Berlinale-Filmkritik | "La Cocina" und "A Different Man" - "Du hast dich kein bisschen verändert"

Sa 17.02.24 | 07:30 Uhr | Von Fabian Wallmeier
Audio: rbb24 Inforadio | 17.02.2024 | Nadine Kreuzahler

Zwei sehr unterschiedliche New-York-Filme sind am Freitagabend in den Berlinale-Wettbewerb gestartet. Den tollen "A Different Man" und den grundsoliden "La Cocina" eint, dass sie ihre Botschaften nicht gerade subtil verpacken. Von Fabian Wallmeier

Was für ein Stil- und Genremix! "A Different Man", der am Freitagabend in den Berlinale-Wettbewerb gestartet ist, vereint Body-Horror mit Liebes-Satire, B-Movie-Thriller mit Off-Broadway-Theater – und ist dabei trotzdem ein großes Ganzes.

Der Film von Aaron Schimberg sieht zunächst einmal großartig aus. Die Brauntöne und die an schlecht gealterte 1970er-Jahre-Filmkopien erinnernde Rotstichigkeit, in die das New Yorker Künstler-Prekariat hier getaucht ist, strahlen eine eigenartige Wärme aus, die man heutzutage selten im Kino sieht. Schade nur, dass der Film zwar auf 35-Millimeter-Film gedreht wurde, nun aber in digitaler Projektion zur Aufführung kommt.

Versteckt vor den Blicken der anderen

Inhaltlich begibt sich der Film auf ein selten gezeigtes Terrain: Der Schauspieler Edward (Sebastian Stan) hat ein durch Neurofibromatose entstelltes Gesicht. Schwellungen und Wucherungen überdecken es, eines seiner Augen kann er kaum noch öffnen. Seine bisher einzige Rolle: ein plattes Lehrvideo, das für die Akzeptanz von Menschen mit entstelltem Äußerem am Arbeitsplatz wirbt. Er führt ein abgeschottetes, unglückliches Leben in einer heruntergekommenen Wohnung, in der es von der Decke tropft. In der U-Bahn versteckt er sich vor den Blicken, die er unweigerlich auf sich zieht, im Treppenhaus drückt er sich eilig an den Nachbar:innen vorbei.

Sein Leben bekommt aus zwei Richtungen einen Push: Zum einen zieht nebenan die unbedarfte Dramatikerin Ingrid (Renate Reinsve) ein, die zwar beim ersten Anblick von Edwards Gesicht erschrickt, dann aber ganz fröhlich arg- und distanzlos in sein Leben eindringt. "Du hast da einen Mitesser auf der Nase – darf ich den ausdrücken", fragt sie und schreitet, zu Edwards Verwunderung zur Tat.

Die Deformationen fallen klumpenweise

Auf der anderen Seite ist da eine medizinische Studie: ein Medikament, das seine vollständige Heilung verspricht. Edward nimmt teil – und tatsächlich zeigt sie Wirkung. Regisseur Aaron Schimberg scheut dabei vor nichts zurück. Erst fetzen- dann klumpenweise fallen Edward nach und nach die Deformationen aus dem Gesicht. Zurück bleibt das klassisch hübsche Antlitz von Sebastian Stan – und Edward flüchtet sich kurzentschlossen in eine falsche Identität.

Überhaupt ist Schimberg ein furchtloser Autor und Regisseur. Wo es unangenehm wird, wird es für ihn interessant – und überaus lustig. Der Film nimmt einige Wendungen, die hier nicht verraten werden sollen. Sie stellen Edwards Leben auf den Kopf und gehen aus immer neuen Blickwinkeln grundlegenden Fragen nach: Was ist schön, was ist hässlich? Wie geht man mit dem Abstoßenden um? Kann ich es begehren? Und wie akzeptiert man sich so, wie man ist?

Adam Pearsons Figur verkörpert, was Edward für unmöglich hielt

Einen verblüffenden und sehr witzigen Auftritt legt dabei der Brite Adam Pearson hin, ein Schauspieler mit von Wucherungen entstelltem Gesicht, der unter anderem aus Jonathan Glazers "Under the Skin" bekannt ist. Pearsons Figur Oswald verkörpert alles, was der alte Edward für unmöglich hielt. Er ist quirlig, selbstbewusst und charmant, glücklicher Vater und Mittelpunkt von jeder Party.

