Willkommensklassen für Kriegsflüchtlinge - Wie eine Berliner Schule ukrainische Kinder aufnimmt

In Berlin starten diesen Montag die ersten Willkommensklassen für geflüchtete ukrainische Kinder und Jugendliche. So auch in der Humboldt-Gemeinschaftsschule in Prenzlauer Berg. Carla Spangenberg und Jenny Barke haben die neuen Mitschüler begleitet.
Es ist ein ungewöhnliches Bild, was die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Lehrerinnen und Lehrer auf dem Schulhof der Humboldt-Gemeinschaftsschule an diesem Montagmorgen abgeben. Gemeinsam stehen sie im Kreis und warten. Sie bilden ein Empfangskomitee, dass die neuen Mitschüler willkommen heißen möchte.
Die treffen kurz nach acht Uhr mit ihren Müttern ein. Schüchtern gehen die neun- und elfjährigen Geschwister Stas und Tanya auf die Gruppe zu. Sie sprechen kein Wort Deutsch, doch darauf hat sich die Schule vorbereitet. Schulleiterin Judith Bauch liest einige Willkommensworte auf ukrainisch vor: "Laskavo prosymo! Ya dyrektora.", sagt sie, also "Willkommen! Ich bin die Schulleiterin.". Dann bricht ihre Stimme. Bauch ist aufgeregt.
250 Willkommensklassen geplant
Dass es an ihrer Schule schon an diesem Montag Unterricht für vor dem Krieg geflohene ukrainische Kinder gibt, hat sie dem Engagement der Eltern und Lehrkräfte zu verdanken. "Es waren tatsächlich Eltern dieser Schule, die eine ukrainische Familie aufgenommen haben und mich gefragt haben, ob das Kind hier in die Schule gehen kann." Die Anmeldung beim Schulamt sei unbürokratisch gelaufen.
Berlin plant kurzfristig 250 Willkommensklassen mit insgesamt 2.750 Plätzen für Kinder und Jugendliche aus der Ukraine. "Nach jetzigem Stand können insgesamt 102 Willkommensklassen an Grundschulen und 45 Willkommensklassen an Schulen der Sekundarstufe I eingerichtet werden", sagte Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) am Donnerstag.
Zwölf dieser Plätze stehen nun an der Humboldt-Gemeinschaftsschule zur Verfügung, wobei an diesem Montag erst drei Kinder eingeschult werden. Das Konzept: Gemeinsam lernen die ukrainischen Kinder zwei Stunden täglich Deutsch, den Rest der Zeit einzeln in ihren jeweiligen Klassenstufen. Das funktioniere bereits gut bei geflüchteten Kindern aus anderen Teilen der Welt, die Schule hat bereits eine Willkommensklasse für Kinder aus Afghanistan, Syrien und Moldau.

Deutschbücher und Edelsteine als Willkommensgeschenke
Die Geschwister Stas und Tanya sind unter den ersten ukrainischen Kindern, die in die Willkommensklasse der Humboldt-Gemeinschaftsschule kommen. Deutsch verstehen sie nicht, aber nach den vorbereiteten Worten der Schulleiterin Bauch werden die weiteren Gespräche für sie ins Ukrainische übersetzt. Die Schule hat Glück: Eine ukrainischstämmige Lehrerin ist soeben aus dem Mutterschutz zurückgekehrt und hilft den Kindern an diesem Morgen beim Schulstart.
Die Geschwister kommen aus Kiew, Stas freut sich nach der schrecklichen Flucht auf Normalität. Sein Lieblingsfach sei Mathematik, sagt er, weil es am einfachsten sei und ihn die Lehrer zuhause dafür gelobt hätten. An Berlin mag er die Spielplätze und die vielen Orte, an denen man schön spazieren kann. Nach dem Willkommensgruß gibt es für Stas und Tanya auch noch Geschenke: Ihre künftige Lehrerin verteilt Deutschbücher - und es gibt Edelsteine.
"Gemeinsam wird vieles leichter"
Die Edelsteine sind das Symbol für die Gemeinschaft in der Schule: Jeder Stein sei anders, wie auch jede Schülerin und jeder Schüler. Aber in der Andersartigkeit seien alle vereint - und könnten so gemeinsam besser lernen. Das sei das Schulmotto, erklärt Schulleiterin Bauch: "Denn alles, was wir gemeinsam tun, wird vieles leichter", übersetzt die ukrainische Lehrerin in die Heimatsprache der Kinder.
Gemeinsam lernen, sich gegenseitig helfen, für die geflohenen Kinder da sein: Das war auch der Wunsch der Berliner Schülerinnen und Schüler, die Stas und Tanya nun in ihrer Klasse aufnehmen, erklärt deren Klassenlehrerin. Neugierig fragen die Kinder die Geschwister aus, nach Lieblingsbuch und Lieblingssport. Stas mag Fußball, das kommt gut an. Dann malen alle gemeinsam ein Bild an die Tafel, darauf zu sehen der Fernsehturm von Berlin, an ihm flattert die ukrainische und die deutsche Flagge.
Ukraine fordert ukrainischen Lehrplan
Doch an der schnellen Integration ins deutsche Schulsystem gibt es auch Kritik aus der Ukraine: Die ukrainische Generalskonsulin Iryna Tybinka forderte, dass die Kinder und Jugendlichen weiter nach dem ukrainischen Lehrplan unterrichtet werden, um ihre Identität nicht zu verlieren. Schulleiterin Bauch kann diesen Wunsch verstehen, gibt aber auch zu bedenken, dass keiner weiß, wann der Krieg endet.
"Wir wissen gerade nicht, ob und wann die Kinder in ihre alten Strukturen zurückkehren können, in ihre Heimat." Das Ziel der Lehrkräfte sei es deshalb, dass die Kinder sich in Berlin geborgen und aufgehoben fühlen, dass sie Spielfreunde finden und Deutsch lernen, um sich besser verständigen zu können.
Schulleiterin ermutigt Schulen zu Willkommensklassen
Die Schule wolle nun schauen, ob sie die Inhalte der ukrainischen Lenrplattform in den Lehrplan der Kinder aus der neuen Willkommensklasse integrieren kann. Denn alles, was ihnen in dieser schwierigen Situation Halt biete, sei willkommen.
Andere Schulen möchte die Schulleiterin zudem ebenfalls ermuntern, eine Willkommensklasse zu eröffnen, auch, wenn Platz und Personal knapp sind. "Also diese Offenheit, diese Bereitschaft zu sagen: 'Ja, wir rücken in Krisenzeiten zusammen', dazu möchte ich Mut machen. Denn wir haben hier einen pädagogischen Auftrag, auch für die Kinder aus anderen Ländern."
Sendung: rbb Abendschau, 21.03.2022, 19:30 Uhr