Neuruppiner Landgericht - Mann tötete Frau in Oranienburger Bunker - Revisionsprozess beginnt
![Das Schild vor dem Eingang zum Landgericht und zur Staatsanwaltschaft Neuruppin. (Quelle: dpa/Soeren Stache) Das Schild vor dem Eingang zum Landgericht und zur Staatsanwaltschaft Neuruppin. (Quelle: dpa/Soeren Stache)](/content/dam/rbb/rbb/rbb24/2023/2023_12/dpa-account/Landgericht-Neuruppin.jpg.jpg/size=708x398.jpg)
Im Juli 2021 wurde Bianca S. erstochen in einem SS-Bunker in der Nähe von Oranienburg aufgefunden. Ihr Ex-Freund wurde verurteilt - wegen Totschlags. Der Bundesgerichtshof geht aber von Mord aus. Am Freitag beginnt der Revisionsprozess. Von Lisa Steger
Tagelang hatte die Polizei im Sommer des Jahres 2021 mit Fotos unter anderem auf Bahnhöfen nach der vermissten Bianca S. gesucht: Vergebens, die Mutter eines fünf Jahre alten Kindes meldete sich nicht.
Ermittler fanden sie schließlich in einem Funkbunker in Friedrichsthal, einem Ortsteil von Oranienburg im Kreis Oberhavel. Sie war mit zahlreichen Stichen umgebracht worden. Kurz darauf nahm die Polizei den damals 29 Jahre alten Kurt L. fest, den Ex-Freund der 26-Jährigen. Das Landgericht Neuruppin sah es am 22. Februar 2022 als erwiesen an, dass er Bianca S. in den Bunker gelockt und getötet hatte. Siebenmal habe er zugestochen, teilweise auch von hinten, so das Gericht. Vor allem DNA-Spuren an der Leiche überführten ihn.
Sogenannte Mordmerkmale wie Heimtücke oder niedrige Beweggründe, die eine lebenslange Strafe nach sich ziehen würden, sah die Strafkammer nicht. Deshalb verurteilte sie Kurt L. nur wegen Totschlages. Er bekam zwölfeinhalb Jahre Haft und sitzt derzeit im Gefängnis. Für Totschlag sieht das Gesetz Strafen zwischen fünf und 15 Jahren vor.
Bundesgerichtshof stellt handwerkliche Fehler fest
Die Staatsanwaltschaft Neuruppin und die Mutter des Opfers, die als Nebenklägerin im Prozess vertreten war, gingen in Revision, denn sie hatten eine Verurteilung wegen Mordes beantragt.
Zu Recht, wie der Bundesgerichtshof im März 2023 urteilte (Aktenzeichen 6 StR 324/22). Denn die Beweiswürdigung des Landgerichts sei "lücken- und damit rechtsfehlerhaft" gewesen. "Wesentliche Feststellungen" habe die Strafkammer nicht berücksichtigt, "naheliegende Schlussfolgerungen nicht erörtert" und "einzelne Beweisanzeichen nur isoliert bewertet", so die Urteilsbegründung des BGH. Deshalb muss jetzt eine andere Strafkammer im Landgericht Neuruppin den Fall noch einmal aufrollen.
Die Begründung: Vieles spricht nach Ansicht des BGH dafür, dass Kurt L. seine Tat heimtückisch verübt habe; Heimtücke ist ein Mordmerkmal und bedeutet, dass das Opfer arg- und wehrlos war, und dass der Täter das ausnutzte.
So war es bei Kurt L., ist der Bundesgerichtshof sicher. Indem er seine Ex-Freundin dazu brachte, ihm in den Bunker zu folgen, habe er sie in eine Lage gebracht, in der sie kaum oder nicht entkommen konnte. Der Bunker besaß nur einen sehr schmalen Ausgang, 50 Zentimeter hoch und 50 Zentimeter breit.
Gewaltsames Ende einer Beziehung
Der Bundesgerichtshof beleuchtet zudem die Vorgeschichte. Schon länger habe Kurt L. versucht, sich auf Dauer von Bianca S. zu trennen, dies aber nicht geschafft. Somit liege es nahe, dass er schon vor dem letzten Treffen beschlossen habe, sie umzubringen, schreibt der BGH.
