Fast nichts - Tiefer als das Sommerloch

Sa 05.08.23 | 10:13 Uhr | Von Stefan Ruwoldt
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Archivbild: Das Brandenburger Tor spiegelt sich nach einem Regenschauer in einer Pfütze. (Quelle: dpa/C. Soeder)
Bild: dpa/C. Soeder

Juni, Juli, August sind drei normale Monate. Fast. Sie liegen eben nur im Sommer und so stehen Urlaub, Strand und Sommerhosen im Mittelpunkt. Nachrichten und Politik ruhen. "Themenarmut" ist die Folge in den Redaktionen, Fachbegriff: Sommerloch. Eine Suche von Stefan Ruwoldt

Im Sommer sind alle weg. Also, wer es sich leisten kann und wer sich fürs Reisen was ansparen kann. Sie baden dann schön im Meer, gucken von Bergen, erleben Abenteuer oder trinken einfach nur in Frankreich einen Aperol Spritz, der da natürlich anders heißt.

Die Übriggebliebenen führen zuhause die Geschäfte. Sie müssen sich am Telefon abfragen lassen, ob alles läuft und wenn sie dann im Besprechungsraum auf die Sitzung warten, sind sie allein. Alle im Urlaub.

Im Sommer stimmt die alte Ordnung nicht mehr. Und die Unordnung auch nicht. Die, die wegfahren, sind weg. Die, die hier geblieben sind, fallen in ein Loch, ins Sommerloch.

Ein Loch - oder nur eine Auszeit?

In der Politik bedeutet Sommerloch, dass Politikerinnen und Politiker dafür sorgen, dass sie in Restaurants oder Eisboutiquen fotografiert werden. Man kann sie anfassen. Sie sind Urlauber. Gregor Gysi schlendert ins Sommertheater auf Hiddensee. Traditionsbewusste, konservative Kolleginnen und Kollegen warten am Wolfgangsee (der heißt wirklich so) darauf, dass irgendwer ihre Ähnlichkeit mit Helmut Kohl erkennt. Und Franziska Giffey postet ein Foto von sich im Schneidersitz am Strand. Sie nennen es Auszeit. Oder ist das schon Sommerloch?

Linken-Politiker mit Sonnenbrand, Sozialdemokraten mit Soße auf dem Chemisett und Christdemokraten beim Benzinrasenmäherkauf - wenn man über so viel Schönes berichten kann, ist es doch kein Sommerloch.

Uriah Heep im Stadion der Freundschaft

Sommerloch bedeutet, dass alle überall leidende Tiere sehen, dann bei der Polizei anrufen und wenn die nicht antwortet, ist die erste Juli-Meldung schon mal sicher. Dachzeile: Behördenignoranz. Im August wittern Fernsehköche ihre Chance und verkünden, im Winter die Talkshow von Anne Will zu übernehmen - also wahrscheinlich. Überschrift: Delikate Personalie. Und Ende August kommen auch die Brandenburger Modellbahn-Freunde zu ihrer Schlagzeile: Vorbereitung der Modellbahntage in der St. Johanniskirche laufen nach Plan. Der Sommer ist die beste Zeit, um ausführlich über Spurweiten zu sprechen - im Oktober würde das Thema untergehen. Sommerfahrplan.

Der offizielle Höhepunkt dieses sommerlich neuen Blicks auf den Nachrichtenwert von Ereignissen ist alljährlich die Tour de France Anfang Juli. Man schläft bei der Übertragung bei Kilometer 78 im Liegestuhl ein und wacht bei Kilometer 121 wieder auf. Massensturz. Und zwar Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Es gibt sogar Berichterstattung über den Tour-de-France-Ruhetag - die hohe Schule des Sommerlochs. Gleich danach ein typisches Lesestück für August: Uriah Heep spielen im Cottbuser Stadion der Freundschaft. Ausverkauft. Also wahrscheinlich spielen sie und bestimmt wird es dann ausverkauft sein. "Unverwüstlich" könnte dann das letzte Wort eines "Lesestücks" darüber lauten. Die Fender bekommt hier eine Lederjacke übergezogen (ohne was drunter). Sommergitarre.

