Gewalt in Beziehungen - Neue App soll Opfern häuslicher Gewalt anonym helfen

Fr 03.11.23 | 14:17 Uhr | Von Philip Barnstorf
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Symbolbild:Eine Frau sitzt neben einem gesprungenen Spiegel auf einem Bett und hält ihren Kopf in den Händen. (Quelle: dpa-Bildfunk/Jonas Walzberg)
Bild: dpa-Bildfunk/Jonas Walzberg

Schläge, Erniedrigungen, Überwachung des Handys: Gewalt in Beziehungen kann viele Formen annehmen. Die Opfer sind meist Frauen. Mithilfe einer neuen App sollen sie sich besser schützen können - und Täter vor Gericht bringen. Von Philip Barnstorf

Fast eine Viertelmillion Menschen, meist Frauen, sind 2022 in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt geworden. Ein Anstieg um 8,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und das sind nur die vom Bundeskriminalamt erfassten Fälle. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen.

Stefanie Knaab will das nicht hinnehmen. "Ich bin selbst durch die Gewaltspirale in einer Beziehung gegangen", sagt sie. "Erst wurde der Täter subtil und dann immer offensichtlicher übergriffig. Dann entschuldigte er sich groß mit Blumen, Schmuck und vermeintlich romantischen Aktionen. Aber dann passierte die Gewalt immer wieder."

Sie habe es schließlich geschafft, sich aus der Beziehung zu befreien. Im Nachhinein sagt sie: "Für mich war es damals sehr schwer, die Struktur der Gewalt zu erkennen." Viele Frauen wüssten nicht, dass der Partner psychische Gewalt ausübt, wenn der Partner sie fortwährend verbal degradiert. Knaab entwickelte deshalb die Idee zu einer App, die das Bewusstsein der Frauen stärken und die Dokumentation der Gewalt erleichtern soll.

"Viele Frauen trauen sich nicht, sich jemandem anzuvertrauen"

2020 gewann Knaab bei einem Hackathon der Bundesregierung den Auftrag, gemeinsam mit Experten von Opferschutzverbänden, Rechtsmedizin, Kriminologie und Polizei ihre App-Idee zu verwirklichen. Inzwischen finanziert das Bundesinnenministerium nach eigener Aussage die Entwicklung und den Rollout mit 3,72 Millionen Euro.

Die derzeit als Pilotprojekt laufende App ist bewusst geschützt und wird derzeit von Betroffenen getestet. Um die Glaubwürdigkeit und Integrität der App zu gewährleisten, stellen Knaab und ihre Mitarbeiter sie nicht öffentlich jedem zur Verfügung. "Unsere App gelangt nur an Frauen, die wirklich betroffen sind", sagt Knaab. Wie sie das genau machen, will sie nicht sagen, auch weil viele Täter ihre Opfer stark kontrollierten. "Wir haben mehrere Verteilungskanäle und erreichen die Frauen an ihren alltäglichen Orten."

Derzeit benutzen mehr als 1.000 Frauen, die in ihren Beziehungen häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, das Programm. Dabei müssen sie sich nicht anmelden oder identifizieren, aus gutem Grund: "Das Thema häusliche Gewalt ist immens stigmatisiert", sagt Knaab. "Viele Frauen trauen sich nicht, sich jemandem anzuvertrauen, und ihnen wird sehr häufig auch nicht geglaubt."

Stefanie Knaab (Quelle: Lisa Schulz)Stefanie Knaab, Gründerin der App

App empfiehlt individuelle Hilfsangebote

Die App zeigt den Frauen daher anonyme Aussagen anderer Gewaltopfer, wie etwa: "Ich habe in meiner Beziehung das Gefühl, dass ich nichts richtig machen kann", oder: "Mein Partner kontrolliert meine finanziellen Ausgaben". Die Nutzerinnen können diesen Sätzen dann zustimmen oder sie ablehnen. So sollen die Frauen merken, dass sie nicht alleine sind mit solchen Problemen.

Außerdem empfiehlt die App entsprechend der Antworten Hilfsangebote wie etwa spezielle Beratungsstellen oder regionale Frauenhäuser. "Weil viele sich nicht trauen, sich Unterstützung zu holen, wollen wir hier eine Brücke bauen", sagt Knaab, die die App gemeinsam mit acht Mitarbeitern im Verein Gewaltfrei in die Zukunft betreibt.

