RAF-Leben im Untergrund - "Man kann immer noch untertauchen, man muss nur wissen, wie Systeme funktionieren"

Di 27.02.24 | 18:05 Uhr
  13
Archivbild: An der deutsch-deutschen Grenzkontrollstelle Marienborn bei Helmstedt betrachtet ein Grenzbeamter ein Fahndungsplakat des Bundeskriminalamtes. Dieses sucht nach der Festnahme von Terroristen in der DDR im Zusammenhang mit Straftaten der "Roten Armee Fraktion" nach weiteren Verdächtigen. (Quelle: dpa/Weihs)
Video: rbb|24 | 29.02.2024 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: dpa/Weihs

30 Jahre lang lebte die Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette unendeckt in Berlin - nun flog sie auf. Rechtsanwalt und Journalist Butz Peters erklärt, was die Ermittler bisher über das Leben der dritten RAF-Generation im Untergrund wussten.

Am Dienstag vermeldeten die Ermittlungsbehörden einen Erfolg für sich: Das seit über 30 Jahren gesuchte Ex-RAF-Mitglied Daniela Klette wurde in Kreuzberg festgenommen. Doch wie kann man so lange im Untergrund leben? Darüber spricht rbb|24 mit dem Juristen und ehemaligen Moderator von Aktenzeichen XY... ungelöst, Butz Peters.

zur person

Archivbild: Der Rechtsanwalt und RAF-Experte, Butz Peters. (Quelle: dpa/Burgi)
dpa/Burgi

Butz Peters ist Jurist, Journalist und moderierte über Jahre die ZDF Sendung Aktenzeichen XY... ungelöst. Zudem schrieb er mehrere Bücher über die RAF.

rbb|24: Herr Peters, 30 Jahre konnte Daniela Klette im Untergrund unerkannt leben. Nun flog sie auf. Wie erklären Sie sich das?

Butz Peters: Es war vermutlich ein Erfolg der Zielfahnder, also Polizisten legten sich auf die Lauer, observierten, überwachten Telefone im Umfeld der Verdächtigen, beispielsweise bei Freunden und Eltern.

Wie tauchten denn bisherige Mitglieder der RAF ab?

Also über die dritte Generation weiß man nichts, weil von ihnen nichts gefunden wurde. Von den damals von den Sicherheitsbehörden geschätzten eineinhalb Dutzend Mitgliedern der dritten RAF-Generation zwischen 1984 und 1998 sind insgesamt drei Täter gefasst worden, nur ist keine einzige Wohnung von denen entdeckt worden. Bei den beiden Köpfen Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld wurden zwar drei identische Schlüssel gefunden für Haus, Wohnung und Briefkasten. Aber den Ermittlern ist es nicht gelungen, festzustellen, zu welcher Wohnung diese Schlüssel gehören.

Man weiß bei der zweiten Generation, dass sie in konspirativen Wohnungen gelebt haben. Die wurden häufig angemietet im studentischen Milieu, etwa über schwarze Bretter an Universitäten, wo jemand für eine Weile gesucht wurde. Teilweise wohnte man auch bei Gesinnungsgenossen. Die dritte Variante war, von irgendjemandem eine falsche Identität zu bekommen und sich dann einfach als diese Person auszugeben.

Wie sind untergetauchte RAF-Mitglieder bisher entdeckt worden?

Auf unterschiedliche Art und Weise. Manche wurden bei Taten erwischt, etwa Banküberfällen. Es gab erhebliche Fahndungsansätze der Polizei, etwa die Rasterfahndung, durch die RAF-Mitglieder gefasst wurden.

Beigetragen hatte damals auch eine große Sensibilisierung der Bevölkerung, der gesagt wurde, wenn bei euch Leute wohnen, die ihr nicht kennt und komisch wirken: Ruft doch mal bei den Behörden an. Also es waren häufig auch Hinweise von Nachbarn. Etwa, wenn sich in Waffen, mit denen RAF-Mitglieder hantierten, Schüsse lösten und das Nachbarn mitbekommen hatten.

Wie lief so ein Untertauchen denn ungefähr ab?

Wenn man eine andere Identität hat, ist Geld immer ein Thema. Fest steht, dass sich die erste und zweite Generation durch Banküberfälle finanziert hat. Hingegen ist das bei der dritten RAF-Generation nicht belegbar, wenn auch nicht fernliegend.

Außerdem braucht man eine Identität und man braucht vor allem auch eine gute Legende. Das heißt, dass man den Leuten, den Nachbarn auch erklärt, warum man so ist, wie man ist. Einige sind mal als Fotografen untergetaucht oder als Innenarchitektin. Nur bitte: Das war die Welt bis 1984. Da ist sozusagen die letzte Truppe der zweiten Generation. Alles, was ab '84 passiert ist nicht aufgeklärt.

