Umstrittene Randbebauung - Senat nimmt wieder vorsichtig Anlauf aufs Tempelhofer Feld

Fr 18.08.23 | 07:51 Uhr | Von Thorsten Gabriel
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Archivbild: Ein Masterplan für die Bebauung des Tempelhofer Feldes ist am 02.04.2014 in Berlin auf dem Tempelhofer Feld zu sehen. (Quelle: dpa/S. Pilick)
Video: rbb24 Abendschau | 17.08.2023 | Material: Thomas Rostek | Bild: dpa/S. Pilick

Beim Volksentscheid 2014 lehnte eine Mehrheit eine Bebauung des Tempelhofer Felds ab. Doch seit Jahren wird diskutiert, ob Wohnen am Feldrand doch möglich sein sollte. Nun schiebt die schwarz-rote Koalition einen Ideenwettbewerb an. Von Thorsten Gabriel

  • Debatte um mögliche Randbebauung des Feldes nimmt wieder Fahrt auf
  • Stadtentwicklungsverwaltung will Ideenwettbewerb starten
  • Mögliche Beteiligung der Bevölkerung noch völlig unklar
  • Initiative "100% Tempelhofer Feld" pocht auf Volksentscheid von 2014

Wie geht man angemessen mit erfolgreichen Volksentscheiden um? Beim Streiten über diese Frage hat Berlin einigermaßen Übung. Mal ging es um die Offenhaltung des früheren Flughafens Tegel, mal um die Vergesellschaftung von privaten Wohnungskonzernen. Und nun wieder: um das Tempelhofer Feld. Hier ist die Lage gleich in mehrfacher Hinsicht speziell.

Anders als beim Tegel- oder "Enteignungs"-Volksentscheid stimmten die Berliner:innen in Sachen Tempelhof über ein konkretes Gesetz ab. Es trat unmittelbar in Kraft und seitdem ist das Feld sakrosankt – fast. Denn die frühere rot-rot-grüne Koalition tastete das Volksgesetz einmal an und änderte es. Damals ging es darum, Geflüchteten am Feldrand Unterkunft zu verschaffen. Für alle Wohnungsbauträume allerdings galt: Kommt nicht infrage.

Wie ändert man ein Gesetz, das per Volksentscheid zustande kam?

Mit der sich verschärfenden Krise auf dem Wohnungsmarkt änderte sich allerdings der Blick vieler Hauptstädter auf die grüne Freifläche mitten in der Stadt. Spätestens seit 2018 fand die Frage, ob das Feld am Rand nicht doch für den Wohnungsbau genutzt werden könnte, in Umfragen immer eine Mehrheit. Meinungsumfragen sind zwar keine amtliche Volksabstimmung, aber sie geben zumindest Aufschluss über die Stimmungslage – die sich binnen fast zehn Jahren durchaus wandeln kann, wenn sich Rahmenbedingungen ändern.

Rein rechtlich könnte das Berliner Abgeordnetenhaus ohne Umschweife das Tempelhofer-Feld-Gesetz von 2014 ändern und Wohnungsbau ermöglichen. Auch Volksgesetze sind normale Gesetze, sie sind nur anders zustande gekommen. Da allerdings gab es in den zurückliegenden Jahren immer Bedenken auf der politischen Bühne. Wenn man dieses Gesetz noch einmal antaste, so wurde von vielen Seiten argumentiert, dann nur, wenn dies erneut durch die Bevölkerung legitimiert wird.

CDU und SPD haben internationalen städtebaulichen Wettbewerb verabredet

Also ein neuer Volksentscheid? So einfach ist die Sache nicht. Denn "Volksbefragungen von oben", etwa durch den Senat, sieht die Berliner Verfassung explizit nicht vor. Entsprechend nebulös sieht denn auch die Verabredung aus, die CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag zu diesem Thema notiert haben: "Zu dieser Frage gesamtstädtischer Bedeutung ist die Neubewertung durch die Berlinerinnen und Berliner maßgeblich", heißt es da lediglich schmal. Und auch ansonsten gibt es bislang nicht viel Neues zur Frage, ob es künftig wieder Wohnungsbau am Feld geben könnte.

Beschlossen haben die beiden Regierungsparteien lediglich, dass sie "mit einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb (…) die Möglichkeiten einer behutsamen Randbebauung in begrenzten Teilen der Fläche ausloten" wollen. Es bedürfe "angesichts der zugespitzten Wohnungsnot seit dem Volksentscheid 2014" einer neuen Debatte über die Zukunft des Tempelhofer Feldes, heißt es noch im Koalitionsvertrag.

Neues Beteiligungsformat soll "Bedarfe der Stadt" ermitteln

Diese Debatte will die SPD-geführte Stadtentwicklungsverwaltung in Gang bringen. Dazu plane sie ein "neues Format", das derzeit senatsintern abgestimmt werde, wie Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt der Deutschen Presse-Agentur sagte. Sie rechne damit, dass es im September einen konkreten Vorschlag geben könne. Ziel sei es, "aktuelle Bedarfe der Stadt zu ermitteln", dann solle geschaut werden, inwieweit Teile dieser Bedarfe an den Rändern des Tempelhofer Feldes "sehr verträglich" geplant und realisiert werden können. "Dieser Prozess muss natürlich ergebnisoffen sein".

Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) findet die Debatte lohnenswert, wie er am Donnerstag der rbb24 Abendschau sagte. Das Tempelhof Feld sei eine riesige Fläche, bei der trotz einer möglichen Bebauung auch viel Freifläche erhalten werden könne.

"Wir reden über eine behutsame Randbebauung. Es muss so sein, dass die anderen Nutzungen noch möglich sind und das die Funktionen, die das Feld hat - Klimafunktionen, Aufenhaltsfunktionen, Freiflächen - dass das eben auch erhalten bleibt. Dass wir aber gleichzeitig die Wohnungsnot dadurch lindern, dass wir dort Wohnungen bauen." Gaebler sagte außerdem, man wolle dort mit landeseigenen Gesellschaften und gemeinwohlorientierten Genossenschaften bauen.

"Mietwohnungen für die Mitte der Gesellschaft"

Bei der Initiative "100% Tempelhofer Feld", die einst den erfolgreichen Volksentscheid auf den Weg brachte, kommt das gar nicht gut an. Das Vorgehen sei ebenso fragwürdig wie der im Koalitionsvertrag vorgesehene Ideenwettbewerb, sagt Amaya Kreye von der Initiative. Eine neue Bürgerbeteiligung, von der zudem noch keiner wisse, wie sie aussehen solle, sei nicht gleichwertig mit einem gültigen Volksentscheid. Sie sagt auch: Um den Wohnraumbedarf zu decken, würde das Feld nicht benötigt.

Anders argumentiert der baupolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff. Auf Radioeins verteidigte er den internationalen Ideenwettbewerb und den Gedanken, einen Teil der Fläche – wie vor dem Volksentscheid geplant – für Wohnungen zu nutzen.

Aus seiner Sicht sollten bei einer erneuten Volksbefragung, wie immer sie aussehen sollte, ganz konkrete Pläne zur Abstimmung gestellt werden. Entstehen sollten dort "Mietwohnungen für die Mitte der Gesellschaft", also "für Krankenschwester und Polizist". Gräff verwies außerdem darauf, dass das Feld am Rand bereits an vielen Stellen mit Beton versiegelt sei und nicht überall Grün angetastet werden müsste.

Letztlich sind die Argumente, die für oder gegen eine Randbebauung des Feldes sprechen, seit Jahren ausgetauscht. Neue sind nicht hinzugekommen. Und auch jetzt steht fest: Kurzfristig wird hier kein Wohnungsbedarf gedeckt werden. Es ist ein Projekt für die Langstrecke, bei dem die derzeitige CDU-SPD-Koalition bis 2026 allenfalls erste Weichen stellen kann.

Sendung: Radioeins, 17.08.2023, 13:50 Uhr

Beitrag von Thorsten Gabriel

134 Kommentare

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  1. 134.

    "... Die Statik ist nicht tragfähig für jegliche Bebauung! ..."
    Verstehe ich nicht?!

  2. 133.

    Nach meinem Informationsstand wird auf dem Gelände von TXL schon gebaut. :-)

  3. 132.

    Jeder Volksentscheid ist sinnfrei!
    Der Tempelhofer Flughafen TXL ist unbebaubar!
    Die Statik ist nicht tragfähig für jegliche Bebauung!
    Solange dies nicht beseitigt wird, kann Berlin nicht bauen auf dem TXL!
    Volksendscheid hin oder her.

  4. 131.

    Wohnungsmangel hin oder her. Was hängen bleibt ist, dass die Politik sich nicht an Volksentscheide halten will und die Meinung der Bürger einfach nicht zählt. Echt toll. Ihr macht es den Blauen sehr einfach.

  5. 130.

    So ist es. Aber sie ist Architektin!!!
    Und Architekten sagen von sich: Ich wollte schon immer etwas ganz Verrücktes machen!

  6. 129.

    Ich persönl. glaube, dass gegenwärtig bei den Baupreisen keine moderate, strikt limitierte Anzahl von WE durchzubekommen ist! Eine durchdachte Anzahl, die sich weniger auf sich nachfolgende Sozialbauten u. Versorgungszentren ausgewirkt hätte, hätte man damals noch errichten können. Wenn heute eine nur limitierte Anzahl v.WE durchkommen kann, wird die Errichtung zu teuer. ich denke, dass die kluge Nutzung bereits versiegelter Randbereiche schon damals außer Acht geblieben ist. Man hatte andere Prämissen u. heute sehe ich den Zug für moderate MIetwohnungen einfach als "abgefahren an". Alles wird vernutzt u. heruntergetreten, schließl. ist Sonnen, Picknick elementarer Bestandteil d. Erholung! Spiel u. Spaß f. alle. Das entspricht dann doch der woken Hauptstadt-Community. Sollen doch die Leute der Serviceberufe mit den Verkehrsmitteln raus an die Stadtränder fahren, weil das nach Schichtschluss mit 60 Minuten Fahrtzeit so toll ist.