Wenn Frauen die Gewalt immer wieder beschreiben und/oder entsprechende Fotos machen, unterstützt dies den Gerichtsprozess und die Glaubwürdigkeit.

Stefanie Knaab

Frauen können mit der App Gewalt gegen sie dokumentieren

Häusliche Gewalt ist vor Gericht häufig schwer nachzuweisen. Viele Opferanwälte raten ihren Klientinnen daher, die Täter gar nicht erst vor Gericht zu bringen, um sich einen quälend langen Prozess mit ungewissem Ausgang zu sparen. Um hier Abhilfe zu schaffen, sollen Frauen mithilfe der App die gegen sie gerichtete Gewalt so dokumentieren, dass sie sie vor Gericht besser beweisen können. So können Frauen in der App Beschreibungen der Gewalt und Fotos etwa von Verletzungen oder Sachbeschädigungen machen und speichern.

"Wir ersetzen damit kein rechtsmedizinisches Gutachten", sagt App-Gründerin Knaab, "Aber wenn Frauen die Gewalt immer wieder beschreiben, und/oder entsprechende Fotos hochladen, unterstützt dies den Gerichtsprozess und die Glaubwürdigkeit."

Info

Stefanie Knaab ist vom Verein "Gewaltfrei in die Zukunft". Betroffene Frauen in Brandenburg finden auch Hilfe über das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser e.V. - auf der Website sind für jede Region die Telefonnummern der Frauenhäuser aufgeführt.

Betroffene Frauen in Berlin können sich über die BIG-Hotline einen Platz in einem Frauenhaus vermitteln lassen: 030 / 611 03 00 - unter dieser Nummer bekommen auch Personen aus dem Umfeld der Frauen Hilfe und Beratung. Auch die Frauenberatungsstellen in Berlin können helfen.

Außerdem gibt es ein bundesweites "Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen". Die Nummer 08000 116 016 ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar.

Bei akuten Fällen von häuslicher Gewalt rufen Sie bitte immer die Polizei unter der 110 an.

App soll bald "stillen Notruf" ermöglichen

Gemeinsam mit ihren Mitarbeitern sowie Experten vom Niedersächsischen Landeskriminalamt und der Berliner Innensenatsverwaltung wertet Knaab das anonyme Nutzerinnenverhalten aus, um das Programm weiterzuentwickeln. Gerade arbeitet das Team zum Beispiel daran, einen sogenannten "stillen Notruf" einzurichten. Wenn Frauen ihre Adresse in der App hinterlegt haben, sollen sie mit einem Knopfdruck die Polizei rufen können. Dabei müssen die Frauen nicht sprechen. Das könne wichtig sein, wenn der Partner etwa vor der Tür steht und sie bedroht.

Knaab und ihre Mitstreiter arbeiten außerdem an einer Funktion, mit der Frauen Fotos, die sie schon auf ihrem Handy haben, als Beweismaterial hochladen können. "Betroffene haben uns mitgeteilt, dass sie von ihren Partnern per Whatsapp bedroht werden oder hunderte kontrollierende Anrufe bekommen", sagt Knaab. "Wir wollen es deshalb einrichten, dass die App auch Screenshots dieser Nachrichten speichern kann."

App bisher nur in Hannover und Berlin verfügbar

Derzeit wird die App in Pilotprojekten in Berlin und Hannover getestet. Nächstes Jahr soll sie in ganz Niedersachsen verfügbar sein und in Berlin sollen weitere Verteilungskanäle hinzukommen. "Ab 2025 wollen wir die App auch in weiteren Bundesländern anbieten", sagt Knaab. "Wir haben schon viele Anfragen."

Beitrag von Philip Barnstorf

11 Kommentare

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  1. 11.

    Mimimi - Mia hat recht: Über 80 % der Opfer häuslicher Gewalt sind Frauen, aber nur 21 % der Tatverdächtigen! Stündlich erleiden 13 Frauen Gewalt in der Partnerschaft und fast jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet! Und da jemmern sie, dass die App ein Projekt nur für Frauen ist? Diese Arroganz und dieser Futterneid sind unerträglich.
    https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/haeusliche-gewalt-im-jahr-2022-opferzahl-um-8-5-prozent-gestiegen-dunkelfeld-wird-staerker-ausgeleuchtet-228400

  2. 10.

