz schaffen muss, der hier nicht ist. Auch, wenn da vieles greifen muss, auch die Selbstverpflichtung."

Code of Conduct für die Kulturbranche ab 2024

In zwei Schritten wollen die Staatsministerin für Kultur und die Kulturverbände jetzt handeln. Ab 2024 soll ein bis dahin erarbeiteter Code of Conduct, ein Verhaltenskodex, die Kultur- und Medienunternehmen zur Selbstverpflichtung anregen, jede Form von Machtmissbrauch zu erkennen und zu unterbinden. Themis bietet Schulungen und Seminare dazu an.

Sollte sich die Führungskultur in der Kulturbranche nicht ändern, will Claudia Roth die staatliche Förderung der Unternehmen mit dem Verhaltenskodex verknüpfen.

Sendung: Radioeins, 03.05.2023, 10:00 Uhr

Beitrag von Maria Ossowski

3 Kommentare

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  1. 3.

    Wie viele Personen haben sich denn auf solche Weise gezeigt? Wer hat sich auf welche Weise auch immer gegen Vorgesetzte so verhalten? Welche Personen haben im Zusammenhang mit Sexismus überhaupt - jemals - einen im Machtgefalle des Arbeitsfeldes weiter oben stehenden Menschen erpresst mittels Vorwürfen? Niemand. Global. Sie verharmlosen genau den Machtmissbrauch, den der Artikel thematisiert und verdrehen die Fakten; machen aus Täter*innen Opfer. Dass gerade im Zusammenhang mit Sexismus oder Rassismus den Betroffenen oft nicht geglaubt, ihnen eine Mitschuld gegeben wird, nennt man sekundäre Viktimisierung - sie werden erneut zu Opfern der jeweiligen Tat gemacht. Als Arbeitgeber*in etc. ist man für die Unternehmenskultur verantwortlich: Das schließt sexualisierte Gewalt(!) ausdrücklich mit ein. Die Abhängigkeitsverhältnisse und Machtgefälle sind nicht aufzulösen, weswegen diese Arbeitskontexte besonders sensibilisiert beobachtet werden müssen, inkl. Rechtsfolgen.

  2. 2.

    Sorry, ich habe das Wort "Beweislastumkehr" im Artikel gar nicht gefunden.
    Was meinen Sie denn?

  3. 1.

    Eine Beweislastumkehr schafft noch mehr Ungerechtigkeit.
    Was ist, wenn ganz bestimmte Leute den Til Schweiger "auf dem Kiecker haben", aus politischen Gründen?
    Es gibt Leute die mögen Diktaturen mehr als Pluralismus.

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