Kohle-Ausstellung in Potsdam - Die Geschichte einer Transformation

Fr 29.09.23 | 09:34 Uhr | Von Michaela Gericke
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Ausstellungsansicht (Quelle: BKG, Nadine-Redlich)
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 28.09.2023 | Nachrichten II | Bild: BKG, Nadine-Redlich

Transformationsprozess. So wird oft die Zeit nach der Wende genannt. Damals gab es in Brandenburg noch Brikettfabriken, Arbeitgeber für tausende Menschen - dann folgten Schließung und Abriss. In Potsdam erinnert eine Ausstellung an die Zeit. Von Michaela Gericke

Ungeschminkt sind die Gesichter – die Schatten darauf: Kohlenstaub. "In den Brikettfabriken" heißt die Porträt-Serie im Eingangsbereich der Ausstellungshalle. Vertrauensvoll schauen die Maschinist:innen in die Kamera, nichts ist von Christina Glanz inszeniert. Es gibt kein gezwungenes Lächeln, eher ernste, fragende Blicke.

Info

Katalin Krasznahorkai, die neue Kuratorin im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam, hat ihren ganz eigenen Blick auf diese Fotografien. Sie sieht "nicht die Verzweiflung in den Gesichtern, sondern ein starkes Selbstbewusstsein, sehr viel Kraft, die aus diesen Porträts kommt und wenn Sie die ganze Serie sehen, das ist so eine emotionale Topografie der Umbruchzeit, die in die Gesichter geschrieben ist."

15.000 Menschen verloren ihre Arbeit

Ich lese in den Gesichtern vor allem: Verunsicherung, Skepsis, Angst, manchmal Wut – und Trauer. Einer der Männer in dunklem Arbeitskittel trägt am Arm eine schwarze Binde und um den weißen Hemdkragen eine schwarze Krawatte. Bald darauf ist er einer von vielen, die die Fabriken, in denen sie zuvor gearbeitet haben, nun abreißen. 15.000 Menschen verloren ihre Arbeit nach der Schließung der Tagebaue, Braunkohlewerke und dazugehörenden Betriebe. Eine Transformation in ein besseres Leben blieb für viele Illusion.

"Ich würde sofort wieder in die Kohle gehen", sagte eine der Frauen, die Christina Glanz in den Brikettfabriken interviewte. Wie viele der Frauen in den Brikettfabriken hat sie zum Schutz gegen den Staub ein bunt gemustertes Kopftuch ums Haar gebunden. Die dreckige Arbeit bedeutete vielen dennoch zugleich Lebensinhalt.

Tagesbrigade aus dem Nassdienst Brikettfabrik 65 am 30. März 1993 (Quelle: Christina Glanz)Tagesbrigade aus dem Nassdienst, Brikettfabrik 65 in Lauchhammer am 30. März 1993

Solidarität als wichtiger Wert

Die Kuratorin Katalin Krasznahorkai interpretiert das Zitat, das der Ausstellung ihren Titel gab, so: "'Ich würde sofort wieder in die Kohle gehen' - das heißt nicht, man weint einem Industriezweig nach, sondern es heißt, man würde immer wieder in die Gesellschaft und Solidarität zurückfinden wollen." Christina Glanz hat diese Art des Zusammenhalts während ihrer langjährigen Beobachtungen immer wieder erlebt. Und mit ihren Foto-Serien hat sie keine Hommage an die Kohle geschaffen, geschweige denn eine Verklärung der Arbeitsbedingungen, sondern ein Zeitdokument, das uns Menschen nahebringt, die im Osten Deutschlands keineswegs blühenden Landschaften entgegenblickten.

Ausstellungsteil: Abgefahren

Ein stark vergrößertes Foto im Zentrum der Ausstellungshalle zieht die Besucher:innen fast mitten hinein in ein Gruppenbild zum Abschied der Brikettfabrik 65 in Lauchhammer. Eine Innenaufnahme, für die Christina Glanz am 30. März 1993 ihre selten gewordene Profi-Kamera aufbaute.

