Reerdigung in Brandenburg - Noch viele Berührungsängste bei Kompostierung von Toten

Sa 02.03.24 | 13:15 Uhr | Von Stephanie Teistler
  55
Symbolbild: Heu, Stroh, Blumen und eine Holzfigur liegen in einem sogenannten "Kokon" bei einem Pressegespräch zu der neuen Bestattungsform "Reerdigung" in einer Kapelle. (Quelle: dpa/Charisius)
dpa/Charisius
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 03.03.2024 | Ismahan Alboga | Bild: dpa/Charisius

Schleswig-Holstein erlaubt es bereits im Modellprojekt: die Kompostierung von Toten, die sogenannte Reerdigung. In Brandenburg sind Teile der Politik offen gegenüber der neuen Bestattungsform, aber es gibt auch viele Bedenken. Von Stephanie Teistler

Auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf ruhen die Verstorben nach einer Erd- oder Feuerbestattung. Es sind die beiden einzigen Bestattungsformen, die laut dem Brandenburgischen Bestattungsgesetz zugelassen sind. Die sogenannte Reerdigung gibt es hier, wie in fast allen Bundesländern, nicht.

Friedhofsleiter Olaf Ihlefeldt könnte sich diese Art der Bestattung künftig aber auch hier vorstellen. "Wir sind dem Thema gegenüber auf jeden Fall offen, denn die Menschen suchen nach neuen Möglichkeiten", weiß Ihlefeldt.

Wie funktioniert Reerdigung?

Bei einer Erdbestattung im Sarg dauert es etwa 20 Jahre, bis der Leichnam zu Erde kompostiert. Die Reerdigung verspricht, diesen Prozess in 40 Tagen umzusetzen. Dafür wird der Körper in eine Mischung aus Stroh, Heu und Pflanzenkohle gelegt, verschlossen in einer Art Kokon. Unter konstanter Temperatur um die 70 Grad und Sauerstoffzufuhr erledigen Mikroorganismen den Rest.

Für diese Form der Bestattung gibt es in Deutschland bisher nur einen Anbieter. Eine Studie, die von den Gründern in Auftrag gegeben wurde, kommt zum Ergebnis, das tatsächlich nach 40 Tagen im Kokon Humus entstanden ist. Die übrigen Knochen hätten demnach den Zustand wie nach 20 bis 50 Jahren Erdruhe gehabt, menschliches Gewebe sei in den Proben auch mikroskopisch nicht mehr festzustellen gewesen.

Innenministerium kritisiert "Schnellkompostierung"

Um dieses Ergebnis zu erreichen, wird während des Reerdigungs-Prozesses der Kokon regelmäßig bewegt, damit sich die Flüssigkeit darin gleichmäßig verteilt. Das Brandenburger Innenministerium findet auch deshalb an der Methode Anstoß. Dass der Leichnam während des Prozesses regelmäßig gedreht würde, entspreche keiner pietätvollen Behandlung des Toten.

Im Antwortschreiben auf eine kleine Anfrage der Grünen wird außerdem auf weitere Fragen der Pietät hingewiesen. Das "Schnellkompostierverfahren" entspreche nicht der Würde des Verstorbenen. Bestrebungen, die Reerdigung neben der Sarg- und Urnenbestattung anzuerkennen, seien deshalb nicht geplant.

Der Landtagsabgeordnete Heiner Klemp (Grüne), der die kleine Anfrage mit gestellt hat, ärgert sich darüber. Er wünscht sich eine gesellschaftliche Debatte. Klemp sehe nicht, wie die Reerdigung das allgemeine Pietätsempfinden verletze. "Aber die Frage ist, möchte ich das jemand anderem verwehren, der diese Form der Bestattung will?" Klemp sagt, er wünsche sich in diesem Bereich "Technologieoffenheit".

Viele offene Fragen

Bei den übrigen Fraktionen überwiegt die Skepsis gegenüber der Reerdigung. Viele Fragen seien noch offen. Johannes Funke von der SPD fürchtet etwa um den weiteren Bedeutungsverlust von Friedhöfen als Gedenkorten. Er betont aber auch die Position der Kirche, die keine ethischen Bedenken gegen die Reerdigung habe.

Die AfD-Fraktion lehnt die Reerdigung ab. Man halte an einer Bestattungskultur fest, die dem Gedenken der Verstorbenen einen Anknüpfungspunkt gebe, sagt Fraktions-Chef Hans-Christoph Berndt. "Unsere Toten sind keine Biomasse."

