Anerkennung ausländischer Abschlüsse - "Ich habe Fachkräfte, aber ich darf sie nicht als solche beschäftigen"

Mi 20.03.24 | 09:06 Uhr | Von Carl Winterhagen
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Symbolbild:Eine Bewohnerin des Pflegeheims wird von einer Pflegerin einen Gang entlanggeschoben.(Quelle:picture alliance/dpa/M.Murat)
Video: rbb24 Abendschau| 20.03.2024 | Gespräch C. Kiziltepe (Senatorin für Integration und Arbeit) | Bild: picture alliance/dpa/M.Murat

Gerade in der Pflegebranche werden Fachkräfte aus dem Ausland dringend benötigt. Doch weil es den Behörden an Personal fehlt, warten die Beschäftigten mitunter jahrelang, bis ihr Abschluss in Deutschland anerkannt wird. Von Carl Winterhagen

In zehn Jahren werden in Deutschland mindestens 90.000 Pflegekräfte fehlen, prognostiziert das Statistische Bundesamt. Um diese Lücke zu schließen, braucht es Hilfe aus dem Ausland - in Person ausgebildeter Fachkräfte.

Nare Yesilyurt (Quelle: rbb/Carl Winterhagen)
Pflegedienst-Leiterin Nare Yesilyurt | Bild: rbb/Carl Winterhagen

Ohne die Mitarbeitenden aus dem Ausland wäre ihr Pflegedienst schon jetzt deutlich schlechter aufgestellt, erzählt Nare Yesilyurt. Ihr Dienst betreibt eine Pflege-WG in Berlin-Britz. Hier arbeiten Henrietta (49), gebürtig aus Nigeria, und Asya (55) aus Bulgarien. Sie sind als Pflegehelferinnen angestellt – nur. Aber eigentlich sind beide ausgebildete Krankenpflegerinnen.

Doch seit Jahren warten sie darauf, dass ihre Berufsabschlüsse in Deutschland anerkannt werden. Bis dahin dürfen sie bestimmte Tätigkeiten nicht ausführen, etwa Blut abnehmen. Sie werden zudem schlechter bezahlt. Ihre Chefin Nare Yesilyurt ärgert das: "Ich kann nicht mehr Patienten aufnehmen, weil ich keine Fachkräfte habe. Dabei habe ich Fachkräfte, aber ich darf sie nicht als solche beschäftigen."

"Ich erkläre, wie es geht, aber ich darf es selbst nicht machen"

Darunter würden in erster Linie die Patienten leiden, sagt Yesilyurt. Die Wartezeit für eine Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung sei lang. In der Pflege-WG in Britz kümmern sich Henrietta und Asya um sieben Menschen, die intensiv gepflegt werden müssen.

Manchmal würden Kolleg:innen sie um ihre Expertise für bestimmte Pflegeabläufe bitten. "Ich erkläre es ihnen, aber ich darf es selbst nicht machen. Das tut weh", erzählt Henrietta.

Die Anforderungen für die Anerkennung der Abschlüsse sind hoch: Die Antragsteller:innen müssen zum einen Nachweise zu den persönlichen Voraussetzungen erbringen: Identitätsausweis, ärztliche Bescheinigung über die gesundheitliche Eignung für die Ausübung des Berufs, Führungszeugnis, Führungs- und Leumundszeugnis aus dem Herkunfts-/Ausbildungsstaat sowie Kenntnisse der deutschen Sprache. Sie müssen aber auch Dokumente über die absolvierte Ausbildung, den Ausbildungsabschluss, teilweise auch die Berufsausübungserlaubnis sowie Zeugnisse über Berufserfahrung vorlegen.

Schnellere Anerkennung

Die Berliner Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) strebt an, die Verfahren zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zu beschleunigen.

Darüber würden die Integrationsministerinnen und -minister in dieser Woche bei einer Konferenz in Rostock beraten, sagte Kiziltepe am Mittwoch im rbb24 Inforadio. Allerdings seien je nach Berufsgruppe unterschiedliche Stellen zuständig - zum Beispiel für Pflegekräfte und medizinische Berufe in Berlin das Lageso.

Laut Kiziltepe soll das Personal dort weiter aufgestockt werden, damit Anträge schneller bearbeitet werden können. Das Geld dafür sei im Haushalt eingeplant.

