Fragwürdige rbb-Personalrochade - Die Legende des Programmdirektors im Live-Interview

Do 03.11.22 | 17:38 Uhr
Symbolbild: Teilnehmer der RBB-Rundfunkratssitzung nehmen am Treffen teil. (Quelle: dpa/B. Pedersen)
Bild: dpa/B. Pedersen

Ein privater E-Mail-Austausch des kürzlich zum stellvertretenden Intendanten beförderten rbb-Programmdirektors Jan Schulte-Kellinghaus mit der damaligen Intendantin Schlesinger wirft Fragen auf. Es geht um eine "gesichtswahrende Lösung" und eine brisante Personalrochade. Vom rbb-Rechercheteam*

Es ist Samstag, der 29. Oktober, als Jörg Wagner gegen 16 Uhr einen eher unerwarteten Anruf erhält. Der Journalist will gerade in sein Auto steigen, um nach Babelsberg zu fahren, denn sein Medienmagazin auf Radioeins beginnt in knapp zwei Stunden. Zu Wagners Überraschung meldet sich rbb-Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus, den er tags zuvor um ein Interview für seine Sendung angefragt hatte.

"JSK", wie der rbb-Programmdirektor intern genannt wird, hatte Wagner bereits tags zuvor eine Absage erteilt. Der hatte seinem Vorgesetzten trotzdem die Möglichkeit eingeräumt, sich bis kurz vor der Sendung zu melden. Jetzt erklärt Schulte-Kellinghaus, er wolle nun doch reden, nachdem das "jetzt hier alles so einen Spin kriegt". Für Wagner, der als freier Journalist in seinem Magazin seit Monaten sachkundig und kritisch über die Krise beim rbb aufklärt, bedeutet das so kurz vor der Sendung Stress. Doch er nimmt dankend an, denn die Sache hat Brisanz.

Archivbild: Jan-Schulte Kellinghaus. (Quelle: dpa/S. Stache)
rbb-Programmdirektor Jan Schule-Kellinghaus, seit Kurzem auch stellvertretender IntendantBild: dpa/S. Stache

Personalfragen über private E-Mails

Am Freitagnachmittag hatte "Der Spiegel" gemeldet, dass es im Skandal um mutmaßliche Vetternwirtschaft beim rbb ein neues Kapitel gebe: Ein internes Dokument, so heißt es in der Meldung, würde zeigen, wie der rbb-Fernsehprogramm-Manager Jens Riehle abgesetzt und durch Oliver Jarasch, Abteilungsleiter "Prozess- und Innovationsmanagement" im Crossmedialen Newscenter, ersetzt werden sollte. Eine brisante Rochade, denn Oliver Jarasch ist nicht nur Journalist, sondern auch der Ehemann von Berlins Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne).

Das "interne Dokument", aus dem die geplante Personalrochade hervorgeht, ist eine E-Mail von Schulte-Kellinghaus vom 2. Juli 2022 an seine damalige Chefin Patricia Schlesinger. Abgeschickt vom privaten E-Mail-Account des rbb-Programmdirektors an den privaten Account von Schlesinger mit dem Hinweis: "Alles noch top secret."

Die Gründe für die Rochade werden klar benannt: Programmdirektor Schulte-Kellinghaus wolle mit seinem obersten Programmplaner Riehle "nicht mehr weiterarbeiten". Auch der Weg, wie der Wechsel möglichst kurzfristig unproblematisch gestaltet werden könnte, wird aufgezeigt: Jarasch solle zunächst kommissarisch ("dadurch ersparen wir uns hoffentlich eine Ausschreibung") den Job übernehmen. Im Klartext: Der Programmdirektor macht seiner Chefin unverblümt klar, dass Riehle von diesem wichtigen Posten weg und durch Jarasch ersetzt werden soll.