In der Linksfraktion habe man sich noch keine abschließende Meinung zur Reerdigung gebildet, man beobachte aber den Versuch, den es in Schleswig-Holstein gibt. Entscheidend sei der Wille der Verstorbenen, so Marlen Block, rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, "solange sich deren Vorstellungen mit den allgemeinen Regelungen zur Hygiene vereinbaren lassen."

BVB/Freie Wähler sehen in der Reerdigung keinen Vorteil gegenüber der Feuerbestattung, finden den Ansatz "aber durchaus makaber". Insbesondere die Hoffnung darauf, dass die Reerdigung umweltfreundlicher sei, sei zu bezweifeln. Allerdings sagt Matthias Stefke, innenpolitischer Sprecher der Gruppe, auch: "Wenn die Studien aber keine negativen Konsequenzen feststellen, sehen wir keinen Grund, den Bürgern diese Bestattungsmethode zu verbieten."

Die CDU-Fraktion hat sich laut einer Sprecherin noch nicht mit dem Thema beschäftigt.

Wie geht es weiter?

In einer Pilotphase fanden in Schleswig-Holstein seit 2022 Reerdigungen statt. Der Kieler Landtag hat Anfang dieses Jahres außerdem beschlossen, die Bestattungsform weiter zu erproben. Der durch Reerdigung entstandene Humus darf außerdem auf Friedhöfen in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg beerdigt werden.

Für Olaf Ihlefeldt vom Südwestkirchhof Stahnsdof sind noch viele praktische Fragen nicht beantwortet. Welche Friedhofsplätze kämen für eine Reerdigung infrage? Wie funktioniert die Logistik, in der die Biomasse vom Ort der Reerdigung zum Friedhof geschafft wird?

Bis es daran geht, solche Fragen zu beantworten, wird aber noch einige Zeit ins Land gehen. In dieser Legislatur wird das Bestattungsgesetz nicht noch einmal geändert werden. Für Heiner Klemp ist die Debatte dennoch nicht zu Ende. Er will noch einmal auf das Innenministerium zugehen.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 03.03.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Stephanie Teistler

55 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 55.

    Die Gebeine werden etwas tiefer als für Erdbestattungen üblich neu eingegraben.

  2. 53.

    Au watte, "Der Preis für diese Bestattungsart sollte an die Energiekosten gekoppelt werden.".
    Ich kann mir vorstellen, "Linde" hat sich entschieden, sich im Wald auslegen zu lassen.
    "Energiekosten" kommen da lediglich für den Transport auf.

  3. 52.

    Ich habe auf den Kommentar von Linde geantwortet dass wegen der Verwesung nur Urnen und keine Särge in Wäldern beigesetzt werden dürfen.
    Und wenn keine Verwesung mehr stattfindet weil dort nur die Asche der Toten in den Boden gebracht werden darf werden Urnen natürlich auch nicht von Tieren ausgebuddelt.

    Vielleicht lesen Sie erstmal die Kommentare auf die geantwortet wird, dann erübrigt sich manches von selbst.

  4. 51.

    In Friedwäldern dürfen nur Urnen eingebracht werden, die sich zersetzen. Sie werden also nicht nach 25Jahren ausgebuddelt und irgendwo entsorgt.

  5. 50.

    Die können, wie bei z.B. der Kremierung üblich, problemlos nachher ausgesondert werden. Auch werden bei der "Feuerbestattung" die verbliebenen Knochen gemahlen und zusammen mit der Asche in die Urne gegeben. Es ist also auch machbar dies analog bei der Kompostierung als mineralische Beigabe zu machen.
    Die Knochenreste bei einer Erdbestattung werden, im Gegensatz zu süd- oder osteuropäischen Ländern, nach Ablauf der Liegezeit in DE grundsätzlich nicht in Beinhäusern "nachbestattet", sondern i.d.R. gesammelt und, Verzeihung, nur "tiefergelegt". Bei diesem Verfahren wären ihre Sorgen angebrachter.

  6. 49.

    In einem Friedwald dürfen nur Urnen beigesetzt werden, in Friedhainen wird’s genauso sein. Da gibt es keine Verwesungszeit, die Körper sollen schließlich nicht von wilden Tieren ausgebuddelt und gefressen werden, und das Grundwasser darf auch nicht verseucht werden durch die Verwesungssäfte die in die Erde sickern würden.

  7. 48.

