Interview | Zwischenfazit zur Weltklimakonferenz - "Reine Verzögerungstaktik und sonst nichts"

Mi 16.11.22 | 08:04 Uhr
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Jan Burck (l-r), Mitarbeiter von Germanwatch, Janet Milongo, Mitarbeiterin vom Climate Action Network, und Niklas Höhne, Mitbegründer vom NewClimate Institute, sitzen bei einer Sitzung auf dem UN-Klimagipfel COP27 und stellen den 18. "Climate Change Performace Index" CCPI vor. (Quelle: dpa/Christophe Gateau)
Bild: dpa/Christophe Gateau

Die Berlinerin Sabine Minninger nimmt für die Organisation "Brot für die Welt" am UN-Klimagipfel in Ägypten teil. Im Interview erzählt sie, warum sie die bisherigen Eindrücke ernüchtern - und warum sie trotzdem denkt, dass Konferenzen in dieser Größe nötig sind.

rbb|24: Frau Minninger, der größte Teil der Konferenz ist vorbei. Wie geht es Ihnen?

Sabine Minninger: Ich bin fix und fertig. Wir laufen hier jeden Tag viele Kilometer, und das ist sehr, sehr anstrengend. Die Verhandlungen sind zäh, die Bedingungen nicht gerade angenehm.

Was macht die Verhandlungen denn zäh?

Ich verfolge die Verhandlungen zu klimabedingten Schäden und Verlusten. Und hier wollen die ärmsten Staaten eine Entscheidung haben, einen eigenständigen Fonds für Klimaschäden. Die gesamte Gruppe der Industriestaaten blockiert diese Forderung jetzt seit dem ersten Tag. Man hat sich am Anfang der Konferenz erst mal dialogbereit erklärt. Was schon mal gut war, ein Riesenfortschritt. Aber seitdem gibt es kaum Bewegung. Man merkt, dass die Industriestaaten darauf pochen, weitere Jahre mit Reden und Prozessfragen zu verbringen. Das ist reine Verzögerungstaktik und sonst nichts.

Nehmen Sie auf der Konferenz auch Signale wahr, die Ihnen Hoffnung machen?

Man merkt, die Sprache ist nicht mehr so dermaßen blockierend, wenn man den Reden von Joe Biden [US-Präsident, Anm.d.Red.] und John Kerry [Klima-Sondergesandter in Bidens Kabinett], aber auch Vertretern der Europäischen Union und weiteren Industriestaaten zuhört. Sie erkennen an, dass es Klimaschäden gibt und die Ärmsten unterstützt werden müssen. Aber am Verhandlungstisch spiegelt sich das nicht wider. Wie wir am Freitagabend aus dieser Klimakonferenz rausgehen, ist völlig offen.

Was erwarten Sie für den Endspurt?

Ich denke, es wird ein paar Fortschritte geben, weil die Vertreter der Industriestaaten nicht abreisen und die Ärmsten komplett im Stich lassen werden. Aber die Ergebnisse werden einfach nicht gut genug sein.

Was ist bei dieser Konferenz bisher anders gelaufen, als Sie erwartet hatten? Was hat Sie überrascht?

Die Präsenz von Biden und Kerry war hier schon sehr deutlich. Kerry stellt sich hier auch der Zivilgesellschaft, sucht die Gespräche. Gestern zum Beispiel ist Luisa Neubauer von Fridays for Future neben ihm hergelaufen und hat ihn mit sehr kritischen Fragen konfrontiert. Ich wurde auch vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu einer Veranstaltung eingeladen, um dort harte Nachfragen zu stellen. Die wollten ausdrücklich, dass die Zivilgesellschaft sich dort gegenüber den anwesenden Regierungsvertretern kritisch äußert und einbringt. Aber die USA sind trotzdem nach wie vor ein harter Brocken, schwer zu knacken. Was allerdings für eine ganze Gruppe von Industrieländern gilt.

Welche Rolle erwarten Sie hier von der Bundesregierung?

Ich hoffe, dass Annalena Baerbock [deutsche Außenministerin, Anm.d.Red.] bei ihrem Besuch hier eine Führungsrolle einnimmt und diese Blockadehaltung der Industriestaaten durchbricht. Dafür müsste sie sich mit den anderen absprechen und eine Entscheidung fällen: Deutschland möchte sich an die Seite der ärmsten Staaten stellen und nimmt die Entscheidung an, dass hier ein Fonds für Klimaschäden eingerichtet wird – gemeinsam mit den anderen.

