Theaterkritik | "Planet B" im Gorki - Wenn schon Weltuntergang, dann bitte so!

Fr 09.06.23 | 07:40 Uhr | Von Fabian Wallmeier
Jonas Dassler und Niels Bormann bei der Fotoprobe zum Theaterstück 'Planet B' im Maxim Gorki Theater.Alexandra Sinelnikova, Orit Nahmias, Jonas Dassler, Dimitrij Schaad, Niels Bormann und Aysima Ergün bei der Fotoprobe zum Theaterstück 'Planet B' im Maxim Gorki Theater. (Quelle: dpa/Christian Behring)
Audio: rbb24 Inforadio | 09.06.2023 | Barbara Behrendt | Bild: dpa/Christian Behring

Wer überlebt das Massenartensterben? Yael Ronens hochtourige Science-Fiction-Comedy "Planet B" im Berliner Gorki lässt die Spezies das in einer Reality-Show ausfechten. Ein sehr albernes und größtenteils sehr lustiges Schauspiel-Fest. Von Fabian Wallmeier

Seltsame Lebewesen waren diese Menschen. Sie hatten mehrere Körperöffnungen, Genitalien - und mussten sich penetrieren, um sich fortzupflanzen. Sie waren so mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht einsehen wollten, dass sie nebenbei das Sterben ihres Planeten verschuldeten. Vielleicht am seltsamsten aber: Sie vollzogen ein rätselhaftes Ritual, das sie Theater nannten.

Der neue Abend von Yael Ronen und Itai Reicher am Berliner Maxim-Gorki-Theater blickt aus einer fernen Zukunft auf die letzten Jahre der Menschheit zurück. "Planet B" hat dabei eine solche Fülle an hingebungsvoll bescheuerten kleinen und großen Ideen, dass der Abend immer mal wieder aus der Kurve fliegt. Aber so lange er das so unterhaltsam tut: soll er doch fliegen.

Der Anfang der rund 110 Minuten des Premierenabends gehört einer Gruppe von sieben Humanoiden, die zunächst einmal die wichtigsten, naja, sagen wir: Fakten zusammentragen. Das Hauptwerk, auf das sie sich beziehen, heißt "Unterstufen AG Kreatives Schreiben", ein Schulheft also, das sie todernst nehmen und aus dem sie allerlei sehr witzigen Unsinn ableiten: Mehrere Monate habe der Geschlechtsakt damals gedauert. Der Grund für die vielen Körperöffnungen lasse wohl darauf schließen, dass sich die Menschen gegenseitig als Blasinstrumente benutzt hätten. Und so weiter.

Maryam Abu Khaled, bei der Fotoprobe zum Theaterstück 'Planet B' im Maxim Gorki Theater. (Quelle: dpa/Christian Behring)
| Bild: dpa/Christian Behring

Mensch gegen Krokodil und Fledermaus

Der Tonfall des hochtourigen Blödsinns ist damit für den Abend gesetzt. Die Gags sitzen und zwischen den Albernheiten blitzt immer wieder Existenzielles hervor - klar, denn es geht schließlich um die aus heutiger Sicht leider alle andere als unwahrscheinliche Aussicht der Zerstörung unseres Planeten.

Hochtourig bleibt der Abend auch lange Zeit, während sein narratives Konstrukt immer alberner wird: Jenes seltsame Ritual namens Theater nutzen die Humanoiden nun, um davon zu erzählen, wie vor 40 Millionen Jahren Aliens auf die Erde kamen, um ein Massenartensterben einzuleiten - und um es als Unterhaltungs-Show zu inszenieren. Welche Spezies überlebt, soll in Gruppen-Wettkämpfen an Bord von Raumschiffen ausgetragen werden. Der Mensch landet in Gruppe H - zusammen mit Panda, Fuchs, Ameise, Krokodil, Huhn und Fledermaus.

Es ist ein großes Vergnügen, den sieben Schauspieler:innen dabei zuzuschauen, wie sie sich liebevoll der (ebenso liebevoll detailreich geschriebenen) Tier-Comedy geben. Unterstützt werden sie dabei von Amit Epsteins mit nur wenigen Details die wesentlichen Charakteristika hervorhebenden Kostümen und von Wolfgang Menardis Bühnenkonstruktion: Die steil nach vorn gekippte Kreisfläche, auf der sich der Abend abspielt, lässt jeden Versuch, einigermaßen normal zu gehen, schon von vornherein sehr lustig aussehen.

