Konzertkritik | Patrick Wolf im Heimathafen Neukölln - Immer noch ein bisschen wild

Di 09.04.24 | 10:00 Uhr | Von Lennart Garbes
Archivbild:Patrick Wolf spielt Geige im Berliner LIDO am 04.03.2020.(Quelle:imago images/POP-Eye/C.Behring)
Audio: rbb24 Inforadio | 09.04.2024 | Lennart Garbes | Bild: imago images/POP-Eye/C.Behring

Patrick Wolf galt in den 2000ern als einer der talentiertesten jungen Popmusiker überhaupt. Dann wurde es lange still um den Briten. Nach über zehn Jahren ist Wolf wieder mit neuer Musik auf Tour und im Reinen mit seiner Vergangenheit. Von Lennart Garbes

Schon beim Betreten des ausverkauften Heimathafens wird klar, dass sich bei Patrick Wolf einiges verändert hat. Der Konzertsaal ist komplett bestuhlt. Wer sich aufs Tanzen und Springen gefreut hat, muss sich stattdessen einen Sitzplatz aussuchen.

Außerdem kommt Wolf ganz allein auf die Bühne, ohne jedes Bandmitglied. Sein Outfit ist trotz überlanger roter Toga deutlich weniger extravagant als in vergangenen Tagen. Zumindest seine Haare sind wie früher rot gefärbt. So stimmt Wolf nur mit Ukulele "Night Safari" an, den Titelsong seiner ersten EP nach über einem Jahrzehnt ohne neue Musik. Und schon mit den ersten Zeilen wird überdeutlich, dass es nur seine tiefe, unverwechselbare Stimme braucht, um alle in seinen Bann zu ziehen, egal was sonst noch auf der Bühne passiert.

Persönliche Schicksalsschläge führen zu langer Pause

Dabei war lange unklar, ob Patrick Wolf überhaupt noch einmal singen würde. Nach dem steilen Aufstieg bis 2012 eskalierte der Konflikt mit seiner Plattenfirma, Wolfs Suchterkrankung wurde schlimmer, seine Mutter starb und er musste Privatinsolvenz anmelden. Nach dem Ende der Corona-Pandemie und einem erfolgreichen Entzug zog er von London an die Küste in Kent und entdeckte dort in seinem zum Studio umgebauten Gartenschuppen die Liebe zur Musik wieder, finanziell unterstützt durch eine Plattform, über die Fans ihren Lieblingskünstlern Geld zukommen lassen können.

Nach dieser aufwühlenden Phase in seinem Leben gibt sich der trotz seiner Größe grazil wirkende Brite auf der Bühne äußerst sanft, spricht mit Flüsterstimme, vermeidet große Gesten. Und doch blitzt immer wieder der unbekümmert-verschmitzte Charme durch, der ihn Mitte der Nullerjahre zu einer queeren Musikikone machte, bevor der Begriff queer überhaupt mainstreamfähig wurde. Noch wichtiger als seine Aura war dafür aber Wolfs musikalisches Talent, und das zeigt er auch an diesem Abend in Berlin.

Loops werden zu düster-epischen Klangwelten

Allein während der ersten fünf Lieder wechselt er von der Ukulele über die Gitarre an den riesigen Flügel, der den Großteil der Bühne einnimmt und schließlich zu seiner E-Geige. Mit seiner Loopstation legt er Instrument über Instrument, und erschafft so ganz allein episch-düstere Klangwelten, in denen neue und alte Songfragmente fließend ineinander übergehen.

Ausgedacht habe er sich das Konzept für die Tour allein in seinem Tonstudio, ohne dabei groß ans Publikum zu denken, gibt Wolf nach der Hälfte des Konzert freimütig zu. Und tatsächlich wirkt es oft so, als ob man dem Musiker in seinem Gartenschuppen-Studio in Kent zuschauen könnte, wie er mit einer Hand am Piano und der anderen am Computer Melodien zusammenbaut und wieder auseinandernimmt.

Am Ende hält es niemanden auf den Stühlen

Die Folge ist ein Konzert, das in der Mitte dann doch etwas ausufert und kurzzeitig in eine Art Kunstperformance abzudriften droht. Doch dem bunt gemischten Publikum, bei dem von tätowierten Neuköllnerinnen, über treue Indie-Fans, bis zu Paaren in schicker Abendkleidung alles dabei ist, macht das überhaupt nichts aus. Ganz im Gegenteil wird jede Pause zwischen den Songs für tosenden Applaus genutzt. Erst recht als Wolf für die Zugabe einige seiner bekanntesten Hits auspackt.

Zweimal jubelt ihn das Publikum dafür zurück auf die Bühne, bis sich dann nach fast zwei Stunden nochmal alle von ihren Stühlen erheben und zusammen "Together" singen. Angeleitet von einem sichtlich gelösten Musiker, der am Ende mit aufgeknüpftem Overall sogar noch ins Tanzen gerät. Ein bisschen wild ist Patrick Wolf eben doch noch.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.04.2024, 0 Uhr

Beitrag von Lennart Garbes

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