Die Fotografin erinnert sich an jene Nacht: "Da wurde die Fabrik abgefahren, das heißt sie wurde vollkommen stillgelegt und dieser Moment der Stilllegung und die Zeit danach ist eine gefährliche Zeit, weil da der Kohlenstaub verpuffen kann und das heißt, die ganze Fabrik kann in die Luft gehen. Normalerweise kann sich die Gruppe nicht entfernen von ihren Arbeitsplätzen, aber für einen Moment ist es geschehen und in diesem Moment habe ich meine 4x5-Linhof aufgebaut und war unterm schwarzen Tuch und hab fotografiert." Die Linhof: Das ist eine altmodische, mechanische Plattenkamera, mit der Christina Glanz unterwegs war für ihre Langzeitbeobachtungen.

Ausstellungsteil: Die Kündigungen

Mit einer Kleinbild-Kamera fing Christina Glanz Momente ein. Zum Beispiel, als die Mitarbeiter:innen ihre Kündigung erhielten, in einem weißen Briefumschlag. Jede:r einzelne der Serie steht im unaufgeräumten Büro des Vorgesetzten und hält das Papier noch in den Händen. Für ein paar junge Menschen mag das sogar der Start zu etwas Neuem gewesen sein. Aber von einer gelungenen Transformation kaum eine Spur.

Jugendliche in Lauchhammer, 2002 - 2004 (Quelle: Christina Glanz)Jugendliche in Lauchhammer, 2002 - 2004.

Berufe, die nicht mehr existieren

Die Kuratorin Katalina Krasznahorkai ernnert daran, dass "viele Leute, die seit ihrem 15. Lebensjahr da gearbeitet haben, praktisch über Nacht ihrer Lebensgrundlage entzogen wurden und nicht nur das. Diese Berufe existieren auch auf einmal nicht mehr. Das war ein Moment in den 90er Jahren, der mit einer extremen Dramatik in den Bildern auch sichtbar wird: Die Generation danach.

Christina Glanz ist der Stadt Lauchhammer und ihren Menschen offenbar treu geblieben, hat auch die nachfolgende Generation fotografiert. Auf einem der wenigen Farbfotos steht ein junger Mann als Auszubildender in heller Arbeitskleidung, Handschuhen, Helm und transparentem Visier im damals neu entstandenen Vestas-Werk, wo die Rotorräder für Windräder hergestellt wurden. Glanz erinnert daran, dass das "aber auch schon wieder geschlossen wurde. Dort wird eine chinesische Firma etwas für Batterien aufbauen."

Eine würdige Bühne

Die Transformation geht also weiter. Dass die Fotografien – überwiegend in schönstem Schwarz-Weiß jetzt hier im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zu sehen sind, ist eine gebührende Ehre: Für die Fotografin Christina Glanz wie für die Menschen, die vermutlich nirgendwo sonst eine so würdige Bühne bekommen haben.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 28.09.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Michaela Gericke

2 Kommentare

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  1. 2.

    Ich selber würde mir eine solche Ausstellung nie ansehen!
    Da ist einfach zu viel an Wut und Verzweiflung in mir.
    Ich wurde 1999 in Schwarze Pumpe aus der letzten, immer noch laufenden, Brikettfabrik entlassen.
    Seitdem habe ich einen sozialen Abstieg bis in die Holzklasse der jetzigen Gesellschaftsordnung mitgemacht.
    Wer damals ohne Kapital im Rücken, wo auch immer rausgeworfen wird hatte sehr schlechte Karten in real existierenden Kapitalismus.
    Da hat es mein Sohn besser in der jetzigen Zeit des Fachkräftemangels.
    Heute werden Fachkräfte gesucht Dank der Überalterung der Gesellschaft.

  2. 1.

    Schade das diese Ausstellung nicht genutzt wurde, um auch 34 Jahre danach, um Chancengleichheit und gegen Chancenungleichheit zu werben, ja sogar einzufordern. In Zeiten der .... diversen Vielfalt.
    Apropos:
    besuchen - die Besucher, mit :innen wird erst ein Geschlecht daraus, was es vorher nicht war! Wirklich nicht. Laut Bildung.
    spinnen - die Spinner
    leiten - die Leiter beweisen das sehr gut.
    Und beleidigt ist man schnell, wenn z.B. „Mörder:innen“ u.a. Negatives nicht verwendet wird.

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