Interview | Männer und Sexismus - "Selbstkritik und Männlichkeit ist ein schwieriges Thema"

Di 15.08.23 | 06:04 Uhr
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Christoph May gibt Workshops zur kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit (Quelle: rbb/David Donschen)
Bild: rbb/David Donschen

Sexuelle Belästigung im ÖPNV ist für viele Frauen Alltag, sei es verbal oder körperlich. Um das Problem zu lösen, braucht es Veränderung bei den Männern, sagt Christoph May. Er bietet Workshops zur kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit an.

rbb|24: Immer wieder berichten Frauen darüber, wie sie in Bussen oder Bahnen angestarrt oder sogar angefasst werden. In den meisten Fällen sind es Männer, die als Täter in Erscheinung treten. Warum machen sie das?

Christoph May: Weil viele Männer von klein auf lernen, Frauenkörper zu sexualisieren und zu objektivieren. Ich kenne kaum Männer, die Frauen beziehungsweise FLINTA* auf Augenhöhe begegnen oder mit Frauen normale Freundschaften führen, ohne sie ständig als Dating-Material oder als Sexobjekte zu sehen und sie auf ihren Körper zu reduzieren.

Zur Person

Christoph May bietet Workshops zu einem kritischen Umgang mit Männlichkeit an, die sich nicht nur an Männer richten. Er hat 2016 gemeinsam mit der Schriftstellerin Stephanie May das Institut für Kritische Männlichkeitsforschung (Detox Masculinity Institute)
gegründet. Studiert hat er Literaturwissenschaften, Komparatistik und Alte Geschichte.

Was tun Sie selbst als Mann, wenn Sie mitbekommen, dass eine Frau anzüglich angesprochen wird?

Ich frage zunächst einmal, ob die Frau Hilfe will, und helfe nicht einfach ungefragt. Besser ist es, gemeinsam zu entscheiden, wie die Hilfe aussehen kann - um diese dann gemeinsam umzusetzen. Wenn einem auf der Straße oder Bahn ein übergriffiges Verhalten auffällt, sollte man aus meiner Sicht vor allem die Männer in die Pflicht nehmen. Ich würde also versuchen, beim Mann irgendwie für ein Bewusstsein zu sorgen, dass sein Verhalten nicht in Ordnung ist - aber im Zweifel auch damit drohen, die Polizei zu rufen.

Und was ist, wenn es ein Kumpel oder Freund ist, der einer Frau hinterherpfeift?

Wenn ich das bei Freunden erleben würde, würde ich sofort etwas sagen und sie auffordern, sich zu entschuldigen. Wenn sie nicht bereit sind, zuzuhören oder zu lernen, würde ich Abstand nehmen. Wenn sie gar keine Offenheit für ein Gespräch oder eine Änderung des Verhaltens zeigen, würde ich die Beziehung abbrechen.

Was in New York begonnen hat, ist inzwischen auch in Berlin häufiger zu beobachten: Frauen ziehen sich übergroße T-Shirts über ihre Kleidung, um sich vor Blicken zu schützen, das sogenannte Subway-Shirt. Was halten Sie davon?

Ich finde es traurig, dass wir immer noch in einer Gesellschaft leben, in der so etwas überhaupt nötig ist. Es sollte nicht die Aufgabe von Frauen und queeren Menschen sein, sich im öffentlichen Raum irgendwie schützen oder verstecken zu müssen. Sie sollten tragen können, was sie wollen, aussehen, wie sie wollen und sie sollten niemals damit rechnen müssen, dafür sexualisiert, angegriffen oder klein gemacht zu werden.

Wofür steht FLINTA*

Das Akronym FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen. Der angehängte Asterisk (*) dient dabei als Platzhalter, um alle nicht-binären Geschlechtsidentitäten einzubeziehen. Der Ausdruck wird oftmals verwendet, um diejenigen zu umfassen, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität patriarchal diskriminiert werden.

Es gibt Männer die, angesprochen auf ihr übergriffiges Verhalten, mit Sätzen wie "Ach, du stehst doch darauf" reagieren. Warum sind manche Männer so beratungsresistent?

