Unklare Regeln für Abrissgenehmigungen - Wie Berliner Mieter gegen den Abriss von Wohnungen kämpfen

Fr 13.10.23 | 06:08 Uhr | Von Wolf Siebert
  78
Symbolbild: Ein unsanierter Altbau neben einem bereits sanierten Haus in Berlin. Bild: imago / Sabine Gudath
Audio: rbb24 Inforadio | 13.10.2023 | Sebastian Bartels, Doerthe Nath | Bild: imago / Sabine Gudath

Die Bewohner eines Berliner Mietshauses kämpfen seit zwei Jahren gegen Abriss- und Umbaupläne der neuen Eigentümer. Sie haben Sorge, sich künftig ihre Wohnungen nicht mehr leisten zu können. Doch eine Gesetzeslücke macht es ihnen schwer. Von Wolf Siebert

Eine Schönheit ist die Immobilie in Berlin-Mitte wahrlich nicht. Im Vorderhaus liegt dicker Staub auf den Fensterscheiben einiger leerstehender Wohnungen. An den Fassaden des Seitenflügels und des Hinterhauses haftet alter grauer Putz. An einigen Fenstern klaffen tiefe Risse in den Außenwänden, und in einer Hofecke liegt ein Schuttberg. Gut die Hälfte der Wohnungen stehen leer.

Mieterin Simone Siegel-Dadgar, ihr Mann und ihre Tochter wohnen dennoch gerne hier, seit über 20 Jahren: "Der frühere Eigentümer hat sich zwar nur um das Nötigste gekümmert, aber es hat immer alles funktioniert", sagt sie. Und: "Die Mieten sind bezahlbar geblieben." Familie Siegel-Dadgar hat viel investiert und ihre Wohnung im Hinterhaus auf eigene Kosten saniert. Sie würde gerne hierbleiben, auch weil die Miete noch immer günstig ist.

Doch sie und weitere Mieter sind in Sorge. 2019 wurde die Immobilie nämlich an eine Immobiliengesellschaft verkauft. Diese will das Vorderhaus abreißen und durch einen Neubau ersetzen. Auch eine Tiefgarage soll gebaut werden. Die Gesellschaft hat beim Bezirk einen Antrag auf Abriss gestellt.

Mieter haben sich bereits vor gut zwei Jahren organisiert

Erfahrungsgemäß führen solche Bau-Projekte häufig zu höheren Mieten. "Wir haben den Eigentümern mehrmals geschrieben und versucht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Denn wir wollen unsere preiswerten Wohnungen nicht verlieren", sagt Simone Siegel-Dadgar. "Hier wohnen Pfleger, Briefträger, Erzieher und Verwaltungsmitarbeiter. Sie können auf dem freien Wohnungsmarkt keine 1.500 Euro für eine 2-Zimmer-Wohnung bezahlen", sagt die Sozialwissenschaftlerin.

Deshalb haben sich die Mieter organisiert und kämpfen seit gut zwei Jahren um den Erhalt ihres Wohnraums: Sie informierten die Bauaufsicht, den Stadtrat für Bauen, die Bezirksbürgermeisterin und die BVV-Mitte, auch den Bausenator und baten um Unterstützung. Und sie sammelten Unterschriften. Bislang haben aber diese Aktivitäten für die Mieter noch zu keinem positiven Ergebnis geführt. Denn es gibt eine rechtliche Lücke - im Zweckentfremdungsverbotsgesetz.

Danach ist der Abriss eines Mietshauses grundsätzlich möglich. Das Gesetz sagt aber auch: Der abgerissene Wohnraum muss durch neuen Wohnraum ersetzt werden - durch preiswerten Wohnraum, der nicht mehr als 9,17 Euro netto kalt pro Quadratmeter kosten darf. So legte es der Senat fest.

