Interview | Undercover bei der "Letzten Generation" - "Die Art der Proteste wird nicht diskutiert"

So 22.10.23 | 12:30 Uhr
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Berlin, Die Aktivisten der Gruppe Letzte Generation bei einer Blockade-Aktion im Bezirk Mitte. (Quelle: dpa/Marc Vorwerk)
Bild: dpa/Marc Vorwerk

Die Proteste der "Letzten Generation" scheinen minutiös geplant und vorbereitet. Die Journalistin Maria-Christina Nimmerfroh wollte das prüfen und schleuste sich selbst für eine Schulung ein - und erlebte eine straffe Organisation ohne viel Widerspruch.

rbb: Frau Nimmerfroh, Sie haben sich bei der "Letzten Generation" eingeschlichen und es war offenbar nicht so spektakulär wie erwartet?

Maria-Christina Nimmerfroh: Eingeschlichen hört sich immer etwas spektakulärer an als es das möglicherweise ist. In der psychologischen Forschung ist das eine sogenannte verdeckte Beobachtung im Feld. Ich habe mich unter falschem Namen zu einem Protest-Training angemeldet und dann ganz normal daran teilgenommen, natürlich mit einer etwas erfundenen Identität, um auch mein Interesse deutlich zu machen und um nicht mit meinem außergewöhnlichen Nachnamen sofort als Psychologin erkennbar zu sein.

Zur Person

Maria-Christina Nimmerfroh.(Quelle:Tom Buschardt)
Tom Buschardt

Maria-Christina Nimmerfroh, Journalistin und studierte Psychologin, nahm Im Dezember 2022 unter falschem Namen an einer Schulung der "Letzten Generation" zu Klima-Protestaktionen teil.

Was haben Sie mitgenommen?

Ich habe sehr viel darüber gelernt, wie man in Belastungssituationen mit Polizei und Gewahrsam umgeht. Das steht sehr schnell im Fokus dieser Protest-Trainings. Die Art der Proteste wird nicht diskutiert, sondern es geht sehr schnell um die Form - nämlich die Blockade: Verhalten auf der Straße, Verhalten gegenüber Autofahrern, Verhalten gegenüber der Polizei. Es geht um sehr viele rechtliche Momente, dreht sich also tatsächlich recht schnell um alles, was mit Strafen und den Folgen zu tun hat.

Dass die Aktivisten also auch in dramatischen Situationen auf den Berliner Straßen immer freundlich und zurückgenommen agieren, ist Ergebnis dieser Trainings?

Ja, das ist das Ergebnis von sehr guter Schulung der Aktivistinnen und Aktivisten, die darauf abzielt, die Straße zur Bühne zu machen. Das, was dort dargestellt werden soll, ist minutiös geplant - bis hin zu der Frage, welche Schuhe zu tragen sind, ob man das Handy zwischendurch benutzen darf oder auch die Verfügbarkeit von Windeln für diejenigen, die dort kleben.

Situationen mit der Polizei oder auch Autofahrern werden vorher geübt: in Rollenspielen, mit Imaginationsverfahren und auch mit Entspannungstechniken, die man auf der Straße anwenden kann. Es ist also eine extrem professionelle Vorbereitung auf diese extremen Situationen, in denen die Aktivisten ja auch damit rechnen, dass ein Auto direkt auf sie zusteuert.

Sind die, die Aktionen leiten und organisieren, eigentlich auch später auf der Straße dabei?

Ja, die sind später auch auf der Straße. Allerdings nicht zur selben Zeit, damit die Organisation auch weiter handlungsfähig bleibt und nicht alle gleichzeitig in Gewahrsam genommen werden. Die Leitungsebene besteht aus sechs Personen, die namentlich bekannt sind. Sie befinden sich vor Ort und sind auch der strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt.

Ich habe aber eine große Kluft erlebt zwischen denen, die bestimmen und denen, die diese strategischen Überlegungen ausführen. Es gibt beispielsweise keinerlei partizipative Strukturen.

Das, was dort dargestellt werden soll, ist minutiös geplant - bis hin zu der Frage, welche Schuhe zu tragen sind, ob man das Handy zwischendurch benutzen darf oder auch die Verfügbarkeit von Windeln für diejenigen, die dort kleben.

Maria-Christina Nimmerfroh

Es gibt immer wieder Vermutungen, dass die Aktionen gelenkt werden, auch aus dem Ausland. Stimmt das?

Das, was wir an Mobilisierungsstrategien, Öffentlichkeitsarbeit und Umgang mit den staatlichen Maßnahmen erleben, kommt tatsächlich aus dem Ausland. Es gibt weltweite Handbücher zum Umgang, auch dazu, wie etwa Straßenblockaden zu organisieren sind.

