Rekommunalisierung der Berliner Energienetze - Macht Berlin bei der Fernwärme halbe Sachen?

Do 09.02.23 | 06:08 Uhr | Von Jan Menzel
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Bohrstart für den Aquiferspeicher in Hamburg (Quelle: Hamburger Energiewerke)
Audio: rbb24 Inforadio | 10.02.2023 | Jan Menzel | Bild: Hamburger Energiewerke

Der Berliner Senat will die Fernwärme kaufen und mehrheitlich bei der Gasag einsteigen. Mit an Bord sollen aber die Energiekonzerne Eon und Engie bleiben. Kritiker warnen vor den Risiken dieser Kooperation. Die Stadt Hamburg ist einen anderen Weg gegangen. Von Jan Menzel

Was möglich ist, wenn eine Stadt sich voll und ganz der Energiewende verschreibt, kann Christian Heine von seinem Schreibtisch aus bestaunen. Heine ist Chef der Hamburger Energiewerke.

Sein Unternehmen gehört zu 100 Prozent der Stadt Hamburg und versorgt rund 500.000 Wohnungen mit Fernwärme. Noch wird dafür im Heizkraftwerk Tiefstack Kohle verfeuert. Doch von seinem Büro aus sieht Manager Heine zu, wie vor der hellgrauen Kraftwerks-Kulisse die Zukunft der erneuerbaren Energieversorgung Gestalt annimmt.

Seit einigen Wochen steht dort ein leuchtend orangener Bohrturm. "Eine erste Bohrung ist gerade in der Abteufung und das macht ganz, ganz große Freude", sagt Heine. Gebohrt wird bis auf 1.300 Meter in eine wasserführende Sandsteinschicht tief unter Hamburg. In dieser Schicht soll künftig überschüssige Abwärme aus der Industrie und aus der Müllverbrennung gespeichert werden. Als Speichermedium dient das unterirdische Thermalwasser.

Ein Speicher so groß wie die Elbphilharmonie

Das Prinzip dahinter gleicht dem einer Thermoskanne: Im Sommer wird das Heißwasser in den unterirdischen Speicher geleitet. Im Winter, wenn es in Wohnungen und Büros zum Heizen gebraucht wird, holt man es wieder heraus. Dass Hamburg dafür in den Untergrund gehen muss, erklärt Heine so: "Wenn wir einen großen oberirdischen Wasserspeicher aufbauen würden, der für die Fernwärme relevant wäre, dann hätte der die Größe der Elbphilharmonie."

Der Erdspeicher ist nur eines von vielen Projekten der Hamburger Energiewende "Wir investieren in den nächsten Jahren 1,7 Milliarden Euro in die Dekarbonisierung der Fernwärme", sagt Energiewerke-Chef Heine. Allerspätestens in sieben Jahren soll mit Tiefstack das letzte Hamburger Kohlekraftwerk abgeschaltet und die notwendige Wärme klimaneutral erzeugt werden.

Christian Heine, Chef der Hamburger Energiewerke (Quelle: Hamburger Energiewerke)
Christian Heine, Chef der Hamburger Energiewerke | Bild: Hamburger Energiewerke

Hamburg gehören alle Netze zu 100 Prozent

Hamburg könnte so gesehen Pate stehen, für das, was Berlin beim Klimaschutz und bei der Energiewende vorhat. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied zwischen der Haupt- und der Hansestadt. Hamburg gehören bereits die Energienetze, also Strom, Gas und Fernwärme. Berlin hat bislang nur das Stromnetz zurückgekauft. Die Fernwärme wird noch vom schwedischen Vattenfall-Konzern betrieben, der dieses Geschäft aber abstoßen will. Die Gasag hat mit Vattenfall, Eon und dem französischen Konzern Engie derzeit sogar drei private Anteilseigner.

Erklärtermaßen will der Senat nun bei der Fernwärme zuschlagen und am liebsten auch beim Traditionsunternehmen Gasag einsteigen. Dort soll es eine Partnerschaft mit den bisherigen Anteilseignern Eon und Engie geben. Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos) hat vor geraumer Zeit den Anspruch so formuliert: "Wir wollen in den Driver Seat kommen." Berlin will also die Kontrolle und die Mehrheit an den Netzen.

Im Prinzip findet Christoph Rinke von der Genossenschaft Bürgerenergie Berlin diesen Kurs des Senats richtig. "Die Zeit drängt. Wir müssen schnell vorankommen mit der Energiewende", sagte Rinke. Der Zugriff auf alle Netze sei essentiell.

