Rammstein-Konzert in Berlin - Laute Proteste, brüllende Fans und eine schweigende Band

So 16.07.23 | 13:05 Uhr | Von Max Ulrich
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Rammstein Fans stehen am 15.07.2023 vor der Demonstration "Kein Rammstein-Konzert in Berlin!" vor dem Olympiastadion in Berlin. (Quelle: dpa-Bildfunk/Fabian Sommer)
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Video: rbb|24 | 16.07.2023 | Material: rbb | Bild: dpa-Bildfunk/Fabian Sommer

Es ist ein hitziger Nachmittag: Die Band Rammstein gibt das erste von drei Konzerten in ihrer Heimatstadt Berlin. Vor dem Olympiastadion gibt es Protest gegen die Show, da mehrere Frauen Vorwürfe gegen Sänger Till Lindemann erheben. Von Max Ulrich

Schon Stunden vor dem Rammstein-Konzert ist es laut vor dem Berliner Olympiastadion. Etwa 300 Demonstrierende fordern in Sprechchören immer wieder "keine Show für Täter". "Vor Gericht statt auf die Bühne" steht auf einem großen Transparent. Gegen 14 Uhr trifft sich die Gruppe am Theodor-Heuss-Platz in Westend. Aufgerufen zur Demo hatte das Aktionsbündnis "Kein Rammstein in Berlin".

"Wir wollen es einfach nicht hinnehmen, dass die drei Konzerte hier in Berlin stattfinden", sagt die Sprecherin des Bündnisses Britt Baiano. Sie wolle es nicht unkommentiert lassen, während die Vorwürfe gegen Sänger Till Lindemann noch im Raum stehen. Das Bündnis hatte zusammen mit anderen Initiativen gefordert, dass die Konzerte abgesagt werden.

Mehrere Frauen hatten dem Rammstein-Sänger Lindemann in den vergangenen Wochen sexuellen Missbrauch vorgeworfen. Es soll unter anderem bei Aftershowpartys zu Übergriffen gekommen sein. Lindemann weist die Vorwürfe entschieden zurück. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt.

Sprachnachrichten vor dem Konzert

Nach einem kurzen Fußmarsch kommen die Aktivist:innen vor dem Olympiastadion an und postierten sich mit ihrem Lautsprecherwagen gut sichtbar - und vor allem hörbar - vor dem Haupteingang. Die Polizei trennt die Demoteilnehmer:innen und die Fans der Band durch Sperrgitter und Absperrbänder. Aber die Mehrheiten sind klar verteilt: 300 Menschen, die eine Absage des Konzerts fordern, sehen über 60.000 Menschen dabei zu, wie die ins Stadion strömen. Trotzdem harren sie stundenlang in der Hitze aus.

Für einen der Teilnehmer, der sich Moritz nennt, eine bedrückende Situation: "Während der Kundgebung haben wir Sprachnachrichten gespielt, von Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, bei Rammstein-Konzerten." Moritz sagt, es gebe diese Berichte von Menschen, die erlebt hätten, was sie erlebt hätten, und diese Berichte sollten auf keinen Fall in Frage gestellt werden. "Und deshalb verstehe ich keine einzige Person, die zu diesem Konzert geht. Sie machen diese Gewalt unsichtbar. Das ist für mich ein schlimmes Gefühl", so Moritz weiter.

Verständnis für Till Lindemann

Der Großteil der Konzertbesucher:innen zieht an der Demo einfach vorbei. Nur ein paar bleiben stehen. Immer wieder werden die Demonstrant:innen teilweise queer- und frauenfeindlich verhöhnt, Journalist:innen werden als "Lügenpresse" verlacht. Britt Baiano beklagt am Ende des Tages, der Demo seien Hitlergrüße gezeigt worden und ihnen sei Vergewaltigung angedroht worden. Der Berliner Polizei war dies bis zum Sonntagmittag nicht bekannt, so ein Sprecher.

