Schaden in Millionenhöhe - Polizei führt Hunderte Verfahren wegen Corona-Testbetrugs in Berlin

Fr 16.12.22 | 08:24 Uhr | Von Olaf Sundermeyer, Ute Barthel
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Symbolbild: Ein Coronatest-Kiosk im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf (Quelle: dpa / Schoening / imageBROKER).
Audio: rbb24 Inforadio | 16.12.2022 | Torsten Mandalka | Bild: imageBROKER

Möglicher Betrug mit Corona-Testzentren fordert die Ermittlungsbehörden in Berlin: Mehr als 500 Verfahren laufen. Auch Betreiber, die sich wegen Zahlungsverzugs beschwert haben, stehen im Fokus. Viele warten seit Monaten auf ihr Geld. Von O. Sundermeyer und U. Barthel

  • Momentan laufen in Berlin 512 Verfahren gegen Betreiber von Corona-Testzentren, der Vorwurf: Abrechnungsbetrug.
  • Die Ermittler konnten bislang einen Schaden von 32 Millionen Euro nachweisen, schätzen ihn aber auf bis zu dreimal so hoch.
  • Einer der Betreiber, ein ehemaliger Boulevardjournalist, protestierte öffentlich, wegen Betrügern bekämen ehrliche Betreiber keine Hilfe mehr ausgezahlt. Inzwischen wird gegen ihn ermittelt.

Als sich Karim G. Ende Oktober in einem offenen Brief im Namen Dutzender Betreiber von Coronatestzentren an die Berliner Gesundheitssenatorin und den Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV) wendet, ahnt er wohl nicht, dass er selbst bereits unter dem Verdacht des Abrechnungsbetrugs steht: "Es geht hier schlicht um die Existenzen der ehrlichen Betreiber*innen der Berliner Corona Teststellen", schreibt der Unternehmer und beklagt sich: "Nachdem Millionen Euro ungeprüft an Betrüger verschenkt wurden, bekommen die ehrlichen Teststellen z.T. seit Monaten gar nichts mehr ausgezahlt."

Zugleich droht der ehemalige Boulevardjournalist den Adressaten seines Briefes mit einer Kampagne: In dem Brief ist die Rede von "Protestaktionen vor der KV Berlin, Teststellen-Schließungen und Streiks". Nach ersten Vorgesprächen stoße das Thema auf "großes Interesse bei regionalen, aber auch überregionalen Medien". Am 3. November titelt die BILD-Zeitung: "Seit zehn Monaten kein Geld – Kassenärztliche Vereinigung lässt Teststellen-Betreiber hängen". Die B.Z. zitiert Karim G. und drei weitere Testcenterbetreiber mit ihrer Beschwerde auf einer Doppelseite. Der rbb verzichtet auf eine Berichterstattung, nachdem die Redaktion rbb24 Recherche von den Ermittlungen gegen Karim G. und anderen erfahren hatte, die ebenfalls auf ihr Geld warteten.

"Entschuldigen Sie, wir sind die Kriminalpolizei"

Bis der LKA-Kommissariatsleiter Jörg Engelhardt am Donnerstagmorgen um 8:20 Uhr bei Eiseskälte an eine Ladentür am Sachsendamm in Berlin-Steglitz klopft. Es ist eins von fünf Corona-Testzentren, die Karim G. betreibt. In den übrigen wird zeitgleich durchsucht, auch in der Wohnung des Unternehmers.

Engelhardt, gekleidet mit einem beigefarbenen Trenchcoat, stellt sich nach dem Öffnen der Tür einer Mitarbeiterin von Karim G. freundlich vor: "Entschuldigen Sie bitte den Überfall! Wir sind die Kriminalpolizei, wir sind keine Kunden!" Und schon huschen fünf seiner Mitarbeiter unter Vorhalten des Durchsuchungsbeschlusses an ihm vorbei in das Ladenlokal.

Rund zwei Stunden später schleppen die Polizisten ein Dutzend Plastikboxen gefüllt mit Testformularen aus dem Ladenlokal. "Es besteht der Verdacht, dass die Tests nicht korrekt abgerechnet wurden", sagt Jörg Engelhardt. Worauf sich dieser Verdacht des Abrechnungsbetrugs gründet, möchte er nicht sagen. Nun müsse man zunächst die Testunterlagen auswerten, und mit den Abrechnungen abgleichen. Gegen Karim G. läuft eines von 512 Ermittlungsverfahren, die das Berliner Landeskriminalamt wegen Abrechnungsbetrugs gegen die Betreiber von Corona-Testzentren führt. Bislang konnte die Abteilung von Jörg Engelhardt einen Betrugsschaden in Höhe von 32 Millionen Euro nachweisen. Den Gesamtschaden schätzt Engelhardt für Berlin auf "60 bis 90 Millionen Euro", sagt er. Die Dunkelziffer sei hoch.

