Tag der Allee - Grüne Tunnel mit ungewisser Zukunft
Brandenburg ist das alleenreichste Bundesland. Die alten und imposanten Bäume sind eine Bereicherung für Landschaft und Natur. Aber sie sind auch gebrechlich und es wird zu wenig nachgepflanzt. Woran liegt das? Von Kira Pieper
Licht, Schatten, Licht, Schatten… ein rhythmisches Licht-Schattenspiel: typisch für viele Straßen in Brandenburg, denn sie werden von Baum-Alleen gesäumt. Und auch eine Besonderheit, denn Brandenburg ist mit 1.737 Kilometern (Stand: 2019) das alleenreichste Bundesland in Deutschland.
Der Baumbestand ist allerdings rückläufig. Die alten Bäume verschwinden zunehmend, und es wird offenbar zu wenig nachgepflanzt. Grund dafür: Es prallen unterschiedliche Interessen aufeinander: Einerseits bereichern die grünen Tunnel die Landschaft und sind eine Wohltat für die Natur. Anderseits können sie zu gefährlichen Hindernissen im Straßenverkehr werden.
Bäume halfen, Wege zu befestigen
Doch warum gibt es überhaupt Alleen? Das Wort "Allee" stammt aus dem Französischen, von "allée" (aller = gehen). Ursprünglich handelte es sich dabei um einen schattigen Gehweg in einem architektonischen Garten. In Deutschland gibt es Alleen seit dem Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648). Besonders verbreitet wurden sie mit dem Ausbau von Handelswegen. Die Bäume halfen mit ihrem Wurzelwerk, den Boden zu befestigen.
Vor allem in Preußen wurden die Baumreihen an Straßen gepflanzt, sagt Jürgen Peters, Experte für Regional- und Landschaftsentwicklung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNEE) auf Nachfrage von rbb24. "Es gab klare Richtlinien: Jede Chaussee brauchte eine Allee."
Die aneinandergereihten Bäume gleicher Art machen nicht nur optisch was her, sie hatten auch viele Vorteile: So markierten sie – ähnlich wie Leitpfosten heute – den Weg, boten Orientierung und halfen, Entfernungen zu schätzen. Im Sommer spendeten sie Tieren und Menschen Schatten, schützten vor Wind und Regen und fungierten als Brennholz- und Nahrungslieferanten.
Neupflanzungen vor allem in 1930er Jahren
Im derzeitigen Brandenburger Alleebaumbestand spiegelt sich die aktuellere Geschichte wider: Die ältesten Bäume sind über 100 Jahre alt. Der größte Anteil wurde in den 1930er Jahren gepflanzt. Während der Kriege gab es kaum Neupflanzungen. Nach Kriegsende 1945 wurden wieder mehr Bäume gepflanzt, da waren sie wieder sehr als Brennholz- und Nahrungslieferanten gefragt.
Dann passierte erneut längere Zeit nichts. Immerhin überdauerten viele alte Allen in der DDR. "Es wurde nicht viel in Straßenbau investiert", erläutert Peters. Ganz im Gegensatz zum Westen: Hier wurden viele Alleen abgeholzt. "Um die Straßen verbreitern zu können", sagt Peters. In Brandenburg blieben sie also eher wie sie waren. Und ab 1990 wurden auch wieder neue Bäume gepflanzt.
Zu wenig junge Bäume
Etliche Bäume – die am häufigsten vertretenden Arten sind übrigens Ahorn, Linde und Eiche – sind mittlerweile also sehr alt und gebrechlich. Sie verlieren Äste, kämpfen mit Schäden durch Verkehrsunfälle und Schädlingsbefall. Auch das Tausalz aus dem Winter macht ihnen zu schaffen. Doch sind sie abgeholzt, werden sie nicht einfach durch Jungbäume ersetzt.