Da gibt es einen sehr großen Einfluss aus Großbritannien, wo ja auch die Gründer von Extinction Rebellion sitzen. Gerade diese Gruppe, zusammen mit dem Climate Emergency Fund aus den USA, hat am Anfang sowohl durch Geld als auch durch strategische Vorarbeit von außen gelenkt.

Und die so genannte Basis, also die Ausführenden, sind die sich sehr ähnlich oder total unterschiedlich?

Es handelt sich nach meiner Beobachtung um eine ideologisch eher homogene Gruppe, und die Gruppe hat ihre Stärke durch diese extreme Geschlossenheit nach außen. Wir erleben keine Flügelkämpfe oder Aussteiger, die sich äußern, das ist sehr selten. Das heißt, die Menschen, die bei der "Letzten Generation" sind, sind offenbar mit allem einverstanden, was dort passiert, und sie machen das auch mit. Insgesamt ist die Gruppe nach meiner Beobachtung wenig divers: Viele haben einen klassischen bürgerlichen Hintergrund.

Was denken Sie, würden die Proteste aufhören, wenn beispielsweise das Tempolimit umgesetzt würde?

Davon gehe ich nicht aus. Die Richtung ist eine Veränderung der Politik und am besten auch Veränderung der politischen Entscheidungsprozesse. Das wäre eine Infragestellung der demokratischen Prozesse, die wir kennen.

Die "Letzte Generation" will ganz offensichtlich durchsetzen, dass der Klimaschutz das wichtigste Kriterium ist, nach dem man entscheidet. Soziale Kriterien spielen auch eine Rolle, aber das Zusammenspiel, also die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse in Diskussion und Partizipation, sind für sie nach meiner Beobachtung kein Thema.

Stattdessen geht es um Verbote wie etwa für SUVs oder Flüge?

Flughäfen sollten aus Sicht der "Letzten Generation" auf jeden Fall geschlossen werden, und in den aktuellen Strategiepapieren heißt es auch, dass der Bundeskanzler unterbinden soll, dass weiter Flugbegleiter und Piloten ausgebildet werden, weil diese Berufe in Zukunft nicht mehr gebraucht werden.

Ich glaube, an diesem Beispiel kann man sehen, dass einige Vorstellungen ein bisschen naiv sind. Andere würden sie vielleicht als visionär bezeichnen. Politisch ausgefeilt sind sie jedenfalls nicht, und auch den Protestformen wird deswegen teils fehlende Plausibilität vorgeworfen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Ingo Hoppe für rbb 88.8. Es handelt sich hierbei um eine gekürzte und redigierte Fassung des gesamten Gesprächs.

Sendung: rbb 88.8, 16.10.2023, 17:10 Uhr

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53 Kommentare

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  1. 53.

    Mir geht es auch immer so, traurig wenn man auf diese Art eine Antwort schuldig bleiben muss.

    Danke

  2. 52.

    Wir haben den falschen Nicknamen, solche, wie „zu dämlich“ werden eher freigeschaltet!
    Meine sind nämlich auch nicht freigeschalten worden.

  3. 51.

    Haben Sie den Artikel überhaupt gelesen? Die Straftaten sind natürlich nicht verfassungswidrig, sehr wohl aber das politische Ziel, welches sie damit erpressen wollen.

  4. 50.

    "Für eine "Krimminelle Vereinigung" fehlt die Bereicherungsabsicht, sowie die Gewaltbereitschaft, und das heimliche, und die niederen Motive!". Ihre Definition ist falsch und entspricht nicht der Definition des Strafgesetzbuchs.

  5. 49.

    Der Ruf nach immer mehr Polizei zur Lösung und möglichst immer strengerem Durchgreifen der Polizei kann aber auch kein Dauerzustand sein. Damit etabliert man doch im Endeffekt eine Gewöhnung der Bevölkerung an eine immer höhere "Uniformdichte der Ordnungskräfte" (kann mand as schöner ausdrücken?) in der Öffentlichkeit, was auch schnell in die falsche Richtung gehen kann.

  6. 47.

    Was ist das denn für ein Demokratie Verständnis? Ihrer Meinung nach sollen also die kleinen, einfachen Bürger genötigt werden, die "richtigen" politischen Kräfte zu wählen, nur damit sie nicht mehr täglich Blockaden, Nötigung und Sachbeschädigung ausgesetzt bleiben? Nichts anderes sagen Sie damit nämlich aus.

  7. 45.

    Ich hatte eine passende Antwort darauf geschrieben, wurde leider nicht Freigeschaltet.

  8. 44.

