Opfervereine im Landtag - Bisher kein Opferschutzbeauftragter in Brandenburg geplant

Fr 01.12.23 | 08:36 Uhr | Von Stephanie Teistler
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Symbolbild: Eine Frau im Dunklen am Smartphone (Quelle: dpa/Josep Suria)
dpa/Josep Suria
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 30.11.2023 | Andreas Hewel | Bild: dpa/Josep Suria

Im Juni hatte eine rbb-Recherche gezeigt, dass Opfer von Vergewaltigungen in Brandenburg nur mangelhaft geschützt werden. Opfervereine bilanzieren: Noch immer wird nicht die Hilfe geleistet, die möglich wäre. Von Stephanie Teistler

Der Fall einer 16-Jährigen, der nach einer Vergewaltigung nicht alle mögliche Unterstützung zu Teil geworden war, hatte im Sommer eine Diskussion über mangelnden Opferschutz in Brandenburg ausgelöst. Eine Reaktion darauf war eine Anhörung von Expertinnen und Experten im Rechtsausschuss des Landtages am Donnerstag. Der Befund: Es gibt zwar ein weites Netz, das Opfer von Gewalttaten im Land auffangen kann – die Maschen sind aber teilweise zu groß, auf verschiedenen Ebenen fallen Opfer hindurch.

Vertrauliche Spurensicherung nicht für alle

Ein Beispiel: In inzwischen zehn Kliniken wird brandenburgweit die vertrauliche Spurensicherung nach einer Vergewaltigung angeboten. Hier sind Ärztinnen und Ärzte speziell geschult darin, wie man traumasensibel Gespräche führt, aber auch, wie man rechtssicher Spuren für eine spätere Verhandlung dokumentiert.

Susanne Ullrich von der Opferhilfe Brandenburg, die Kooperationspartnerin für dieses Modellprojekt ist, sieht darin eine große Errungenschaft. Kritisch sieht sie jedoch, dass es dieses Angebot für Kinder und Jugendliche nicht gibt. "Wenn eine 16-Jährige vertraulich Spuren sichern lassen möchte ohne den Einbezug der Eltern, da gibt es eine große Unsicherheit bei den Ärztinnen und Ärzten, die befürchten, von den Sorgeberechtigten in ein Anklageverfahren hineingezogen zu werden", so Ullrich.

Rechtlich sei die Frage geklärt: In einem solchen Fall dürfen Ärzte und Ärztinnen die Untersuchungen ohne Einwilligung der Eltern vornehmen. In den Kliniken fehle dazu aber die Aufklärung. Ullrich fordert deshalb, das Projekt auch auf Minderjährige auszuweiten.

Wie kommt die Hilfe zum Opfer?

Der Weiße Ring verweist darauf, dass er im Jahr bis zu 600 Fälle begleitet und diese mit bis zu 100.000 Euro etwa bei Prozesskosten unterstützt. Personell und finanziell könne man aber doppelt so vielen Menschen helfen, heißt es. Doch nicht immer erreiche Betroffene dieses Angebot. Nach Angaben von Lothar Pohle vom Weißen Ring habe die Polizei meist Beratungsflyer vorliegen, die auch an Opfer von Gewalttaten ausgehändigt würden - doch das gehe oft an den Opfern vorbei. "Das Merkblatt wurde zwar ausgehändigt, aber später gelesen wurde es nicht. Man war zu aufgeregt bei der Anzeigenerstattung und das Merkblatt gerät in Vergessenheit", so Pohle. Er fordert, dass in einem kurzen Gespräch durch die Polizei direkt über Opferrechte aufgeklärt wird.

Einig sind sich die Opferschutzvereine in der Ansicht, dass in Brandenburg die proaktive Ansprache von Opfern ausgedehnt werden müsse. Heißt: Die Polizei fragt Betroffene, ob sie damit einverstanden sind, dass man ihre Daten an eine Beratungsstelle weiterleitet. Die Beratungsstelle erfährt so von den Betroffenen und meldet sich von allein. Das werde aber noch zu wenig angewandt in Brandenburg, kritisiert Susanne Ullrich von der Opferhilfe Brandenburg.

Von gut 720 Beratungsfällen seien im vergangenen Jahr nur 24 über die aktive Ansprache gekommen, heißt es. In vielen anderen Fällen wurden die Gewaltopfer wohl nicht danach gefragt, ob ihre Daten weitergegeben werden können. Zwar berichtet der Bund Deutscher Kriminalbeamter, dass immer noch mehr als die Hälfte aller so angesprochenen Opfer der Datenweitergabe nicht zustimme. Dennoch: Wenn nicht gefragt werde, so Ullrich, blieben die Hürden für Betroffene immens groß, sich weiterführende Hilfe zu holen.

Brandenburg tut sich keinen Gefallen damit, das letzte Bundesland zu sein, dass noch keinen Opferschutzbeauftragten hat.

