Protest von Klima-Aktivisten in Berlin - Ist das Mittel der Straßen-Blockade ausgereizt?

Di 09.05.23 | 05:54 Uhr | Von Wolf Siebert
  60
Klimaaktivisten der "Letzten Generation" haben sich auf die A100 geklebt. Aufnahme vom rbb Verkehrsflieger am 04.05.2023 in Berlin. (Quelle: rbb/Tino Schöning)
Audio: rbb24 Inforadio | 09.05.2023 | Wolf Siebert | Bild: rbb/Tino Schöning

Seit Monaten kleben sich Aktivisten der "Letzten Generation" auf Straßen in Berlin - zuletzt besonders oft. Für sie ist es ein Protestmittel, nachdem moderatere gescheitert waren. Doch ein Großteil der Bevölkerung lehnt die Aktionen ab. Eine Zwischenbilanz von Wolf Siebert

Es ist der 17. April 2023. Eine Woche vor Beginn der verstärkten Straßenblockaden in Berlin. Lilly Schubert ist 24 Jahre alt und eine der Pressesprecherinnen der "Letzten Generation". Sie war schon bei Greenpeace und "Fridays for Future" aktiv. Ihre Sorge: Wenn die globale und die deutsche Klimapolitik das 1,5 Grad-Ziel verfehlen, dann wird das unumkehrbare Folgen haben: "Das löst langfristig gesehen Hungersnöte aus, erst in anderen Ländern, dann auch hier, weil wir abhängig sind von Importen; das löst gigantische Migrationsbewegungen und Bürgerkriege aus. Und letztlich einen völligen Kollaps von dem, was wir als Wohlstand und als soziale Systeme kennen."

Für manche ist das "Klima-Hysterie". Andere wie der "Weltklimarat" warnen: Wir haben nur noch wenig Zeit, um zu verhindern, dass es langfristig zu einem Klima-Kollaps kommt. Lilly zählt auf, was die "Letzte Generation" alles unternommen hat, um die Bundesregierung aufzurütteln: Hungerstreik 2021, Gespräch mit Kanzler Scholz, kleinere Blockaden - vergeblich, deshalb die Dauer-Blockaden in Berlin: "Das Problem ist, dass wir politisch gesehen keinen Plan haben, wie wir das 1,5 Grad-Ziel einhalten können. Und dieses Ziel werden wir bis 2030 reißen. Aber jedes Grad mehr ist menschlich gesehen eine Katastrophe: Jedes Grad mehr bedeutet, dass Tausende Menschen jedes Jahr sterben werden."

Lilly Schubert, "Letzte Generation", am 7.05.2023 in Berlin. (Quelle: rbb/Wolf Schubert)Lilly Schubert ist eine der Pressesprecherinnen der "Letzen Generation".

Das Anliegen der Blockierer rückt in den Hintergrund

Am 24. April setzen sich an 42 Orten in der Stadt Aktivistinnen und Aktivisten in neonfarbenen Westen auf die Straßen, kleben sich fest und blockieren den Autoverkehr. Viele Autofahrer reagieren genervt: "Das ist wirklich nicht okay: Gucken Sie mal, wie weit der Stau reicht! Viele müssen doch zur Arbeit", sagt ein Passant. Auch eine Frau ist empört: "Ich bin fürs Klima und für Umweltbewusstsein. Aber das hier: die Leute zu nötigen, nein, tut mir leid, das dürfen die nicht machen."

Ein anderer Autofahrer sagt: "Ich habe zum Glück keine Termine. Aber ich habe volles Verständnis für die Aktion. Wie wollen wir es denn sonst lernen? Wann soll sich denn was ändern?"

Einer der Aktivisten sagt: "Hier zu sitzen ist für alle unangenehm, auch für mich. Aber was wirklich unangenehm ist, wenn der nächste Hitzesommer Berlin aufheizt und Menschen sterben, das ist unangenehm, und deshalb protestieren wir hier auf den Straßen." Durch den Ärger über die Blockaden gerät das Anliegen der Blockierer bei vielen Bürgern aber in den Hintergrund.

Ein Aktivist der Protestbewegung "Letzte Generation" wird am 24.04.2023 mit einer Schlagbohrmaschine bei einer Klebeaktion von der Strasse am Ernst-Reuter-Platz in Berlin entfernt. (Quelle: Imago Images/Florian Gaertner)Mit einem Schlaghammer versucht die Polizei, einen Demonstranten von der Straße zu lösen

Straßenblockaden: Ist das ziviler Ungehorsam oder Extremismus?