    Die Kfz-Steuer ist eine Bundessteuer, schon einmal auf den Bescheid gesehen?
    Die Mwst wird über einen Schlüssel auf Bund und Länder aufgeteilt.
    Die Lohn-/Einkommensteuer behält, wie Sie tatsächlich erkannt haben, die Wohngemeinde . Finanziert damit die örtlichen Belange.

  9. 43.

    " endlich mal eine Abordnung der Demonstranten zu einem Gespräch einladen kann um zu zeigen, man nimmt ernst, was hinter all den Aktionen steckt und wie man gemeinsam Wege versucht zu finden bzw. Standpunkte austauscht" Warum sollte das jemand tun? Es gibt genug demokratische Wege seine Meinung in die Diskussion einzubringen, also warum eine APO einladen?

  10. 42.

    Es ist zwar ärgerlich, wenn der Verkehr blockiert wird. Aber es ist nicht verfassungsfeindlich. Da wollen wir doch mal schön auf dem Teppich bleiben. Mehr Klimaschutz zu fordern, ist nicht verboten.

  11. 41.

    Ich frage mich, weshalb nicht ein Politiker in unserer Stadt mit Kollen und Kolleginnen endlich mal eine Abordnung der Demonstranten zu einem Gespräch einladen kann um zu zeigen, man nimmt ernst, was hinter all den Aktionen steckt und wie man gemeinsam Wege versucht zu finden bzw. Standpunkte austauscht, damit dieses Katz- und Mausspiel endlich mal erwachsen diskutiert wird. Unser ökologisches Vorankommen hat es verdient, sich auch mit diesen jungen Menschen auseinander zu setzen, wie gesagt, im erwachsenen Gespräch. Ich habe keine Lust, von Lynchpraxis in der Presse und den Medien zu hören, die Menschen sind sowieso schon genug gefordert im breiten Spektrum des Lebens.

  12. 40.

    Was ist denn mit dem Schaden oder den Schäden die entstehen ? Alles geschenkt ? Wenn man Teile einer modernen Gesellschaft und der Wirtschaft lahm legt, auch durch üble Sabotage und schwere Straftaten, dann kann man doch nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen. Wenn Deutschland sich z.B. im Krieg befinden würde, was wäre denn dann mit diesen Aktionen ? Warum sieht man diese Personen nicht an der Front in der Ukraine oder jetzt in Gaza ? Da passieren doch Umweltsauerein bis zum Abwinken. Da wäre doch ein Protest genau richtig !


  13. 39.

    Das ist überhaupt nicht in Ordnung. Weder sind diese unangemeldet Demonstrationen nachvollziehbar noch verständlich. Egal wie gut ein Ziel doch sein mag gilt für uns alle der Rechtsstaat mit seinen Regeln. Ich kann mich ja auch nicht einfach ans Finanzamt ankleben, weil wir meine zu zahlende Steuerzahler nicht passt.

  14. 38.

    Ach ja, die ganzen Auto-Pendler, die im Umland wohnen und in Berlin arbeiten, verstopfen einerseits unsere Berliner Straßen, tragen aber ihre gesamte Lohn-, KFZ- und fast die gesamte Mehrwertsteuer in Brandenburger Finanzämter. Für Berlin läuft neben den Kosten nur die Nase.
    Ich musste in HH übrigens für viele Jahre 'Zweitwohnsteuer' berappen. Begründung: sie benutzen ja auch unsere Straßen.
    Statt Blockade der A100 sollte die LG vielleicht mal die B1, B5, B96...
    Ist ja nur so eine Idee...

  15. 37.

    "Ich gehe eigentlich davon aus, daß diese Organisationen recht gut mit V-Leuten bereits durchsetzt sind."

    Das wäre Verschwendung von Steuergeldern, die besser in die Beobachtung ihrer Pg bei der rechtsextremen AfD investiert wären.

  16. 36.

    Früher wurden Häuser besetzt (strafbar), gewaltsam gegen die WAA gekämpft (strafbar) und gegen die DDR-Regierung protestiert (strafbar).
    Daher sollten wir die aktuelle Aktionen der LG etwas 'entspannter' sehen und nicht immer gleich die 'harte Hand' des Staates fordern (und ja, ich saß selber in einem Flugzeug das nicht abholen, als der BER 'gestürmt' wurde).
    Die Zeit und deren rückwärtige Betrachtung wird zeigen, was heute richtig und was falsch ist.
    Auch wenn die Aktionen manchmal nerven..

  17. 35.

    "wann die LG endlich vom Verfassungsschutz beobachtet" Ich gehe eigentlich davon aus, daß diese Organisationen recht gut mit V-Leuten bereits durchsetzt sind.

  18. 34.

    Nötigung, Erpressung, Gefangennahme und Verfassungswidrigkeit sind strafwürdig. Dagegen gibt es kein Argument

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