Dafür müsse aber nicht alles zwingend zu 100 Prozent in Landeshand sein, gibt sich Rinke pragmatisch, schränkt aber ein: "Solange das Land dort nicht Minderheiten bestimmende Rechte einräumt." Berlin soll also gegenüber den Privaten am längeren Hebel sitzen.

CDU: Rekommunalisierung macht Fernwärme nicht günstiger

Für Verhandlungen mit Vattenfall und eine Beteiligung des Landes an der Fernwärme spricht sich auch die oppositionelle CDU aus. Letztlich sei aber der Preis für einen Einstieg des Landes "der springende Punkt", warnt der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff. Er fordert volle Transparenz über die Pläne des Senats: "Denn eins ist klar: Es wird für alle Steuerzahler und Kunden Milliarden kosten. Es ist ein vollkommener Irrglaube, es ist auch gelogen, den Menschen gegenüber zu sagen, dass es günstiger wird, weil der Staat einsteigt, weil auch der muss es refinanzieren."

Gräff ist auch vor diesem Hintergrund dagegen, dass die Netze mehrheitlich oder gar ganz rekommunalisiert werden. "Es reichen 25 Prozent plus 1, damit wir eine Sperrminorität haben. Wir wollen unbedingt, dass privates Know-How, das Wissen, wie man Energiewende macht, da bleibt", bricht der CDU-Politiker eine Lanze für die privaten Energiekonzerne.

FDP warnt vor Teilprivatisierung zu Lasten des Landes

FDP-Haushaltspolitikerin Sibylle Meister hält dagegen sowohl die Senatspläne als auch die Forderung der CDU für unausgegoren. Private und das Land in einem Unternehmen als Eigentümer zusammenzubringen, erinnere sie doch "in vielen Strecken an die misslungene Teilprivatisierung der Wasserbetriebe", sagt Meister. Die Wasserbetriebe waren 1999 teilweise verkauft worden. Dabei wurde privaten Anteilseignern eine Rendite vertraglich garantiert. Der Fall ist als Musterbeispiel einer Privatisierung bei der Staat und Bürger nur draufzahlen in die Berlin-Annalen eingegangen.

Statt nun Kredite für einen Kauf der Netze in die Hand zu nehmen, für die spätere Generationen aufkommen müssten, sollte man lieber Unternehmen die "Herausforderung" der Energiewende überlassen, schlägt Meister vor. Deshalb rät die FDP-Politikerin dazu, die Finger vom Fernwärmenetz zu lassen: "Wir möchten es nicht zurückkaufen. Hier setzt die Koalition einen falschen Schwerpunkt."

Fernwärme ganz oder gar nicht

Was bei einer Liberalen wie Sibylle Meister kaum verwundert, überrascht allerdings bei Carl Wassmuth umso mehr. Wassmuth ist Sprecher des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand und in dieser Funktion einer der lautesten Lobbyisten für eine öffentliche Daseinsvorsorge. Doch im Fall der Fernwärme liegt er zumindest im Ergebnis ganz auf Linie der FDP, wenn er davor warnt, als Land mit den Energieunternehmen gemeinsame Sache zu machen.

Wenn die Stadt jetzt nicht das nötige Geld habe oder eine vollständige Übernahme von Fernwärme und Gas nicht möglich sei, müsse man eben warten, findet Wassmuth. Das Land habe schließlich die Möglichkeiten als Regulator in den Wärmemarkt einzugreifen. So könnten die Gewinne von Konzernen beschränkt werden. Das reduziere automatisch den Wert der Fernwärmesystems und dann sei der Zeitpunkt gekommen, um als Staat über den Kauf zu diesen Konditionen nachzudenken, findet Wassmuth.

Dass was der Senat mit seinem Kooperationsmodell anstrebe, geißelt er als "eine neue Form der Privatisierung". Denn ein solches Konstrukt bedeute, dass immer auch die Renditeerwartungen der Privaten erfüllt werden müssten. Wassmuths Fazit: "Das ist durchaus ein Etikettenschwindel, eine Schein-Rekommunalisierung".

Hamburg hat einige Jahre Vorsprung

In Hamburg hat man diese Sorgen und Abwägungen längst hinter sich gelassen. Die Stadt ist Berlin bei den Energiefragen ein paar Jahre voraus. Als letztes der drei Netze kaufte die Hansestadt 2019 das Fernwärmenetz zurück – zu 100 Prozent wie zuvor auch schon die Infrastruktur für Gas und Strom. Für den Chef der Hamburger Energiewerke Christian Heine waren das genau die richtigen Weichenstellungen. "In vielen Großkonzernen ist es doch so, dass das Geld dorthin geht, wo die höchsten Renditen erzielt werden", gibt der Manager zu bedenken.