Für Männer gibt es in der Gesellschaft keine Probleme. Wir dominieren, wir sind die Privilegierten und wir haben keine Probleme mit sexistischen Übergriffen im Alltag.
Die Lebenswelt von Frauen zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr ist hingegen eine komplett andere. Sie müssen überlegen, wann sie mit der Bahn fahren, wo sie fahren, ob sie nachts überhaupt fahren können.

Wie kann man das ändern?

Ich würde mir wünschen, dass mehr Männer sich ganz aktiv mit weiblichen und queeren Lebensrealitäten auseinandersetzen. Im Alltag sollten sie darauf achten, die klassischen Männerbünde, in denen sie so zu Hause sind, zu verlassen und zum Beispiel zu Frauenfußball-Spielen gehen. Sie müssen lernen, welche Machtmechanismen sie selbst reproduzieren, sei es bewusst oder unbewusst.

Vielleicht bekommen Männer dadurch ja auch Lust auf weibliche Lebensrealitäten, weil sie feststellen, wie der Sexismus und die Gewalt in ihrer männlichen Umgebung auch ihnen selbst schaden.

In Ihren Workshops geht es darum, sich kritisch mit Männlichkeit auseinanderzusetzen. Wer kommt zu Ihnen und was passiert in den Workshops?

Wir richten uns nicht nur an Männer, sondern an Menschen aller Geschlechter. Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, weibliche Perspektiven im Raum zu haben. Wie wir dann vorgehen: Wir zeigen, wie männerdominiert die Gesellschaft nach wie vor ist. Ganz praktisch fragen wir: Wieviel Elternzeit habt Ihr genommen? Wie viele Männer sind in euren Unternehmen in Führungspositionen? Welche Filme schaut Ihr? Und dann zeigen wir Handlungsoptionen auf, zum Beispiel darauf zu achten, wie viel Redeanteil in Diskussionen Frauen und Männer haben. Eine meiner Übungen ist: Die Redezeit von Männern auf anderthalb Minuten zu begrenzen, während Frauen so lang reden können, wie sie wollen. Es entsteht eine andere Diskussionskultur - Männer müssen lernen zuzuhören.

Dabei geht es dann ja auch um problematische männliche Fantasien und Verhaltensweisen. Wie erleben Sie die Arbeit mit Männern zu diesen Themen?

Es fällt vielen Männern schwer, kritisch über sich selbst zu reden. Selbstkritik und Männlichkeit - das ist in der Kombination ein schwieriges Thema. Wir haben einfach nicht gelernt, wie das geht. Männer fühlen sich sofort angegriffen, wollen immer dagegenhalten. Meine Aufgabe sehe ich darin, zu schauen wie man Männer dazu bekommt, sich mit ihrer Männlichkeit auseinanderzusetzen und sich feministisch zu verhalten. Ich will vor allem zeigen, dass es nicht die Aufgabe von Frauen und queeren Menschen sein darf, Männerbünde aufzubrechen, sondern dass es unsere Aufgabe, also die der Männer ist. Wenn die Männer hier nicht teilnehmen, dann wird sich da nicht viel bewegen in den nächsten Jahren. Auch ich stehe da noch am Anfang, das ist eine Lebensaufgabe. Das müssen sich die meisten Männer klarmachen.

Aber kann das alleinige Aufgabe einzelner Männer sein?

Man sollte so früh wie möglich mit der Arbeit an den Geschlechter- und Rollenbildern beginnen: in der Schule, wenn nicht sogar schon in der Kita. In der Erziehung fängt es an. Wenn du als Vater nicht vorlebst, wie du dich in Deinem eigenen Alltag mit queeren und weiblichen Menschen umgibst, funktioniert das nicht. Da reicht es nicht, sich die Fingernägel anzumalen. Du musst es deinen Kids vorleben, dass du begeistert Frauen-Fußball schaust, dass Du in diversen Freundeskreisen lebst – und auch zu Hause zu 100 Prozent die Sorge- und Haushaltsarbeit schmeißt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Linh Tran

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.08.2023, 19.30 Uhr

33 Kommentare

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  1. 33.