Die CDU bezeichnet die "Letzte Generation" als "extremistisch", die FDP hält sie für "totalitär". Stehen Aktivisten, die Straßen blockieren auf einer Stufe mit Reichsbürgern, und der RAF? Greifen die Blockierer den Staat an oder doch eher das Auto als Freiheitssymbol des vergangenen Jahrhunderts: "Freie Fahrt für freie Bürger" war die Parole - wer das heute antastet, der gilt offenbar schnell als Extremist.

Auf den Straßen hat das Folgen: Auf der A100 kommt es zu ersten Fällen von Selbstjustiz, Autofahrer ziehen Aktivisten an den Haaren von der Straße, auch vor dem Schloss Charlottenburg gibt es rabiate Szenen. Bevor Schlimmeres passiert, warnt die Sprecherin der Berliner Polizei vor Selbstjustiz: "Wir wollen nicht sehen, dass Menschen selbst Hand anlegen. Davor können wir nur warnen. Bitte bewahren sie die Ruhe, wir kümmern uns und sind ziemlich schnell vor Ort. Wer Selbstjustiz übt, kann sich strafbar machen."

Der dritte Tag der verstärkten Straßenblockaden. In den Medien tobt der Meinungskampf: Pro & Contra Präventivgewahrsam für Blockierer. Andere fordern Freiheits- und nicht nur Geld- oder Bewährungsstrafen. Ein Berliner Gericht verurteilt eine Aktivistin der "Letzten Generation" zu vier Monaten Haft. Die junge Frau hatte sich u.a. in der Berliner Gemäldegalerie an einem kostbaren Bild festgeklebt. Das Urteil soll wohl abschreckend wirken, sagen Experten.

In derselben Woche bahnt sich eine andere juristische Entscheidung an. Im sogenannten "Dieselskandal" soll der frühere Audi-Chef nur eine Bewährungs- und eine Geldstrafe bekommen, Voraussetzung ist sein Geständnis.

Die Methoden sind zu radikal. Die Letzte Generation spricht nicht für die Mehrheit der Bevölkerung.

Julia Hensen, Verhaltensökonomin

Anfang Mai gehen die Straßenblockaden in die zweite Woche. Laut dem aktuellen "ZDF-Politbarometer" lehnen 82 Prozent der Befragten die Blockade von Hauptverkehrsstraßen ab. Julia Hensen, Verhaltensökonomin am Deutschen Institut für deutschen Wirtschaft, deutet im rbb die Ablehnung so: "Die entsteht, wenn die Freiheit des Einzelnen ohne sein Zutun eingeschränkt wird. Wenn sie sagen, dass Berlin lahmgelegt wird, dann werden die meisten Menschen damit nicht abgeholt. Die Methoden sind zu radikal. Die "Letzte Generation spricht nicht für die Mehrheit der Bevölkerung, und das ist in einer Demokratie wichtig."

Ist der Protest der "Letzten Generation" also kontraproduktiv? Professor Felix Anderl aus Marburg, der in der "Konfliktforschung" arbeitet, sieht das nicht so: "Die moderaten Teile der Bewegung profitieren eigentlich davon, wenn die Radikalen delegitimiert werden. Weil sich die Moderaten dann als die Vernünftigen darstellen können. Das kann man gut auf die Klimabewegung übertragen, wo "Fridays for Future" eher die moderate Flanke ist und die "Letzte Generation" eher die radikalere. Eine aktuelle Studie aus England ergänzt diese These: Selbst dort, wo radikale Klimaproteste abgelehnt werden, sei das Bewusstsein, mehr für den Klimaschutz tun zu müssen, gewachsen.

Treffen mit Verkehrsminister Wissing

An Tag 9 der Straßenblockaden trifft Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) Aktivisten der "Letzten Generation". Wissings grüner Koalitionspartner wirft ihm vor, beim Klimaschutz auf der Bremse zu stehen, ein Tempolimit auf Autobahnen lehnt er ab. Im Anschluss tritt nur Lea Bonasera von der "Letzten Generation" vor die Presse. Die Straßenblockaden sollen weitergehen: "Ich vergleiche das mit Gewerkschaftsstreiks: Ohne Streiks kein gutes Ergebnis bei Tarifverhandlungen. Das ist auch unser Ansatz. Natürlich werden wir den weiterverfolgen, bis wir eine ehrliche, gute und entschlossene Klimapolitik haben."