Im Internet habe Kurt L. nach abgelegenen Orten für einen Treffpunkt gesucht. So sei er auf den Funkbunker gekommen. Damit nicht genug: Er habe am Tattag, dem 15. Juli 2021, seinen Stechbeitel mit sich geführt. Dieses Werkzeug benötigte der Holzfacharbeiter-Azubi eigentlich nur für seine Arbeit. Doch Kurt L. hatte an diesem Tag Urlaub, betont der Bundesgerichtshof.
Das Neuruppiner Landgericht war zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass er sich erst im Bunker zur Tat entschlossen hatte. Doch für diese These gibt es nach Ansicht des BGH keine Anhaltspunkte.
Mutter wird den neuen Prozess verfolgen
Das Landgericht hat für den neuen Prozess vorerst fünf Termine bis zum 10. Januar 2024 angesetzt. Er beginnt am Freitag (8. Dezember). "Die Hauptverhandlung muss komplett wiederholt werden", teilt eine Gerichtssprecherin mit. "Vor diesem Hintergrund sind auch die meisten der Zeugen, welche im ersten Prozess vernommen wurden, erneut geladen."
Zu diesen Zeugen gehört auch die Mutter der Getöteten. "Meine Mandantin ist sehr angespannt, es ist absolut aufwühlend für sie", berichtet Anwältin Martina Goldkamp-Abraham auf rbb-Anfrage. Die Juristin vertritt die Mutter als Nebenklägerin. "Es ist ja auch so, dass alle Gedanken und Gefühle jetzt wieder aufleben." Die Aufarbeitung könne erst beginnen, wenn das Verfahren ganz abgeschlossen sei. "Es wühlt die ganze Familie auf."
Erstes Urteil überraschte viele
Die jetzt zuständige Strafkammer in Neuruppin ist in ihrer Entscheidung – Mord oder Totschlag – frei. Und auch gegen dieses Urteil können beide Seiten wieder in Revision gehen.
Dennoch ist eine Verurteilung wegen Mordes nicht ganz abwegig. Das erste Urteil hatte viele überrascht. Sechs der sieben Stiche waren von hinten gekommen. Für die Strafkammer stand trotzdem nicht fest, dass Bianca S. wirklich "arg- und wehrlos" gewesen war, als ihr Ex-Freund über sie herfiel, stellte der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann im Februar 2022 in der Urteilsbegründung fest.
Die 26-Jährige habe gewusst, das Kurt L. aggressiv war, denn er habe sie auch vorher schon bedroht. Ungeachtet dessen sei sie ihm in den Bunker gefolgt, so der Vorsitzende Richter.
Angeklagter offenbar ohne Bedauern
Der damals 29 Jahre alte Kurt L. hatte den Prozess ohne Anteilnahme verfolgt, auch der Verlesung der Anklage mit ihren grausamen Einzelheiten hörte er unbewegt zu. Bedauern oder Mitleid äußerte er nicht, weder im Gericht noch gegenüber dem forensischen Psychiater.
Seine Einlassung am ersten Prozesstag im Februar 2022 nutzte er, um sich abschätzig über die von ihm erstochene Bianca S. zu äußern. Sie habe "genervt", habe "ununterbrochen angerufen", so Kurt L. Und um ihr Kind habe sie sich nicht richtig gekümmert, tadelte der wegen Mordes Angeklagte.
Gegenüber dem Gerichtspsychiater hatte Kurt L. angegeben, dass er zwar mit der 26-Jährigen am 15. Juli 2021 in dem Bunker gewesen sei, dann aber einen Filmriss gehabt habe und sich anschließend mit Blut an den Händen vor dem Bunker wiederfand. Das überzeugte die Richter nicht. Kurt L. ist laut Gutachten voll schuldfähig. Anzeichen für eine Suchterkrankung oder eine psychische Störung konnte der Psychiater nicht feststellen.
Sendung: Antenne Brandenburg, 08.12.2023, 14 Uhr