Zur Person

Sabine Minninger, Referentin für Klimapolitik bei der NGO Brot für die Welt und Teilnehmerin der UN-Klimakonferenz 2022 in Ägypten, Foto vom 18.02.2018 (Quelle: Presse / Hermann Bredehorst).
Presse / Hermann Bredehorst

"Brot für die Welt" - Sabine Minninger

Die Geografin Sabine Minninger arbeitet seit 2012 als Referentin für Klimapolitik bei der Nichtregierungsorganisation "Brot für die Welt". Sie beschäftigt sich vor allem mit dem Umgang mit klimabedingten Schäden und Verlusten sowie der klimabedingten Migration und Vertreibung. Minninger lebt in Berlin. Vom 6. bis 18. November nimmt sie an der 27. Weltklimakonferenz (COP27) der Vereinten Nationen unter ägyptischer Präsidentschaft in Sharm el-Sheik teil [unfccc.int].

Was macht sie zuversichtlich, dass das passieren wird?

Wir tun im Klimaschutz zu wenig, machen wir so weiter, erreichen wir 2,5 Grad Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts, statt der vereinbarten 1,5 Grad. Die Versprechen, die Industriestaaten gemacht haben, wurden nicht eingehalten. Jetzt auch noch den Ärmsten zu sagen: In der Unterstützung bei der Bewältigung von Klimaschäden wollen wir jetzt mal noch längere Zeit vertrödeln und über Prozessfragen reden, statt hier eine konkrete Entscheidung zu fällen - das würde mich schon überraschen. Wie will die Ministerin dann den am stärksten Betroffenen vermitteln, dass wir sie in der Klimakrise nicht zurücklassen?

Die Staatschefs der wohlhabenderen Länder fliegen einzeln in ihren Regierungsmaschinen zum Gipfel, um dann über Klimaschutz zu verhandeln – ohne Flugzeug erreicht man Scharm el-Sheik schwer. Die klimatisierten Hallen stehen am Rand der Wüste. Coca-Cola, einer der größten Plastikproduzenten der Welt, ist Sponsor dieser Klimakonferenz. Die Hotelpreise waren laut Medienberichten zum Teil so hoch, dass Vertreter einiger ärmerer Staaten nicht kommen konnten. Wie sehen Sie diese Widersprüche?

Ja, das ist alles ziemlich tragisch - und sehr widersprüchlich, ganz klar. Wir sitzen hier in sehr stark runtergekühlten Räumen, draußen ist es extrem heiß. Im Verhandlungszentrum gab es in der ersten Woche nicht genug Wasser zu trinken. Da habe ich mich - zynisch gesagt - schon gefragt, ob man hier irgendwie vermitteln will, wie sich Klimawandel anfühlt. Es ist insgesamt keine gute Verhandlungsatmosphäre.

Haben Sie Beispiele?

Wir haben viele Probleme mit Hotelkosten, die durch die Decke gehen. Hotels haben gedroht, Gäste rauszuwerfen. Wir vermuten, mit dem Ziel, die Zimmer dann noch teurer neu zu vermieten. Uns gegenüber wurden diese Drohungen auch ausgesprochen.

Mit welchem Argument können die drohen?

Damit, dass das Geld nicht rechtzeitig eingegangen sei. Wir haben wie üblich gebucht und gesagt: Schickt uns die Rechnung, wir überweisen sofort. Dann kam die Rechnung aber erst am Freitagabend, es war der 30. September - am Montagmorgen wollten sie das Geld auf dem Konto haben, für zwölf Personen in mehreren Zimmern. Es ist für uns als Organisation völlig üblich, dass wir solche Transaktionen per Rechnung machen, das wurde über Wochen, ja Monate im Voraus besprochen. Nach den Drohungen haben wir Vermittler eingeschaltet, die hier noch mal angerufen haben, haben Bankstatements geschickt, um zu versichern, dass das Geld bei uns sofort rausgegangen ist. Es ging am Ende gut, andere sind aber tatsächlich rausgeflogen. Wir befürchten, dass es vielleicht wieder beim Checkout Probleme geben könnte.

Die ärmsten Staaten kommen nicht im Privatjet hierher. Das Problem ist einfach, dass sie nichts anzubieten haben.