Vor wenigen Monaten kassierte allerdings das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Mietobergrenze von 9,17 Euro. Das Land Berlin habe für diese Grenze keine Gesetzgebungskompetenz, hieß es. Der Eigentümer müsse aber Ersatzwohnraum zu "angemessenen Bedingungen" schaffen. Als Anhaltspunkt verwandte das Gericht eine Formulierung, die schon seit Langem bei Entscheidungen zur Zweckentfremdung benutzt wird: Dieser Ersatzwohnraum muss "für einen durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmerhaushalt bezahlbar" sein.

Die Bauverwaltung des Senats arbeitet nun daran, die neue Rechtslage in die Verordnung des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes einzuarbeiten. Es geht darum, den Bezirken für die Abrissgenehmigungen Anhaltspunkte zu geben – ohne dabei eine konkrete Mietobergrenze zu nennen. Diese juristische Präzisierung ist wichtig: Die Zahl der Abrisse in Berlin steigt, wenn auch auf niedrigem Niveau: von 369 im Jahr 2018 auf 516 im Jahr 2021.

Mehrere Wohnungen im Hinterhaus sind nur noch Gerippe

Simone Siegel-Dagar geht es aber nicht nur um Abriss und Neubau und um höhere Mieten. Vor ihrer Wohnungstür hängt noch immer eine verdreckte Staubschürze. Denn im Sommer 2022 hatte der Eigentümer mehrere Wohnungen entkernt. "Fünf Monate hat die Entkernung dann gedauert: Lärm, Dreck, Staub, und der Schutt wurde einfach in den Hinterhof gekippt", blickt Siegel-Dagdar zurück.

"Entkernung" bedeutete in diesem Fall: Aus mehreren Wohnungen des Hinterhauses, die übereinanderliegen, sind die Dielen, die Schüttung in den Decken bzw. Fußböden und die Bodenplatten entfernt worden. Die Wohnungen sind unbewohnbar.

Siegel-Dagdar befürchtet, dass sie und die anderen Mieter durch solche Maßnahmen vertrieben werden sollen. Das glaubt auch der zuständige Baustadtrat von Mitte Ephraim Gothe, der für die Bauaufsicht zuständig ist. Er schrieb den Eigentümern laut "Tagesspiegel": "Der Zustand der Hoffläche und der Treppenhäuser, die unterlassene Instandhaltung von Fenstern und WCs in Wohnungen, die Art und Weise, wie Baumaßnahmen bereits durchgeführt wurden, lassen nur einen Schluss zu: Sie wollen alles dafür tun, dass Ihre Mieter:innen das Weite suchen." Auch Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne), die den Bereich der Zweckentfremdung unter sich hat, spricht von einem "radikalen Vorgehen".

Aktuell geht Gothe aber nicht davon aus, dass der Bezirk den Eigentümern die Abrissgenehmigung verweigern kann. Er appelliert daher an die Eigentümer, das Vorderhaus nicht abzureißen, sondern stattdessen aufzustocken. "Auch das kann wirtschaftlich sein", sagte er der rbb24-Abendschau.

Eine Pattsituation. Auf der einen Seite der Eigentümer, der sein Eigentumsrecht verteidigt. Auf der anderen Seite die Mieter, die ihr Recht auf Wohnen geltend machen. Und eine rechtliche Situation, die seit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts unklar ist.

Deshalb hat Bezirksbürgermeisterin Remlinger einen Wunsch: Dass die Verwaltung des Bausenators den Bezirken möglichst bald Anhaltspunkte für die Genehmigungspraxis gibt: "Was bedeutet ‘Schaffung von neuem Wohnraum nach Abriss‘‚ nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts konkret? Wir brauchen ein Instrumentarium, damit die Mieterschaft nicht komplett ausgetauscht wird", sagte sie rbb24. "Sonst haben wir Aufwertungsprozessen nichts entgegenzusetzen."