Stefan Baier, Notfallseelsorge Brandenburg

Juliane Moosdorf vom Netzwerk brandenburgischer Frauenhäuser teilt diese Einschätzung. Besonders Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen seien, befänden sich oft in einer Ausnahmesituation: "Die Polizei ist gekommen, Menschen haben es mitbekommen, sie haben Gewalt erfahren." In dieser Situation sollten sie sich dann entscheiden: "Möchte ich eine Beratung oder möchte ich das nicht?"

Moosdorf geht deshalb noch einen Schritt weiter. Daten von Opfern häuslicher Gewalt sollten immer an Beratungsstellen weitergegeben werden dürfen. Diese melden sich dann nach der Tat bei den Betroffenen - die Beratung könne dann immer noch abgelehnt werden.

Anne Brügmann von der Opferperspektive kritisiert, aktive Weiterleitungen an ihre Hilfeeinrichtung fänden im Bereich Rassismus und Antisemitismus quasi nicht statt. Sie wünsche sich deshalb eine größere Sensibilisierung für rechtsmotivierte Gewalttaten. Zwar gebe es die inzwischen vor allem bei Körperverletzung im öffentlichen Raum. Fänden Taten aber im näheren Umfeld der Betroffenen statt, gebe es immer noch gravierende Mängel. Beleidigungen würden dann eher als Nachbarschaftsstreit abgetan, so Brügmann.

Nicht alles, was möglich ist, wird auch gemacht

Was nach der rbb24-Recherche im Sommer deutlich wurde: Defizite gibt es in Brandenburg auch bei der der audiovisuellen Zeugenvernehmung. Sie ermöglicht es Betroffenen, sich während einer Aussage nicht im selben Raum wie die mutmaßlichen Täter aufhalten zu müssen. Susanne Ullrich von der Opferhilfe beklagt, dass das noch nicht überall als Standard angewandt werde. Den Grund dafür vermutet sie in einer Mischung aus alten Routinen, mangelnder Sensibilität und Überlastung. Dabei könne die Videovernehmung besonders Opfern schwerer Gewalttaten helfen, sich sicherer zu fühlen, so Ullrich.

Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU) bekräftigte im Ausschuss, dass man stärker auf die audiovisuelle Vernehmung setzen möchte. Sie wies aber auch darauf hin, dass die Entscheidung dazu letztlich bei den Richterinnen und Richtern liege. Dort gebe es noch Berührungsängste mit der neuen Art der Vernehmung, die man versuche abzubauen. Dennoch warnte Hoffmann davor, die Videovernehmung als Allheilmittel zu sehen. Schließlich ermögliche diese es den mutmaßlichen Tätern, über deren Anwälte ebenfalls Fragen an die Opfer zu stellen. "Die Videovernehmung ist keine Gewähr dafür, dass darauf verzichtet werden kann, einem Opfer in der Hauptverhandlung dann die erneute Viktimisierung zu ersparen", so die Justizministerin.

Braucht es Opferschutzbeauftragte?

Bisher war in Brandenburg die Einrichtung eines oder einer Opferschutzbeauftragten, wie ihn etwa Berlin hat, nicht vorgesehen. Bei den Opfervereinen herrscht darüber jedoch weitgehend Einigkeit. Stefan Baier von der Notfallseelsorge Brandenburg appellierte an die Abgeordneten, man brauche diese Stelle dringend: "Brandenburg tut sich keinen Gefallen damit, das letzte Bundesland zu sein, dass noch keinen Opferschutzbeauftragten hat."

Die Grünen im Ausschuss äußerten sich aufgeschlossen, auch wenn ein solcher Opferschutzbeauftragter in dieser Legislatur nicht mehr umzusetzen sei. Aus der SPD heißt es, man wolle die Rechte der Opfer generell stärken. Ob das durch die Einführung eines zentralen Opferschutzbeauftragten oder die Stärkung bisheriger Strukturen geschehe, werde man nun nach der Anhörung bewerten.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 30.11.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Stephanie Teistler

3 Kommentare

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  1. 3.

    Genau das haben wir 2020 auch erlebt. Eine Anzeige gegen ein GA, unterstützt vom Patientenverband wurde von der StA Potsdam eingestellt.
    Man sollte sich mal deren Googlebewertungen ansehen.

  2. 2.

    Opferschutz ist in diesem Land eine unbeliebte Vokabel. Viel lieber kümmert man sich um die Täter. Wenn 10 eine Tat begangen haben verurteilt man eben nur einen. Man untersucht die schwierige Kindheit, findet viele strafmildernde Gründe und schickt sie zu Genesung in entsprechende Einrichtungen. Die Opfer müssen um alles kämpfen, sie haben keine Lobby und am Ende waren sie womöglich selbst schuld.

  3. 1.

    Solange Täter bevorzugt behandelt, ihre Taten entschuldigt und Mitleid bekommen, braucht es auch keinen Opferschutzbeauftragten. Einige aktuelle Urteile, wie z.B. bei übelster sexueller Gewalt sprechen doch eine eindeutige Sprache. Man bekommt immer mehr den Eindruck, dass die Opfer selbst schuld sind. Eventuelle wirkliche Hilfe ? Dann vielleicht noch unbürokratisch ?Weit gefehlt, in diesem ach so wunderbarem Land.

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