Natürlich ist es auch nicht auszuschließen, dass gerade bei der dritten Generation am Ende Personen sogar gar nicht mehr in den Untergrund abgetaucht sind, sondern irgendwo bürgerlich weitergelebt haben

Gibt es denn Berichte über das Leben im Untergrund, kann man sich jemals daran gewöhnen oder ist das einfach immer ein Dauerstress?

Für die meisten RAF-Mitglieder im Untergrund war das Leben im Untergrund permanenter Stress. Es gibt eine Reihe von Berichten aus der ersten und zweiten Generation. Es war die permanente Angst vor Verhaftung, der Blick, ob einen nicht irgendjemand beobachten könnte sowie das erzwungene Verhalten, bloß kein Fehler zu machen, etwa wenn man mit Nachbarn spricht. Es hat ja einige Fälle gegeben, die zum Auffliegen führten. In einem Fall hatte eine Frau zu viel 100-Mark-Scheine bei einer Wohnungsbesichtigung dabei, das hat eine Fahndung ausgelöst. In einem anderen Fall sind Waffen aufgefallen.

Es gibt auch einige RAF-Aussteiger, die 1980 in die DDR übergesiedelt sind. Wegen ihrer Aussagen weiß man, dass ihnen der Stress zu groß war und sie Angst hatten, bei einem Feuergefecht ums Leben zu kommen.

Spielt Ideologie nach Jahren im Untergrund überhaupt noch eine Rolle oder gerät die in den Hintergrund?

Da muss man differenzieren. Es gibt so ein paar Hardcore-Typen wie Brigitte Mohnhaupt. Das wäre die ungekrönte Königin der zweiten RAF-Generation des Deutschen Herbstes. Sie und Christian Klar waren Hardliner und traten auch so auf. Viele andere waren zarter besaitet, die hatten die Faxen dicke und - ich sag's mal in Anführungszeichen - wollten wieder nach Hause zu ihrer Familie und waren furchtbar traurig darüber, dass sie nicht mehr im Kreis ihrer Familie Weihnachten feiern konnten.

Stichwort Familie – welche Rolle spielten Familie und Freunde beim Untertauchen?

Leute, die untertauchen sind in der Regel schon eine Weile in der Szene drin, haben also die richtigen Kontakte gehabt. Aber für alle Untergetauchten heißt das dennoch vorsichtig sein, weil Zielfahnder der Polizei auch in der Szene unterwegs sind. Das heißt, wer in den Untergrund geht, muss einen ziemlich harten Cut machen und praktisch seine ganzen Freunde, seine Familie weitgehend vergessen.

Es gibt dann immer wieder so einzelne Treffen, die dann organisiert werden, um noch Kontakt zu halten. Aber es ist natürlich ein extremes Risiko, wenn jemand in den Untergrund geht. Jetzt im Fall von Daniela Klette waren ja bis zu 150.000 Euro als Belohnung ausgeschrieben. Eine Belohnung ist aus Sicht des Abgetauchten eine große Gefahr, wenn man jemanden nicht so gut kennt oder eine Person mal Geld braucht und einen dann verpfeift.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es weiterhin ein RAF-Netzwerk gibt?

Also ein Netzwerk wird es mit Sicherheit so nicht geben. Die RAF hat sich ja 1998 aufgelöst, weil sie erkannt hatte, dass sie mit ihren Morden nicht weiter kommt und nichts ändern kann. Aber was es noch gibt, ist eine Verbindung von ehemaligen RAF-Mitgliedern, die praktisch aufgrund ihrer Ideologie noch miteinander verwoben sind. Da gibt es Kommunikationsstränge

Zum letzten Mal deutlich geworden ist das in bei dem Verfahren 2012 gegen Verena Becker, die ja an dem Buback-Mord beteiligt war. Dann liefen die Genossen von einst als Zeugen auf und sagten: gar nichts. Man wusste, dass es unter ihnen Absprachen gab.

Heutzutage gibt's ja beispielsweise immer komplexere Authentizitätsmerkmale auf Ausweisen, digitale Kommunikation lässt sich teils besser überwachen als früher. Ist das Zeitalter, wo man untertauchen könnte, langsam vorbei?

Nein, man kann immer noch untertauchen. Man muss einfach wissen, wie die Systeme funktionieren. Wenn man das weiß, handelt man entsprechend. Wer beispielsweise einen nicht-belastbaren Ausweis hat, fliegt nicht. EU-weit kann man dennoch weit reisen. Nehmen Sie den Fall, jemand wohnt in einer Wohnung und will nicht, dass er in Erscheinung tritt. Er kann mit jemandem zusammenwohnen und einen Kumpel haben, der dafür sorgt, dass entsprechende Konten angelegt werden. Beim Arzt darf man nicht ankommen mit einer gefakten Gesundheitskarte, sondern muss eben sagen: Ich bin Privatpatient, schicken sie mir die Rechnung. Oder man zahlt gleich bar. Das funktioniert bei bestimmten Ärzten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Julian von Bülow.

