Prozessauftakt in Berlin - 42-Jähriger kommt nach tödlicher Attacke auf Ex-Frau in Pankow vor Gericht

Di 29.11.22 | 08:25 Uhr | Von Ulf Morling
42-Jähriger kommt am 29.11.2022 nach tödlicher Attacke auf Ex-Frau in Pankow vor Gericht (Quelle: rbb/Ulf Morling)
Video: rbb24 Abendschau | 29.11.2022 | Norbert Siegmund | Bild: rbb/Ulf Morling

Weil er seine Ex-Frau und Mutter von sechs Kindern getötet haben soll, muss sich ab Dienstag ein Mann vor dem Berliner Landgericht verantworten. Nach Gewalttätigkeiten und Trennung der Frau soll er sie im April auf offener Straße im Pankow erstochen haben. Von Ulf Morling

Nach einer tödlichen Messerattacke in Berlin-Pankow steht ab Dienstag ein 42-Jähriger vor Gericht. Im Hochsicherheitssaal 700 des Berliner Landgerichts muss sich Gul A. wegen zweifacher Körperverletzung und Mordes an seiner langjährigen Frau Zohra G. verantworten - der Mutter der gemeinsamen sechs Kinder.

Die Tat geschah am Vormittag des 29. April 2022. Spätestens an diesem Tag soll sich A. entschlossen haben, seine Frau zu ermorden, sagt die Staatsanwaltschaft.

Gul A. hatte seine 31 jahre alte Frau zuvor in der Moschee verstoßen, die islamisch geschlossene Ehe des aus Afghanistan stammenden Paares soll damit aufgelöst gewesen sein. Die Berliner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sich A. in seinem Ehrgefühl und Stolz verletzt fühlte. Zohra G. hatte sich von ihm getrennt. Er habe sich gekränkt gefühlt, weil seine frühere Frau inzwischen mit den sechs Kindern - zwischen drei und 13 Jahre alt - eigenständig in einem Pankower Flüchtlingsheim lebte.

40 Zeuginnen und Zeugen geladen

Auf Zohra G. wurde an diesem 29. April brutal mit einem Messer eingestochen, mindestens zwölf Mal. A. soll sie dafür bestraft haben wollen, dass sie mit einem von ihm als Nebenbuhler betrachteten Bekannten Kontakt hielt. Gul A. habe den Lebenswandel seiner Frau mit seinen Vorstellungen vom Verhalten einer Frau für unvereinbar gehalten, so die Staatsanwaltschaft. Obendrein soll A. sie dafür verantwortlich gemacht haben, dass er die gemeinsamen Kinder aus seiner Sicht nicht häufig genug sah.

Durch diesen Mord auf offener Straße, einen Femizid, habe der Angeklagte seine "Ehre" wiederherstellen wollen, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. Im Jahr 2021 starben mehr als 100 Frauen in Deutschland durch einen solchen Femizid, starben gewaltsam durch die Hand ihrer männlichen Partner oder Ex-Partner [ndr.de].

Für den Prozess in Berlin hat die Staatsanwaltschaft ab Dienstag 40 Zeuginnen und Zeugen benannt, unter ihnen die in Niedersachsen lebende Schwester der Getöteten. Sie hatte der Polizei nach dem mutmaßlichen Mord an ihrer Schwester Vorwürfe gemacht.

Momentan zwei Mordprozesse um in Berlin getötete Afghaninnen

Nur einen Tag vor dem beginnenden Prozess war am Montag wegen des mutmaßlichen Mordes an einer anderen Afghanin verhandelt worden: Maryam H. soll durch zwei Brüder getötet worden sein. Sie hatte sich ebenfalls von ihrem Mann getrennt, auch sie hatte Kontakt zu anderen Männern. Das genügte ihren beiden Brüdern nach Ansicht der Staatsanwaltschaft als Rechtfertigung, sie zu ermorden.

Der ab Dienstag Angeklagte soll mit seiner Ehefrau Zohra A. und den gemeinsamen sechs Kindern durch Schleuser aus Afghanistan über Iran, die Türkei und Griechenland nach Berlin gekommen sein. Bereits im Jahr 2008 soll Zohra A. mit einer einjährigen "Probezeit" von ihren Eltern mit dem Angeklagten verheiratet worden sein. Schon nach einem Monat des Zusammenseins soll er sie misshandelt und vergewaltigt haben. Weil ihr Vater in Gesprächen mit seiner Tochterimmer wieder auf eine mögliche Besserung des Verhaltens ihres Ehemannes hingewiesen habe, soll die damals 17-Jährige die Vorfälle hingenommen haben, so die Staatsanwaltschaft. Sie bekam mit Gul A. in den folgenden Jahren sechs Kinder, das jüngste brachte sie 2019 zur Welt. Kurz darauf soll die Familie einen Schleuser beauftragt haben, sie in die EU zu bringen.

