Download-Panne in Nordrhein-Westfalen - Brandenburg und Berlin proben digitalen Abi-Ernstfall

Sa 22.04.23 | 13:36 Uhr | Von John Hennig
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Schülerinnen und Schüler sitzen während der schriftlichen Abiturprüfung in Biologie in einem Klassenzimmer. (Quelle: dpa)
Bild: dpa

Erstmals können Schulen in Brandenburg Abitur-Aufgaben selbst herunterladen und ausdrucken. Auch in Berlin gibt es einen "spanischen" Pilotversuch. Doch die Panne in Nordrhein-Westfalen verursacht digitale Unsicherheit. Von John Hennig

Im Januar hat Brandenburg die digitale Generalprobe gemeistert, nun steht ebenso wie für tausende Schüler:innen in diesen Tagen die Abschlussprüfung an. Wenn ab Montag die Abitur-Aufgaben ausgeteilt werden, sollen die Schulen diese in einigen Fächern zuvor selbst heruntergeladen und ausgedruckt haben.

Das neue Verfahren diene "dem Schließen von Sicherheitslücken, die durch die analoge Auslieferung entstanden sind", erklärte ein Sprecher des Bildungsministeriums. Die wichtigen Prüfungsaufgaben sollten nicht vorab in falsche Hände geraten. Doch welche Risiken auch das digitale Verfahren birgt, konnte gerade in Nordrhein-Westfalen beobachtet werden. Dort mussten am Dienstagabend kurzfristig die für Mittwoch vorgesehenen Prüfungen verschoben werden, weil zwei Drittel der Schulen die Aufgaben nicht herunterladen konnten.

Wie Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) in einer Sondersitzung des Schulausschusses am Freitag [wdr.de] erklärte, hatte ein Update des langjährigen IT-Dienstleisters im Mai 2022 an seinen Servern den technischen Infarkt verursacht. Das System habe dann eine hohe Anzahl gleichzeitiger Zugriffe auf die Aufgaben nicht mehr bewältigen können. Und auch der Notfallplan, die Aufgaben mit einem Passwort vom Server des Schulministeriums herunterladen zu lassen, scheiterte - wegen eines menschlichen Fehlers.

Zusätzlich hatte am Dienstagabend ein Tweet der IT-Sicherheitsexpertin Lilith Wittmann aus dem Zerforschungs-Kollektiv digitale Unsicherheit verursacht. Sie hatte einen vermeintlichen Link zu den Aufgaben geschickt. Wittmann erklärte am Mittwochmorgen dem WDR, es handele sich nicht um Original-Aufgaben. Das Produktivsystem sei momentan offline. "Es ist nur das Testsystem, aber es sagt einiges über die Sicherheit des Produktivsystems aus."

Nutzer weiterhin auch Fehlerquelle

Der netzpolitische Aktivist und Journalist Markus Beckedahl aus Berlin betont, wie wichtig es ist, dass Neuerungen auch ausreichend getestet werden. Wenn man Updates oder eine Zwei-Faktor-Authentifizierung einführt - wie in Nordrhein-Westfalen geschehen -, müsste das Wochen vorher durchgespielt werden, "nicht erst im laufenden Betrieb, unmittelbar vor der Prüfung". Bei einem Probelauf im Dezember mit weniger als einem Drittel der Schulen in Nordrhein-Westfalen waren die Probleme laut Schulministerin Feller nicht aufgefallen.

Beckedahl sieht aber auch die fehlende digitale Expertise an den Schulen kritisch: "Eine der größten Fehlerquellen sind die ahnungslosen Nutzer." Es bräuchte qualifiziertes Personal an den Schulen, das auch entsprechend weitergebildet wird, so Beckedahl.

Es gebe noch viele Lehrkräfte, die sich dem digitalen Wandel verschließen. "Es gibt da natürlich auch Ausnahmen, aber wir hören immer wieder, dass es leider noch die Regel ist." Das habe auch die Corona-Pandemie gezeigt, als viele Schulen erstmals dazu gezwungen waren, digitale Lösungen anzubieten.

Erfolgreiche Download-Probe im Januar in Brandenburg

Das Brandenburger Bildungsministerium betonte auf rbb|24-Anfrage, dass "die Abläufe (...) mit dem Probedurchlauf im Januar intensiv geprüft worden" sind. Der Download werde zudem "über ein System realisiert, dass sowohl bei Schulen als auch Schulaufsicht seit langer Zeit im täglichen Einsatz genutzt wird".

Heruntergeladen werden die Prüfungen in den Fächern Mathematik und Französisch in den Grund- und Leistungskursen sowie für Geografie, Politische Bildung und Geschichte in den Grundkursen. Beim Probelauf im Januar konnten laut Bildungsministerium "alle Schulen den Probedruck im vorgegebenen Zeitfenster herunterladen sowie die Dateien entschlüsseln und ausdrucken", wie das Ministerium seinerzeit auf eine Kleine Anfrage im Landtag antwortete [parlamentsdokumentation.brandenburg.de].

