Berlin-Reinickendorf - Stoppt die CDU-Verkehrssenatorin einen fertigen Radweg?

Di 20.06.23 | 20:14 Uhr | Von Jan Menzel
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Radwegstopp auf der Ollenhauerstrasse in Reinickendorf (Fotos: Boris Hermel)
Video: rbb|24 | 20.06.2023 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: Boris Hermel

Der neue Berliner Senat redet von mehr Miteinander auf den Straßen - und stellt gleichzeitig Radstreifen in der ganzen Stadt auf den Prüfstand. In Reinickendorf könnte sogar ein schon fertiggebauter Radstreifen wieder wegfallen. Von Jan Menzel

  • Rückbau des Radwegs in der Ollenhauer Straße wird offenbar erwogen
  • In den dortigen Radweg wurden 280.000 Euro investiert
  • In Pankow steht u.a. die Schönhauser Allee auf dem Prüfstand
  • Baustadträtinnen halten sich bedeckt

Die weißen Fahrbahnmarkierungen sind deutlich zu erkennen. Genauso wie die weißen Fahrrad-Symbole heben sie sich vom dunklen Asphalt auf der Ollenhauerstraße ab. Der Radstreifen an dieser viel befahrenen Straße in Reinickendorf ist fix und fertig. Sogar die Parkverbotsschilder stehen. Doch zum Jubeln ist Andreas Rietz nicht zu Mute.

"Die Straßenmarkierungen und die Fahrradmarkierungen auf der Straße sind derzeit mit gelben Kreuzen überklebt", ärgert sich der grüne Bezirkspolitiker. Der Radstreifen, auf dem sicher und bequem geradelt werden könnte, ist somit keiner mehr. Dabei sei die Freigabe der Strecke schon mehrfach angekündigt worden, sagt Rietz. Auch ein Schild kündigt die offizielle Inbetriebnahme für den 14. Juni, 17 Uhr an.

Radwegstopp auf der Ollenhauerstrasse in Reinickendorf (Fotos: Boris Hermel)
| Bild: Boris Hermel

Doch stattdessen kamen die gelben Klebe-Kreuze - und Andreas Rietz und andere Grüne im Bezirk fürchten, dass damit auf dem gut 700 Meter langen Abschnitt der Ollenhauerstraße das Ende der Verkehrswende eingeleitet werden soll. "Wir haben ohnehin schon ein Defizit an Radwegen in Reinickendorf. Wenn wir hier jetzt im Nachhinein einen fertigen Radweg schon wieder verlieren, ist das für den Bezirk ein deutlicher Rückschritt", sagt Rietz.

280.000 Euro stehen auf dem Spiel

Genährt werden diese Sorgen durch interne Schreiben und Pressemitteilungen aus der seit dem Regierungswechsel von der CDU-Politikerin Manja Schreiner geführten Mobilitätsverwaltung. Darin ist von Überprüfung, Priorisierung und Finanzierungsvorbehalten bei Radweg-Projekten die Rede. Ganz offen heißt es auch: "Die neue Hausleitung unserer Senatsverwaltung wird künftig andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung setzen."

Radverbände wie Changing Cities und Verkehrsstadträte der Grünen warnen Schreiner seit Tagen vor einer Blockade beim Radwegebau. Mehr als ein Dutzend Projekte berlinweit könnten nicht wie geplant realisiert werden, wenn es bei dem faktischen Stopp durch die Mobilitätsverwaltung bleibe, kritisieren sie. Dass aber ein bereits fertiggestellter Radstreifen unter die Räder der neuen Verkehrspolitik geraten könnte, wäre eine neue Qualität.