Die Senatorin verteidigte, dass Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten bestimmte Dokumente vorlegen müssen, darunter ein sogenanntes Leumundszeugnis. Das sei wegen des Patientenschutzes nötig, so Kiziltepe.

Jahrelange Verfahren

Henrietta wartet seit mittlerweile vier Jahren auf ihre Anerkennung. In Nigeria hat sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin und Hebamme gemacht, danach zwischenzeitlich in den USA gelebt. Inzwischen ist sie deutsche Staatsbürgerin. Trotzdem möchte das in Berlin für die Anerkennung zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) zusätzlich zu ihrem deutschen und US-amerikanischen Führungszeugnis auch noch eines aus Nigeria von ihr. Doch das zu bekommen, gestaltet sich schwierig, weil sie schon so lange nicht mehr in ihrem Geburtsland lebt. "Das macht mich immer traurig, ich habe keine Kraft mehr", sagt Henrietta.

Ihre Kollegin Asya verzweifelt seit zwei Jahren an dem Verfahren. Sie hat ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin 1987 in Bulgarien abgeschlossen – mit Bestnoten. Danach hat sie 27 Jahre in der Türkei in einem Krankenhaus gearbeitet. Um in Deutschland anerkannt zu werden, benötigt sie Nachweise über ihre Ausbildungsinhalte. Aber die zu bekommen, ist nicht einfach. Schließlich bestand die sozialistische Volksrepublik Bulgarien, in der sie gelernt hat, nur bis 1990.

Die steigende Zahl der Anträge überfordert das Amt

Zwei in ihren Eigenheiten besondere Schicksale, die aber keine Einzelfälle sind. Denn die Zahl der Anträge auf Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse beim Lageso steigt – mit Ausnahme einer Corona-Lücke – seit Jahren an. Waren es 2017 noch 1.605, sind 2023 beim Lageso 3.132 Anträge eingegangen, ein Großteil davon bezieht sich auf einen Pflegeberuf.

Gleichzeitig hinkt die Zahl der Entscheidungen den Neuanträgen stets hinterher. So wurde im letzten Jahr nur in 2.712 Fällen eine Entscheidung ausgesprochen. Wobei eine Entscheidung nicht heißt, dass die Sache erledigt ist: Die Entscheidung kann auch bedeuten, dass noch bestimmte Kenntnisse geprüft oder Teile der Ausbildung nachgeholt werden müssen. Dann läuft das Verfahren weiter, während Neuanträge hinzukommen.

Für Matthias Merx, Abteilungsleiter für Gesundheits- und Verbraucherschutz bei Lageso, ist das eine Frage von fehlendem Personal: "Da hat sich eine Bugwelle an Antragsverfahren angebaut, die noch nicht bearbeitet sind. Wir bräuchten etwa zehn Personen mehr, um diese Bugwelle über die nächsten drei, vier Jahre abzubauen."

Wir brauchen eine Willkommenskultur, mit der das Signal ausgesendet wird: 'Wir wollen euch hier in Berlin haben!'

Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin
Gabriele Schlimper (Quelle: rbb/Carl Winterhagen)
Gabriele Schlimper, Paritätischer Wohlfahrtsverbands Berlin | Bild: rbb/Carl Winterhagen

"Papierkram" und "Wildwuchs" verhindern Willkommenskultur

Einen "Wildwuchs" nennt die Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin, Gabriele Schlimper, die Bürokratie, mit der Anträge bearbeitet werden. Gerade in der Pflegebranche würden dringend Leute benötigt: "Wir brauchen eine Willkommenskultur, mit der das Signal ausgesendet wird: 'Wir wollen euch hier in Berlin haben!'"

Nur mit der Aussicht auf einen Job zu locken, reiche in Berlin nicht mehr, denn dann hätten die Menschen immer noch keine Wohnung. Mit Blick auf die Probleme, welche die Anforderungen für viele Menschen mit sich bringen, und auf das überforderte Lageso kritisiert Schlimper: "Wenn die Verfahren so lange dauert, dass die das nicht hinkriegen, dann muss ich mir darüber Gedanken machen, ob die Anforderungen passend sind."