An Tag 12 fordert Umweltministerin Steffi Lemke von den Grünen mehr Tempo bei Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr. Sonst ließen sich die Klimaziele nicht erreichen. Dabei hatten die Grünen vor kurzem der Aufweichung der Klimaschutzziele zugestimmt. Unklar bleibt, wann von Olaf Scholz der versprochene "Klimawumms" kommt, wie die Koalition ihre ehrgeizigen Klimaziele erreichen will.

Und die "Letzte Generation"? Auch wenn sie sich öffentlich weiter blockadebereit gibt, kann sie die ablehnende Haltung in der Bevölkerung nicht einfach ignorieren. Die Klima-Aktivisten werden deshalb neue Protestformen finden müssen, um die Bevölkerung insgesamt mitzunehmen auf dem Weg zu besserem Klimaschutz. Das Mittel der Blockaden scheint ausgereizt zu sein.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.05.2023, 09:00 Uhr

Beitrag von Wolf Siebert

60 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 60.

    Kurzum: Ich sympathisiere mit den Maßnahmen der LG. Es passiert zu wenig im Klimaschutz. Wie immer wird bisher nur Lobbypolitik betrieben.

  2. 59.

    "-> Niemand außer Ihnen denkt das."

    Wollen Sie wieder mal festlegen, was ich und alle Anderen zu denken haben?
    Das ist wohl ein wenig anmaßend!

  3. 58.

    Vielleicht sollte man mit der Explosion der Weltbevölkerung anfangen, immer mehr Urwälder abholzen damit Weide- und Sojaflächen entstehen. Wir können mit unserem kleinen Land und sog. Energiewende nicht die Welt retten.

  4. 57.

    Zum Glück sind diese finsteren Zukunftsvisonen nur in einer Traumwelt vorstellbar.

  5. 56.

    Und das ist richtig. Denn es zeigt sich, wie schwierig es ist, als Staat damit umzugehen. Für die Zukunft muss das anders gelöst werden. Anderenfalls kommen auch andere Gruppen auf solche Ideen.

  6. 55.

    ...und wer dem in einer vom GG definierten pluralen Gesellschaft nicht zustimmt und Kritik! äußert, bedient natürlich "rechte Narrative"... Mir wird schon schlecht, wenn ich mir den sehr "demokratischen" Aufbau der LG und deren Finanzprotagonisten näher anschaue - immer gemessen, am eigenen laut postulierten sehr hohen moralischen Anspruch...was ja auch inzwischen leider für die Posten"versorgung" innerhalb der grünen Führungsriege gilt. Wahrscheinlich will man mit der CSU konkurrieren.

  7. 54.

    Geht der Plan tatsächlich gut auf? Ich sehe kaum Diskussion über den Klimaschutz und noch weniger Ergebnisse. Statt dessen rückt die Diskussion darüber, wie man mit der LG verfahren sollte, in den Mittelpunkt.

  8. 53.

    Sie: " Aber es ist nicht das Allheilmittel, um die Welt zu retten."
    -> Niemand außer Ihnen denkt das.

  9. 52.

    a.) Die richtigen (auch symbolisch-radikalen) Entscheidungen treffen. Übermotorisierte Privat-KFZ sind sinnlos auf Strassen mit Tempolimit. Militärhaushalte gehen über in Infrastruktur für klimaneutralen ÖPNV. Sozial gerechte Weltwirtschaftsordnung, statt mit Krieg für Dominanz, Sieg, Konkurrenz, Handelswege kontrollieren, für kurzfristige Rendite der Wenigen alles Schrotten.

    b.) So schlicht falsche Frage. Realpolitik hält und hielt sich in den wenigsten Zentralfragen an Mehrheiten. Zudem hat noch niemand versucht, mit den richtigen Entscheidungen Mehrheiten zu gewinnen.

    c.) Nicht so wichtig, wenn die zentralen Fragestellung tatsächlich angegangen werden. Ist man da redlich bemüht, glätten sich auch die schlimmsten Differenzen.

  10. 51.

    Es fallen einem auf Anhieb tausend Dinge ein, die passieren könnten, es aber nicht tun. Einige, wie das geforderte Tempolimit, lassen sich von heute auf morgen umsetzen. Andere, wie ein Verbot des Verkaufs von Verbrennern, ein stark beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien, oder das Dämmen von Gebäuden, dauern ein paar Jahre länger. Vor allem gilt es den Schaden der Merkel Jahre wieder aufzuholen.