Organische Ursachen des Sommerlochs

Wenn man es genauer betrachtet, macht das Sommerloch sogar einen wirklich guten Job. Unsichere sommerlochverängstigte Redaktionen geben ihrer eigenen Berichterstattung im Juli und August keine Chance und heben investigative Themen für September auf: "Das geht jetzt unter, lass es uns in KW 36 rausblasen. Da geht das steil." Unter diesen Bedingungen nicht alle Zuschauer, Leser, Hörer oder Nutzer zu verlieren ist die hohe Kunst. Publizistische Größe also beweisen jene Redakteure, die mit ihren Themen auch auf die Wochen 23 bis 35 setzen. Sommerhelden.

Es gibt Sommergrippe, Sommerfell, Sommerfahrplan und es gibt den Sommerschwund, das jedenfalls hat die Uni Graz herausgefunden und hat diesen Schwund "den Ferieneffekt" [uni-graz.at] genannt. Die Zeitung "Welt" ist unvorsichtiger und überschreibt ihre Berichterstattung über den Zusammenhang von Sommerwärme und Denkdefiziten: "Hitze und Dummheit". Die "Focus"-Redaktion entlastet für den Sommer alle, die in genau dieser Jahreszeit Sachen vergessen und schreibt in ihrem Denken-im-Sommer-Artikel: "Hitze sorgt für Gedächtnisverlust". Der Tenor all dieser Berichte lautet: Nicht wir sind für das Sommerloch zuständig, weil wir vielleicht zu wenig machen, oder zu wenig passieren lassen, oder zu wenig nachdenken und das dann verkünden. Nein, verantwortlich für die kleinen und großen Sommerdefizite ist unser Körper. Sommerbody.

Gediegen sommerlich

Die einzig wirklich gültige Begründung für den ganz eigenen Charakter der Sommerberichterstattung lautet: Sie ist gediegen. Und solch eine ganz eigene, ruhige Sommerberichterstattung sorgt dafür, dass die Zeit nicht so rast und dass der Sommer fast nicht altert und dass der Sommer auch fast niemals stirbt - etwa so wie Uriah Heep und das Stadion der Freundschaft. Sommersause.

Beitrag von Stefan Ruwoldt

15 Kommentare

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  1. 15.

    Also ich lese ja vieles.
    Ob Politik oder Regional.
    Corona oder sonst was.
    Aber was soll mir dieser Artikel sagen?
    Gibt es keine spannenden, traurigen oder nachdenklichen Geschichten?

  2. 14.

    Die Urlaubszeit ist die beste Zeit in Berlin. Man kommt gut mit dem Auto überall hin. Es gibt jederzeit einen Parkplatz. Die Straßen sind insgesamt leerer. Ich bin gern im Sommer in Berlin und freue mich darüber, dass soviel Menschen in den Ferien weggefahren sind.

  3. 13.

    Ich mag das. Wenn die alle zu Hause sind, wird nur jede Woche unausgegorenes Zeug veröffentlicht - das ist schwerer verdaulich als die Sommerpause.
    Für die „Sommerprogramme“ von manchen Rundfunkanstalten habe ich weniger Verständnis: Die Gebühren werden trotz „Notprogramm“ konstant erhoben.

  4. 12.

    Ja,sehr doof,wenn die Kinder sich nicht mehr beschäftigen können wenn das Wetter oll ist Es gab Zeiten da könnte sie das noch.Der Regen ist ja auch sehr wichtig.Berlin Brandenburg wird eh Savanne.Das genöle möchte ich dann nicht hören.Einfach mal alles so nehmen wie es ist.

  5. 10.

    Eine gediegene Arbeit von Stefan Ruwoldt er hat tief gesucht, alles im Sommerloch zusammen in einen Korb gefasst. Der Bundestag ist verreist, bestimmte Politiker zeigen sich noch, die Aufmerksamkeit im Sommerloch sich wünschen um nicht vergessen zu werden? Petrus lass es noch Sommer werden. Ich trage Pullover, anstatt leichte Kleidung. Großer Regen, kalt wie im Winter 2022/23! Es werden Regenschirme benützt anstelle Sonnencreme. Sommerloch, Sommerlöcher können eine Wirkung erzeugen wie Schlaftabletten, wenn aus einem Sommer ein Winter wird.