Allen, die wie Asya und Henrietta auf die Anerkennung ihrer ausländischen Berufsabschlüsse warten, käme das sicherlich zugute.

Und: Nachdem Henriettas Fall auf Nachfragen des rbb noch einmal vom Lageso überprüft wurde, hat das Amt entschieden, ausnahmsweise auf das nigerianische Führungszeugnis zu verzichten. Henrietta wurde ein Feststellungsbescheid zugesandt. Sie muss jetzt noch zu einigen Kenntnisse geprüft werden oder Ausbildungsinhalte nachholen.

In Asyas Fall wartet das Amt noch auf zwei Dokumente aus der Türkei.

Korrektur: In einer ersten Fassung dieses Textes war die Verfahrens-Wartezeit bei Henrietta mit zehn Jahren angegeben, bei Asya mit vier Jahren. Tatsächlich beträgt die Wartezeit bei Henrietta vier Jahre, bei Asya zwei Jahre.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.03.2024, 6:00 Uhr

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Beitrag von Carl Winterhagen

84 Kommentare

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  1. 84.

    Labern ohne Ende bis alles zu spät ist.

  2. 83.

    Labern ohne Ende - bis alles zu spät ist >das kann Deutschland hervorragend.

  3. 82.

    "Björn kennt sich aus, meint er zumindest. Auf die Idee dass andere Lernimhalte gleichwertig oder vielleicht noch besser in anderen Ländern gelehrt werden können kommt ihm natürlich nicht." Darum geht es nicht. Es geht um die formale Chancengleichheit zwischen deutschen und ausländischen Bewerbern. Wenn ich von deutschen Bewerbern den Nachweis bestimmter Lerninhalte verlange, dann muß ich das auch von ausländischen Bewerbern tun, da ansonsten keine Chancengleichheit bestünde. Es geht nicht um besser oder schlechter, es geht nicht darum, was die Bewerber zusätzlich veilleicht können.

  4. 81.

    „ Trotzdem möchte das in Berlin für die Anerkennung zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) zusätzlich zu ihrem deutschen und US-amerikanischen Führungszeugnis auch noch eines aus Nigeria von ihr.“
    In Deutschland werden nach 5 Jahren die Einträge im Führungszeugnis gelöscht.
    Was erwartet man denn was in anderen Ländern gemacht wird ?

  5. 80.

    Leere substanzlose Äußerungen bringen uns aber auch nicht voran.

  6. 79.

    "Dummheit der Politik ist das Elend der Demokratie."
    Ich will mich jetzt nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich würde fast ein wenig zu der Ansicht neigen, dass auch Diktatoren nicht unbedingt die weisesten Herrscher sind.
    Wir hatten ja in Deutschland schon ein paar zur Ansicht...

  7. 78.

    Da sollte der RBB wohl bei allen Fällen mal nachfragen. Eine Prüfung der Abschlüsse ist ja noch nachvollziehbar. Aber doch nicht jahrelang?!
    Und die Minister beraten schon zu dem Thema. Ist ja Klasse. Vielleicht hat man in 2 Jahren auch schon den Entwurf für Änderungen, die in 5 Jahren auch schon durch sind

  8. 77.

    Ja, aber sicher nicht wie im Artikel mit einem 30 Jahre alten Ausbildungszeugnis inklusive Ausbildungsplan. Auf dieser Basis stellt niemand eine Fachkraft ein. Denn Ausbildungen verändern sich im Laufe der Jahre, und zwar überall. Wenn jemand jahrzehntelang im betreffenden Beruf gearbeitet hat, sollte zunächst ein qualifiziertes Arbeitszeugnis, das alle relevanten Tätigkeiten auflistet und bewertet, geprüft werden. Wer lange im betreffenden Beruf gearbeitet hat, hat doch deutlich mehr Kenntnisse und Erfahrungen als seinerzeit zur Ausbildungsprüfung, und zwar ebenfalls überall. Und was bringt es, wenn jemand zwar einst etwas gelernt, das aber nie praktisch angewendet hat. Dafür hat man aber in der Praxis sicher Fähigkeiten erworben, die man in der Ausbildung nicht gelernt hat. Wenn man bei der Prüfung der Unterlagen aber gravierende Unterschiede zum deutschen System feststellt, muss eben Kenntnis geprüft oder nachgeschult werden.