Es habe keine Schwierigkeiten bei der "Passwortabfrage beim Dienstmail-Postfach in den Schulen beziehungsweise bei der Entschlüsselung der Zip-Datei mit dem überlieferten Passwort“ gegeben. Zudem gebe es für alle Beteiligten einen zentralen technischen und fachlichen Support sowie Ausweichkonzepte und Notfallszenarien, betonte das Ministerium nun auf Nachfrage.

Die Generalprobe im Januar gelang also - und war tatsächlich frühzeitig erfolgt, mehr als drei Monate vor dem Auftakt des Ernstfalls. Was man damals noch nicht wusste: auch drei Monate vor dem Ernst-Fall, dem Rücktritt der Bildungsministerin.

Keine Probleme bei "spanischem" Pilotversuch in Berlin

In Berlin, wo für die mehr als 15.000 Abiturient:innen die Prüfungen bereits in dieser Woche gestartet sind, werden die Aufgaben für kleine Lerngruppen zum Herunterladen angeboten, "große Lerngruppen werden mit Ausdrucken versorgt", teilte die Bildungsverwaltung mit.

Die Spanisch-Prüfung wurde am Donnerstag geschrieben und die Aufgaben "in einem Pilotversuch komplett als Download zur Verfügung gestellt". Dabei sind laut Bildungsverwaltung keine Probleme bekannt geworden.

Doch selbst wenn Download und Ausdruck problemlos gelinge, sind noch nicht alle Fallstricke umgangen. Nur die Prüfungsvorsitzenden und unterrichtenden Lehrkräfte dürfen zugegen sein, danach müssen die Aufgaben sicher aufbewahrt werden, in einem Tresor - mitunter wird dafür tatsächlich die lokale Bank-Filiale auserkoren. Früher war das tagelang der Fall, nachdem die Aufgaben per Kurier geliefert worden waren.

Das soll nun bald Vergangenheit sein. Denn auch diese menschliche Sicherheitslücke gilt es zu schließen: Vor fünf Jahren mussten bundesweit und auch in Brandenburg tausende Mathe-Prüfungen zwei Mal geschrieben werden, weil die Aufgaben aus einer Schule in Goslar gestohlen wurden. Versehentlich. Von Einbrechern, die im Tresor des Ratsgymnasiums andere Kostbarkeiten vermuteten.

Sendung: rbb24 Inforadio, 19.04.2023, 10:00 Uhr

Beitrag von John Hennig

6 Kommentare

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  1. 6.

    "Wo liegt der Vorteil dieser Variante gegenüber dem bisherigen Verfahren (Zusendung der ausgedruckten Versionen per Dienstpost)?" Die Druckkosten fallen nicht mehr beim Land, sondern in den Schulen an - Kosteneinsparung beim Land; dafür müssen dann vielleicht die Schüler zum Schuljahresanfang das Papier mitbringen (gibt es schon an mindestens einer Grundschule in Ffo).

  2. 5.

    Das waren noch Zeiten, als die Abitursaufgaben rechtzeitig per Kurier zu den Schulen gebracht und im Safe des Rektorats eingeschlossen wurden ...

  3. 4.

    Die Sicherheit konnte nicht erhöht werden: Weil einen Tag vorher (!) ausgedruckt wird. Und dann zum örtlichen Banktresor, wie auch immer, geschafft werden muss...
    Kann eine Druckerei nicht viel viel viel preiswerter drucken als die Drucker in den Schulen? Und vor allem schneller, viel schneller auch?

  4. 3.

    Ein Schlag ins Gesicht für das „böse und dumme“ Lehrpersonal, das überhaupt noch die Arbeit macht, die andere schon längst nicht mehr machen wollen. Von der Politik und Gesellschaft zum absoluten Sündenbock abgestempelt. Was wird passieren, wenn diese noch funktionierenden Lehrer und Lehrerinnen in ihren wohlverdienten Ruhestand gehen? Dann gute Nacht für Schule und Bildung in Deutschland!

  5. 2.

    „Es habe keine Schwierigkeiten bei der "Passwortabfrage beim Dienstmail-Postfach in den Schulen beziehungsweise bei der Entschlüsselung der Zip-Datei mit dem überlieferten Passwort“ gegeben. „
    Ich stell mir vor wie tausende Lehrer stundenlang ihre Arbeit nicht machen können und in überfüllten Lehrerzimmern vor Druckern warten bis es vielleicht geht.
    Nach zich Fehlversuchen.
    Und die Verantwortlichen dann dreist behaupten, Lehrer hätten keine Ahnung von IT. Die ja eigene (!) digitale Lehrinhalte erarbeiten mussten!
    Sicherheit erhöht und Arbeit verlagert?

  6. 1.

    Könnte es sein, dass das digitale Versenden und nachfolgende Ausdrucken durch die Schulen, letztere - wie angekündigt - von zusätzlicher Verwaltungsarbeit entlasten soll? Wo liegt der Vorteil dieser Variante gegenüber dem bisherigen Verfahren (Zusendung der ausgedruckten Versionen per Dienstpost)? Gibt es jetzt auch nur eine Stelle im Ministerium weniger? Dafür bürdet man den Schulen weitere zusätzliche Arbeit und den Schulträgern weitere zusätzliche Kosten auf.

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