"Wenn dieser Fahrradweg nicht freigegeben wird, droht erstens, dass die Firmen bezahlt werden müssen. Es droht zweitens, dass finanzieller Aufwand durch das Abkleben mit gelben Kreuzen entsteht. Und es droht drittens, dass gegebenenfalls Fördergelder zurückgezahlt werden müssen", warnt der Grüne Andreas Rietz. Aus Unterlagen, die dem rbb vorliegen, geht hervor, dass für den Radstreifen an der Ollenhauerstraße Ausgaben von bis zu 280.859 Euro für die Baufirma bewilligt wurden.

Stadträtinnen gehen auf Tauchstation

Dreiviertel der Summe hat der Bund aus Mitteln des Sonderprogramms "Stadt und Land" zugeschossen. Dieses Geld müsste das Land zurückzahlen, wenn aus dem Radweg wieder Straße oder Parkplatz werden sollte. Dass dies - trotz der Konsequenzen für die Verkehrssicherheit und für die Steuerzahler - im Rahmen des Möglichen ist, zeigt die Reaktion von Reinickendorfs Verkehrsstadträtin Julia Schrod-Thiel (CDU).

Auf rbb-Anfragen antwortet Schrod-Thiel zunächst nicht. Dann heißt es, die Stadträtin sei nicht zu sprechen, und schließlich teilt eine Mitarbeiterin in einer Mail mit, dass der Bezirk die Überprüfung der Vorhaben durch die Mobilitätsverwaltung abwarte. Daher "können wir derzeit keine Aussage treffen, da z. B. neben den Fragen zu den Finanzen noch weitere Aspekte zu berücksichtigen sind".

Ähnlich wie Schrod-Thiel in Reinickendorf geht auch die Pankower Verkehrsstadträtin Manuela Anders-Granitzki (CDU) regelrecht auf Tauchstation. Erst auf wiederholte Nachfrage schickt ihr Büro den dünnen Satz: "Frau Anders-Granitzki steht für ein Interview derzeit nicht zur Verfügung." Fragen nach dem möglichen Aus für Radwege bleiben unbeantwortet. Dabei schlagen in Pankow die Wellen derzeit besonders hoch, weil plötzlich der lange geplante Umbau der Schönhauser Allee wieder in Frage steht.

Grüne und Linke beharren auf Vorhaben

Fußgänger haben derzeit auf den engen Gehwegen in der belebten Einkaufsstraße kaum Platz. Der schmale, kurvige Radweg ist nicht für bis zu 10.000 Radfahrende täglich ausgelegt. Von einem "1,50-Meter-Hoppelfahrradweg" mit vielen gefährlichen Kreuzungen und häufigen Unfällen spricht die radverkehrspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Oda Hassepaß.

Die Planungen für den Umbau der Schönhauser Allee sind seit geraumer Zeit fertig. Für dieses Jahr ist der Baubeginn angekündigt. Der alte Radweg soll künftig dem Gehweg zugeschlagen werden. Eine Animation der landeseigenen Radplanungsgesellschaft Infravelo zeigt, dass dort wo jetzt Autos parken, ein breiter, geschützter Radstreifen angelegt werden soll. Für Straßenbahn und Autos würden zwei Spuren je Fahrtrichtung bleiben.

Dass nun aber nach über acht Jahren Diskussion wieder nichts passieren soll, ärgert den verkehrspolitischen Sprecher der Linken in Pankow, Wolfram Kempe. "Die Planung ist ja nicht übers Knie gebrochen worden, sondern das ist nach vorne und hinten, nach links und rechts diskutiert und untersucht worden. Von daher kann man nicht von einem Schnellschuss reden, den man jetzt vielleicht noch mal überprüfen müsste", sagt Kempe.

Senatorin Schreiner: Bestandsaufnahme läuft

Auch an der Schönhauser Allee rechnet Kempe damit, dass dem Land Berlin durch den Radwege-Stopp Mehrkosten entstehen. Wobei die Schönhauser Allee nur der Anfang sein könnte: "Nach meiner Kenntnis sind elf Projekte im Prenzlauer Berg und in Pankow benannt. Darunter ist auch die Storkower Straße." Auch hier stehen sichere Radanlagen nun wieder auf dem Prüfstand.

