#Wiegehtesuns? | Assistierter Suizid - "Ich möchte die Freiheit haben zu gehen, wenn ich will"

Do 06.07.23 | 07:17 Uhr | Von Anna Corves
Rosemarie Lowack (Quelle: rbb/Anna Corves)
Audio: rbb24 Inforadio | 06.07.2023 | O-Ton Rosemarie Lowack | Bild: rbb/Anna Corves

Die 83-jährige Rosemarie Lowack hat sich intensiv mit ihrem Lebensende auseinandergesetzt. Sie möchte in Würde sterben - und selbst bestimmen, zu welchem Zeitpunkt. Ein Gesprächsprotokoll

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Der persönlichen Entscheidung für oder gegen einen assistierten Suizid geht meist ein langer Prozess voraus, ein Nachdenken über Leben und Tod und wie man sich das Sterben vorstellt. So war es auch bei Rosemarie Lowack. Die gebürtige Berlinerin ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben geworden, die assistierten Suizid ermöglicht. So geht es Rosemarie Lowack:

Wie es mir geht? Das kommt auf die Perspektive an: Einerseits ist mein Leben sehr mühsam, andererseits auch schön. Ich bin jetzt 83 Jahre alt, lebe seit 17 Jahren in Heiligensee im betreuten Wohnen. Ich bin glücklich, dass ich hier ein gutes Umfeld habe. Es gibt viele Menschen, die mir helfen und Bekannte, mit denen ich mich sehr nett unterhalten kann. Ich erfreue mich noch an vielen Dingen. Andererseits sind da die Schmerzen, die mich immer, wirklich immer begleiten.

Als ich 14 oder 15 Jahre alt war, hatte ich einen Verkehrsunfall: Ich bin mit dem Fahrrad einen Berg runtergefahren, plötzlich ist die Kette gerissen und ich bin in einen Bus gerast, der mir entgegen kam. Seitdem ist meine Wirbelsäule kaputt, und ich habe die Schmerzen, die über die Jahre immer schlimmer wurden. Als ich 35 war prophezeite mir ein Arzt, dass ich bald im Rollstuhl sitzen würde. Zum Glück war es erst mit Mitte 70 soweit.

Das fand ich schrecklich und wollte mich damit nicht abfinden. Mit viel Sport habe ich mich nochmal aus dem Rollstuhl rausgekämpft: Beim Gedanken an meine ersten Schritte bekomme ich noch heute Gänsehaut. (Sie schiebt zum Beweis den Ärmel hoch.) Dafür brauche ich aber den Rollator - ohne ihn schaffe ich nicht einen Schritt. Und außerhalb der Wohnung brauche ich den Rollstuhl. Wenn ich mich abends irgendwie ins Bett manövriert habe, muss ich in der Position, in der ich zum Liegen gekommen bin, bleiben, kann sie nicht verändern. Nach eineinhalb Stunden muss ich aufstehen, weil der Körper davon wehtut. So geht das die ganze Nacht, alle eineinhalb Stunden. Schlimm. Aber ich bemühe mich, alles freundlich hinzunehmen. Noch ertrage ich das Leben und möchte leben. Angst vor dem Sterben habe ich aber nicht.

Ich habe viel über den Tod und das Sterben nachgedacht, mein Leben lang, durch die ewigen Schmerzen, und weil ich auch ein sehr religiöser Mensch bin, ich war Religionslehrerin. Ich habe wirklich lange hin und her überlegt. Mit dem Ergebnis, dass ich unbedingt für die Sterbehilfe bin. Ich habe mein Leben selbst in der Hand gehabt. Warum soll das beim Sterben nicht so sein? Wo steht denn, dass der Mensch sich quälen muss bis zum Ende? Für wen?

Ich esse 14 Tabletten am Tag, überlegen Sie sich das mal! Das hat Gott nicht gewollt. Der hat gesagt: 'Gut, 50 Jahre, 60 Jahre, dann ist Schluss.' Wir leben aber viel länger, durch die Medizin. Das ist doch auch nicht natürlich. Also: Wenn ich mich quäle, vor Schmerzen schreie wie ein Tier - und glauben Sie mir, ich habe das alles hinter mir: Warum erlöst man mich dann nicht?

Palliativmedizinisch kann man die Schmerzen lindern. Aber nehmen kann man sie nicht, ebenso wenig den Verfall. Außerdem bekommt man dann Morphium und andere Hilfen, die auch das Wesen eines Menschen verändern. Der Mensch, der ich vorher war – der bin ich dann nicht mehr. Ich bekomme schon heute Morphium, dosiere das aber so gering wie möglich, nehme lieber Schmerzen in Kauf, damit ich Ich bleibe.

Nein, ich möchte wissen, dass ich die Freiheit habe zu gehen, wenn ich entscheide, dass ich nun wirklich nicht mehr kann. Und dass mir ein Arzt dabei helfen darf, indem er mir die entscheidende Pille oder Spritze gibt – und dafür nicht bestraft wird. So, wie es die letzten Jahre erlaubt war. Seitdem lebe ich wirklich leichter, bin innerlich entlastet.

Mein Mann und mein Bruder sind leider bereits gestorben, ich habe nur noch meine zwei erwachsenen Töchter. Wir haben schon oft darüber gesprochen. Meine jüngere Tochter ist Heilpraktikerin, sie hat am Anfang sehr distanziert auf meinen Wunsch reagiert. Das hat sich im Lauf der Zeit und Gespräche aber geändert. Meine ältere Tochter war gleich an meiner Seite. Sie hat gesagt, sie weiß, dass ich diese Entscheidung nicht mal eben treffen würde, weil es mir an einem Tag nicht gut geht. Ich habe ja viel für mein Leben gekämpft und loszulassen ist nicht leicht, das braucht auch Mut.

Beide Kinder wollen dabei sein, wenn es soweit ist. Wer weiß, vielleicht sterbe ich ja auch eines sanften natürlichen Todes. Umso besser, umso schöner. Aber leiden möchte ich nicht. Ich habe in Würde gelebt und ich möchte in Würde sterben. Das ist mein einziger Wunsch: Dass ich, ohne das Leben entsetzlich finden zu müssen, hinübergleiten kann in eine andere Welt.

Gesprächsprotokoll: Anna Corves, rbb24 Inforadio

Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sind Sie von einer schweren Depression betroffen? Bitte sprechen Sie mit jemanden darüber. Folgende Stellen bieten Ihnen professionelle Hilfe - anonym, kostenfrei und rund um die Uhr:

Telefonseelsorge 0800 111 0 111 [telefonseelsorge.de]

Berliner Krisendienst [berliner-krisendienst.de]

Die Online-Beratung für suizidgefährdete junge Menschen der Caritas [caritas.de]

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.07.2023, 07:05 Uhr

Beitrag von Anna Corves

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