Angeklagter wegen Gewaltverdacht auf die Straße gesetzt

Ab Anfang 2020 lebte die Familie in Deutschland. In Berliner Flüchtlingsunterkünften, während der letzten knapp zweieinhalb Jahre ihres Lebens, soll Zohra A. immer wieder Opfer von Gewalttätigkeiten bis hin zu Vergewaltigungen und Todesdrohungen durch ihren Mann geworden sein, behauptet die Staatsanwaltschaft. Sie klagte zwei Vorfälle im Februar und März dieses Jahres an. So soll A. bereits am 12. März seiner Ex-Frau gedroht haben, sie tödlich zu verletzen. Er wolle ihr mit einem Messer in den Hals stechen, habe er gesagt.

Wegen häuslicher Gewalt sprach die Berliner Polizei gegen Zohra A.s Ehemann ein Betretungsverbot für das gemeinsam bewohnte Wohnheim aus, zwei Monate vor dem mutmaßlichen Mord. Trotz des Verbots soll der Angeklagte Zohra G. nachgestellt, sie bedroht und ihr in einem kleinen Parkstück gegenüber des Hauses aufgelauert haben. Die Polizei hat ihn eigenen Angaben zufolge nicht finden können, als sie ihn wegen einer Gefährderansprache suchte. Der Mann galt nach dem Rausschmiss aus dem Wohnheim als obdachlos. Nach langen Vermittlungsversuchen von Bekannten soll der Angeklagte schließlich seine Frau verstoßen und ein Mullah ihr die Urkunde über die Scheidung ausgestellt haben.

Antrag des Opfers bei Gericht bis zum Tod nicht entschieden

Doch Gul A. soll auch in den letzten Wochen ihres Lebens das Wohnheim belagert haben, in dem seine nach islamischem Recht geschiedene Frau mit den Kindern lebte. Immer wieder suchte sie den Kontakt zu den Berliner Behörden. So stellte sie zweieinhalb Wochen vor ihrem gewaltsamen Tod beim Amtsgericht Pankow den Antrag auf eine einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz. Diese hätte ihrem Ex-Mann zumindest ein Jahr lang verboten, sowohl die Familienwohnung zu betreten, als auch sich dem Wohnhaus weniger als 50 Meter zu nähern.

Zehn Tage nach ihrem Antrag forderte das Gericht am 21. April 2022 eine genauere Beschreibung dessen, was ihr widerfahren sei. Das hatte sie aber aus heutiger Sicht der Staatsanwaltschaft bereits in ihrem ersten Anschreiben erledigt. Am vorletzten Tag ihres Lebens schrieb die 31-jährige dem Gericht erneut. Drei Tage nach dem mutmaßlichen Mord an Zohra A. registrierte das Amtsgericht Pankow den Eingang ihres Schreibens.

Opferbeauftragter fordert mehr Frauenhausplätze

In 18 Verhandlungstagen soll die 29. Strafkammer des Landgerichts bis Februar 2023 klären, ob Zohra G von ihrem Ex-Mann ermordet wurde. Im Prozess wird aber auch eine Rolle spielen, wie hilfesuchende, mutmaßlich misshandelte und vergewaltigte Frauen von den Berliner Behörden geschützt werden. Und ob es tragische Versäumnisse und Fehleinschätzungen gibt, die zum Tod Zohra G.'s beigetragen haben.

Nachweislich hatte sie beispielsweise Schutz in einem Frauenhaus gesucht. Zwar sei ihr Zuflucht angeboten worden, allerdings mit maximal zwei ihrer sechs Kinder, so Berlins Opferbeauftragter Roland Weber. Vor allem ihre älteren männlichen Kinder seien ein Hindernis für die Aufnahme gewesen. Um mit ihren Kindern zusammenbleiben zu können, habe die 31-jährige den Platz abgelehnt.

"Wie zwingend erforderlich die Erhöhung der Plätze in Frauenhäusern ist", zeige dieser furchtbare Vorfall, so Weber. "Wir haben zuwenige Plätze und die, die wir haben, sollen nur von Frauen und Mädchen belegt werden. Wir können also nur versuchen, die Plätze aufzustocken und da die Angebote zu verbessern", sagte er.

Zohra G.'s Schwester hatte den Behörden in einem offenen Brief vorgeworfen, dass ihrer Schwester "der Schutz verwehrt [wurde], der ihr das Leben hätte retten können."

Sendung: rbb 88.8, 29.11.2022, 8 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

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