Zwar sieht die Alleenkonzeption des Landes Brandenburg vor, dass pro Jahr 30 Kilometer (das entspricht 5.000 Bäumen) Alleen neu gepflanzt werden sollen. Ein Blick in die Statistik zeigt aber, dass das offenbar nicht klappt. 2020 wurden nach Aussage des Landes circa 3.103 Alleebäume gefällt, aber nur 1.439 Alleebäume gepflanzt. Das entspricht 12,7 Kilometer, also längst nicht die anvisierten 30 Kilometer. Diese Marke wurde zuletzt 2009 erfüllt. Woran liegt das?
Es fehlt an Platz
Die Gesetze haben sich verändert. Um 1900 wurden die Bäume noch mit einer Entfernung von 75 Zentimeter zur Straßenkante gepflanzt. Auch jetzt stehen noch viele alte Bäume in Brandenburg einen oder zwei Meter vom Straßenrand entfernt. Mittlerweile muss der Abstand zur Straße bei Neupflanzungen aber 4,5 Meter betragen. Und auch zu angrenzenden Grundstücken muss wiederum eine Pufferzone eingehalten werden. Fläche, die dem Land Brandenburg oft nicht gehört. Es fehlt also an Platz.
Ist Autoverkehr wichtiger?
Naturschützer üben scharfe Kritik daran. So bezeichnet der BUND das Regelwerk für Neupflanzungen in Brandenburg als "fragwürdig". In einem Artikel [externer Link] moniert der Verband: Die 4,5-Meter-Regel zeige, dass dem schnellen Autofahren vor dem Naturschutz Vorrang eingeräumt werde. Denn Alleebäume mit geringerem Abstand zur Fahrbahn stellten im Grunde kein besonderes Risiko dar – vorausgesetzt, die Autofahrenden würden ihre Geschwindigkeit anpassen, so dass ein Aufprall an den Bäumen ausgeschlossen sei.
Der BUND verlangt also neben einem Tempolimit eine Abschaffung der 4,5-Meter-Regel und fahrbahnnahe Neupflanzungen. Nur so könne ein alter Baum 1:1 durch einen neuen ersetzt werden.
Statistik: Weniger Verkehrstote
Mittlerweile gibt es die Möglichkeit, Bäume und modernen Straßenverkehr zumindest koexistieren zu lassen. Schutzplanken sollen – vor allem dem Menschen – Schutz bieten: In der Unfallstatistik 2020 pochte die Polizei Brandenburg deswegen darauf, "erhebliche Investitionen" in die Schutzplanken vorzunehmen.
Aus eben dieser Unfallstatistik geht auch hervor, dass die Anzahl der Getöteten durch Baumunfälle in Brandenburg kontinuierlich abnimmt: 2020 gab es 34 Tote, 1995 waren es noch 405. Allerdings: Die Anzahl der Verkehrstoten ist allgemein rückläufig. Das liegt aber nicht an der sinkenden Anzahl der Straßenbäume, sondern vor allem an der zunehmenden Sicherheit der Autos.
Im Schatten ist es 10 Grad kühler
Haben Alleen nun eine Zukunft oder nicht? Jürgen Peters antwortet auf die Frage: "Ganz klares Ja." Insbesondere vor dem Hintergrund des Klimawandels seien sie wichtig, sagt er. "Wo Alleen im Sommer Schatten spenden, ist es locker 10 Grad kühler." Außerdem seien die Brandenburger Alleen Touristen-Magneten und unerlässlich für die Biotop-Vernetzung. "Fledermäuse orientieren sich beispielsweise an den Bäumen."
Einzig bei den Baumarten für Neupflanzungen könne man man etwas umdenken. Heutzutage eigneten sich klimaangepasste Baumarten, wie beispielsweise die Esskastanie, so der Experte. Die gleiche Baumart in einer Allee müsse allerdings bleiben. "Das macht ja den Charakter der Allee aus", sagt Jürgen Peters.
Sendung: Radioeins, 20.10.2022, 09:10 Uhr