  9. 76.

    Meine Frau war über zwei Jahrzehte als Ärztin in Russland tätig, sie spricht perfekt deutsch und kämpfte über viele Jahre mit der deutschen Zulassung, um eine Hausartzpaxis zu öffnen. Vergeblich ! Die behördlichen Hürden sind unglaublich hinderlich und scheinen nur der Arterhaltung der bereits niedergelassenen Ärzte zu dienen. Was die Senatorin in der Abendschau berichtete ist pure Unkenntnis. Sie sollte sich einmal mit Betroffenen an einen Tisch setzen.
    Und es geht dabei nicht nur um Fachkräfte der Medizin. Der momentane Prozess der Berufsanerkennung steht absolut nicht im Einklang einer Verringerung des Fachkräftemangels. Insofern, absolut schlechte Regierungspolitik !

  10. 75.

    Das LAGESO: unglaubliche Behörde, die fern jeglicher Lebensrealität handelt. So eine Behörde braucht niemand.Typisch Deutschland, hauptsache Bürokratie siegt.

  11. 73.

    Björn kennt sich aus, meint er zumindest. Auf die Idee dass andere Lernimhalte gleichwertig oder vielleicht noch besser in anderen Ländern gelehrt werden können kommt ihm natürlich nicht.

  12. 72.

    In diesem Land kann man doch mit einer Ausbildung als Bankberater Gesundheitsminister werden. Da muss man sich doch über nichts mehr wundern.

  13. 71.

    Wie wäre es denn, wenn sich unsere nun doppelt gewählten Volksvertreter mal ans Ausmisten der unsinnigen Vorschriften machen würden. Nicht weltweit den deutschen Überregulierungswahn voraussetzen, sondern nur prüfen, was sinnvoll ist.

  14. 70.

    Dieses ist typisch deutsche Bürokratie aber schreien wir brauchen Fachkräfte. So funktioniert Deutschland.

  15. 69.

    Wie kommen Sie darauf, dass die Ausbildung in anderen Ländern weniger aufwändig ist als in Deutschland? Die Ausbildungssysteme sind oft unterschiedlich. Aber für bestimmte Tätigkeiten muss man selbstverständlich auch im Ausland die entsprechenden Qualifikationen erworben haben. Oder glauben Sie allen Ernstes, woanders ließe man kurz Angelernte auf z.B. Pflegebedürftige los? Die Arroganz, mit der Sie sich hier über den Bildungsstand in anderen Ländern äußern, ist erschreckend. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass auch deutsche Ausbildungen nicht überall als gleichwertig angesehen werden? Ich betone nochmals: anders bedeutet nicht, von geringerem Wert, sondern nur, mit dem hiesigen System nicht zu 100% kompatibel.

  16. 68.

    Experte kommt erst später, bis jetzt komm ich hinten noch selbst ran. Mal sehen wie es in 10 Jahren aussieht.

  17. 67.

    Mein Gott. Immer diese Klugsch....hier. Das war ein Beispiel. Beschäftigen Sie sich mit der Pflege, vergleichen Sie Pflege in Deutschland mit der in anderen westeuropäischen und nordischen Ländern. Aber auch einigen osteuropäischen Ländern. Noch Fragen Herr Pflegeexperte?

  18. 66.

    Sorry, habe zu viele Nullen angehängt, bitte 3 davon streichen, dann ist es richtig.

  19. 65.

    "Das nur Deutschland in der Lage ist, ordentliche Fachkräfte auszubilden? Die deutschen Ausbildungen sind mit ausländischen Ausbildungen nicht immer absolut vergleichbar, weil sich die Inhalte manchmal unterscheiden. Das sagt jedoch gar nichts über die Qualität der Ausbildungen aus." Ds ist richtig. Es geht um Fairness auf dem Arbeitsmarkt. Von den deutschen Fachkräften werden diese (z.T. zeitaufwendigen) Ausbildungen verlangt, dann sollten diese auch von ausländischen Fachkräften erbracht/vorgelegt werden. Wenn man das bei ausländischen Fachkräften lokcerer sieht, müßte man es sonst konsequenterweise auch bei deutschen Fachkräften lockerer sehen.

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