 

Sendung: rbb24 Antenne Brandenburg, 28.02.2024, 13.20 Uhr

13 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 13.

    Warum sind eigentlich die Leite so Mimosen geworden? Da schreibt jemand "euch" und schon platzt die Hutschnur. Chillt mal ein bisschen.

  2. 12.

    Na, KaDe, dann erläutern Sie mal, woher Sie Ihr Wissen nehmen. Da hat Herr Butz, der sich ausgiebig mit der Thematik jahrzehntelang beschäftigt hat, also Unsinn erzählt. Und sämtliche Ermittlungsbehörden streuen Unwahrheiten, um Ihr Dasein zu sichern. Sie aber wissen bestens Bescheid, aha…

  3. 11.

    "Man kann kein Handy nutzen mit GPS und verläuft sich ständig."
    Aber nur wenn man Gen. Z ist, wir "Alten" kommen noch ohne GPS zurecht.

    Zum Thema: Abtauchen ist doch gar nicht so schwer, einfach offline gehen.

  4. 10.

    Das von Ihnen gezeichnete Bild stimmt vorn und hinten nicht.
    Beispielsweise, wir, bereits erwachsen, haben zu dieser Zeit in Frankfurt / Main gewohnt und waren viel unterwegs, aber von Polizeistaat keine Spur vernommen, nur einmal sind wir in eine Fahrzeugkontrolle geraten.
    Übrigens fuhren wir olle Autos, viertürer

  5. 8.

    Butz Peters ist Jurist, Journalist und moderierte über Jahre die ZDF Sendung Aktenzeichen XY... ungelöst. Zudem schrieb er mehrere Bücher über die RAF.

    Also sein Geschäftsmodell. Tausend Zeichen sind nicht viel. Ich versuche dennoch mein Bild der "RAF" zu erklären, die es so nie gab.

    Sie sog. "Erste Generation" waren verwöhnte Kinder der Bourgeoisie, die sie bekämpfen wollten. Da existieren wirre Pamphlete, da liest sich Karl Marx oder Erich Mühsam gegen noch logisch.

    Die "Zweite Generation" war professioneller, die waren echt gefährlich und haben Deutschland in einen Polizeistaat verwandelt. Da war jeder verdächtig der damals lange Haare und einen ollen Käfer hatte. Es war nicht lustig so in eine Kontrolle zu kommen und zu hoffen dass der Beamte mit der durchgeladenen MP sich nicht erschrickt.

    Die "Dritte Generation" ist eine Erfindung/Übertreibung der Geheimdienste/Polizei/Staatsanwaltschaften. Der irre teure Überwachungsapparat mußte ja irgendwie gerechtfertigt werden.

  6. 7.

    "Das Gespräch führte Julian von Bülow".
    Ist der denn auch für die Verschriftlichung verantwortlich und für solche Schwächen: "... Es ist immer das erzwungene Verhalten, bloß kein Fehler zu machen, ... "?
    PISA-Versager als Journalisten! Naja, Hauptsache das Bürobad steht!

  7. 6.

    Warum also ist der Staat dem Bürger gegenüber so unhöflich und vereinnahmend geworden? Btw. das war auch ein Vorwurf der 60-er-Revolte.

  8. 5.

    Ein weiterer grosser Nachteil des Leben im Untergrunds:
    Man kann kein Handy nutzen mit GPS und verläuft sich ständig.
    Deshalb kann man sie wahrscheinlich auch so schlecht finden, weil sie selber nicht wissen wo sie sind :)

  9. 4.

    Ich kann Sie beruhigen. Damals wurde der normale Bürger und das Volk eher nie geduzt.

  10. 3.

    Also, mich törnt dieses Geduze des Volkes, des Bürgers einfach ab. So sehr, dass ich dem hier nicht folgen würde, selbst wenn:
    "Beigetragen hatte damals auch eine große Sensibilisierung der Bevölkerung, der gesagt wurde, wenn bei euch Leute wohnen, die ihr nicht kennt und komisch wirken: Ruft doch mal bei den Behörden an."

  11. 2.

    Da würde mich doch mal interessieren, wie hoch die Anzahl der Merhrfachidentitäten mit Sozialleistungsmissbrauch in Berlin ist.
    Gibt doch sonst zu jedem Thema Studien und Prognosen.

  12. 1.

    Das Foto finde ich gut. Da schaut sich ein DDR- Volkspolizist das westdeutsche Fahndungsplakat derjenigen Terroristen an, welche sein eigener Staat das Untertauchen in der DDR ermöglichte.

Nächster Artikel