    Frei nach F. II "jeder soll nach seiner Fac on glücklich werden." So sollte meiner Meinung nach, auch jeder nach seiner Facon tot sein dürfen. Jeder kann sich hier ja noch aussuchen wie er/sie bestattet werden will. Alles nur eine Frage des Geldes.

  8. 47.

    Mich würde mal interessieren, was mehr Energie verbraucht: Ein bis zwei Stunden bei 900 °C im Krematorium verbrannt oder 40 d lang bei konstant 70 °C im Niedrigtemperaturgarverfahren "gegart" zu werden?
    Der Preis für diese Bestattungsart sollte an die Energiekosten gekoppelt werden.

  9. 46.

    Danke für die Info von Prof. Spranger und " Erde zu Erde". Beide sehr aussagekräftig!!!. Die Geschäftsidee der beiden Eheleute sollte begraben werden.

  10. 45.

    Dass Sie sich selbst widersprechen, merken Sie, oder? Deswegen bin ich der Meinung, mir ist egal, auf welche Weise - sollen meine Nachkommen entscheiden, wie sie meine Leiche loswerden wollen. ;-)

  11. 44.

    Meine Ansicht ist individuell. Das mag Ihnen einseitig erscheinen. Das wäre es, wenn ich Ihnen sagen würde, dass meine Ansicht der beste Weg sei. Ich sage jedoch, dass jeder so tot sein dürfte, wie er gelebt hat - also egal, ob individuell oder mehr reguliert. Jeder eben so, wie er es mag. Einen gewissen Rahmen wird es immer geben. Aber der sollte eben sehr weit sein.

  12. 42.

    Das Brandenburger Innenministerium kritisiert es als pietätlos.
    Wenn der Staat solche Bestattungsformen untersagen würde, empfände ich das als Bevormundung.
    Ich frage mich wie pietätvoll es ist, verbannt zu werden und durch eine Knochenmühle gemahlen zu werden. Am Ende sollte jede:r selbst entscheiden, wie er:sie bestattet werden will.

  13. 41.

    Soviel Toleranz muß sein, dass jeder so unter die Erde kommt, ins Meer auf den Grund versunken wird oder verstreut wird wie es einem passt, oder? Und wenn Angehörige meinen, nur am Grab an den/diejenige denken zu können, bitte schön. Ich trage die Verstorbenen in meinem Herzen und bin froh, dass ich kein Grab pflegen muss ;)

  14. 40.

    Solange nicht geklärt ist, was mit Goldkronen, Herzschrittmachern, Implantaten und künstlichen Gelenken etc. bei der Turbokompostierung passiert, braucht man eigentlich nicht darüber nachdenken.
    Was mit den Knochen passiert, ist auch unklar. Werden die hinterher in einem Beinhaus bestattet, so wie in Hallstatt, oder in einem Grab?
    Für mich ist dieses Startup ein weiteres Modell, um am Tod zu verdienen.

  15. 39.

    Ihre Sicht ist aber sehr einseitig. Manche Hinterbliebenen brauchen eine Grabstelle - erstens für die Trauerarbeit und zweitens für eine Zwiesprache gerade mit zu früh Verstorbenen.
    Und Biomasse stimmt auch nicht ganz. Praktisch sind wir alle nach dem Leben Sondermüll mit all den eigelagerten Makro-, Mikro- und toxischen Elementen wie Al, Cd, Hg, Pb und Tl.
    Ich persöönlich sehe keinen Grund, weshalb die Verwesungszeit auf 40 Tage verkürzt werden muss. Es muss ja kein Friedhof neben der Kirche sein, aber Friedhaine, Friedwälder sollte es geben.
    Und "individuell" - wo bitte lebens Sie individuell? Gesellschaftliche Zwänge wird es immer geben - auch nach Ihrem Ableben.

  16. 38.

    Wie Fegefeuer, d.h es wird sowieso erstmal jeder verbrannt? Aber danke für die Erklärung, mit Kirchen bzw Religionen habe ich es nicht so :-))

  17. 37.

    Oh, jetzt wird wieder gegen die oben gewettert. Was haben die damit zu tun und wenn man mich als Bürger davor schützt, dass ich irgendwelchen Trends folge, ohne etwas zu wissen und zu verstehen, dann schützt man mich und das ist doch toll.
    Übrigens, ich werde nicht bevormundet so wie Sie, wahrscheinlich leben Sie in Russland. Unsere Gesellschaft ist eine freie Gesellschaft.

  18. 36.

    Da kann man sich gleich auf "Soilent Green" (siehe den Film - Jahr 2022 … die überleben wollen) orientieren!

Nächster Artikel