  6. 9.

    Antwort auf "Peter der Große" vom Samstag, 05.08.2023 | 12:09 Uhr
    "Irgendwie ist das Wetter ein tiefes Sommerloch, zum Leidwesen der Schulkinder." Ich glaube, die Kinder haben damit weniger Probleme, als die Eltern, da man die Kids nicht einfach nach draußen schicken kann. Es gibt so viel schöne Angebote, organisieren Sie den Kindern schöne Ferien!

  7. 8.

    Antwort auf "Brigitta S." vom Samstag, 05.08.2023 | 11:33 Uhr
    "Dabei hätte die Presse jetzt die Chance gut vorbereitet zu sein für den Herbst um dann zu kontern was im Land nicht gut läuft. " Oder herauszufinden, was GUT läuft, ja, das gibt es! Und damit die Menschen mal wieder positiv zu stimmen, weg von Heulerei und Bashing....

  8. 7.

    "gediegen" ist tägliche Umgagssprache im Ruhrpott, ansonsten ein Fachbegriff aus der Metallurgie. Das Wort wird sehr oft benutzt.

  9. 6.

    Ich hatte Ihren Beitrag insofern gelobt, dass ich diesen besser finde, als die "Wasserstandsmeldungen" aus der gleichen Redaktion zu gewissen Themen und angemahnt, auf Wasserstandsmeldungen, egal zu welchem Thema, zu verzichtenm.
    Der Beitrag war ein mutiger Versuch, mal Einblick in die leeren Redaktionen/-arbeitsplätze etc.zu geben- Nur wünschte ich mir in der Nachrichten armen Zeit mehr sinnvolle Beiträge über die "Perlen" des wahren Lebens in der Region BER-Bbg und auch mal über den Tellerrand hinausguckend. So vermisse ich Beiträge, über die toughe Eiscafe-Besitzerinnen, die häufig in wunderschönen, aber kaum besuchten Altstadt-Perlen der Mark ihr Geschäft am Laufen halten. Oder darüber, wie es "mit dem Oder kieken" in Schwedt weitergeht. Die stationären Cafes haben geschlossen 'Wr haben Urlaub' oder sind aufgegeben worden, und - was ist aus dem einfachen, aber herzlichen Cafe an der Brücke geworden? Schwedt ist eine grüne Stadt. Das Brücken-Cafe war oder ist (?) Klasse!

  10. 5.

    Den Worten möchte ich mich gern anschließen. Der Artikel ist top und amüsant geschrieben. Auch das ist intelligenter Journalismus. Leider gibt es in den letzten Jahren viel zu wenig davon. Sonst hetzt nur noch nach reißerischen Katastrophenmeldungen. Vielen Dank für diesen Artikel.

  11. 4.

    Danke für diesen schönen Beitrag! Und für die Verwendung des Wortes "gediegen" möchte ich Sie feiern! Das verwendet sonst nämlich keiner mehr ;-)

  12. 3.

    Irgendwie ist das Wetter ein tiefes Sommerloch, zum Leidwesen der Schulkinder.

  13. 2.

    Sommerloch- Sauregurkenzeit, für die Gesellschaft zuhause kein Problem, aber wahrscheinlich für die Presse. Der Bundestag ist verwaist, viele Bürger sind verreist. Stress hat die Presse um ihre Zeitungsseiten füllen zu können, aber mit was? Wenn dann seichte Themen gebracht werden im Mix, da lässt das Interesse der Zuhausegebliebenen nach. Dabei hätte die Presse jetzt die Chance gut vorbereitet zu sein für den Herbst um dann zu kontern was im Land nicht gut läuft. Der Politik- Herbst wird heiß werden. Themenarmut im Sommerloch? Das Thema zum Bsp. „Wohin mit Haustieren“? Wo, wie die Politiker, Promis Urlaub machen, dass sind schon uninteressante News und Bilder durch das ganze Jahr.

  14. 1.

    Vielen Dank für diesen schönen Text aus dem Fast-nichts heraus. Hat mich gerade das Wochenende mit einem breiten Grinsen und einem lauten Lachen beginnen lassen. Es müssen nicht immer nur schlechte Nachrichten sein. Davon hatten wir ja schon genug.

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