Oswald ist es auch, der Edwald ganz am Ende des Films, ohne seine wahre Geschichte zu kennen, die vergiftete ultimative Affirmation zuruft: "Du hast dich kein bisschen verändert." Das ist zugleich die Botschaft des Films: Veränderung ist nur zu einem bestimmten Grad wirklich möglich – und was Veränderung ist, liegt immer im Auge des Betrachters. Schön, dass "A Different Man" bis zum Ende seine Ambivalenzen so ausgiebig feiert – und trotzdem eine klare Haltung zeigt.

"La Cocina": Ausbeutung in der Restaurantküche

Gar nicht subtil verbreitet auch der zweite New-York-Film des Wettbewerbs seine Botschaft: "La Cocina" von Alonso Ruizpalacios zeigt an einem Tag in einem Restaurant, wie unerbittlich das US-amerikanische Wirtschaftssystem Einwanderer:innen ausbeutet. Vornehmlich Menschen aus Lateinamerika arbeiten in diesem Restaurant, manche sind illegal eingereist. Kurz vor Ende hält der Chef des Restaurants eine Ansprache, die so dick aufgetragen ist, dass nun wirklich alle verstehen: Das System interessiert sich einen Dreck für dich. Und wenn du es hinterfragst, versteht es nicht einmal die Frage.

"La Cocina" ist über weite Strecken schnell, laut und atemlos – so hektisch wie man sich das Arbeiten in einer Restaurantküche vorstellt. Und mit genauso großen Egos, wie man sie dort erwartet (der exzellente Serien-Hit "The Bear" lässt grüßen). Pedro verfügt über ein solches Ego, wenn auch hinter der Fassade des manisch Aufbrausenden ganz offenkundig Verletzungen, Zurücksetzungen und Unsicherheiten stecken.

Pedro, höchst energetisch dargestellt von Raúl Briones Carmona, bringt mit zotigen Sprachspielen Stimmung in die Bude. Er provoziert, stachelt an – und schafft es nicht aufzuhören, wenn es zu viel wird. Erst am Vorabend hat er einen anderen Koch mit einem Messer bedroht, jetzt stellt der Chefkoch ihm ein Ultimatum: Beim dritten Fehltritt ist er raus.

Pizza, Hummer - in dieser Küche gibt es fast alles

Das Restaurant "The Grill" ist eine dieser viel zu großen Hallen, in denen es von Sandwich und Pizza über Burger Chicken und Masala bis hin zu Hummer ungefähr alles gibt, und in der das Essen ruckzuck auf dem Tisch zu sein hat. Kein Ort der Haute Cuisine, aber auch nicht gerade günstig. Der Mexikaner Ruizpalacios, zuletzt vor drei Jahren mit "A Cop Movie" im Wettbewerb, zeigt diesen Ort als Schmelztiegel nicht nur der Herkünfte, sondern auch der Nöte.

Neben dem hitzigen Koch Pedro ist da etwa Estela (Anna Ruiz), frisch aus Mexiko nach New York gekommen und gleich in die Hektik der Restaurantküche eingetaucht, des Englischen kaum kundig und verständlicherweise überfordert. Da ist Julia (Rooney Mara), eine selbstbewusst auftretende Kellnerin mit Geheimnissen, die nach einer Abtreibung in der Mittagspause zur Abendschicht wieder zur Stelle ist.

Nicht ganz rund - aber sehenswert

Ruizpalacios gibt noch weiteren Figuren mit ihren Geschichten einigen Raum. Und das ist einerseits auch gut so, denn eine Restaurantküche ist auf das Zusammenspiel vieler einzelner angewiesen. Andererseits fühlen sich die fast zweieinhalb Stunden trotz ihres zumeist vorherrschenden Tempos etwas lang an.

Andererseits sind gerade die Abschweifungen, in denen der Film sich Zeit nimmt, die stärksten – stärker noch als die hektischen Kochkämpfe in der Küche. Wenn etwa in der Mittagspause der Dessertkoch minutenlang ganz ruhig eine Geschichte über die Entführung eines Immigranten von Außerirdischen erzählt. Oder wenn im ansonsten schwarz-weißen Film plötzlich blau gefiltertes Licht aus der Kühlkammer scheint und Julia und Pedro dort Zeit für ein paar intensive Minuten bekommen.

Auch wenn am Ende aus dem Nebeneinander vieler Ideen kein ganz runder Film entsteht: Sehenswert ist "La Cocina" allemal.

Sendung: rbb24 Inforadio, 17.02.2024, 10:30 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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