Zehn Jahre stillgelegtes ICC - Berliner Raumschiff im Blindflug

Di 09.04.24 | 06:04 Uhr
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Symbolbild:Detailansicht der Fassade des ICC bei Nacht.(Quelle:picture alliance/Torsten Goltz Photography/Shotshop)
Bild: picture alliance/Torsten Goltz Photography/Shotshop

Seit zehn Jahren ist das ICC geschlossen - und ob dort jemals wieder Kongresse stattfinden können, ist offen. Wie alle Vorgängerregierungen versucht auch der aktuelle Senat einen Neuanfang. Allerdings unter erschwerten Bedingungen. Von Sebastian Schöbel

Keine Waffen. Kein Glücksspiel. Kein Sex. Dieser Dreisatz ist die einzige politische Konstante im Leben des Berliner ICCs gewesen, seit hier am 9. April 2014 mit der Daimler-Aktionärsversammlung die letzte Veranstaltung stattfand. Die Frage, was aus dem "Kongress-Raumschiff" im Westend werden soll, hat in den zurückliegenden zehn Jahren jedoch keine der insgesamt vier Berliner Landesregierungen beantwortet. Nur Waffenbörsen, Casinos und Bordelle konnte man definitiv ausschließen.

Und so dümpelt der einstige West-Berliner Prachtbau als architektonischer Schmutzfänger in bester Lage seit April 2014 weiter vor sich hin. In regelmäßigen Abständen dient es Architekturbüros als Projektionsfläche für Ideen und Visionen: Futuristische Konzepte mit horizontalen Aufzügen und riesigen Foliendächern waren genauso im Gespräch wie Labore für autonomes Fahren und Serverfarmen.

Mehr als beeindruckende Computergrafiken kamen dabei allerdings nicht heraus. Darüber hinaus produzierte das Gebäude seit 2014 neben den knapp zwei Millionen Euro Betriebskosten pro Jahr auch noch eine Markterkundungsstudie und ein Interessenbekundungsverfahren, die beide auf dem Stapel der bereits existierenden Studien und Gutachten landeten, ohne Ergebnis.

Immer mal wieder durfte jemand das ICC als Standort für die Zentral- und Landesbibliothek ins Spiel bringen, so wie 2017 SPD-Fraktionschef Raed Saleh, nur um von Fachleuten eines Besseren belehrt zu werden. Sogar ein fragwürdiger Rettungsplan mit mexikanischem Gold schaffte es schon in eine der vielen parlamentarischen ICC-Debatten des Abgeordnetenhauses.

Denkmal und Kulturstandort

Deutlich weniger spektakulär, dafür deutlich pragmatischer waren die Zwischennutzungen des ICC, meist aus der Not geboren. 2015 bis 2017 wohnten hier hunderte Geflüchtete, weil der Stadt die Unterkünfte ausgingen, und während der Coronapandemie entstand in den langen Fluren der Eingangshalle ein riesiges Impfzentrum. In den Toiletten wurden Gäste allerdings darauf hingewiesen, das Wasser aus den alten Leitungen nicht zu trinken, sicherheitshalber.

2019 stellte Berlins Landeskonservator Christoph Rauhut das Kongressgebäude unter Denkmalschutz und wähnte es "mindestens in einer Liga mit dem Centre Pompidou in Paris" - ein recht optimistischer Vergleich, der seitdem jedoch so fest am ICC klebt wie der Autobahnschmutz an dessen metallischer Fassade. Besonders der ehemalige Wirtschaftssenator Stephan Schwarz machte sich die Idee später zu eigen und trieb die Vision der kulturellen Nutzung voran, seine Amtsnachfolgerin Franziska Giffey (SPD) wiederholte sie später sogar im Centre Pompidou selbst.

Dem Anspruch gerecht wurde man bislang aber nur zehn Tage lang: 2021, als die Berliner Festspiele mit ihrer Kunstveranstaltung "The Sun Machine is coming down" das ICC zum Kultur-Tempel machten.

Senat streicht Sanierungszulage

Dass hier irgendwann wieder Messen und Kongresse abgehalten werden sollen, haben seit 2014 zwar viele Politikerinnen und Politiker als ultimatives Ziel ausgegeben. Doch passiert ist bislang wenig. Im Gegenteil: Durch die angespannte Haushaltslage in Berlin sind die Voraussetzungen eher schwieriger geworden. Die 200 Millionen Euro, die das Land einst zur Sanierung des ICC beisteuern wollte, sind längst vom Tisch. Wer auch immer das gigantische Gebäude übernimmt, wird es aus eigener Tasche ertüchtigen müssen.

Die Zahl der möglichen Interessenten dürfte das eher kleiner machen. Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) zeigte sich zuletzt im rbb-Fernsehen dennoch optimistisch. Man wolle "weltweit Akteure suchen", die das ICC übernehmen und zu einem Ort "für Kultur, Kreativität, Innovation, Technologie, aber auch das Kongressgeschäft" machen. Das dazugehörige Wettbewerbsverfahren wird gerade von der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) vorbereitet und soll noch in diesem Jahr starten und vor der nächsten regulären Berliner Wahl 2026 abgeschlossen sein.

