Interview | Ausstellung im Jüdischen Museum - "Juden waren in der DDR nicht wirklich sichtbar"

Di 19.09.23 | 06:29 Uhr
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Archivbild: Vorbesichtigung des Ausstellung Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR in Berlin am 6. September 2023. (Quelle: imago images/E. Contini)
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Audio: rbbKultur - Das Magazin | 09.09.2023 | | Bild: imago images/E. Contini

Ein antifaschistisches Deutschland erhofften sich viele Jüdinnen und Juden in der DDR, doch auch dort gab es Antisemitismus. Eine Ausstellung des Jüdischen Museums in Berlin schaut nun auf ihren Alltag. Cathy Gelbin hat ihn erlebt.

rbb: Frau Gelbin, gab es bislang eine Lücke in der geschichtlichen Betrachtung von Jüdinnen und Juden in der DDR?

Cathy Gelbin: Die Geschichte von Juden in der DDR, die bisher geschrieben wurde, ist hauptsächlich die Geschichte der Gemeinden und der offiziellen Würdenträger, der Künstler und Intellektuellen. Aber was es da im Alltagsleben gegeben hat, darüber ist bislang weniger in der Öffentlichkeit bekannt.

Welche Rolle hat Ihr Jüdischsein im Alltag in Ost-Berlin gespielt?

Wir waren eine atheistische Familie und insofern gab es keine religiösen Äußerungen wie Feiertage. Was uns ganz stark vermittelt wurde, war ein historisches Bewusstsein darüber, dass Juden während des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden und dass wir dadurch eine unausgesprochene Verantwortung hatten, diese Erinnerung wach zu halten. Aber Juden waren nicht wirklich sichtbar in der DDR. Und daraus erwuchs dann auch mein Wunsch, zur Jugendweihe einen Davidstern zu bekommen. Das war eine Form von Identitätsäußerungen, eben auch in der unmittelbaren Umwelt.

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Aber es war gar nicht so leicht, eine Davidstern-Kette in der DDR zu bekommen...

In der DDR kriegte man so was nicht. Meine Mutter hatte dann die Idee, dass sie ihren Silberschmuck einschmelzen lassen könnte. Sie hat einen Juwelier gefragt, ob er daraus einen Davidstern machen würde. Er hat dann aber Angst bekommen und hat das nicht gemacht. Wir haben dann Freunde aus dem Westen, die auch zur Jugendweihe-Feier eingeladen waren, gefragt, ob sie einen Davidstern mitbringen. Und das haben sie auch gemacht. Die Frau, die ihn über die Grenze brachte, hat mir dann erzählt, dass sie große Angst bei der Einreise hatte, dass ihr die Zollbeamten die Kette wegnehmen würde wegen des Davidsterns. Und sie hat ihn sich dann selber um den Hals gemacht, damit es als ihre eigene Kette erscheint. Sie hat sich ausgerechnet, dass es so weniger wahrscheinlich wäre, dass die Kette beschlagnahmt wird.

Hat die Kette zu Reaktionen aus Ihrem Umfeld geführt?

Es gab natürlich Fragen, auch vom Klassenlehrer an meiner neuen Schule Er wollte mit mir eine Aussprache darüber führen, warum ich diese Kette trage. Damit war er wahrscheinlich beauftragt worden von der Schulleitung. Er fragte, ob das religiöse Gründe hätte. Und dann sagte ich: Nein. Ich würde mich aber als jüdisch identifizieren und deshalb würde ich die Kette tragen. Und damit war es dann auch offensichtlich irgendwie okay.

Haben Sie in der DDR auch Erfahrungen mit offenem Antisemitismus gemacht?

Der Antisemitismus in der DDR war eher verdeckt. Man hat ihn viel deutlicher und offener in der Bundesrepublik gespürt. Dort war es, glaube ich, nicht in derselben Weise stigmatisiert wie in der DDR. Es gab zwei Ereignisse von Alltags-Antisemitismus, Reaktionen auf meinen Davidstern, den ich trug, die eindeutig antisemitisch waren. Einmal fragte mich ein Mann auf der Straße was das sei – und wandte sich dann sehr angewidert von mir ab. Beim zweiten Mal wurde ich in Dresden von einem Kreis von kurzgeschorenen jungen Männern umringt, die mich sehr bedrohlich fragten: Bist du Jude? Und als ich ja sagte, gestikulierten sie sehr bedrohlich, aber verzogen sich dann. Sie haben sich nicht getraut, mich anzugreifen, was im Westen zu der Zeit vielleicht anders abgelaufen wäre. Dadurch, dass die Polizei und die Staatssicherheit präsent waren und man wusste, dass diese Staatsgewalt immer sehr schnell auch zugreifen konnte, waren diese Äußerungen eben auch eher unter dem Deckel gehalten.

Sie reisten später auch aus der DDR aus. Hatte diese Entscheidung auch etwas mit Ihrem Jüdischsein zu tun?