  7. 128.
    Antwort auf [Berliner] vom 18.08.2023 um 19:27

    Sie lassen lieber die Einöden auf dem ehemaligen Flughafengelände bestehen als den Menschen bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Was soll denn an dieser Steppe Kulturerbe sein? Und wo sollen die Menschen wohnen? das ist nicht gerade eine soziale Einstellung. Hauptsache ich habe meine Spielwiese, lasst doch die Anderen obdachlos sein. Was interessiert mich deren Elend?

  8. 127.

    Der Hinweis auf die Bibliothek bezog sich auf das damalige Wahlverhalten der Bürger, hat mit heute nix zu tun! Geht eigentlich auch aus meinem Text hervor.

  9. 126.

    Das hat aber nichts damit zu tun, dass ein kleiner Teil des Tempelhofer Feldes mit Wohnungen bebaut werden soll. Bei den jetzigen vagen Plänen ist keine Bibliothek vorgesehen. Darum ist Ihr Beitrag unverständlich und zusammenhanglos.

  10. 125.

    Schon der Alfred E. Neumann wollte nicht begreifen, dass die Senatsverwaltung dazu Mittel und Personal bereitstellen muss.

    Und im Übrigen pflege ich nicht mit notorischen Lügnern zu diskutieren. Bringt nix. Vor allem wenn sie statt Argumente nur Lügen und Whataboutism kennen.

  11. 124.

    Und die ZLB wartet immer noch auf einen Neubau, dessen Kosten am Blücherplatz 2020 ebenfalls mit 500 Mio Euro abgeschätzt worden sind.

  12. 123.

    Das Problem Wohnungsmangel ist doch einfach zu beheben.
    Einstellen von weiterem Wohnungsbau, damit nicht alles zubetoniert wird. Keine Wohnungen mehr vorhanden, kein Zuzug nach Berlin möglich. FERTIG

  13. 122.

    Es wir hier keine bezahlbaren Wohnungen geben. Kein Mensch, der heute oder morgen von Wohnungsnot betroffen ist, wir hier eine Wohnung finden. Aus irgendwelchen Gründen wird es nötig sein, einen "gewissen" Teil freifinanziert zu bauen, mit dem Ergebnis, dass hier jede Menge Luxuswohnungen entstehen. Nein Danke!

  14. 121.

    Vielleicht ist in Vergessenheit geraten, dass die Abstimmung dadurch so ausgefallen ist, weil bei einer Zustimmung mit ja, die "Wowi Gedenkbibliothek" auch dort gebaut werden sollte. Darauf haben viele, ich auch, mit nein gestimmt.

  15. 120.

    "Nun ist es aber so, dass mehr Wohnungen die Mieten stabil halten oder sogar senken."
    Das Credo einst der FDP, dann der CDU und nun auch der SPD. Und das, obwohl sich ein derartiger Effekt nirgendwo nachweisen lässt. Solange alles weitgehend dem freien Markt überlassen wird steigen die Mieten nach Anbebot und Nachfrage. Und deshalb haben sie sich auch in den letzten 10 Jahren verdoppelt; jedenfalls die Neuvermietungen.

    Das T-Feld wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein, der aber auch gar nichts an der Entwicklung ändern wird. Denn der Zuzug findet weiter statt. Sei es aus den neuen Bundesländern oder aus der Welt. Bewegen Sie sich doch einmal auf dem T-Feld: Sie finden dort Leute vor, die zu 50% nicht deutsch sprechen.
    Vielleicht wird ja Berlin auch irgendwann so groß wie New York, Mexiko City, San Paulo oder Tokio? Und dann?

  16. 119.

    Noch mehr Bäume auf dem ehemalige Flughafen Tempelhof wären unter Naturschutzgesichtspunkten keine so gute Idee, da das Besondere ja gerade die Offenlandarten wie z.B. die Feldlerche sind, deren Lebensraum durch Besiedlung, Windkraft- und Photovoltaikanlagen immer mehr eingeschränkt wird.

  17. 118.

    Im Artikel wird Senatsbaudirektorin Kahlfeld mit dem Satz "aktuelle Bedarfe der Stadt zu ermitteln" wiedergegeben!
    Wenn Fr. Kahlfeldt und CDU / SPD die Bedarfe der Stadt nicht kennen sollten sie sofort die Regierung niederlegen!!!

  18. 117.

    Ich glaub mich auch zu erinnern das ein Reg. Bürgermeister dort unbedingt eine Bibliothek für damals 500 Millionen Euro bauen wollte und viele Menschen damit nicht einverstanden waren.

  19. 116.

    Meinen Sie Konzerne wie z.B. WBM, degewo und Gesobau?

  20. 115.

    Vergangene Volksentscheide müssen auch revidiert werden wenn sich die Grundlagen geändert haben. Nichts auf dieser Welt ist ewig und ein Volksentscheid ist wie jede politische Entscheidung zu ändern, wenn sich die Verhältnisse geändert haben.
    Und in Bezug auf das Tempelhofer Feld und den Wohnungsmangel haben sich die Verhältnisse geändert.

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