Überlastung sei angeblich der Grund

Zu Beginn des rbb-Medienmagazins erklärt Jörg Wagner seinen Zuhörern, dass das folgende Gespräch mit rbb-Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus auf seine Initiative hin stattfindet und "kein bestelltes Interview vom stellvertretenden rbb-Intendanten" sei. Zunächst sagt Schulte-Kellinghaus, er habe keine Erklärung dafür, wie seine Mail an Patricia Schlesinger ihren Weg zum Spiegel fand: "Entweder sind unsere Accounts gehackt worden, oder es ist irgendwie anders zum Spiegel gekommen." Das Wort "anders" heißt: Eine oder einer der Beteiligten könnte die Mail an den "Spiegel" geleakt haben.

Auf die entscheidende Frage des Moderators Wagner, ob es kurz nach Bekanntwerden der ersten Veröffentlichungen zum Verdacht der "Vetternwirtschaft im Dreieck: Schlesinger - Spörl - Wolf" Ende Juni 2022 keine Sensibilisierung für "verdächtig regelwidrig" wirkende Nebenabsprachen gab, antwortet der stellvertretende rbb-Intendant: "Wir hatten folgendes Problem: Wir hatten ja damals noch den ARD-Vorsitz, und Jens Riehle und ich waren extrem eingebunden… Und deshalb war es meine Idee, diese Doppelbelastung aufzulösen."

Eine überraschende Antwort, denn von einer Doppelbelastung war in dem von "Spiegel"-Autor Anton Rainer per Twitter veröffentlichten Auszug aus der Mail nicht die Rede.

Eine E-Mail als eindeutiges Dokument

In der Mail schreibt Schulte-Kellinghaus eindeutig, er wolle nicht mehr mit Riehle "als Programmchef des rbb FS weiterarbeiten" und es habe bereits Gespräche zu einer "gesichtswahrenden Lösung" gegeben. "Die Idee: Er [Riehle - Anm.d.Red.] bleibt Leiter der HA [Hauptabteilung - Anm. d. Red.] Programmmanagement. Daraus wird aber alles, was das rbb FS betrifft, ausgegliedert in die neue HA Koordination des rbb FS. Die besetzen wir kommissarisch bis zum Ende des ARD-Vorsitzes mit Oliver Jarasch (…) und nach einer Ausschreibung wird Jarasch für die dann wieder zusammengeführte HA zuständig sein." Ein ausgeklügelter "gesichtswahrender" Plan, der auch gleich das Ergebnis der zukünftigen Ausschreibung vorwegnimmt. Personalpolitik à la Rundfunk Berlin-Brandenburg?

Im Interview mit Jörg Wagner hört sich das indes so an: "Und dann war es die Idee, dass Oliver Jarasch das Programm-Management übernehmen könnte für die Zeit des ARD-Vorsitzes und deshalb auch das Kommissarische." Anscheinend war dem rbb-Programmdirektor und stellvertretenden Intendanten Schulte-Kellinghaus zum Zeitpunkt des Interviews im Medienmagazin nicht klar, dass der "Spiegel" bereits am Nachmittag Teile seiner Original E-Mail veröffentlicht hatte.

Offenbar strickt der Programmdirektor im Live-Interview eine Legende, will nicht einräumen, was die wahren Gründe für die von ihm als "top secret" eingestufte Personalrochade waren.

Inhaltliche Differenzen statt Mehrbelastung

Programmmanager Riehle sagt auf Nachfrage, er sei damals aus "allen Wolken gefallen", als ihm der Programmdirektor erklärte, dass er ihn von seinen Aufgaben entbinden und gleichzeitig nach einer gesichtswahrenden Lösung suchen werde. "Die Mehrbelastung gab es", so Riehle, "dennoch war sie nach meinem Eindruck nicht der ursächliche Grund, mich von meiner Funktion zu entbinden. Ich hatte am 16. Juni 2022 für mich sehr überraschend erfahren, dass der Programmdirektor mit mir als Programmchef nicht mehr zusammenarbeiten will. Mit der Begründung, dass meine und seine Vorstellungen über die Ausrichtung des rbb-Fernsehens nicht zusammenpassen."