Das war sehr vielschichtig. Aber das Jüdischsein hatte auch zentral damit zu tun, weil es dadurch in unserer Familie noch ein anderes Geschichtsnarrativ gab. In der Schule wurde vermittelt, dass die Sowjetunion den Hitlerfaschismus besiegt hatte. Ich brachte dann ein, dass mein Vater und mein Stiefgroßvater in der amerikanischen Armee gekämpft hatten. Und das kam überhaupt nicht gut an. Da hieß es dann, in unserer Klasse gäbe es einen antisowjetischen, präfaschistischen Kern. Und das sollte offensichtlich ich sein. Wegen der Aussage, dass die alliierten Armeen Hitler besiegt hatten und nicht die Sowjetunion allein. Und ich wurde dann ziemlich schnell in so eine staatsfeindliche Ecke gedrängt, in der ich mich gar nicht sah.

Und ich wollte das Jüdischsein auch anders erleben. Die jüdische Gemeinde war sehr klein, es gab einfach nicht diese Vielfalt und so richtig erwünscht war es in der DDR wahrscheinlich auch nicht. Und insofern wurde die Welt für mich immer enger.

Sie haben angesprochen, dass Ihr Vater und Stiefgroßvater in der amerikanischen Armee gekämpft haben. Woher kommt dieser Verbindung nach Amerika?

Meine Großmutter und mein Vater waren gebürtige Amerikaner und meine Großmutter hat in New York in den 40er Jahren den Schriftsteller Stefan Heym kennengelernt und ihn geheiratet. Großmutter war verwitwet, das war ihr zweiter Ehemann, und sie ist ihm dann nach Europa gefolgt. 1952 sind sie in die DDR gekommen. Dadurch gab es natürlich immer diesen anderen Blick, auch auf die DDR. Dieses Wissen: Es gibt auch noch was anderes. Es gibt nicht nur Deutschsein und auch nicht nur Deutsch und jüdisch sein, sondern es gibt auch dieses ganze andere Leben. Dadurch wusste ich, dass es da eine ganz andere, aufregende Welt da draußen gibt, die ich auch kennenlernen und erkunden wollte.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Steffen Prell, rbbKultur.

Sendung: rbbKultur, 09.09.2023, 18:30 Uhr

19 Kommentare

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  1. 19.

    Ja, Juden waren dafür privilegiert, von den Nazis ermordet zu werden. Oder was wollten Sie uns sagen?

  2. 17.

    Nein, es geht den Kommentatoren als Zeitzeugen nicht um eine verklärte Darstellung der DDR, sondern auch um eigenes Erleben als Gegenmeinung zu dieser Ausstellung.
    Eigentlich sollte gleich am Eingang dieser Ausstellung aufgeklärt werden, dass diese Themenabhandlung auf subjektiven Erfahrungen einer einzelnen Person beruht. Eine objektive wissenschaftliche Abhandlung ist diese Ausstellung dann nicht.

  3. 16.

    Sehe ich genau anders herum. Im Geschichtsunterricht zum 2. Weltkrieg ging es hauptsächlich um verfolgte Antifaschisten/Kommunisten.; das Leid der Juden kam nur am Rande vor. Ich finde den Artikel vollkommen korrekt.

  4. 15.

    Juden waren, wie auch andere Opfer, privilegiert als OdF und VdN. Sie genossen weit mehr Vorteile als der normale Bürger. Ich selbst habe in der Familie dieser Richtung. Eine Einzelmeinung spiegelt die Realität nicht wieder, wird sogar gefälscht.

  5. 14.

    Liebe Kommentierende,
    ich habe das Interview mit Cathy Gelbin geführt und auch den Beitrag im Kulturmagazin über die Ausstellung im Jüdischen Museum gemacht. Die Macherinnen der Ausstellung "Ein anderes Land" haben explizit darauf hingewiesen, dass es nicht die eine Geschichte, die eine Wahrheit gibt, sondern dass es eine Vielzahl individueller Wahrnehmungen und Erzählungen gibt. Die von Cathy Gelbin gehört dazu - genauso wie die Anmerkungen in den Kommentaren, die offenbar in anderen Erlebnissen wurzeln.
    Freundliche Grüße
    Steffen Prell

  6. 13.

    Dies ist kein einseitiger Bericht. Im Video wird die vielfältige Sicht auf das Schicksal der jüdischen Mitbürger*innen deutlich.
    Vielen Dank für die ehrliche Rückblende auf die DDR.

  7. 12.

    Ihnen ist schon klar, dass Sie hier eine Einzelmeinung einer Einzelmeinung entgegenhalten, oder? Persönliche Schicksale sind immer Einzelmeinungen. Diese sind im Sinne einer Zeitzeugenschafft wichtig, aber nicht zu verabsolutieren.

    Es scheint mir, als ginge es Ihnen eher um ein positives Bild der DDR, das der DDR-Selbstdarstellung entspricht. Dies gilt wohl auch für Ihren Vorredner und Nachredner gleichermaßen.

    Ich denke, die Ausstellung, in der Einzelschicksale sicherlich gegenübergestellt werden, könnte ein breiteres Bild liefern.