Runder Tisch am Freitag geplant

Zu diesem Instrumentarium gibt es erste Ideen, zum Beispiel Neu-Mieten, die sich an der ortsüblichen Vergleichsmiete orientieren, sagt Wibke Werner vom Berliner Mieterverein: "Nach dem Abriss eines Hauses entstehen häufig Neubauwohnungen, die sich nur wenige leisten können." Im vergangenen Jahr wurde durch die Antwort des Senats auf eine parlamentarische Anfrage der Linken deutlich, dass im Zeitraum von 2018 bis 2021 nach Hausabrissen nur selten preiswerter Ersatzwohnraum geschaffen worden ist.

Simone Siegel-Dadgar wünscht sich vor allem mehr Unterstützung durch den Bezirk. Und einen besseren, einen funktionierenden Mieterschutz. Sie hat Sorge, dass sie sich ihre Wohnung künftig nicht mehr leisten kann. Stattdessen habe sie das Gefühl, dass die Sicherung von Eigentumsrechten Vorrang gegenüber sozialen Aspekten hat

Am Freitag treffen sich Mieter, Bezirksamt und Mieterverein zu einem "Runden Tisch" und einer Ortsbegehung. Die Eigentümer ließen auf rbb-Anfrage durch ihren Anwalt mitteilen, dass sie sich zu dem gesamten Komplex nicht äußern wollen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 13.10.2023, 6 Uhr

Beitrag von Wolf Siebert

78 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 78.

    Stimmt, Karsten scheint absolut keine Ahnung zu haben, wenn man sich das alles hier mal reinzieht. Traurig eigentlich.

  2. 76.

    Manchmal fehlen einem die Worte um auf solchen geballten Blödsinn zu antworten.

  3. 75.

    Ein Glashaus ist energetisch eine Katastrophe oder was soll mit der sinnbefreite Halbsatz sagen?

  4. 74.

    Ein Glashaus ist energetisch eine Katastrophe oder was soll mit der sinnbefreite Halbsatz sagen?

  5. 73.

    Aus Raider wird jetzt Twix und aus "Mecki" jetzt ein "Dr. Meckl"? Der haargenau gleiche Wortlaut, der dadurch nicht richtiger wird. Sollen sich die falschen Behauptungen jetzt "seriöser" anhören?

  6. 72.

    Also, mal zu den Fakten: In Berlin bekommt man eine 50 qm Wohnung für einen Preis ab ca. 200.000 Euro. Die Zinsen waren auch in der Vergangenheit schon bei 3-4% oder nach der Wiedervereinigung zweistellig. Und die Menschen haben es zu zweit auch geschafft. Wenn man mit 30 eine Wohnung kauft hat man 37 Jahre Zeit, diese bis zur Rente zu entschulden - das ist absolut möglich 1% Tilgung, 4 % Zins bei einer Onlinebank, macht 10.000 Euro pro Jahr für die Bank. Was man mitbringen muss sind die Nebenkosten in Höhe von 8% für Grundbuch, Notar und Grunderwerbsteuer, aber die 16.000 Euro muss man selbst mit den Eltern und Großeltern aufbringen. Also, wovon reden wir hier denn bitte?

  7. 69.

    Also, mal zu den Fakten: In Berlin bekommt man eine 50 qm Wohnung für einen Preis ab ca. 200.000 Euro. Die Zinsen waren auch in der Vergangenheit schon bei 3-4% oder nach der Wiedervereinigung zweistellig. Und die Menschen haben es zu zweit auch geschafft. Wenn man mit 30 eine Wohnung kauft hat man 37 Jahre Zeit, diese bis zur Rente zu entschulden - das ist absolut möglich 1% Tilgung, 4 % Zins bei einer Onlinebank, macht 10.000 Euro pro Jahr für die Bank. Was man mitbringen muss sind die Nebenkosten in Höhe von 8% für Grundbuch, Notar und Grunderwerbsteuer, aber die 16.000 Euro muss man selbst mit den Eltern und Großeltern aufbringen. Also, wovon reden wir hier denn bitte?

  8. 68.

    Ich habe 3 Kinder groß gezogen und verdiene als Meisterin im eigenen Familienbetrieb im Handwerk gutes Geld. Natürlich muss man sich weiterentwickeln auch im Ausbildungsberuf.

