Berlinale 2021 - Erst der Stream, dann der rote Teppich

Do 11.02.21 | 19:15 Uhr | Von Fabian Wallmeier

Die Berlinale hat ihr Wettbewerbsprogramm für die pandemiebedingt zweigeteilte Ausgabe vorgestellt: Es gibt viele deutsche Filme, insgesamt deutlich weniger Filme als sonst - und positive Signale für eine Branche in der Krise. Von Fabian Wallmeier

Roter Teppich, Blitzlichtgewitter, warme Worte von der Kulturstaatsministerin und schließlich gemeinsames Filmgucken: An diesem Donnerstagabend hätte eigentlich die 71. Ausgabe der Berlinale eröffnet werden sollen. Aber… ach, Sie wissen schon: Corona. Stattdessen haben die Berlinale Leiter*innen, Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek an diesem Tag nun wenigstens das Wettbewerbsprogramm vorgestellt worden - für ein zweistufiges Festival mit einem Branchen-Event im März und Publikumsvorführungen im Juni.

Mit dem Glamour einer Festival-Eröffnung oder auch nur der gespannten Atmosphäre auf der in diesem Jahr ausgefallenen Programm-Pressekonferenz allerdings hatte die Verkündung nichts gemeinsam: Um 11 Uhr wurde ein Video gezeigt, auf dem Chatrian und Rissenbeek in einem leeren Kinosaal sitzen. Rissenbeek wiederholte zunächst ein paar Eckdaten für die besondere Festival-Ausgabe, dann stellte Chatrian knapp die Filme des Wettbewerbs und des Berlinale Special vor.

Man habe das Festival in gar keinem Fall ganz ausfallen lassen, weil die Filmschaffenden "unbedingt eine Plattform für ihre Filme brauchen", sagte Rissenbeek. Das ist mehr als verständlich - und ein wichtiges Signal für die Branche, die sich coronabedingt in einer enormen Krise befindet. Allerdings hat die Pandemie offenbar auch einen überraschenden Effekt auf die die diesjährige Auswahl des Festivals: "Weniger dunkel" als im vergangen Jahr sei der Wettbewerb dieses Mal, sagte Chatrian. Die Filme zeigten, dass die Filmemacher*innen den Glauben an die Menschheit nicht verloren hätten, fügte er ungewohnt pathetisch hinzu. Den Künstler*innen sei es gelungen, "Kraft aus dieser Situation zu schöpfen und zutiefst persönliche Filme zu kreieren".

Nur 166 Filme im Programm

Die Berlinale ist immer wieder nicht zuletzt für die schiere Masse an Filmen kritisiert worden, die sie in ihren vielen Sektionen zeigt. Diesen Vorwurf wird man in diesem Jahr wahrscheinlich nicht hören. Corona hat eine deutliche Verknappung des Programms zur Folge: In den vergangen Jahren wurden über die Sektionen verteilt oft 300 bis 400 Filme gezeigt. Dieses Jahr besteht das Gesamtprogramm nur aus 166 Filmen. Auch der Wettbewerb fällt kleiner aus als sonst: 18 bis 24 Filme werden dort normalerweise gezeigt. Dieses Jahr konkurrieren nur 15 Filme um den Goldenen und die Silbernen Bären.

Auch das Fehlen von hochkarätigen Hollywood- und überhaupt US-Filmen zählt traditionell zu den Kritikpunkten am Berlinale-Wettbewerb. Dieser Trend erreicht dieses Jahr seinen absoluten Höhepunkt: US-amerikanische Filme sind im Wettbewerb 2021 gar nicht zu finden. Unter den zwölf Filmen in der 2020 von Chatrian ins Leben gerufen neuen Sektion Encounters finden sich dagegen gleich drei US-Produktionen.