Es gibt auch nachdenkliche Fans, die sich mit den Vorwürfen gegen Lindemann beschäftigen: "Wenn das [Anm. der Redaktion: die Vorwürfe gegen den Rammstein-Sänger] wahr wäre, müssten wir die Karten schon zurückgeben. Ich denke das eigentlich nicht von Till, aber an jedem Gerücht ist auch was Wahres dran", sagt Peggy, Rammstein-Fan seit 1996. Aber solange nichts bewiesen sei, wolle sie das Konzert noch genießen. Das sei einfach ein Erlebnis.

"Ich finde, man sollte die potentiellen Opfer sexueller Gewalt nicht diskreditieren. Aber jetzt prüft ja erstmal die Staatsanwaltschaft", sagt Peter. Für ihn gelte daher die Unschuldsvermutung: "Und 'Keine Bühne für Täter' ist für mich einfach eine Vorverurteilung." Peter beklagt auch, dass die Fans von Demonstrant:innen beschimpft wurden. "Arschloch" sei noch "das Netteste" gewesen.

Im Stadion: Keine Proteste, keine Ansagen

Gegen 20:30 Uhr leert sich der Olympische Platz vor dem Stadion. Die Fans gehen zur Show, die Demonstrant:innen nach Hause. Vor dem Konzert war gemutmaßt worden, ob es auch während des Konzerts zu Protesten kommen würde, doch die bleiben am Samstag aus. Die Band äußert sich - wie schon beim Konzert in München - nicht zu den Vorwürfen.

Die Show von Rammstein ist ein gewaltiges Feuerwerk voller Donnerschläge und Pyrotechnik. Alles ist minutiös durchchoreographiert. Kein Raum für Improvisation, wenig Interaktion. Man kann nur versuchen, auf kleine Gesten zu achten. Einmal formt der Schlagzeuger Christoph Schneider ein Herz mit seinen Händen und hält es in die Bühnenkamera. Fußballer:innen verwenden diese Geste als Zeichen der Toleranz. Von den Rammstein-Fans gibt es für die Geste Applaus. Schneider ist bisher das einzige Bandmitglied, das sich in einem Instagram-Post öffentlich mit den Vorwürfen beschäftigt hat [tagesschau.de].

Es bleiben die oft sexualisierten Texte der Rammstein-Songs als Aussage an diesem Abend. "Willst du bis zum Tod der Scheide, sie lieben auch in schlechten Tagen?" heißt es da etwa oder "Ich bin kein Mann für eine Nacht, ich bleibe höchstens ein, zwei Stunden" und "Wirst deine Arme um mich legen. Alles steif, kann mich nicht regen". Oft überlässt es Till Lindemann dem Publikum, diese Passagen für ihn zu singen. Auch bei der Zeile "Wir wollen, dass ihr uns alles glaubt" blieb er still. Die 60.000 Fans nicht. Sie singen die Stelle für ihn mit.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.07.2023, 8:00 Uhr


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Beitrag von Max Ulrich

76 Kommentare

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  1. 76.

    Satire?

    Wer seine Videos mit Bildern von Leni Riefenstahl unterlegt, das "R" rollt, faschistoide Bühnenbilder benutzt und selbst bei dem Lied was das Gegenteil beweisen soll ("Links...2...3...4") mit faschistoiden Mustern spielt (Ameisen ratlos, unter ihrem Führer aber marschieren sie auf und gewinnen den Kampf in Formation) der ist für mich ganz klar faschistoid.

    Ob aus Überzeugung oder "nur" damit die Kassen klingeln ist dabei egal.

  2. 75.

    Wenn jemand mit solchen Texten oder Lyriken erlebte Traumata zu bewältigen versucht, jubeln alle, weil jemand auch so ehrlich dazu steht und dazu kommuniziert,
    Falls mal irgendwer der ganze "Hater" hier in der Lage ist, weiter als bis zum Brett zu schauen, könnte es sein, dass es hier ähnlich sein könnte, nur dass darüber nicht groß geredet wurde?