  9. 67.

    Aber niemand muss über 10 Jahre Kultur- oder Politikwissenschaften studieren und sich dann beschweren. In Ausbildungsberufen verdient man früher Geld und kann dann mit ZinsesZins-Effekt einfach mehr Vermögen aufbauen.

  10. 66.

    Also ich weiss ja nicht, woher ihre Zahlen stammen? Das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen betrug 2021 in Berlin 22 658 EUR. Das ist pro Kopf, davon kann man sich schon eine Wohnung leisten, natürlich keine 100 qm für einen Single. Berlin ist Single-Hauptstadt. Also etwas mehr gegenwartsbezug wäre top:
    https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/090-2023

  11. 65.

    Man kann Wohnungen auch vermieten, dann zahlt jemand anderes weiter. Denken Sie doch mal in Lösungen und Optionen. Wenn man immer nur alles negativ sieht, wird es nichts mit einem guten Leben. sie scheinen sich selbst im Weg zu stehen. Vielleicht suchen Sie sich mal positive Rolemodels.

  12. 64.

    Ja, der Karsten ist meinungstechnisch ganz vorn dabei, aber halt nur in der Theorie, es fehlt hier vollkommen an Praxiserfahrung. Der sollte sich mal wirklich mit den Unterschieden in der Praxis beschäftigen, dann würde er Augen machen...

  13. 62.

    " Oder möchten Sie von einem Kfz-Mechaniker, der mit 19 Jahren mit der Ausbildung fertig war, operiert werden? "

    was für eine Frage ! aber ein Studium muß nicht bis zum 30. Lj dauern

  14. 61.

    Anscheinend haben Erika und ihr Wir alles richtig gemacht. Etwa 30% Eigenkapital angespart (vom 16. bis 30. Lebensjahr). Wir bedeutet mindestens 2 Personen. Kreditlaufzeit ca. 20 - 25 Jahre, also mit 55 alles bezahlt, vor etwa 10 Jahren. Das heißt, der Kauf der Wohnung liegt mindestens 30 Jahre zurück und die Preise pro m² ETW bewegten sich je nach Lage bei maximal 3.000....nee, nicht €, sondern DM! Bei 100m² Wohnfläche sind das 300.000 DM, heute knapp 155.000€. Für zwei Personen kein Problem, damals. Heute sieht es anders aus, aber nicht besser.

  15. 60.

    Karsten, haben Sie Erfahrung mit der Sanierung alter Bruchbuden? Das ist nicht so einfach, wie Sie sagen. Die Türen und Fenster ohne Standardmaße, Decken und Wände mit maroden Holzbalken und Lehm, feuchte Keller mit zu niedriger Deckenhöhe, Isolierung und Fassadenputz - da kann man den Deckel vom Fass nehmen und sehen, es ist ohne Boden. Die Baustoffe für die Sanierung müssen verträglich mit vorhandener Substanz sein. Wenn der Eigentümer keine fachkundigen Berater aus seinem Freundeskreis und keine Freunde hat, die Handwerker sind und sich gegenseitig helfen, wird die Sanierung mindestens 50% teurer als ein neues Haus. Das würden Sie nicht favorisieren, wenn es Ihr Haus wäre. Mir tut es immer Leid, wenn ein altes Haus mit irgendwann schöner Stuckfassade einem modernen Klotz weichen muss, aber es ist eben oft eine wirtschaftliche Frage.

  16. 59.

    Jezt, wo die Wohnungen so teuer geworden sind, weil es keine gibt, kommt man mit dem Argument "Jugend", zu der Sie m icht gehören.
    Noch vor 10 Jahren waren die Wohnungen in Berlin im Bundesvergleich "spotbillig", wurden massenhaft angeboten, lagen bei unter ein 1/3 des heutigen Preises, und trotzdem hat sich die Eigentümsquote der Berliner nicht nach oben bewegt.
    ,

Nächster Artikel