#Wiegehtesuns? | Neuanfang nach Weltreise - "Bisher habe ich versucht, mit einem Teelöffel ein Loch auszuheben"

So 04.09.22 | 09:33 Uhr
Julian auf Reisen.(Quelle:privat)
Bild: privat

Von Berlin bis Südafrika: Ein Jahr lang ist Banker Julian mit seiner Freundin im umgebauten Feuerwehr-Truck auf Weltreise. Nach der Heimkehr gibt es für den 39-Jährigen kein Zurück in den alten Job. Ein Gesprächsprotokoll

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Julian Lenk, 39, aus Kreuzberg, hat in Berlin als Programmleiter einer Bank gearbeitet. Doch der Job erfüllt ihn nicht. Mit seiner Freundin nimmt er eine einjährige Auszeit und geht auf Weltreise. Zurück in Berlin, orientiert er sich auch beruflich neu.

18 Länder und 30.081 Kilometer liegen hinter meiner Freundin und mir. Erst im Juni sind wir von der großen Reise wiedergekommen. Für die weiten Strecken haben wir einen alten Feuerwehr-Truck zum autarken Expeditionsmobil umgebaut: inklusive Frischwassertank, eigener Stromversorgung, Solar Panels, Dusche, Küche und Trenntoilette. Ein Jahr lang war das Fahrzeug unser Zuhause. Die Verwandlung vom Feuerwehrauto zum Wohnmobil haben wir auf YouTube dokumentiert. Um das "ExMo" reisefit zu machen, habe ich gut eineinhalb Jahre in einer Werkstatt im Norden Berlins verbracht. Das war ein komplettes Kontrastprogramm zu meinem früheren Job, denn da war ich Banker.

Der Feuerwehrtruck auf Reisen vor einem Regenbogen.(Quelle:privat)
Der umgebaute Feuerwehrtruck auf dem PeloponnesBild: privat

Bevor ich zum Autotüftler wurde, war ich Programmleiter für die KfW Entwicklungsbank. Vier Jahre in Frankfurt und dann vier Jahre im Außenbüro in Nairobi, Kenia. In dieser Zeit hatte ich einen sicheren Job, für Unterhalt und Unterkunft war gesorgt. Doch erfüllt hat mich das Banker-Leben nicht. Ich habe lange in einem Umfeld gearbeitet, das nicht zu mir gepasst hat. Die goldenen Handschellen haben eng am Handgelenk gesessen. Es war klar, dass es so nicht weitergehen soll. Letztlich wusste ich bereits vor der Reise, dass ich nicht in meinen alten Job zurückkehren möchte

Was macht man eigentlich mit seinem Müll, wenn es keine öffentliche Müllentsorgung gibt?

Ich suchte nach einer Tätigkeit, die sich für mich sinnvoll anfühlt und gleichzeitig die Brötchen auf den Tisch bringt. Auf den Reisen wurden meine Gedanken konkreter. Ich konnte Abstand nehmen von eingefahrenen Erwartungen und Vorstellungen, die meinen Alltag bestimmten. Dafür bestimmten neue Herausforderungen unserem Tagesablauf. Wir hatten sehr viel mit der Organisation alltäglicher Dinge zu tun, die zu Hause ständig verfügbar sind. Teilweise war es über Wochen schwierig, Nudeln aufzutreiben, ganz zu schweigen von Käse oder verschiedenen Gemüsesorten. Für Dinge, die wir zu Hause selbstverständlich im Supermarkt kaufen, haben wir teilweise lange Umwege in Kauf genommen. Auch der Wassertank muss spätestens alle 14 Tage wieder gefüllt werden. Und was macht man eigentlich mit seinem Müll, wenn es keine öffentliche Müllentsorgung gibt?

Julian und seine Freundin auf Reisen.(Quelle:privat)
Am südlichsten Zipfel SüdafrikasBild: privat

Dass ich in Wohlstand lebe – darüber bin ich mir bewusst. Gerade auf Reisen wurde es mir oft vor Augen geführt. In der Türkei hat uns einmal ein altes Bauernehepaar zu sich eingeladen und bekocht. Wir konnten uns nur mit Händen und Füßen verständigen und die Verhältnisse waren sehr einfach. Trotzdem ging von den beiden eine unaufgeregte Herzlichkeit aus, wie ich sie selten erlebt habe. Doch Menschen in Armut zu sehen, zermürbt auch. Diese Erfahrung habe ich vor allem im südlichen Afrika gemacht, wenn ich Familien gesehen habe, die so arm sind, dass sie ihren Kindern nichts zum Anziehen geben können. Es ist schier unmöglich, den Wohlstand zu bemessen, in dem wir in Deutschland leben. Ich glaube, viele Menschen würden einiges anders bewerten, wenn jeder und jede die Chance hätte, einen Monat in einem kleinen Dorf im afrikanischen Busch zu leben. Das hört sich abgedroschen an, da ist aber in der Tat viel dran.

Es ist schier unmöglich, den Wohlstand zu bemessen, in dem wir in Deutschland leben.

Die Erlebnisse haben wir eher anekdotenhaft auf Instagram festgehalten. Im Vergleich zu anderen Reiseblogs könnte man sogar sagen, dass unsere Dokumentation der Reise eher spärlich ausfiel. Es ging uns nicht darum, die ganze Zeit auf Social Media präsent zu sein. Vielmehr standen das Reisen an sich und die Zeit mit den Menschen, die wir trafen, im Vordergrund. Diese Erfahrung möchte ich auch in meinen neuen Job einfließen lassen.

Seit einigen Wochen mache ich eine Coaching-Ausbildung. Die Erfüllung, die ich so lange in meinem alten Job gesucht hat, scheint endlich einzutreten. Es fühlt sich an, als würde mir endlich jemand die Werkzeuge in die Hand geben, die ich mein Leben lang gesucht habe. Bisher habe ich versucht mit einem Teelöffel ein Loch auszuheben. Zum Glück hat mir jemand gezeigt, dass es dafür auch Schaufeln gibt. Mit statt für Menschen zu arbeiten, darin liegt für mich nun die Priorität. Wenn ich mir vorstelle, zukünftig Menschen bei einer Veränderung zu begleiten, macht mich das glücklich. Auch wenn für mich vor der Reise schon klar war, dass ich etwas Neues machen möchte – die Reise hat mir letztlich dabei geholfen, diesen Schritt zu wagen: Wirklich rauszugehen dem sicheren Job, aus dem Hamsterrad, hinein in eine eher noch ungewisse Zukunft. Von den Erinnerungen an die Reise werde ich wohl noch lange zehren können. Wenn ich mit einer Zeitmaschine in den Juli 2021 zurück-teleportiert werden würde, dann würde ich die Reise noch einmal machen.

Gesprächsprotokoll: Karolin Krämer

 

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