  3. 74.
    Antwort auf [Ein Görlitzer] vom 17.07.2023 um 09:25

    "Aber das Statement der Till-Anwälte (alles unwahr) wird ja ohnehin ignoriert."
    Das dürfte "der Beweis" sein. Jetzt ist alles gut und klar und bewiesen. Auf zu neuer dichterischer Kunst und neuen Filmen, falls da nicht schon mitgefilmt wurde. Hätten die Fans wieder was von ihren Stars !

  4. 72.

    Ach, zu meinen als Kust sei es OK, es zeigt jedoch auch die Nähe des Künslers zu Gewalt. ???
    Laut dieser Theorie hatten schon immer sehr viele Künstler eine Nähe zu Gewalt, und sich gar mit dieser Phantasie identifizieren, ob in der Malerei oder Literatur. Was für eine abwegige Theorie!

  5. 71.

    Also sollte jetzt jeder Schauspieler, Krimiautor oder die Tarantinos dieser Welt, die Gewaltfantasien künstlerisch verarbeiten Berufsverbot erhalten. Wenn man die Entwicklung der letzten Zeit verfolgt, läuft es darauf hinaus. Rückverfolgen Sie doch mal Ihre "düsteren Gedanken": Man haben Sie ein Glück, daß nicht in Kunst übertragen zu haben, dann könnten Sie zumindest psychisch die Mistgabeln und brennenden Fackeln deutlich spüren.

  6. 70.

    Rammstein begleitenn mich jetzt fast mein halbes Leben. Es gibt Songs die mich schockiert haben, Songs die einfach unglaublich gut in mir schwingen, weil sie eben Tabus brechen und über Dinge "sprechen" über die allgemein nicht gesprochen wird. Bin ich Fan? Ich glaube nicht.
    Ich glaube, wie sicher viele andere, das Till Lindemann glücklicherweise Musik macht und seine Fantasien eben nicht auslebt. Schon mal Stephen King gelesen? Auch hier ein Schriftsteller der glücklicherweise schreibt und nicht auslebt.
    Ich kann nicht glauben, dass Till Lindemann Frauen vergewaltigt hat. Sollten die Ermittlungen was anderes ergeben wäre ich sehr traurig und es wäre sicher selbstverständlich, dass die Musik in den Regalen verstaubt, aber bis das nicht geklärt ist... Kommt wieder raus aus dem Mittelalter. Ich dachte die Zeiten der Hexenjagd und des wilden, unberechenbaren Mobs sind vorbei. Wir haben ein Grundgesetz... und das ist auch gut so.

  7. 69.

    And if you should discover / That you don't really love her / Just send my baby back home to me / Take good care of my baby – Täglich im Radio. Schlager, Oldie, kein Aufreger, selbes Thema.

  8. 68.

    Ich frage mich übrigens auch, ob wir alle vergessen haben, dass bereits der erste Hit von Rammstein, der Song "Du riechst so gut", davon handelte, wie das (männliche) lyrische Ich eine (wahrscheinlich weibliche) Person verfolgt, gelenkt vom Trieb und von dem Geruch von Schweiß und Blut. Der Text verwendet die raubtierartige Jagd als Metapher. Es wird nie von einem Reißen oder Fressen gesprochen. Sehr wohl jedoch von "Anfassen". Auch fällt der Satz "Hör auf zu schreien und wehr' dich nicht". Lest den Text noch einmal ganz genau. Es braucht wirklich nicht viel Fantasie, um zu sehen, dass das, was hier besungen wird, Gewalt und wahrscheinlich sogar sexualisierte Gewalt ist. Als Kunst ist das vollkommen okay. Es zeigt jedoch auch, dass der Autor dieser Zeilen sich bereits damals mit diesem Thema beschäftigt, und die intensive, emphatische Präsentation legt den Schluss nahe, dass er sich mit den thematisierten Gefühlen und Begierden durchaus identifizieren kann.

  9. 67.