Auf Nachfrage des rbb-Rechercheteams zu seiner Darstellung der Ereignisse im Interview erklärt Jan Schulte-Kellinghaus schriftlich, er hätte die inhaltlichen Differenzen mit Riehle durchaus thematisiert. "Wir waren in einer besonderen Drucksituation mit dem ARD-Vorsitz einerseits und dem trudelnden rbb Fernsehen. In dieser Situation habe ich mit Jens Riehle gesprochen und gesagt, dass ich mit ihm in Sachen rbb Fernsehen nicht weiter zusammenarbeiten will", erläutert der rbb-Programmdirektor. Wer sich das Interview aufmerksam anhört, wird diese Aussage so nicht finden.

Brisanter Vorgang

Ein Programmdirektor sagt auf einer seiner eigenen Radiowellen möglicherweise also nicht die Wahrheit - ein Vorgang, der auch politische Bedeutung erlangen könnte. Denn als Jaraschs Ehefrau Bettina 2021 zur Spitzenkandidatin der Grünen gekürt wurde, hatte der rbb für die heiße Phase des Wahlkampfs eine Änderung in der Verteilung der Aufgaben vorgenommen. Alle Senderverantwortlichen waren sich darin einig, dass schon der Anschein eines Interessenkonflikts vermieden werden musste. Also entband man den Ehemann der späteren Umweltsenatorin von inhaltlichen Aufgaben und übertrug ihm den organisatorischen Aufbau des rbb-Newscenters.

Mit der vom Programmdirektor im Sommer 2022 geplanten Übernahme des Jobs des Programmchefs wäre die Nähe zur inhaltlichen Gestaltung des Programms aber wieder gegeben gewesen. "Die Personalie wäre ein problematisches Signal", schreibt der "Spiegel" in seiner neuesten Ausgabe. Eine Einschätzung, die viele teilen, denn der Programmchef hat durchaus inhaltliche Aufgaben. "In der gegenwärtigen Praxis ist es so, dass alle Entscheidungen zu Sondersendungen und jegliche Platzierung von Programmen im rbb Fernsehen von mir mitentschieden werden", sagt Riehle im Gespräch mit dem Medienmagazin und dem rbb-Rechercheteam. Dies betrifft offenbar auch die politische Berichterstattung. "Wenn wir jetzt zum Beispiel darüber nachdenken, dass und wie wir im Zusammenhang mit der voraussichtlichen Neuwahl in Berlin programmlich reagieren müssen, dann bin ich natürlich in alle Überlegungen eingebunden und entscheide da auch mit." Passt das zu der im rbb in der Personalie Jarasch verabredeten Änderungen der Aufgabenverteilung?

Wunschkandidat ohne inhaltlichen Einfluss aufs Programm?

Schulte-Kellinghaus widerspricht dagegen der Auffassung, dass Oliver Jarasch durch die Übernahme des Postens des Programmchefs inhaltlichen Einfluss auf selbiges hätte nehmen können. "Für den Fall, das Oliver Jarasch die Leitung übernehmen sollte, war von vornherein festgelegt, dass dann die Platzierung von Sondersendungen und insbesondere die Planung für die Vorwahlberichterstattung der Chefredakteur in direkter Absprache mit mir entscheidet, um erst gar keinen Anscheinsverdacht von Einflussnahme aufkommen zu lassen." Möglich ist das, für die Öffentlichkeit aber nicht mehr kontrollierbar. Und in Zeiten, in der den Öffentlich-Rechtlichen ohnehin viel Misstrauen entgegenschlägt möglicherweise keine gute Idee.

Am Ende stellt sich eine Frage: Warum geht ein erfahrener und hoch bezahlter rbb-Programmmanager solch krude Wege, wenn er mit der Leistung eines leitenden Angestellten nicht zufrieden ist? Ein offener und fairer Umgang mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen – das muss im Rundfunk Berlin-Brandenburg offenbar in der Ära nach Patricia Schlesinger neu erlernt werden. Zumindest von einigen.

*Zum rbb-Rechercheteam gehören derzeit René Althammer und Jo Goll. An dieser Recherche beteiligt war Jörg Wagner vom Radioeins Medienmagazin.

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