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Audio: rbb24 Inforadio | 05.01.2022 | Jenny Barke | Quelle: dpa/Christin Klose

Durchfallquote bei Fahrschülern

"Wer in Berlin den Führerschein macht, der kann auch woanders Auto fahren"

Der Bundesverband der Fahrlehrer warnt: Immer mehr Fahrschüler fallen durch. Als Grund vermutet er die Handy-Nutzung. Ein Scheinargument, sagen Verkehrsexperten in Berlin. Hier stehen noch andere Hindernisse im Fokus. Von Jenny Barke

Ein vergessener Schulterblick, einmal zu zögerlich gebremst, einmal mit dem Hinterrad beim Einparken auf den Bordstein gefahren - und die Fahrprüfung für den Führerschein wird abgebrochen. Durchgefallen heißt es dann und die Fahrschülerin oder der Fahrschüler muss die Praxisprüfung wiederholen. Ein Horrorszenario, das fast jeder Autofahrende gefürchtet oder sogar erlebt hat.

Derzeit fallen bundesweit knapp 43 Prozent durch, teilt die Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände unter Berufung auf Zahlen des Kraftfahrtbundesamts mit. Tendenz steigend: Immer häufiger kommt es vor, dass die Fahrschülerinnen und -schüler die Praxisprüfung nicht bestehen. Etwa um drei Prozentpunkte ist die Durchfallquote in den vergangenen zehn Jahren gestiegen.

17-jährig, Smartphone-Nutzer, erfolgreiche Prüflinge

Der Vorsitzende des Bundesverbands, Kurt Bartels, nennt dafür als Hauptgrund das Smartphone: Weil es junge Menschen immer mehr nutzten, würden sie die "Affinität zum Verkehrsgeschehen" verlieren, also das Gefühl für Straße und Raum. "Der junge Mensch, der heute in die Fahrschule kommt, hat eine ganz andere Verkehrswahrnehmung als noch vor 20 Jahren - nämlich eine geringere", begründet Bartels seine Theorie. Doch sie lässt Berliner Verkehrsexperten und Fahrlehrer gleichermaßen ratlos zurück.

Für Kay Schulte vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) handelt es sich dabei um ein Hilfsargument. "Bei den 17-Jährigen verändert sich die Durchfallquote seit Jahren nicht. Das sind genau diesselben jungen Menschen, die ein Smartphone nutzen." Die Durchfallquote liege bei 17-Jährigen sogar bei Weitem unter dem Durchschnitt - nur 27 Prozent fallen in der Altersklasse durch.

Die eigentlichen Gründe für hohe Durchfallquoten

Schaut man auf die Details, werden große Unterschiede zwischen den geprüften Gruppen sichtbar: Am häufigsten scheitern sogenannte Umschreiber - also Autofahrende, die ihren Führerschein aus anderen Ländern hier anerkennen lassen wollen und die deutschen Verkehrsregeln nicht so gut beherrschen.

Daneben gebe es eine Vielzahl von Gründen für die sinkenden Erfolge, beobachtet Stephan Ackerschewski vom Berliner Fahrlehrerverband. "Wir haben heute viel höhere Anforderungen an die jungen Verkehrsteilnehmer. Die Fahrzeuge sind ja technisch ganz anders ausgestattet, als sie es noch vor vielen Jahren waren." Zudem seien die Autos immer schneller, sodass Begegnungen mit anderen Verkehrsteilnehmenden sehr vielfältig seien.

Auch die Motivation unter jungen Menschen habe stark nachgelassen. "Früher war der Führerschein mal der Eintritt ins Erwachsenenalter", sagt Schulte. Heute hingegen würden viele die Fahrerlaubnis nur noch für den Job erwerben, es handle sich mehr um eine Pflicht.

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Der Berliner Sonderfall

In Berlin bestehen mehr als 44 Prozent der Fahrschülerinnen und Fahrschüler die Prüfung beim ersten Versuch nicht - etwa zwei Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Das sei normal, sagt Schulte. In Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Ballungsräumen wie in Nordrhein-Westfalen sei der Verkehr dichter, die Prüfung herausfordernder. Er begreift diesen Nachteil in der Praxisprüfung in Berlin aber als Chance: "Jemand, der in Berlin den Führerschein macht, der kann auch ganz woanders Auto fahren."

Doch nicht nur der dichte Verkehr lässt Fahrschüler in Berlin öfter durchfallen, sagt Fahrlehrer Tolga Özdemir von der Fahrschule "Mobilwerden" in Berlin-Charlottenburg. In seiner Praxis erlebt er ein anderes Problem, für das weder Schüler noch Fahrlehrer etwas können: "Ich glaube, dass der Hauptgrund daran liegt, dass es einen Mangel an Prüfungsterminen gibt. Weil die sehr rar sind, müssen sehr viele Leute sehr lange Pausen machen und dann relativ unvorbereitet in Prüfungen gehen."

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Mangel an Prüfungen und Prüfern

Zudem sei der Führerschein immer teurer geworden, so Özdemir. Viele Leute würden sich keine weiteren Übungsstunden mehr leisten können und sparten dann kurz vor der langersehnten Prüfung an der falschen Stelle. Er rät deshalb seinen Schülern, sich rechtzeitig um das Organisatorische zu kümmern, am besten bereits bevor die Übungsfahrstunden beginnen.

Bis zu vier Monate muss man in Berlin auf einen Termin warten - deutschlandweit Spitzenreiter, bestätigt Ackerschewski vom Berliner Fahrlehrerverband. Es fehle einfach in der schnell wachsenden Stadt an Personal. Hinzu käme, dass sich die Zeit der Fahrprüfung verlängert habe: Von 45 Minuten vor einigen Jahren auf inzwischen 55 Minuten für den Pkw-Führerschein. Wegen längerer Dauer seien täglich weniger Prüfungen möglich.

Im Gespräch mit Senatsverwaltung für Verkehr

Die Pandemie habe das Problem weiter verschärft. Über Monate hätten sich Prüfungstermine angestaut. Ackerschewski schätzt, dass sich der Rückstau erst in drei bis fünf Jahren komplett aufgelöst hat.

Dass längere Wartezeiten zu einer höheren Durchfallquote führen, hätte im Übrigen die Pandemie sehr klar bestätigt: Die ersten Prüflinge, die nach dem Lockdown wieder die Praxisprüfung durchführen konnten, fielen reihenweise durch. Diesen schlechten Schnitt habe es zuvor nie gegeben, so der Fahrlehrerverbandsvorsitzende.

Um künftig wieder mehr Prüfungen anbieten zu können, bräuchte es mehr Personal, fordert Ackerschewski. Der Verband ist mit der Senatsverwaltung für Verkehr im Gespräch. Denn die ist die oberste Aufsichtsbehörde für die Dienstleister Dekra und Tüv. "Es geht nicht darum, jetzt einen Schuldigen zu finden. Wir wollen klären, wo wir spürbare Erleichterungen schaffen, signifikante Lösungen anbieten können."

Doch auch wenn Senat und der Berliner Fahrlehrerverband "im regen Austausch" stehen - bisher möchten beide Seiten noch nicht veröffentlichen, welche Lösungen gefunden werden könnten, um Prüfungsmangel und hohe Durchfallquoten bei Fahrschülern zu beseitigen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.01.2023, 07:36 Uhr

Beitrag von Jenny Barke

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