Konzert | Gogol Bordello im Huxleys Neue Welt - Wie die Kelly Family in wild und gefährlich

Fr 09.06.23 | 11:22 Uhr | Von Hendrik Schröder
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Konzert von Gogol Bordello im Berliner Huxleys Neue Welt. (Quelle: imago images/C. Thesing)
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Audio: rbbKultur | 09.06.2023 | H. Schröder | Bild: imago images/C. Thesing Download (mp3, 3 MB)

Gogol Bordello mischen klassische Roma-Musik mit schnellem Punk und verwandeln damit jeden Laden in ein Tollhaus. Auch das Berliner Publikum am Donnerstag Abend im Huxleys konnte sich dem kaum verweigern. Wollte es auch gar nicht, sagt Hendrik Schröder.

Am Ende des Abends soll ein Security Mann erschöpft zum anderen sagen: "Und gleich holen wir uns erstmal ein Eis." Und das nicht, weil das Konzert so ein Kindergeburtstag gewesen ist, sondern weil die Band das Publikum an den Rand der Erschöpfung gespielt hat. Was natürlich einerseits mit den Temperaturen zu tun hat und andererseits mit der Abrisswütigkeit dieser Band.

Seit über 20 Jahren gibt es Gogol Bordello, die Besetzungen wechseln, große Konstante ist Sänger Eugene Hütz. Kurz bevor es losgeht, kommt der an das Absperrgitter neben der Bühne gelaufen, eine Pulle in der Hand breitet er die Arme aus. Er jubelt den Fans am Gitter einmal zu, ruft "yeah, yeah, yeah" und dreht ein paar Runden wie ein Tiger im Kreis.

Das Konzert hat noch gar nicht angefangen und Band und Publikum sind schon on fire. Dann sprintet Eugene die Treppe hoch zur Bühne, knallt die Buddel zwei Mal auf die Monitorbox dass es nur so spritzt, und ab geht die wilde Fahrt.

Konzert von Gogol Bordello im Berliner Huxleys Neue Welt. (Quelle: imago images/C. Thesing)
Bild: imago images/C. Thesing

Mit Tanzwut bewaffnet

Bei der Gang, die sich jetzt da oben im Scheinwerferlicht austobt, denkt man unweigerlich an die Kelly Family. Aber in cool, wild und bis an die Zähne mit Tanzwut bewaffnet. Sänger Eugene kauert in nietenbesetzter Weste und Lederhose, Baseballkappe zwischen den Monitorboxen, bereit zum Sprung. Der Geiger stürmt nach vorne, fidelt eine rasante Hook. Mit seinem eisgrauen Bart und dem gegerbten Gesicht sieht er aus wie ein alter Seebär, der bisher noch jeden Sturm überlebt hat. Außerdem gibt es unter anderem noch eine Co-Sängerin in Unterhose und T-Shirt, die beim Singen in die Luft boxt und eine zierliche Akkordeonspielerin in einer Art Latexkleid, an der das Instrument riesig aussieht. Was für ein abgefahrener Haufen.

Sieben bis elf Leute stehen gleichzeitig auf der Bühne und keiner steht still. Die Musik klingt nach Volksfest auf dem Balkan, nach Osteuropa, dann aber nach New Yorker Punkkeller-Club, nach betrunkener Festivallaune und bekifften Dub Beats. Es ist diese Mischung aus größtmöglicher Tanzbarkeit, gemischt mit Lauststärke, Derbheit, Geschwindigkeit, die die Leute wahnsinnig macht. Dazu Eugenes fordernde, ganz leicht latent aggressive Stimme. So ein Gogol Bordello Konzert ist eine wahnsinnig physische Erfahrung.

Kreislaufkollapsheiß

Die Menge braucht keine zwei Takte, um sich mitnehmen zu lassen. Ein hüpfendes Knäuel bildet sich, das sich durch das ausverkaufte, rappelvolle Huxleys zieht, bis nach hinten auf die Tribünen. Es sind 1.600 Leute, die sich kollektiv Gogol Bordellos Rausch aus Tanzbeats, Hochgeschwindigkeit, E-Gitarren und atemloser Action hingeben. Und obwohl die Belüftung im Venue wirklich gut ist: mit so viel Schweiß und Hitze wird sie kaum fertig.

Nicht wenige Zuschauer brauchen nach einigen Songs erst mal eine Pause und suchen Frischluft auf der kleinen Terrasse. So divers wie die Band ist auch das Publikum. 18-jährige, 60-jährige, Leute mit Dreadlocks oder Iros, längst ergrauten langen Haaren. Alle da.

Musik und Politik

Eine geballte Faust in den ukrainischen Farben hängt auf einem Banner auf der Bühne. "Solidaritine" steht darüber. Es ist der Titel des aktuellen Albums, das wieder schneller und härter geworden ist als der Vorgänger und aus dem sie einige Nummern bringen, die genau so ankommen wie natürlich der Klassiker "Wonderlust King".

Vielleicht verlangen es die Zeiten, dass Gogol Bordello wieder härter werden, normalerweise passiert Bands mit fortschreitender Existenz das Gegenteil. Der Vater des Sängers war Russe, seine Mutter Ukrainerin. Als Teenager kam er dann mit seinen Eltern in die USA, gründete später in New York die Band. Der Krieg zerreiße ihn, hat er mal in einem Interview gesagt. Auf der Bühne sagt er nicht viel dazu, verurteilt nur an einer Stelle die "russische Invasion".

Ansonsten spielt die Band fast atemlos Song an Song, und danach kann man also Besucher tatsächlich gut ein Eis gebrauchen. Am besten eine Eistonne.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.06.2023, 09.00 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

3 Kommentare

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  1. 3.

    Hi Lothi, man kann ja dem rbb viel vorwerfen, in diesem Fall jedoch wohl nicht. Natürlich ging es nur um den Beitrag….

  2. 2.

    Hi Markus.
    Ging mir genauso bis ich Dein Kommentar gelesen habe. Jetzt klingelt es auch bei mir ;-)

  3. 1.

    Hab ich noch nie von gehört. Der Name ist ja schon mal geil. Erst gegoogelt und dann bei YT ein paar Clips angesehen und war von einigen Songs sehr angetan. Vor allem zusammen mit Madonna „La Isla Bonita“ war der Hammer. Lieber rbb, danke für die Horizonterweiterung!

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