Betreiber berichtet von Durchsuchungen

Karim G. will sich auf Anfrage von rbb24 Recherche nicht zu den Durchsuchungen äußern. Nur so viel sagt er: Dass er immer noch auf sein Geld von der KV warte, und dass er unschuldig sei.

rbb24 Recherche hat mit einem weiteren Betreiber gesprochen, der sich dem Protest von Karim G. angeschlossen hatte. Ismail Özkanli arbeitet als Zahnarzt am Wittenbergplatz. rbb24 Recherche erklärt er, dass er seit Juli auf die Auszahlungen wartet. Freimütig erzählt er auch von einer Durchsuchung der Staatsanwaltschaft im Mai 2021. "Es wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges eingeleitet. Wir hatten zu dem Zeitpunkt 14 Teststellen und hatten 38.000 Tests abgerechnet. Uns wurde vorgeworfen, dass wir zu viele Tests abgerechnet haben. Aber das Verfahren wurde dann eingestellt und der Vorwurf hat sich als falsch herausgestellt." Er könne sich nicht vorstellen, dass jetzt wieder ein Ermittlungsverfahren gegen ihn läuft.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Die Kassenärztliche Vereinigung äußert sich auf Anfrage von rbb24 Recherche nur schriftlich zu den Vorwürfen. Die KV Berlin sei aufgrund der laufenden Ermittlungsverfahren angehalten, "bei zahlreichen Teststellenbetreibern Auszahlungsanteile zurückzubehalten bzw. Auszahlungsstopps vorzunehmen." Zu Verzögerungen könne es aber auch kommen, wenn bei Auffälligkeiten in der Abrechnung vertiefter geprüft werden müsse.

45 Betreiber von Teststellen haben sich wegen der verzögerten Auszahlungen beschwert. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine kleine Anfrage der CDU hervor. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus Christian Zander sagt, dass man nicht alle Teststellenbetreiber unter Generalverdacht stellen könne. Die Verwaltung könne nicht nur auf die Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigung verweisen. Der Senat müsse auch dafür sorgen, dass, "wenn es Probleme gibt, dass man sich dann aktiv einschaltet und versucht, gegebenenfalls zu vermitteln."

Testzentren werden schließen

Nicht gegen alle Betreiber, die auf ihr Geld warten, laufen Ermittlungen. In den Augen von Philippe Gouverneur, der in Französisch-Buchholz ein Testzentrum betreibt, ist dann auch Missmanagement der KV die Hauptursache für die fehlenden Zahlungen, wie er sagt. Er habe sich dem Protest von Karim G. aber nicht angeschlossen, obwohl die KV auch ihm eine sechsstellige Summe schulde. Er könne sogar sehr gut verstehen, dass jetzt die Abrechnungen genauer geprüft werden, sagt er. "Im Jahr 2021 war das nicht der Fall. Die Steuergelder wurden tatsächlich aus dem Fenster geschmissen. Es fanden so gut wie keine Kontrollen statt." Jetzt - 2022 - scheine sich das geändert zu haben. "Da sind jetzt die die Leidtragenden, die noch übriggeblieben sind, und die noch sauber arbeiten."

Wie lange er sein Testzentrum noch offenhalten kann, wisse er nicht. Dabei kämen täglich immer noch viele, die ihre Verwandten im Pflegeheim oder Krankenhaus besuchen wollen und einen Test benötigen. Aber wahrscheinlich – so sagt er - wird er zum 31.12.2022 schließen, weil er die Kosten für den Betrieb der Teststelle nicht mehr länger vorstrecken kann.

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Beitrag von Olaf Sundermeyer, Ute Barthel

15 Kommentare

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  1. 15.

    Kein Wunder das Betrug im großen Stil begangen werden konnte. Während man normalerweise als Unternehmer sogar einen 50 Cent-Parkbeleg, da oftmals auf Thermopapier gedruckt, für das Finanzamt kopieren muss um diesen auch nach Jahren vorzeigen zu können, wurde bei den Testcentern noch nicht einmal nach einem Beleg für die tatsächlich eingekauften Coronatests verlangt (lt. Medien).

  2. 14.

    Da geht Herrn Sundermeyer aber ganz speziell drauf ein, dass es sich um einen ehemaligen Boulevardjournalist handelt. Berichtet Herr Sundermeyer auch ausführlich, wenn die Ermittlungen eventuell nicht zu strafrechtlichen Erkenntnissen führen? Und warum gerade der RBB über angebliche Millionen Betrügereien berichtet? Gibt es im eigenen Haus nicht auch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft?

  3. 13.

    @sententia
    Das müssen Sie verstehen, ein Zahnarzt am Wittenbergplatz. Das ist ja nun auch nicht gerade die beste Gegend. Ich habe da auch mal in 50ern gewohnt. (Satire)
    Ein paar Straßen weiter war sogar das Catcherzelt.

  4. 12.

    Und in BB wird das vertuscht wie durch das GA im LK PM.
    Es gibt Anzeigen zu einer Teststelle und Fr. Br. Sowie Hr. Kö. weisen Fachanzeigen zurück.
    Es lebe die "Demokratie" in Deutschland.

  5. 11.