Ein Panda und ein paar Poser

Maryam Abu Khaled spielt mit schöner Grundgenervtheit einen depressiven Panda. Gewinnen? Daran hat sie eigentlich gar kein Interesse. Die Pandas versuchen schon seit Jahren auszusterben und können nicht verstehen, warum die Menschen so obsessiv versuchen, sie zur Fortpflanzung zu bringen.

Orit Nahmias gibt ein Poser-Huhn, das sich für die beliebteste Spezies hält. Doch immer wieder zuckt es kurz mit dem Kopf und fängt nervös an zu gackern, wenn es sich gedanklich der Massentierhaltung nähert. Alexandra Sinelnikovas Fuchs ist ein noch größerer Poser: ein auf seine Anpassungsfähigkeit enorm stolzes Großstadt-Wildtier, das ständig von irgendwelchen Trends plärrt.

Ganz anders dagegen die von Aysima Ergün verkörperte Ameise: Sie geht im Kollektiv der Kolonie auf. "Unsere Pronomen sind wir/uns" sagt sie, als sie gebeten wird, mal etwas Persönliches zu erzählen. Doch als sie im Raumschiff den "Pheromon-Empfang" zu den anderen Ameisen verliert, entdeckt sie plötzlich zaghaft und fein komisch sich selbst als Individuum.

Alexandra Sinelnikova, Orit Nahmias, Jonas Dassler, Dimitrij Schaad, Niels Bormann und Aysima Ergün bei der Fotoprobe zum Theaterstück 'Planet B' im Maxim Gorki Theater. (Quelle: dpa/Christian Behring)

Schaad ist zurück, Dassler ist eine Fledermaus

Dimitrij Schaad, die einstige unumstrittene Rampensau Nummer eins des Gorki, meistert in seinem ersten neuen Auftritt am Theater seit seinem Ausscheiden aus dem Ensemble vor vier Jahren zwei sehr unterschiedliche Rollen. Als Alien Juri (in der Gestalt eines kasachischen Krankenhaus-Clowns) ist er der strahlend zugewandte und dabei immer etwas abfällig erheiterte Zeremonienmeister der Untergangs-Show. Als Krokodil dagegen strotzt er vor Kraft und vor mit großem Stolz zur Schau getragenem Mackertum. Zwei Massenartensterben habe er schon "gewonnen", prahlt er. Er sei nun mal perfekt als Killermaschine geboren.

Den verblüffendsten und lustigsten Auftritt des Abends legt Jonas Dassler hin. Er spielt eine schreckhafte, vom Leben als Rockstar letztlich nur so halb überzeugte Fledermaus. Die Emo-Strähne hängt ihm vor den Augen, er zuckt ständig und lässt unwillkürlich die Zunge hervorschnellen, um sich kurz selbst zu beschlabbern. Und weil Fledermäuse nun einmal kopfüber schlafen, hängt er irgendwann an einer Stange und verschränkt mit traurig weltverlorenem Blick die Flügel. Ich schwöre: Jonas Dassler ist eine Fledermaus.

Nur mit Ach und Krach den Bogen geschlagen

Niels Bormann schließlich macht sehr überzeugend, was er schon vor vielen Jahren in Yael Ronens "Common Ground" gemacht hat: Er bildet das unangenehme Bindeglied zum Publikum. Damals war er der peinliche Plapperer, der als einziger Biodeutscher an einer Recherchereise zum Balkankonflikt teilnimmt. Hier ist er der Vertreter der Spezies Mensch: Boris Baumann, ein und peinsam ignoranter Versicherungsvertreter, der ungemein ungeschickt durch den Wettkampf stolpert.

Den eigentlichen Wettkampf-Gedanken der Reality-Show lassen Ronen und ihr Co-Autor Reicher irgendwann links liegen. Etwas plötzlich stehen die Sieger fest und nur mit Ach und Krach schlägt der Abend noch irgendwie den Bogen zu seiner Ausgangskonstellation. Aber wer würde das nach einem so spaßigen Schauspiel-Fest nicht verzeihen? Da schaut man dann auch einem etwas beiläufig beigebrachten Weltuntergang gern zu

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.06.2023, 6:55 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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