Schon die Architektin plante ein ICC-Hotel

Aktuell werde bereits ein neues Brandschutzgutachten und ein Schadstoffkataster erstellt, teilte eine Sprecherin der BIM auf rbb-Nachfrage mit. Damit könnte sich dann auch ein für alle Mal klären, wie asbestverseucht das ICC wirklich ist. Zudem arbeite die Stadtentwicklungsverwaltung an einer Machbarkeitsstudie. "Dabei geht es insbesondere um Fragen zum Abriss des Parkhauses und der Bebauung des Parkplatzes", so die BIM-Sprecherin. Entstehen könnten dort Hotels, von denen es in unmittelbarer Nähe der Messe viel zu wenige gibt. Sie könnten zudem einem möglichen ICC-Investor als Einkommensquelle dienen, um den Betrieb des Kongresszentrums zu finanzieren.

Die Erkenntnis, dass das ICC nur in Kombination mit mindestens einem Hotel zu betreiben ist, hätte man allerdings schon vor zehn Jahren haben können, mindestens. Damals erinnerte die inzwischen verstorbene ICC-Architektin Ursulina Schüler-Witte daran, dass Hotels zum Originalkonzept des Kongresszentrums gehörten, aber nie gebaut wurden. Schon 2014 sprach sie sich dafür aus, das kaum genutzte Parkhaus dafür abzureißen - und wurde später immer wieder durch diverse, auch vom Senat angefragte, Konzepte bestätigt, zuletzt 2019.

Großbaustelle Autobahndreieck

Nichts anderes ist also auch von der nächsten Suche nach einem ICC-Investor zu erwarten: Abriss des Parkhauses für einen Hotelneubau, dazu Mischnutzung mit Kongressen und Kulturevents. Doch die Voraussetzungen dafür werden mit jedem Jahr, das ins Land geht, schwieriger. Nicht nur, weil die Co-Finanzierung des Landes Berlin inzwischen fehlt: Das Autobahndreieck Funkturm wird in absehbarer Zeit zur Großbaustelle, bis in die 2030er Jahre hinein. Die Messe Berlin fürchtet schon um den Besucher- und Anlieferverkehr. Noch problematischer könnten dann umfangreiche Bauarbeiten am ICC werden.

Zu hoffen ist also, was 1979 der damalige Bundespräsident Walter Scheel zur Eröffnung des ICC voraussagte: Es habe "gute Chancen, hier noch zu stehen, wenn die Cheops-Pyramide möglicherweise schon verwittert ist". Gemessen am Fortschritt der letzten zehn Jahre, wird das Berliner ICC diese Zeit wohl auch brauchen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.04.2024, 07:00 Uhr

29 Kommentare

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  1. 29.

    Ist ja leider nicht das einzige Gebäude, welches in Berlin erstmal dem Leerstand preisgegeben wurde, dabei noch Millionen verschlang, die in Schulen, Schwimmhallen udgl. besser angelegt wären. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass es in seiner ursprünglichen Funktion nichtmehr gebraucht wird. Eine Sanierung zu heute nötigem Standard ist nicht bezahlbar - Investoren wissen das. Also die noch zukünftigen Leerstandskosten zum Abriss nutzen und was Vernünftiges für die Stadt aus dem Gelände machen - vielleicht ein Versuchsfeld für klimagerechten Wald als Ausgleich für zunehmende Bodenversiegelung für Büro- und Wohnungsbau.

  2. 28.

    Abreißen ja oder nein ist aktuell gar nicht die Frage für mich. Ich finde es vielmehr peinlich, dass munter mit einem Gebäude geplant wird, von dem man nach Jahren des Stillstands immernoch nicht weiß, wie verseucht mit Asbest es wirklich ist. Kein Investor fasst dieses Grab an.

  3. 27.

    Abreißen! Oder als Filiale des Bundestages nutzen, anstatt dort noch monumentaler auszubauen!

  4. 26.

    Es wäre mir dem Artenschutz kaum zu vereinbaren, Homo Sapiens in dieser Autoverkehrswüste anzusiedeln.

  5. 25.

    Unbedingt reaktivieren. Als wenn es sich Berlin leisten könnte das Ding abzureißen - wir haben ja auch so unendlich viel Kongressfläche. Ich staune wirklich, dass man nicht ernsthaft an die Sache herangeht.

    Übrigens wird das ICC in Teilen vom Deutschen Symphonie-Orchester zwischengenutzt und die könnten das auch weiter tun, wenn denn nicht die laufenden Kosten so hoch wären.

    Ein phantastischer Ort, der so viel bietet.

  6. 24.

    Ein Abbau des ICC böte den Platz den es bräuchte um eine höhere Kapazität für den Strassenverkehr auf dem Autobahndreieck Funkturm sowie dem Eisenbahnverkehr am neuen Regional und Messe Bahnhof Westkreuz zu schaffen.

