Meinung: Pro | Klima-Blockaden in Berlin - Es braucht Stören und Schock
Staus, beschmierte Parteizentralen, mit Lebensmittel beworfene Gemälde: Gehen die "Letzte Generation"-Aktivisten mit ihrem Klima-Protest zu weit? Nein, sagt Franziska Hoppen aus der landespolitischen Redaktion des rbb. Sie halten uns den Spiegel vor.
Ob und wie die Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" durch ihre Aktion eine mögliche Rettung der Radfahrerin am Montag blockiert haben, werden Untersuchungen zeigen. Ob die Aktivisten mit ihrem Protest Straftaten begehen, entscheiden nicht wir, sondern Gerichte. Deutschland ist ein Rechtsstaat.
Bleibt also die moralische Frage: Sind die Protestformen der Aktivisten richtig? Ja, sind sie.
WHO: Klimawandel größte Gefahr der Menschen
Und ja, Kleben stört. Suppe schmeißen schockt. Wir werden gezwungen, buchstäblich innezuhalten. Und natürlich wird der Planet nicht ein Grad kälter, wenn Kartoffelbrei von Monets "Getreideschober" tropft.
Natürlich steigt der Grundwasserpegel nicht, wenn Autos im Stau feststecken. Aber: Wir entscheiden, wie wir auf das Stören und den Schock reagieren. Mit Genervtheit und Wut? Oder mit einer Diskussion. Darüber, warum Aktivisten bereit sind, Gefängnis und Hass zu riskieren. Tun wir doch das.
Klimawandel heißt nicht, dass der Wald ein bisschen öfter brennt, ein paar unbewohnte Inseln absaufen und Bienen sterben. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist der Klimawandel die "größte existierende Gefahr für die Gesundheit der Menschen". Das ist ein Zitat.
Wir reden kaum über Klimawandel
In den kommenden Jahren werden laut WHO 250.000 Menschen pro Jahr sterben - an Mangelernährung, Hitzebelastung und Krankheiten, verursacht durch den Klimawandel. Laut UN fliehen jährlich mehr als 20 Millionen Menschen vor den Folgen des Klimawandels. Laut Weltbank könnten bis 2030 130 Millionen weitere Menschen in Armut leben, wegen des Klimawandels. Der Klimawandel ist längst da - und er verstärkt alle bereits bestehenden Krisen.
Und wenn wir ehrlich sind, wissen wir das. Und trotzdem reden wir kaum darüber. Wir wüssten sogar, was wir gesamtgesellschaftlich ändern müssten. Und tun es kaum.
Ich finde: Es braucht Stören und Schock.
Banalität unserer Privilegien
Warum die Aktivisten damit so viel Wut ernten? Sie halten uns einen Spiegel vor: Die Autobahn-Blockaden reißen uns aus der Illusion, dass unser Leben schon irgendwie so weitergeht. Der Kartoffelbrei zeigt uns - in Anbetracht der Katastrophe - die Banalität unserer Prioritäten und Privilegien.
Die Aktivisten zeigen uns, mit anderen Worten, dass wir unser Leben ändern müssen. Und das macht uns wütend.
Sendung: rbb24 Inforadio, 05.11.2022, 6:20 Uhr