Sechs deutsche (Co-)Produktionen im Wettbewerb

Im Wettbewerb ist vor allem der deutsche Film ungewöhnlich stark vertreten: Vier rein deutsche Produktionen und zwei deutsche Co-Produktionen sind im Rennen um die Bären. Schauspieler Daniel Brühl gibt mit dem Kneipenfilm "Nebenan" sein Regie-Debüt und spielt an der Seite von Peter Kurth auch selbst mit. Maria Schrader, die im vergangenen Jahr für die Netflix-Serie "Unorthodox" einen Emmy gewann, stellt mit "Ich bin dein Mensch" mit Sandra Hüller und Maren Eggert die Geschichte einer Begegnung mit einem humanoiden Roboter vor. Dominik Graf geht für seine Erich-Kästner-Adaption "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" mit Tom Schilling in der Hauptrolle ins Rennen um die Bären. Hinzu kommt die Dokumentation "Herr Bachmann und seine Klasse" von Maria Speth.

Die ungarisch-lettisch-französisch-deutsche Koproduktion "Natural Light" von Dénes Nagy, ein Debütfilm, ist ebenfalls im Wettbewerb vertreten. Und auch der rbb kann sich freuen: Der Sender hat den Wettbewerbsfilm "Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?" co-produziert. Die in Georgien spielende Tragikomödie ist der Abschlussfilm des Regisseurs Alexandre Koberidze an der Berliner DFFB. Dass ein Film-Absolvent es mit seinem Abschlussfilm in den Wettbewerb eines A-Festivals schafft, ist jedenfalls schon für sich genommen bemerkenswert.

Viele alte Bekannte

Im restlichen Programm des Wettbewerbs sind neben ein paar weniger bekannten Filmemacher*innen auch einige Hochkaräter des Weltkinos - und alte Berlinale-Bekannte: Der Südkoreaner Hong Sangsoo, der erst im vergangenen Jahr für "The Woman Who Ran" den Silbernen Bären für die beste Regie gewann, zeigt seinen neuen Film "Introduction". Er wurde, wie Chatrian berichtete, in Teilen in Berlin gedreht. Insgesamt ist Hong damit schon zum fünften Mal im Wettbewerb der Berlinale. Auch der Ungar Bence Fliegauf ("Forest - I See You Everywhere") und die Französin Céline Sciamma ("Petite Maman") konnten in Berlin schon Preise gewinnen. Ebenso der Rumäne Radu Jude, ein weiterer Dauergast des Festivals. Im vergangenen Jahr etwa zeigte er gleich zwei Filme im Forum, in diesem Jahr ist er mit "Bad Luck Banging or Loony Porn" zurück im Wettbewerb.

Zweigeteilte Berlinale

Wann und wie nun allerdings all diese Filme zu sehen sein werden, ist im Detail noch offen. Für das digitale Branchen-Event vom 1. bis 5. März sind neben Vertreter*innen der Filmindustrie nur Journalist*innen zugelassen. Offen ist dabei allerdings, welche Filme sie dort werden streamen können - die Rechte dafür verhandelt die Berlinale für jeden Film einzeln. Klar ist indes: Die Jury soll an diesen fünf Tagen im März den Wettbewerb sichten und auch über die Bären-Gewinner*innen entscheiden.

Auch der zweite Teil des Festivals, der vom 9. bis 20. Juni vornehmlich für das Berliner Publikum stattfinden soll, ist noch mit vielen Fragezeichen versehen. "Ein großes Fest fürs Kino" solle es werden, bei dem man "endlich wieder gemeinsam Filme gucken", sagte Rissenbeek. Um auf das jeweilige Infektions- und Impfgeschehen reagieren zu können, sind dafür in Absprache mit den Berliner Kinobetreiber*innen Vorführungen in Kinosälen und in Open-Air-Kinos vorgesehen. Und wenn es die Pandemie den Filmemacher*innen dann erlaubt anzureisen soll es endlich auch das geben, was an diesem Donnerstag so gefehlt hat: roter Teppich, Blitzlichtgewitter, warme Worte von der Kulturstaatsministerin und schließlich gemeinsames Filmgucken.

Sendung: Inforadio, 11.02.2021, 12:30 Uhr

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