    Es hat auch schon Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen Mitglieder von Bands gegeben, die ich mag. Ich bin dann nicht zu deren Konzerten gegangen und habe auch nicht mehr deren Shirts getragen, eben genau WEIL die Sache noch nicht geklärt war. Die Unschuldsvermutung gilt auch für diejenigen, die die Vorwürfe erheben. Ich wüsste auch nicht, warum sie für inzwischen Dutzende Frauen weniger gelten sollte als für einen einzelnen Mann, der mehrfach Vergewaltigungsfantasien zum Teil seines künstlerischen Outputs gemacht hat. Warum sollte dieser Mann so viel glaub- und vertrauenswürdiger sein? Das verstehe ich einfach nicht. Und zwar explizit weil ich mehrere Fälle erlebt habe, bei denen es um Bands ging, die ich mochte, oder sogar um Personen, die ich kannte. Und: Es hat mich bei niemandem überrascht. Immer passte es irgendwie ins Bild und zu dem Verhalten, was die Männer sonst so an den Tag legten. Und genauso ist es bei Lindemann, der von Vergewaltigungen singt.

  10. 66.
    Antwort auf [Ein Görlitzer] vom 17.07.2023 um 09:25

    Was stimmt denn mit Ihnen nicht? Solche Anschuldigungen, geboren aus Vermutungen, unbelegten Anschuldigen ohne Anzeigenerstattung und zuviel Mediengenuss? Wenn das mal nicht einen Straftatbestand der üblen Nachrede erfüllt, können Sie von Glück reden, wenn der von Ihnen Beschuldigte beim RBB nicht die Herausgabe Ihrer IP verlangt, wenn nicht gar über seinen Rechtsbeistand.

  11. 65.

    Tja, und es gibt Menschen die auf Vorverurteilung ohne Beweise setzen, und einer Hexenjagd ähnliche Zustände herbeisehnen,.und die sind hierzulande unerwünscht.

  12. 64.

    Wenn dies OK sein soll, und zu einer pluralistischen Gesellschaft gehört, und man sollte damit kein Problem haben, warum man dann mit anderen respektlosen, antidemokratischen Gruppierungen ein Problem haben soll?
    Beides gehört doch in die selbe Kategorie, und ist nicht OK

  13. 63.

    Wem sind Sie denn aufgesessen? Lärmen Sie auch so vor Kirchen, Schwimmbädern, Schulen in der Lausitz und diversen Botschaften? Ich glaube kaum - dazu sind Menschen wie Sie meist zu feige und verstecken sich in der Anonymitöt des weltweiten Netzes.

  14. 62.

    Finden Sie Ihr "alle über einen Kamm scheren" nicht etwas lächerlich?

  15. 61.

    Äh, wieviele Angehörige der Sekte Schlager pilgern in Stadien und Arenen? Sind Texte der Schlagerzunft besser, weil sie so schön indirekt vorgetragen werden? Ginge es darum, bitte nur noch Intstrumentalmusik.

  16. 60.

    Herr Ulrich ist ziemlich naiv, wenn er erwartet, dass die Band sich zu einem laufenden Verfahren öffentlich äußert.

  17. 59.

    Na klar es gibt Verbundenheit zwischen den unterschiedlichsten Menschen die sexualisierte Gewalt und Düsterheit toll finden,dass heisst aber nicht ,dass es richtig ist!

  18. 58.

    "...60.000 verblendete Fans"
    die Europatour ist restlos ausverkauft, Wartelisten unendlich lang. Mach da mal noch ne Null dran ;-)

    "...düsteren und geqwaltverherrlichen Musik und Show"
    Auweija.. sowas aber auch. und ich liebe Autofahren und esse Tiere. ich bin so ein pöööser pöööser Mensch.

    "...um die teuren windigen Anwälte bezahlen zu können"
    *lach*dazu braucht es sicher nicht die 3. Stadiontour in Folge.
    Ich hatte gestern abend viel Spaß, auch wenn der Sound diesmal bescheiden abgemischt war.

  19. 57.

    Danke für den guten Kommentar. Musik bringt immer viele Leute zusammen, die sehr unterschiedlich sind.

    Wo sind eigentlich die Demonstranten in anderen Fällen? Z.B. vor den Kirchen oder bei einem bekannten Fußballverein in Berlin, der vor kurzem einen Jugendtrainer entlassen hat?

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