  11. 49.

    "Ich glaube schon, dass es ausgereizt ist. Man sollte jetzt die nächste Stufe wählen."
    Und die wäre? Was schwebt ihnen denn so vor?

  12. 48.

    Die Ärzte flogen legal, die "Aktion" der Letzten Generation ist illegal Wer an der Privatfliegerei etwas ändern will, muss sich demokratische Mehrheiten suchen anstellte den Straftätern der Letzten Generation zuzujubeln. Auch wenn Ihnen deren Motive gefallen, setzt das Artikel 3 Grundgesetz nicht außer Kraft. Und wenn Sie sich schon mal über unsere Verfassung als wesentlichen Baustein der FDGO informieren, informieren Sie sich bitte im Artikel 20, von wem die Gewalt ausgeht und wie die auszuüben ist. Tipp: Nicht mit Straftaten wie von der Letzten Generation praktiziert und auch nicht über einen Gesellschaftsrat.

  13. 47.

    „ "Hier zu sitzen ist für alle unangenehm, auch für mich. Aber was wirklich unangenehm ist, wenn der nächste Hitzesommer Berlin aufheizt und Menschen sterben, das ist unangenehm, und deshalb protestieren wir hier auf den Straßen."
    Ich glaube, die haben nicht kapiert, dass sich vom rumsitzen nichts ändert.
    Unternehmt doch selbst mal was, statt immer wieder für mehr CO2-Ausstoß zu sorgen. Und im Sommer könnt ihr den gefährdeten Menschen gern Hilfe leisten. Es gibt so viel zu tun, auch, dass man nicht mehr mit Einmalbecher- und -Ver-packungen rumrennt, Müll sammeln in den Parks und Stränden/Ufern, die ihresgleichen hinterlassen haben. Tretet doch endlich mal positiv in Erscheinung!

  14. 46.

    Ich glaube schon, dass es ausgereizt ist. Man sollte jetzt die nächste Stufe wählen.

  15. 45.

    "Warum passiert einfach nichts für Klimaschutz?" Was genau sollte denn "passieren"? Die geforderten Maßnahmen sind nicht zielführend, bauliche Massnahmen sind teilweise angeordnet, müssen aber umgesetzt werden, vor der Abschaffung fossiler Brennstoffe braucht es Alternativen und Druck in Form von früheren Terminen nutzt nichts, Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht.
    Wenn jeder Einzelne für sich Maßnahmen ergreift, die für ihn persönlich machbar sind, wäre schön viel zu bewegen, aber dazu müsste man ggf. die Komfortzone etwas verkleinern.

  16. 44.

    "Die Politik reagiert ja weiterhin nicht angemessen auf den Klimawandel."
    a) Was wäre denn nach Ihrer Meinung angemessen?
    b) Wäre Ihr angemessenes Handeln auch mehrheitsfähig in unserer Demokratie?
    c) Wäre Ihr angemessenes Handeln auch von den Forderungen der diverses Protestgruppen gedeckt oder gibt es da Differenzen?

  17. 43.

    Darf ich die Frage, ob nicht gelesen, zurückgeben? Wo schrieb ich, ein Tempolimit solle nicht sein? Ein Tempolimit ist ein winziger Teil des Klimaschutzes, muss also sein. Aber es ist nicht das Allheilmittel, um die Welt zu retten. Da sollte den Klimaklebern doch Intelligenteres einfallen.
    Dass das Klimagerät aus gesundheitlichen Gründen angeschafft wurde, ist Ihre Interpretation. Im Kommentar steht nichts davon.

  18. 42.

    Ja, genau. In den Öffis sind diese ganzen Menschen, die sonst gar nicht in meiner Blase sind und die leben mir dann dort ihre Lebenswirklichkeit vor und ich kriege das dann mit. Wie soll ich denn da bitte schön weiterhin mein Berlin, wie ich es mir einbilde, für echt halten? Am Ende krieg ich da noch Verständnis für meine Nachbarn! Da kann man ja gleich sein Kind auf eine öffentliche Schule schicken oder in den Park gehen.

    Deswegen: Nur mit dem Auto in den Park und auf gar keinen Fall nicht aussteigen!

  19. 41.

    Genau das ist der Punkt. Wie weit dürfen Proteste gehen? Der Staat muss die Mehrheit auch vor der Minderheit schützen. Daher bitte schneller und entschiedener eingreifen. Und schärfer sanktionieren, die LG ist zu extrem.

Nächster Artikel