    Hoffentlich werden über 90% der Betrüger mit Corona-Testzentren gefasst und die müssen dann zusätzlich zur Rückzahlung auch noch wegen Betrugs verurteilt werden. Wenn so wie die Corona-Teststationen unsere Hausärzte und Apotheken abrechnen würden, würde ich es verstehen, dass man nicht plötzlich ein funktionierenden, kontrolliertes Abrechnungssystem hinbekommt. Aber wir hatten bereits bestehende Abrechnungsstrukturen, da hätte man die Corona-Testzentren nur verpflichtend mit dran hängen müssen. Das hätte Frau Dilek Kalayci von der SPD in Berlin in 2020 besser organisieren müssen. Der Abrechnungsskandal bei den Corona-Teststationen ist ein wahres Armutszeugnis für Berlin. Andernfalls hätte man diese Aufgabe sonst nur den Apotheken und niedergelassenen Ärzten geben dürfen, weil diese hier bestehende Abrechnungsstrukturen hatten und im Betrugsfall mehr zu verlieren gehabt hätten.

  6. 10.

    Der Senat muss doch vorher die Stellen prüfen….wie oft soll der Bürger diese Betrügereien bezahlen? Aber es ist nichts anderes von diesem Senat zu erwarten! Die nächsten Wahlen kommen…..

  7. 9.

    Bei diesen Bruchbuden die dort zum Teil zugelassen wurden,in denen meinem Gefühl nach Hinz und Kunz getestet haben,waren mir persönlich von Anfang an klar, dass da einiges nicht stimmt.
    Habe auch solch eine Stelle dem Ordnungamt gemeldet.
    Aber die haben munter weiter getestet.

  8. 8.

    Im Gesundheitswesen wird seit Jahren rationalisiert. Gesundheit von Kranken und Personal wird verschlechtert. Bei Coronamaßnahmen waren eine Milliarde Euro mehr oder weniger uninteressant. Das passt nicht zusammen.

  9. 7.

    WER übernimmt Verantwortung und Haftung für die Genehmigungen von Testzentren an medizinische Laien? Mit gegenseitigen Schuldzuweisungen muss Schluss sein. WER ist verantwortlich? Der Berliner Gesundheitssenat oder das Gesundheitsministerium in Berlin? Was ist das für eine Regierung? Gab es rechtlich klare Vorgaben die Testzentren-Betreiber erfüllen mussten oder nicht? Oder waren die gesetzlichen Vorgaben schwammig und missverständlich? WER übernimmt dann gegebenenfalls dafür die Verantwortung und Haftung? Es ist unerträglich wie hier wieder einmal schwer erarbeitete Steuergelder wieder einmal vergeudet werden während Patienten und Gesundheitspersonal schlecht behandelt werden.

  10. 6.

    Als wäre derlei nicht zu erwarten gewesen. Das "Testzentrum Bornholmer Straße" (so das Banner am Straßenbaum) bestand aus einem Kleintransporter, in welchem eine dralle Schönheit in einem Overall mit Leopardenaufdruck an einem Campingtisch saß und den Abstrich nahm. Aus jeder Frittenbude ganz offiziell ein "Corona-Testzentrum" machen zu können, hat zum Betrug geradezu eingeladen, zumal es, wenn überhaupt, nur sporadische Kontrollen gab. Das Elend ist also hausgemacht.

  11. 5.

    Wenn Geld leicht zu bekommen ist, sind Gauner immer die Ersten!

  12. 4.

    Siehe Rbb Bericht vom 30.06.2022.Staatliches Organisationsversagen sagt der prüfenden Kommisariatsleiter, mehr ist dazu nicht zu sagen. Übrigens wird die KV von den niedergelassenen Ärzten mitbezahlt...... Wie kann die KV ein so unfassbar dummes, leicht zu manipulierendes Abrechnungssystem installieren, nicht zu fassen

  13. 3.

    Es gab vor gut einem Jahr schon eine spannende Doku von Spiegel Tv , um die Verschwendung von Steuergeldern im Bezug auf die Testzentren . Teilweise auf Servietten wurden die Räumlichkeiten skizziert und von den Behörden genehmigt! Aber selbst die Kriminalbeamtin meint die Millionen sind weg …..

  14. 2.

    Damals war es der Not geschuldet, dass es wenig Kontrollmöglichkeiten gab. Dass 2022 immer noch Betrug in großem Maße stattfinden kann, ist für mich nicht erklärbar. Müsste doch wie bei einer normalen Steuerprüfung laufen können. Man kann nur testen, wenn man Material gekauft hat und Personal beschäftigt hat. Aber wahrscheinlich war die Gewinnspanne auch übertrieben hoch.
    Merkwürdig ist es schon, wenn ein Zahnarzt im großen Stil Testketten öffnet. Der Gedanke, dass viel Geld "zu verdienen" ist, wird den unternehmerischen Ergeiz geweckt haben. Aber jeder ist ja bis zur Klärung der Schuld unschuldig.

  15. 1.

    Kein Wunder, es wurde den mutmaßlichen Betrügern ja auch sehr leicht gemacht dadurch, dass es keine Kontrollen gegeben hat.

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