Kempe, der seit 23 Jahren in der Verkehrspolitik aktiv ist, sagt, dass er so etwas noch nicht erlebt habe. "Die CDU hat ja häufig darüber gewettert, dass ideologische Verkehrspolitik gemacht worden wäre in den letzten Jahren. Ich habe noch nie so viel Ideologie und ideologische Verkehrspolitik erlebt, wie in den letzten drei Monaten", kritisiert er und fordert, dass die Verkehrsverwaltung schnell Klarheit schaffen müssen, wie es mit dem Ausbau der Rad-Infrastruktur weitergehe.

Danach sieht es vorerst aber nicht aus. Auch Verkehrssenatorin Manja Schreiner lässt nur schriftlich über eine Sprecherin mitteilen, dass eine "Bestandsaufnahme" noch laufe: "Zum aktuellen Zeitpunkt können wir zu einzelnen Projekten noch keine Aussage treffen." Der Umbau der Schönhauser Allee und der fertige Radstreifen an der Ollenhauerstraße stehen damit weiter unter Senats-Vorbehalt.

Sendung: rbb24 Abendschau, 20.06.2023, 19:30

Beitrag von Jan Menzel

230 Kommentare

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  1. 230.

    1. Berlin wurde erst nach dem 2.WK zur Autostadt.
    2. Ich lebe mein ganzes Leben hier (über 30 Jahre) und ich will das Fahrrad und Züge.
    Das hier die ganzen Bild-Jünger so tun als sei das Auto Jott jejeben und das Fahrrad nur von Zugezogen gewünscht ist, ist eine reine Lüge. Berlin ohne Auto, ick freu ma uff de Zukunft!

  2. 229.

    Der Anteil der Radfahrer ist noch kleiner als der des MIV. Mehr Straßenbahnen würde ich gerne sehen oder mich sogar schon mit dem Busfahrplan vor Jarasch zufrieden geben.

  3. 228.

    Die Anwohner waren gegen den Radweg in dieser Form. Hier haben also Linksalternative sich an denen "auslassen" wollen und kommen damit sogar wahrscheinlich durch.

  4. 227.

    @ rbb: Danke für das kühle Kopf bewahren und Kommentare sichten, jeder Beitrag zu Verkehrspolitik und Klima ist aktuell wahrscheinlich ein Überstundengarant für euch/Sie.

  5. 226.

    Dass Sie keine Lust auf Stau haben ist nachvollziehbar. Da sehe ich täglich an vielen roten Ampeln, die von Radlern auf dem Gehweg umfahren oder gleich ganz ignoriert werden. Nur rechtfertigt das keine Drohung, dass Sie bei Nichtausbau der Radinfra weiter über Gehwege fahren würden. Ansonsten wäre Ihre Aussage, dass Fußgänger und Radfahrer Verbündete seien, unverständlich.

  6. 225.

    Sie haben Recht, auf Gehwegen haben Radfahrende nix zu suchen - ich habe mich missverständlich ausgedrückt, ich meinte Radwege, die auf der Nicht-Fahrbahnfläche - also technisch und historisch betrachtet dem Gehweg - erbaut wurden. Dies sind Flächen, die eigtl ausschließlich dem Fußverkehr gehören und die aufgrund des steigenden Radverkehrs nicht etwa auf der Fahrbahn Platz fanden, sondern technisch-baulich auf dem Gehweg. Ich rede also von baulich getrennten Radwegen auf eigentlichen Gehwegflächen. Diese Nutzungskonkurrenzsituationen zwischen Rad- und Fußverkehr gäbe es nicht, würde man auf der Fahrbahn für mehr Flächengerechtigkeit sorgen und mehr Radfahrstreifen und Schutzstreifen schaffen. All I'm saying :)

  7. 224.

    Blöd halt, wenn auch andere Brücken Baustelle sind und deshalb kaum Kapazität für weitere Umleitungen vorhanden sind.