  8. 11.

    Sehr subjektive Sicht , die mit dem Umgang der DDR mit den Juden nichts zu tun hat.
    Prominente Juden waren in der DDR Hermann Axen und Albert Norden, beides Mitglieder des Politbüros.
    Antisemitische Einstellungen einzelner Bürger dürften wohl ursächlich in den Regimen (Kaiserreich, Faschismus)
    vor 1945 verwurzelt sein.

  9. 10.

    Das Interview macht neugierig auf die Ausstellung. Danke.

  10. 9.

    Anhand dieses Artikels und der Überschrift kann man sehr gut eine lenkende Wahrnehmung erkennen. So wie es nicht war.

  11. 8.

    Antisemitismus war nicht bloß strafbar, es wurde verfolgt. Nicht einfach so, sondern konsequent.
    Niemals wurde unterrichtet, dass die Sowjetunion alleine den Krieg gewonnen hatte. Es wurde unterrichtet, dass sie die Hauptlast trug. Es wurde unterrichtet, dass Österreich von den Russen und Thüringen von den Amerikanern besetzt war und nicht zum Ostblock zugeschlagen wurden. Es gab ein Viermächteabkommen. Dort wurde so aufgeteilt, um die Sieger entsprechend ihrem Zutun richtig zu berücksichtigen. Es wurde vermittelt, dass die Verbündeten erst in den Krieg eintraten, als sich abzeichnete, dass die Sowjetunion gewinnen würde: Nach der Schlacht um Moskau und am Kursker Bogen. Vorher hat man abgewartet...

  12. 7.

    Wer erklärt denn hier das Leben jüdischer Bürger in der DDR als Schauergeschichte. Die jüdische Interviewpartnerin stellt lediglich fest, dass Judentum im Alltag keine Rolle spielte. "Die jüdische Gemeinde war sehr klein, es gab einfach nicht diese Vielfalt und so richtig erwünscht war es in der DDR wahrscheinlich auch nicht." Generell spielten Religionen keine große Rolle in der DDR und waren eigentlich auch nicht wirklich erwünscht, denn wie Marx sagte "Religion ist Opium für Volk". Wir lernten, dass es nur eine richtige Weltanschauung gibt, und zwar den Marxismus-Leninismus. Alles andere sollte nach Möglichkeit verschwinden.

  13. 6.

    ...weil da wahrscheinlich kaum noch gelernte Ossis arbeiten, wie auch ? Und nachfolgende Generationen erfahren alles von denen, die die Geschichte bestimmen...

  14. 5.

    Ja, wir hatten in der Klasse auch jüdische Mitschüler. Keiner wäre auf die Idee gekommen unsere Kumpels oder deren Familien zu diskriminieren. Sie waren selbstverständlich Teil unserer Gemeinschaft. Das war in den 70er Jahren. Hass und Diskriminierung kannten wir nicht.

  15. 4.

    Ich bin von 1967 bis 1977 in Ostberlin zur Schule gegangen. Ja, Juden waren ein Thema im Schulunterricht, aber nur in Zusammenhang mit der Verfolgung im Dritten Reich. Im Alltag waren sie nicht sichtbar, was vielleicht auch daran lag, dass viele atheistisch lebten, vielleicht aber auch daran, dass keine Religion in der DDR eine Rolle spielen sollte. Die einzig erhaltene und geweihte Synagoge war die in der Rykestraße, kaum wahrnehmbar von der Straße aus. Von der Neuen Synagoge in der Oranienburger gab es nur die Fassade, die als Denkmal stehenblieb.

  16. 3.

    Ich finde es überhaupt merkwürdig, von einem Einzelschicksal gleich auf die gesamte Gesellschaft zu schließen. Zumal Menschen der jüdischen Glaubensrichtung in der DDR meiner Erfahrung nach sogar noch ein Tick besser behandelt wurden als Christen z.B.. Wenn man wegen christlichem Glauben nicht in der FDJ oder GST war, hatte man schon mal Nachteile. Wenn man wegen jüdischen Glaubens nicht in der FDJ oder GST war, gabs diese Nachteile nicht. In meiner Klasse gabs 2 Jahre mal eben solche Fälle beider Glaubensrichtungen. Jüdisch wurde vom Staat schon besser behandelt als evangelisch oder katholisch.

  17. 2.

    Ich hatte 2 jüdische gute Freunde in der DDR die sich sehr wohl fühlten, deren Familien weder behindert noch ausgegrenzt wurden, im Gegenteil- bei Pioniernachmittagen erzählten die uns ihre Geschichten. Eine Einzelmeinung hier zum Anlass zu nehmen das Leben jüdischer Bürger in der DDR als Schauergeschichte zu erklären ist sehr fragwürdig.

  18. 1.

    Sorry - stimmt nicht. Es war immer Thema im Geschichtsunterricht in der Schule, es gab Kino-TV-Filme. Sie Sichtweise des Westens auf die DDR ist wie immer völlig verfälscht und populistisch. Warum beteiligt sich der RBB daran?

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