Konzertkritik | Elvis Costello in der Verti Music Hall - Hinhören – Weghören – Hinhören

Do 21.09.23 | 08:35 Uhr
Archivbild: Elvis Costello bei einem Live-Auftritt im Sommer 2023. (Quelle: dpa/Spinozzi)
Audio: rbb24 Inforadio | 21.09.2023 | J. Bauer | Bild: dpa/Spinozzi

Der Brite Elvis Costello, Rock 'n' Roll-Legende, hat zusammen mit seinem Langzeit-Pianisten Steve Nieve in der Berliner Verti Music Hall eine Wundertüte spendiert - und gezeigt, dass er eben einer der ganz Großen ist. Doch manchmal musste Jakob Bauer auch weghören.

Seit rund 50 Jahren steht Elvis Costello auf der Bühne und die einzige Sache, bei der man sich bei diesem Mann immer sicher sein kann, ist, dass nichts sicher ist: Macht er jetzt Blues? Rock 'n' Roll? Schmuse-Pop? Dub? New Wave Krach? Das Konzert in der Berliner Verti Music Hall steht ganz in dieser wundertütigen Tradition, denn Costello, der doch am bekanntesten für seinen großen Balladen ist, und sein Partner Steve Nieve an Klavier und Orgel starten experimentell: mit kreischender Gitarre und sumpfigen Trip Hop Beat, einer zähnefletschenden Bearbeitung des Costello-Songs "When I Was Cruel No. 2".

Archivbild: Elvis Costello mit Steve Nieve am Klavier. (Quelle: imago images/Cippitelli)
Bild: imago images/Cippitelli

Mikrofon? Na, wenn’s sein muss.

Und natürlich mit der Stimme von Elvis Costello, die so einzigartig daherkommt: Flehend, tremolierend, schmeichelnd, zärtlich verzagend, brüchig, aber, und das ist Faszinierende, trotzdem so unglaublich druckvoll. Der Kerl ist 69, aber es drängt sich der Verdacht auf: Man könnte das Mikro ausmachen und Elvis Costello wäre trotzdem noch in der letzten Reihe zu hören. Wahnsinn.

I am Legend

Wie zu erwarten, wechselt die Stimmung im Song-Takt. Auf den krachigen Anfang folgen schon bald die ersten Balladen und trotz der Experimentierfreude des Abends sind doch Songs wie das wunderschöne "God’s Comic", schlicht instrumentiert, nur Gitarre, Klavier und Gesang, die Höhepunkte.

Früh hat Costello außerdem eine Verbindung zum Publikum. Der braucht keine Aufwärmzeit, der tänzelt zum Intro schon stilsicher wie immer in Anzug und Hut auf die Bühne. Der erzählt in großer Show-Man-Manier Anekdoten aus 50 Jahren Musikerleben. Der hat das Selbstbewusstsein, das Publikum schon im vierten Song zum Mitsingen zu dirigieren.

Elvis Costello kommt nicht unbedingt arrogant daher. Aber er weiß um seinen Legendenstatus und kostet diesen auch aus. Ein bisschen seltsam ist allerdings die Interaktion mit seinem – so heißt es – guten Freund und Mitmusiker Steve Nieve. Der schaut manchmal so aus, als würde er sich zumindest ein paar Zeichen von Costello wünschen, der seinen Blick meistens Richtung Fans gewandt hat. Elvis, welchen Song spielen wir denn jetzt als nächstes? Wann hören wir mit diesem auf? Nieve ist ein so fantastischer Musiker, dass er nie wirklich aus dem Takt kommt, trotzdem, ein bisschen mehr gemeinsame Bühnen-Chemie zwischen ihm und Costello könnte man nach all der gemeinsamen Zeit schon erwarten.

Ein bisschen grauer Soundbeton

Elvis Costello ist tatsächlich so eine Legende, der Mann – entschuldigen Sie die saloppe Ausdrucksweise – könnte pupsen und irgendwer würde es abfeiern. Insofern ist es umso schöner, dass er sich hier sichtlich reinhängt, neue Sachen ausprobiert, wenige Hits spielt und zusammen mit Steve Nieve immer wieder in eine Art Jam verfällt und seine Songs verfremdet.

Nur: Die Experimente sind nicht sonderlich überzeugend. Um den Zwei-Mann-Sound aufzupeppen, spielt Costello immer wieder Drum-Beats ein. Die haben im besten Fall schöne Trip-Hop-Vibes, im schlechtesten Fall klingen sie wie mal eben in fünf Minuten am PC zusammengebastelt. Darüber sägt dann Costello auf seiner Gitarre herum und Nieve versucht mit allerlei Tasten und einer Harmonika Basis zu geben und Akzente zu setzen, nur geht das im Sound häufig unter. Und ja, Elvis Costello will nicht immer nur gefallen, sondern herausfordern, provozieren. Aber das Ergebnis ist dann halt indifferenter, aber nicht sonderlich aufregender grauer Soundbeton.

Zumal die Art, wie Elvis Costello singt und Musik schreibt, sich nicht so sonderlich gut in einen erbarmungslosen elektronischen 4/4-Takt zwängen lässt. Eigentlich ist Costello ein Crooner. Er lässt sich Zeit, kostet die Melodiebögen aus. Statt strenge Zählzeiten einzuhalten wird beschleunigt und gebremst. In dem Korsett des elektronischen Metronoms allerdings klingen die beiden manchmal regelrecht gehetzt. Und nur mittelgut.

Die Stimme – ein Hit and Miss

Außerdem – es lässt sich nicht wegdiskutieren – die Stimme von Elvis Costello ist eine Hit-und-Miss-Angelegenheit. Gerade am Anfang ist es eine Wonne, wenn sich Costello in die Höhe reckt, in die Kopfstimme fliegt, mit seinem Tremolo die Töne umschmeichelt und immer am Ziel angelangt. Aber je länger die Show, desto häufiger liegt er schlichtweg daneben. Und das kann trotz allen Charismas und aller Aura dann beim zu Hören einfach frustrieren. Man weiß ja, was diese Stimme eigentlich konnte – und ja auch immer noch kann.

Funkelnde Höhepunkte wechseln sich also ab mit Momenten des Lieber-Mal-Kurz-Weghörens. Und Elvis Costello-Konzerte bleiben in allen Belangen eine Wundertüte.

Sendung: rbb24 Inforadio, 21.09.2023, 7.00 Uhr

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