  8. 223.

    Es ist unfair, die Konsequenzen jahrzehntelanger CDU-SPD-FPD-Politik zugunsten des Automobilverkehrs jetzt an allen Anwohnern und lokalen Verkehrsteilnehmern auszulassen und den Bürger/innen auf einmal die Verantwortung und Lösung des Autodilemmas überzuhelfen. Weder Rad- noch Autofahrer können im Normalfall was dafür, daß Wirschaft und Verkehr auf Auto als Basis ausgelegt sind. In Grünheide entsteht unter politischem Jubel und Druck ein neues Autowerk, und die Berliner sollen sich um die Straße zanken.
    Klar braucht es endlich sichere und bessere Radfahrmöglichkeiten in Berlin. Stopp der angeführten Beispielprojekte ist Unfug. Parallel braucht es eine Politik, die den Autoverkehr insgesamt überflüssiger macht. Gezwungenermaßen sind einige tatsächlich bei ihrem Tun auf ein Auto angewiesen, und das sollte geändert werden. Dahingehend, daß die Leute das ihnen notwendige auch ohne Auto tun können.

  9. 221.

    100 Jahre zuruck blicken ist zwar nett, bringt uns heute aber nichts. Ich blicke auf die letzten 30 Jahre zurück und die Entwicklung seitdem.

  10. 219.

    Na dann gibt es noch Luft nach oben, die Zulassungszahlen zeigen es. Find ich toll

  11. 218.

    Genau aus diesem Grund haben aber sicherlich ganz viele CDU gewählt. Zu recht.

  12. 217.
    Antwort auf [Alfred Neumann] vom 21.06.2023 um 13:27

    2x 1,5 Kilometer Umweg auf Körperkraftbasis. Autos durften noch über die Oberbaumbrücke, aber die Radfahrer sollten Umweg fahren. Sehr Fahrradbevorzugend in ihren Augen. Wär sinnvoller gewesen die Autos umzuleiten in meinen Augen.

  13. 216.

    Endlich Politik für alle. Für alle die Auto fahren. Der überwältigende Rest der Bevölkerung interessiert uns nicht, wählt uns nicht.

  14. 215.

    Ich fahre auf der besagten Strecke Ollenhauer Str mit dem Fahrrad zur Arbeit. Es ist auf der ganzen Strecke zwischen Frohnau und dem Jakob Kaiser Platz die unzumutbarste und gefährlichste Stelle. Das dort der bereits fertiggestellte Radweg wegfallen soll, ist dermaßen traurig und unbegreiflich, das man am gesunden Menschenverstand zweifeln muss.

  15. 214.

    Der alte weiße Mann irrt oft. Lassen wir ihm seine Bubble.

  16. 213.

    "..Man kann auch in seinem Kiez wo man wohnt arbeiten..." - Vor allem kann man in seinem Kiez auch seine Stütze holen...

  17. 212.

    SO genau wird es komme … Sehr richtig zu Ende gedacht … Und E-Bikes und E-Scooter sind und waren dazu auch schon immer nur ganz ordinäre Mofas, die eh nix auf irgendwelchen „Fahrradwegen“ zu suchen haben und hatten !

  18. 211.

    Zwei Spuren reichen dort für den Autoverkehr vollkommen aus, die Kreuzung in Adlershof kann eh nicht mehr Autos bewältigen und sollte der neue Radweg mal durchgängig vom Treptower Park bis Grünau führen (das ist hoffentlich geplant) und vielleicht auch noch die Ampelschaltungen auf Fahrradgeschwindigkeit angepasst werden, werden auch dieses Teilstück viele Radfahrer nutzen. Ist dann einfach schneller als mit dem Auto, günstiger sowieso. Die verbleibenden Autofahrer haben letztlich auch wieder mehr Platz, wenn mehr Leute Fahrrad fahren. Win-Win und überhaupt keine Diskussion wert...

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