    Privilegien sind z.B. Gehaltsunterschied und Aufstiegschancen. Privileg ist auch, dass vom Mann nicht erwartet wird, dass er sich um Kinder und den Haushalt kümmern muss.

  2. 32.

    Welche Privilegien haben denn Männer, die Frauen nicht haben. Es wird ständig mit Schlagworten um sich geworfen, die am Ende nie belegt werden. Alleine die ständige Wiederholung gilt Einigen als Beweis. Im Übrigen geht es hier auch gar nicht um gefühlte oder echte Benachteiligung sondern um Belästigung und Übergriffigkeit.

  3. 31.

    Die Muttersprache heißt anscheinend so, weil Vater nix zu sagen hat in seinen 1,5 Minuten Redezeit. Meist reichen die paar Sekunden ja auch aus fürs Wesentliche.
    Fakt ist mal, wer permanent zugequatscht wird, macht einfach dicht. Um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass er als Mann überflüssig ist, braucht er keinen Workshop sondern Kumpels die ihn verstehen. Vielleicht genügt bei den meisten Menschen ein Wochenende ohne Handy und zu Zweit, um am Montagmorgen zu wissen, ob man sich überhaupt noch irgendwas zu sagen hat.

  4. 30.

    Sie haben es nicht verstanden, tut mir leid. Natürlich gilt Gleichberechtitung auch für Männer. Doch um Gleichberechtigung zu erreichen, muss Mann ein wenig von seinen Privilegien abgeben. Verstehen Sie das nicht?

  5. 29.

    Schöne Utopie, aber leider unrealistisch! Die Erziehung kann nur in der Familie oder vielleicht noch im engsten Freundeskreis geleistet werden. Wenn bestimmte Kreise sich da von vornherein ausnehmen, dann haben Außenstehende nun mal keine Einflussmöglichkeit. Die Schule versucht das zwar auszugleichen, ist da aber letztlich chancenlos. Wenn dann noch aus falscher Rücksichtname bei Verfehlungen das falsche Signal von Politik und/oder Justiz gesendet wird, dann kann es keinen Bewusstseinswandel geben. Wenn sogar Vergewaltigungen mit Bewährungsstrafen, also einem gefühlten Freispruch, enden, woher soll dann das Signal der Gesellschaft kommen, dass sich etwas ändern muss?

  6. 28.

    Das Problem liegt ehr bei den Wählern dieser Partei. Diese sind ja letztlich die Rückständigen in Sachen Gleichberechtigung und anderen Themen.

  7. 27.

    Was haben Sie an meinem Kommentar jetzt genau nicht verstanden? Sie stellen einen Automatismus als gegeben bei Politikern des rechten Spektrums her, der so einfach nicht gegeben ist. Männlichkeit hat nichts, aber auch rein gar nichts mit Belästigung zu tun. Ganz im Gegenteil, dieses Verhalten ist völlig unmännlich und pubertär und ein Zeichen von Schwäche und fehlendem Selbstbewusstsein.

  8. 26.

    Man sollte diese Partei endlich verbieten und alle Probleme sind gelöst. Keine Vergewaltigungen, kein Mord und Totschlag, kein Hass mehr, nur noch Liebe und Verständnis. Muss doch gehen. Das werden herrliche Zeiten.

  9. 25.

    Diese Männlichkeitsfanatiker von Rechts stellen sich doch selber bloß. Dazu muss man nicht in deren Kreisen verkehren, sondern nur ihre öffentlichen Aussagen anhöhren. Herr Krah von der AFD hat in mehreren Interviews und eigenen Videos diesen Blödsinn von "echten Männern" rausgehauen. Und auch andere aus dem Millieu machen es immer wieder. Das alles ist öffentlich. Wenn man dermaßen den Macho raushängen lässt, dann strahlt das auf den Charakter ab und lässt tief blicken. Aber passt bei der Partei voll ins Bild. "Stolz" darauf, Deutsch und männlich zu sein, ohne etwas dafür getan zu haben, weil schon so geboren. Ganz großes Kino.

  10. 24.

    Umgekehrt ist es eben nicht "genau so"! Auch wenn es mit Sicherheit auch vorkommt, dass Frauen gegenüber Männern übergriffig werden. Hinsichtlich der Häufigkeit gibt es da aber einen riesengroßen Unterschied.

