Spotify-Playlisten in Corona-Zeiten - Stubenhocker hören anders
Unzählige Menschen müssen wegen der Corona-Pandemie zu Hause bleiben. Das verändert auch die Mediennutzung und Songauswahl, die der Streaming-Dienst Spotify registriert. Nostalgie und musikalische Klassiker sind gefragt. Aber nicht nur. Von Anke Fink
Gäbe es eine internationale Corona-Hymne, dann wäre es wohl "Don't Stand So Close To Me" (Steh' nicht so nah bei mir) der englischen Band The Police aus dem Jahr 1980. Dieses Lied ist nicht nur öfter im Radio zu hören, es wird auch deutlich häufiger abgerufen beim Musikstreamingdienst Spotify, den mehr als 270 Millionen Menschen weltweit nutzen.
Dem Unternehmen zufolge verzeichnete der Song allein in der Woche vom 19. bis 25. März einen Zuwachs bei den Streams von 135 Prozent: Das war der Zeitraum, als ein großer Teil der Weltbevölkerung verpflichtet war, zu Hause zu bleiben.
Don't Stand So Close To Me!
Kaum ein Song passt besser zu den derzeitigen Regeln des Abstandhaltens. Auch deshalb nahm der US-amerikanische Komiker und Late-Night-Talker Jimmy Fallon das Stück für seine "Tonight Show" gemeinsam mit dem ehemaligen Police-Sänger Sting und seiner Showband The Roots neu auf. Allerdings sind die zwölf Musiker nicht zusammen ins Studio gegangen: Pandemie-angemessen hat sich jeder mit eigener Kamera zu Hause aufnehmen lassen. Als Instrumente dienten unter anderem Turnschuhe, Kissen und eine Schere. Mehr als 1,7 Millionen Mal wurde das Video allein bei Youtube aufgerufen.
Bei Spotify lassen sich nicht nur Songs abspielen, sondern auch eigene Playlisten erstellen. Davon gibt es mehr als eine Million. Hunderte befassen sich inzwischen mit dem Corona-Virus. Eine der erfolgreichsten Playlisten ist laut einem Bericht von Deutschlandfunk Kultur die "Coronavirus Quarantine-Party". Über 200.000 Abonnenten hat die Playlist, die ironisch mit der Pandemie umgeht und Songs wie "Toxic" von Britney Spears enthält oder auch "U Can't Touch This" von MC Hammer.
Besonders erfolgreich: Wissenschaftliche Corona-Podcasts
Spotify gibt keine konkreten Zahlen zu Abrufen seiner User raus, sondern macht lediglich ausgewählte Angaben zu besonders starken Zuwächsen oder Trends einzelner Songs oder Podcasts. Das schwedische Unternehmen hat sich eigenen Angaben zufolge die vergangenen Wochen das Streamingverhalten seiner Nutzer genauer angeschaut. Fazit: Die Art und Weise wie gehört wird hat sich ebenso verändert, wie die Musik und Podcasts, die jetzt gefragt sind.
Die Nutzer hörten jetzt mehrheitlich vom heimischen Computer oder von smarten Lautsprechern und nicht mehr mit ihrem Handy auf dem Weg zur Arbeit. Und sie stellten sich nun häufiger Wiedergabelisten zu den Themen Kochen und Hausarbeit zusammen, heißt es.
Vor allem die Podcasts über Corona verzeichnen die höchsten Zuwächse: Weltweit registriert Spotify deutlich mehr Abrufe bei "Fact vs. Fiction" (CNN) oder "Coronavirus Global Update" (BBC). Im deutschsprachigen Raum ist es "Das Coronavirus-Update mit Christian Drosten" vom Norddeutschen Rundfunk (NDR). Laut dem NDR-Medienmagazin Zapp ist der im Februar gestartete Podcast, in dem der Virologe der Berliner Charité täglich berichtet, in allen relevanten Rankings auf den ersten drei Plätzen. In der Audiothek der ARD sei es das bisher erfolgreichste Format.
Songs aus der jeweils guten alten Zeit
Zur Zerstreuung allerdings setzen die Menschen offenbar auf Altbewährtes: Im Zeitraum 1. bis 7. April haben sich die Nutzer demnach mehr Playlists mit Klassikern und Lieblingsliedern aus alten Zeiten zusammengestellt. Dabei beruft sich Spotify auf Schlagwörter in den Titeln, etwa "oldies", "nostalgia" oder "throwback" (Rückblick). Diese Listen hätten um 54 Prozent zugenommen. Eine Playlist mit Songs der Nullerjahre und dem Namen "All Out 00s" ist demnach mit mehr als 8,1 Millionen Followern die meistgehörte Wiedergabeliste, gefolgt von einer Best-of-Liste der 1980er mit dem Titel "All Out 80s", die 7,1 Millionen Fans hat. Ein besonders oft gespieltes Stück aus den 80ern ist mit mehr als 2,3 Millionen Streams in der ersten Aprilwoche auf Spotify übrigens "Girls Just Want to Have Fun"von Cindy Lauper.
Nostalgie spendet Trost
Auch die Anzahl der gestreamten Stücke aus den anderen vergangenen Dekaden habe zugenommen, heißt es. Das Unternehmen vermutet, dass sich die Menschen mit dem Hören vertrauter Melodien selbst Trost spenden. "Die Klassiker bringen viele von uns in eine Zeit zurück, in der sich unser Leben einfacher anfühlte und wir mehr Kontrolle hatten”, zitiert Spotify dazu einen Verhaltensforscher in einer Pressemitteilung.
Der weltweit am häufigsten gestreamte Song aus den 1950er Jahren sei das Stück "Solitude" (Einsamkeit) von Billie Holiday. Die Anzahl der Abrufe stieg laut Spotify allein in der ersten Aprilwoche um 74 Prozent. In Deutschland ist einer der am meisten wiedergegebenen Songs der 50er Jahre "Put Your Head on My Shoulder" von Paul Anka.
Der Deutschen liebste Lieder
Azzurro, Abbracciame und andere Balkonlieder
In den besonders schwer von dem Corona-Virus betroffenen Ländern Italien und Spanien werden Lieder, die auf den Balkonen gesungen werden, besonders häufig bei Spotify gestreamt. Als die Italiener am 13. März das Liebeslied "Abbracciame" des Sängers Andrea Sannino an ihren Fenstern anstimmten, verzeichnete Spotify zugleich einen Anstieg bei den Streams dieses Stücks von 820 Prozent. Einen Tag später sangen sie "Azzurro", den Klassiker von Adriano Celentano, und der Streamingdienst registrierte eine gesteigerte Nachfrage von 715 Prozent.
In Spanien verzeichnete ein Durchhaltelied die höchste Nachfrage innerhalb eines Tages. Als der 80er-Jahre-Track "Resistiré" vom Duo Dinamico am 15. März in den sozialen Medien vielfach geteilt wurde, schnellten die Abrufzahlen laut Spotify um 435 Prozent nach oben. Resistiré bedeutet so viel wie: Ich werde es überstehen.