Ratschläge für Berlin, möchte Heine aber nicht geben. Jede Stadt sei historisch anders gewachsen. Die Herausforderungen der Wärmewende seien vielerorts aber sehr ähnlich. In Hamburg würden die Entscheidungen über Netzplanung und die Investitionsentscheidungen jedenfalls gemeinsam, zügig und ohne Reibungsverluste getroffen. "Das geht eigentlich nur in enger Abstimmung mit der Kommune", sagt der Energiewerke-Chef.

Beitrag von Jan Menzel

16 Kommentare

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  1. 16.

    @Tom: Wie belegen Sie ihre Behauptung, dass das Stromnetz in Berlin heruntergewirtschaftet wurde?

  2. 15.

    Sorry, wenn ich Sie da enttäuschen muss: Unser Pusemuckel hier ist größer als FF / Main.
    Biogas wird hier aus unserer aller Schei... gemacht. So ganz ersetzt es das Erdgas leider noch nicht. Aber zunehmend kommt die Fernwärme hier aus Hackschnitzeln, Solarthermie und wenn der Bund endlich mal Förderung für Geothermie freigibt, dann auch daher. Immerhin wird Erdgas nicht nur für Wärme hier verbrannt, sondern auch gleich noch Strom draus gemacht (KWK).
    Der Vorteil von DDR Städteplanung war dabei, dass die Leitungen beim Bau von Wohnkomplexen alle gleich mitgebaut wurden. So konnten auch nach und nach Erweiterungen in die angrenzenden alten Stadtgebiete verlegt werden.
    Sicher ist in Metropolen wie HH beim Neubau mehr Aufwand. Da liegt in der Erde ja schon mehr Infrastruktur, um die man drumherum bauen muss. Immerhin ist HH eine der wenigen Städte, deren Leitungen alle in kommunaler Hand sind. Das spart schon mal Geld, weil nichts zurückgekauft werden muss.

  3. 14.

    "Den Berliner Foristen möchte ich sagen, der Rückkauf der Netze hat sich gelohnt, Gewinne für den Landeshaushalt aber viel Geld in die maroden Stromnetze , die ein gewisser schwedischer Konzern hier hinterlassen hat. "

    Das ist hier nicht anders, Vattenfall hat die Stromnetze völlig heruntergewirtschaftet um Profit zu machen.

  4. 13.

    Sorry, wir reden von einer fast 2 Millionen Stadt und nicht von Posemuckel, wo ich Kuhscheiße in Energie umwandel.
    Zur Zeit wird per Schildvortrieb ein Ferwärmetunnel unter der Elbe gebohrt, Fernwärme aus Industrieabgasen und dem Klärwerk Köhlbrand.
    Dadurch wird in einigen Jahren das uralte Kraftwerk Wedel in SH abgeschaltet.
    Den Berliner Foristen möchte ich sagen, der Rückkauf der Netze hat sich gelohnt, Gewinne für den Landeshaushalt aber viel Geld in die maroden Stromnetze , die ein gewisser schwedischer Konzern hier hinterlassen hat.

  5. 12.

    "Ich teile die Bedenken des Sprechers des Vereins Gemeingut in Bürgerhand, Wassmuth, "Das ist durchaus ein Etikettenschwindel, eine Schein-Rekommunalisierung". Und ich fürchte, die linksgrüne Laienpieltruppe macht für den Enderverbraucher alles nur teuer, ..." - Ersterem stimme ich zu. Wie bezeichnen Sie aber die Trachtenjodler von der CDU, die nur eine Sperrminorität für das Land Berlin anstreben und damit für die Endverbraucher alles nur noch viel teurer würde? Wenn Sie den Senat (zurecht) kritisieren, dann müssten Sie die Pläne der CDU noch stärker kritisieren. Eigentlich.

  6. 11.

    Also zunächst einmal gibt es im Südosten Berlins ein Fernwärmenetz, das in E.ON-Händen ist und z.B. auch schon Power-to-Heat bietet...der Zusammenhang "Sozialisieren!" - "Dann Energiewende!" ist vollkommen falsch und billige Propaganda. Die Einzigen, die davon profitieren, sind die beratenden Anwälte, die über ihre Parteimitgliedschaften sich eine goldene Nase verdienen. Zum Anderen ist der zitierte "BürgerIn" doppelt auf dem falschen Dampfer: 1. hat Berlin die Regulierung der Netzentgelte an die BNetzA im Wege der Organleihe abgegeben, 2. ist ein Mißbrauch der Netzentgeltregulierung, um den Wert eines Netzes herunter zu wirtschaften, illegal. Viele Grüße

  7. 10.