  11. 23.

    Alles wird toleriert … auch das Menschen schwul und lesbisch sind. Freude das es dieses Land gibt. Sven Herzberger! Du bist unser Mann!

  12. 22.

    Diese Antwort ist ebenso an "Steffen" gerichtet.

    Das mit dem Rechtsextremismus einhergehende Frauenbild ist bekannt, dazu gibt es sogar reichlich Fachliteratur.

  13. 21.

    Ja, klar, die Grünen sind ja auch weltbekannt für Macho-Gehabe und Männlichkeitskult (Satire). Unten wurden bereits mehrere AFD-Politiker genannt, die mit Männlichkeitsgehabe regelrecht prahlen. Was sagen Sie denn dazu, außer vom Thema abzulenken? Das kann man nicht einfach so wegwischen. Die sind wirklich so. Und mache ihrer Anhänger anscheinend ebenfalls. Aber wollen es öffentlich wohl nicht so gerne hören ...

  14. 20.

    Ich habe heute in der Abendschau gelernt, dass diese Probleme in der Gesellschaft u.a. daher rühren, das die Bürgermeister vornehmlich männlich sind. Darauf muss man erstmal kommen. Es ist schon fast surreal, wie hier um den heißen Brei herumgeredet wird.

  15. 19.

    Nachvollziehbarer Beitrag. Aber umgekehrt gilt das genau so. Mich „belästigen“ nicht selten auch Frauen.

  16. 18.

    Dann sollten die Anständigen, die Selbstbewussten aus genau diesem Grunde jene mit geringem Selbstwertgefühl unterstützen und ihnen helfen zu gesunden. Sonst geht es immer nur weiter: gegen Schwächere, Ärmere, Frauen, Kinder, Alte … die Spirale abwärts und immer aufs Neue. Wertschätzung und gar (Nächsten)Liebe in der Politik und Gesellschaft, ob wir das je schaffen?

    "Respekt und Anstand. Letzteres wird gerade in konservativ-rechten Kreisen sogar groß geschrieben. Mehr Männlichkeit heißt nicht mehr Machogehabe oder Unterdrückung. Echte Männer haben das nämlich gar nicht nötig. Belästigung ist vielmehr ein Ausdruck von mangelndem Selbstwertgefühl."

  17. 17.

    "Mensch" stammt auch wieder von "Mann" ab, "man" übrigens ebenso.

    DWDS: Substantivierung des in ahd. mennisc (um 800), mhd. mennisch ‘menschlich, mannhaft’, asächs. mennisk, aengl. mennisc, anord. mennskr, got. mannisks vorliegenden Adjektivs germ. *manniska- hervorgegangen, einer Ableitung von dem unter Mann (s. d.) behandelten Substantiv.
    Das im Mhd. auftretende Neutrum steht bis ins 17. Jh. ohne abschätzigen Sinn neben dem Maskulinum, bezeichnet jedoch seit dem 15. Jh. häufig eine ‘weibliche Person’, besonders die ‘Magd’, und wird seit dem 18. Jh. durchgehend abwertend gebraucht; dazu auch der Plural Menscher (17. Jh.).

  18. 16.

    Aha, es scheint also. Sprich, Sie wissen es nicht und unterstellen mal einfach nur so. Vielleicht ist es ja auch bei der Grünen-Wählerschaft so? Absurd? Nicht absurder, als Ihre Pauschalisierung!
    Das hat auch wenig mit Charakter und Bildung zu tun, als vielmehr mit Respekt und Anstand. Letzteres wird gerade in konservativ-rechten Kreisen sogar groß geschrieben. Mehr Männlichkeit heißt nicht mehr Machogehabe oder Unterdrückung. Echte Männer haben das nämlich gar nicht nötig. Belästigung ist vielmehr ein Ausdruck von mangelndem Selbstwertgefühl.

  19. 14.

    Wer behauptet denn diesen Unfug? Wo haben Sie denn dieses Märchen überhaupt aufgeschnappt? Wahrscheinlich kennen Sie nicht mal einen einzigen "Ossi", Hauptsache mal billig hetzen.

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