Sabine Minninger, Teilnehmerin der UN-Weltklimakonferenz

Gibt es noch andere Dinge?

Die Hotels sind sehr weit vom Konferenzzentrum entfernt. Mit dem Bus brauche ich auf dem Rückweg an jedem Verhandlungstag anderthalb Stunden. In der ersten Woche musste man hier in Hunderte Meter langen Schlangen warten, um sich ein eingeschweißtes Sandwich für umgerechnet zwölf Euro zu kaufen. Eine Botschafterin eines baltischen Staates hat mir gesagt, dass sie sich im Hotel morgens Brote schmiert, die in eine Serviette einwickelt und sich in die Tasche legt, weil sie keine Zeit hat, sich stundenlang anzustellen. So machen es viele.

Im Vergleich zu dem Problem, was Vertreter aus ärmeren Ländern haben, ist das aber natürlich noch gar nichts. Die haben genausowenig Zeit, können sich aber das Essen schlichtweg nicht leisten. Inzwischen hat die Präsidentschaft dazugelernt, das Essen ist günstiger und es wird mehr angeboten, auch die Wasserspender werden inzwischen gefüllt.

Haben sich Ihre Erwartungen hinsichtlich der Konferenz erfüllt?

Wenn ich hier abreise und es keine vernünftige Entscheidung gibt, die den verletzlichsten Staaten greifbar hilft, dann muss ich sagen: Das waren verlorene zwei Wochen. Wir sind nicht hierher gekommen, um noch mal zwei Jahre zu quatschen oder uns mit irgendwelchen Prozessfragen aufzuhalten und uns in den kleinsten Details zu verlieren. Und das auf dem afrikanischen Kontinent, dem, der am härtesten von der Klimakrise getroffen wird.

Wäre es alleine aus symbolischen Gründen hilfreicher, das Ganze eine Nummer kleiner zu veranstalten als eine Konferenz mit 42.000 angemeldeten Teilnehmenden in einem Badeort in runtergekühlten Hallen am Rande einer Wüste?

Das hat mit dem Inhalt der Konferenz ja nichts zu tun. Die ärmsten Staaten kommen nicht im Privatjet hierher. Das Problem ist einfach, dass sie nichts anzubieten haben. Nichts, was sie als Spielgeld bei den Verhandlungen einsetzen können, außer die Sympathie der internationalen Gemeinschaft und Presse.

Das Opfer von "Name and Shame" zu werden, also als Mächtiger bloßgestellt zu werden, weil man sich verweigert hat, das will auf solchen Konferenzen keiner riskieren - nicht die USA, nicht die Europäische Union, auch Annalena Baerbock nicht. Und deshalb braucht es so einen großen Rahmen, in dem die ganze Öffentlichkeit hinsieht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sebastian Schneider, rbb|24

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.11.2022, 8 Uhr

3 Kommentare

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  1. 3.

    Der UN-Klimagipfel ist ein voller Erfolg weil er die schonungslos offenbarte, dass die Welt-Klimaziele völlig unrealistisch sind.

  2. 2.

    Ich finde es schon toll, dass die Mehrzahl der Teilnehmer mit Fahrrädern, Luftballons und anderen klimaneutralem Zeugs angereist sind. Einige sollen sogar geschwommen sein.
    Zumal der Irrsinn auch darin besteht, dass in Zeiten von Digitalisierung und Videokonferenzen überhaupt so ein Massenauftrieb stattfindet.
    Was für eine verlogene Doppelmoral.

  3. 1.

    Das Problem ist, dass man für das Nichtstun Geld beansprucht von Staaten die was haben. Dann wird es ein krampfhafter Verteilungsgipfel mit Schuldzuweisungen. Das lässt man aber nicht auf sich sitzen.... Nichts menschliches ist einem da fremd.
    Anders, wenn man sagt, was man macht, um die Folgen zu mindern. Dafür dann Voraussetzungen schafft und sich eine Industrie der Klimabewältigung entwickeln kann. Da reicht es nicht, einen Küstenstreifen fordernd auffüllen zu wollen mit fremden Geld... und unkontrolliert schon gar nicht.
    Das eigentliche Ziel, wie die größten Emittenten ihren CO2 Ausstoß verringern können, wirksam (statt T.limit), gerät dann leider in den Hintergrund. Ist also ganz wie zu Hause....

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