    Vor Jahren verkaufte Berlin seine Anteile von der Bewag.
    Das war sicher nicht die beste Entscheidung für die Stadt. Nun sollte daran gedacht werden wieder einzusteigen, gerne wieder die 25,1% um mit entscheiden zu können. Das macht Sinn um an der Entwicklung beteiligt zu sein. Vieles wurde schon erreicht um bald CO2 frei Strom und Wärme zu erzeugen. Wir Berliner freuen uns wenn die Stadtwärme wieder zu Berlin gehört.

  8. 9.

    "Gräff ist auch vor diesem Hintergrund dagegen, dass die Netze mehrheitlich oder gar ganz rekommunalisiert werden. "Es reichen 25 Prozent plus 1, damit wir eine Sperrminorität haben. Wir wollen unbedingt, dass privates Know-How, das Wissen, wie man Energiewende macht, da bleibt", bricht der CDU-Politiker eine Lanze für die privaten Energiekonzerne."

    Das macht die cDU doch gerne, nachdem sie mit der Milliardenpleite überhaupt erst dafür gesorgt hatte dass Berlin sein Tafelsilber verschleudern mußte.

    Aber hier laufen ja noch immer Besserwisser herum die meinen Berlin wäre aus dem Desaster sogar mit einer schwarzen Null herausgekommen. Meist sind das die die Rekommunalisierung verteufeln.

    Der Bankenskandal von 2001 kostet Berlin noch weitere Milliarden.

  9. 8.

    Die Primärenergie wird Strom aus erneuerbaren Quellen, wie Sie sich wahrscheinlich denken können. Aber auch wenn die Primärenergie fossil wäre, wäre der Einsatz von Wärmepumpen sinnvoll: mit denen bekommt man drei mal so viel Wärme aus der selben Energie.

  10. 7.

    Ah, die CDU. Er ist die Stadt finanziell ruinieren, was der Rausverkauf von allem was nicht Niet-und-Nagelfest war erforderlich gemacht hat und jetzt warnen, dass das teuer für den Steuerzahler wird. Genau mein Humor.

  11. 6.

    Das ist doch typisch für Berlin, nicht mal schauen wie eine andere Stadt es mit Erfolg macht und sich ein Beispiel nehmen.
    NEIN immer alleine planen und es - wie andere Projekte - in den Sand setzen und die Steuerzahler zur Kasse bitten.

  12. 5.

    Ich teile die Bedenken des Sprechers des Vereins Gemeingut in Bürgerhand, Wassmuth, "Das ist durchaus ein Etikettenschwindel, eine Schein-Rekommunalisierung". Und ich fürchte, die linksgrüne Laienpieltruppe macht für den Enderverbraucher alles nur teuer, das Gesellenstück habe sie ja für den welwteit höchsten Strompreis schon vorgelegt.

  13. 4.

    "Hamburg gehören bereits die Energienetze, also Strom, Gas und Fernwärme. "
    Ist bei uns hier auch so. Den kommunalen Stadtwerken gehört hier alles und damit bleibt die Energiepolitik auch kommunal.
    Die Wärme kommt bei uns zunehmend aus Biogas (kommunale Kläranlage), Holzhacksczhnitzeln und bald auch Geothermie. Da hinkt wohl das hier beispielhafte Hamburg dann doch etwas hinterher.
    Und wichtig auch: Die Wertschöpfung bleibt in der Region und fließt nicht an Aktionäre irgendwohin ab.
    Mein Respekt gilt den Kommunen, die es nach der Wende trotz aller Anpreisungen durchgestanden haben, ihre kommunalen Stadtwerke NICHT zu verkaufen!

  14. 3.

    ea funktioniert doch jahrelang mit der "Fern"wärme
    warum damit nun mit dem Unbekannten " spielen" ?
    Alles SO lassen, wie es ist - meine Meinung !

  15. 2.

    Berlin kann das nicht. Darum besser die Finger davon lassen sonst wird es wieder einmal teuer für uns Steuerzahler. Siehe den rbb Bericht zur Flughafensanierung wo offensichtlich 800 Mio verschwendet wurden.

  16. 1.

    Hmm.. Wärmepumpen, Abwärme, aber wie soll die Fernwärme entstehen? Was ist die Primärwärme der Industrie, etwa Fossil? Und pumpen wir in Berlin auch die Wärme in die Erde wie Hamburg? Oder gleich tiefer? Technisch ungelöste Fragen mit unbekannten Kosten.

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