    Das ist aber nicht nett.
    3,72 Mio. Steuergeld bekommt die Initiative, mit der ausschließlich Frauen geschützt werden sollen. Es gibt solche Gelder nicht für geschlechtsübergreifende oder gar männlich Initiativen. Bis heute ist nicht mal das Geld für das Forum Soziale Inklusion ausgeschüttet worden, wie es vom Bundestag beschlossen worden war.
    Natürlich bringen Männer mit solchem Geld auch etwas auf die Beine. Sie erhalten es nur nicht.
    Warum wird diese App nicht auch männlichen Gewaltopfern zur Verfügung gestellt, wenn sie doch von Steuergeld finanziert wird?

  3. 9.

    Wie gut, dass so eine App entwickelt wird. Und wie traurig, dass Männer zu dem Thema hier als erstes kommentieren, dass es auch Gewalt gegen sie gibt. Ja, gibt es natürlich. Aber der unfassbar überwältigend große Anteil der furchtbaren Gewalt geht nun mal von Männern aus, gegen Frauen und das könnte man als Mann auch einfach mal sehen und entsprechend empathisch und unterstützend sein.

  4. 8.

    Schön, daß es dieses Projekt gibt. Aber noch besser ist die Erforschung und Öffentlichung, wie und warum die Täter zu solchen Handlungen fähig werden und wie man das verhindern kann.

  5. 7.

    "aber warum wird ein so ambitioniertes Projekt nur eingleisig gefahren?

    Ganz einfach - die App wurde von einer Frau für misshandelte Frauen entwickelt. Scheinbar entwickeln Männer keine Hilfsangebote für Männer. Also, Männer, auf gehts! Tut was für euch selbst - die Frauen machen es euch schon seit Jahren vor...

  6. 6.

    Es gibt durchaus Beratungsstellen für Manner die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, melden Sie sich doch einfach dort und suchen Sie sich eine Selbsthilfegruppe.
    Frauen sind allerdings deutlich häufiger massivster Gewalt ausgesetzt und können sich schlechter wehren. Da Männer in der Regel deutlich stärker sind als Frauen haben diese stärkere körperliche Schäden nach einem Angriff. Sind Kinder vorhanden sind Frauen zumeist finanziell abhängig denn durch die Carearbeit macht man nicht eben Karriere. Außerdem haben Frauen auch größere Hemmschwellen sich zu wehren da wir immer noch dazu erzogen werden lieb und freundlich zu sein. Nicht zu vergessen: Frauen sind selbst schuld.
    Das habe ich persönlich bei einer Mediation erlebt. Obwohl der Mann Psychoterror betrieb wurde er als Opfer behandelt und ich war so böse dass ich mich von diesem netten Mann getrennt hatte.

  7. 5.

    Wobei es mittlerweile wohl auch Zahlen gibt, die Gewalt gegen Männer im häuslichen Bereich beschreiben. Tendenz steigend. Heute ein Bericht auf NTV.

  8. 4.

    Ich verstehe ja das die Quote bei Gewalt an Frauen sicherlich deutlich höher ist, aber warum wird ein so ambitioniertes Projekt nur eingleisig gefahren? Männer werden wohl nie psychischer Gewalt ausgesetzt? Ich finde es bedauerlich das in einer so aufgeklärten Gesellschaft einfach die andere Seite komplett ignoriert wird. Ich hätte gerne auch manchmal mehr Rat und Hilfe als Mann. Erlebe auch sowas wie ständige Kontrollanrufe usw.

  9. 3.

    Sowas ist immer gefährlich da es auch missbraucht werden kann.
    Übrigens Männer sind sehr oft die Opfer aber outen sich natürlich noch viel viel weniger als Frauen.

  10. 2.

    Warum wird der Name der App nicht groß und breit, jedenfalls sofort ins Auge springend geschrieben? Es gibt sicher Personen, die den Bericht nur 5-10 Sekunden lang ansehen können.

  11. 1.

    Ich hoffe von Herzen, dass diese App hält was Sie verspricht und die Frauen die Gewalt gegen sie dann wirklich dokumentieren können, um so Beweismittel in der Hand zu halten. Wie grausam können Menschen sein? Den furchtbarsten Abschnit fand ich diesen:
    "Viele Opferanwälte raten ihren Klientinnen daher, die Täter gar nicht erst vor Gericht zu bringen, um sich einen quälend langen Prozess mit ungewissem Ausgang zu sparen."
    Das muss sich ändern, damit die Täter auch belangt werden können.

    Ich wünsche allen betroffenen Frauen viel, viel Kraft auf ihrem steinigen Weg

    Hoffentlich hilft diese App

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