  7. 21.

    Ein "lost place" ist das ICC bereits seit Jahrzehnten. Es sollte jetzt endlich an den Vermarktern von "visit Berlin" in Angriff genommen werden, das Luxusgut entsprechend weltweit zu vermarkten.

  8. 20.

    Das ICC ist leider eine Fehlplanung: es ist als Veranstaltungsort nicht geeignet. Westberlin hatte einfach zu viel Geld. Es hat dem Land Berlin Milliardenverluste eingefahren.

    Hamburg hat das CCH übrigens in der Coronazeit umfassend saniert

  9. 19.

    Der RBB hat doch gerade diese Reihe "Lost Places" gedreht und gesendet. Vielleicht sollte es noch weitere Folgen geben: dieses verlassene Gebäude z.B. könnte in dieser Serie einen würdigen letzten Platz bekommen.
    Ehe es abgerissen wird - was unweigerlich kommen wird...

  10. 18.

    Schon aus Gründen der Gleichbehandlung und für den sozialen Frieden hätte man das ICC gleichzeitig mit dem Palast der Republik abreißen sollen. Das wäre ein mutiges und gutes Zeichen gewesen

  11. 17.

    Ist es den Senaten seit 20 Jahren nicht peinlich, nicht für das ICC gesorgt zu haben bzw. zu sorgen? Der Berliner Senat wollte es, also muss er sich auch kümmern. Mangelnde Wirtschaftlichkeit dürfte in Berlin eine untergeordnete Rolle spielen.

    Ich war noch nie drin, kann mir aber gut vorstellen, dass der Bau als Kongresszentrum funktioniert. Oder wie sind die Erfahrungen von Kongressteilnehmern? Kann jemand aus eigener Erfahrung sprechen?

  12. 16.

    ...das City Cube ist gegen das ICC eine schlichte, einfach gehaltene Erscheinung, modern und zweckvoll, ohne Schnörkel, ohne größeren Anspruch. Architektur des 21. Jahrhunderts.

  13. 15.

    Das ICC hat eine einzigartige Bühnen- und Raumtechnik, daß es noch auf Jahre hinaus konkurrenzfähig wäre. So man diesem Bau endlich wieder das Leben einhauchen würde, für das es konzipiert wurde. Doch leider hat man dieses Jahrhundertbauwerk absichtlich verrotten lassen, um eine Legitimation für den Bau des gräßlichen "CityCubes" zu haben. Für den die eigentlich denkmalgeschützte Deutschlandhalle geopfert wurde. Und daß das ICC "asbestverseucht" sein soll, ist an den Haaren herbeigezogen.

  14. 14.

    "Enturbanisierung" ist hier aber reichlich übertrieben. Das ICC war faktisch Teil bzw. Erweiterung zum Messegelände gleich daneben und lag praktisch am Rand von West-Berlin. Man hatte den Platz, man hatte in gewisser Weise den Bedarf und man hatte aber auch das Geltungsbedürfnis, hier ein Kongresszentrum von internationalem Rang zu errichten. Es war in gewisser Weise auch Teil des Kampfes der Systeme und eine politische Aussage des Westteils der Stadt gegenüber der DDR. Das ist dann mit dem Mauerfall schlagartig entfallen, womit das politisch geförderte ICC dann auch seine Bedeutung verlor. Wenn es ein Zeichen ist, dann für die Maßlosigkeit im Kampf der Systeme, nicht in erster Linie für Verfehlungen im Städtebau.

  15. 13.

    So isses. Unter heute geltenden Bestimmungen zu Brand-, Klima-, Immissions- und oberdrein Denkmalschutz ist das Gebäude nicht sanierungsfähig. Auf dem rund 25.000qm Grundstück könnten dagegen mind. 1.000 Wohnungen errichtet werden, was allerdings die Einschaltung des Hirns von SenStadt, Bezirk und Landeskonservator erfordert. Insoweit dürfte die Perspektive des Objekts eher dem Moderaroma entsprechen, der die zuständigen Behörden sonst kennzeichnet.

  16. 12.

    Einfach abreißen. Die ganzen Jahre brauchte es niemand. Ist bestimmt billiger als restaurieren.

  17. 11.

    Sehr richtig. Der RBB hat darüber berichtet das es eine Ausschreibung gab, wie das Gebäude anderweitig genutzt werden könnte. Nix ist seit dem passiert. Dabei fand ich so manche Vorschläge vollkommen akzeptabel. Selbst ein Wohnprojekt daraus zu gestalten waren einleuchtend. Nun darf man gespannt sein wann u.wie weiter gedacht, gehandelt wird.

  18. 10.

    Bin auch für abreißen. Den Palast fand ich insgesamt schöner und auch irgendwie nützlicher. Aber der musste ja unbedingt weg, damit dieses Kolonialmuseum errichtet werden konnte. Daß das Schloss auch mit Mitteln aus rechtsextremen Kreisen finanziert wurde, überrascht mich nicht.

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