Leere Kassen in Friedland - "Man muss etwas dafür tun, dass die Leute hierbleiben"

Di 20.02.24 | 10:00 Uhr | Von Margarethe Neubauer
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Lena und Marian Mietchen. (Quelle: rbb/Margarethe Neubauer)
Video: rbb24 | 20.02.2024 | Nachrichten | Bild: rbb/Margarethe Neubauer

Seit Jahren muss die amtsfreie Stadt Friedland in der Niederlausitz jeden Euro dreimal umdrehen. Selbst für Pflichtaufgaben wie die Feuerwehr ist nicht genug Geld da. Wie kann eine Kommune sich entwickeln, wenn die Kassen leer sind? Margarethe Neubauer

Mit geübten Griffen öffnet Maik Neumann das Metalltor des Gerätehauses der freiwilligen Feuerwehr in Klein Briesen. Seit fast zehn Jahren ist der 39-Jährige hier stellvertretender Ortswehrführer, seine Familie stellt die Hälfte der Feuerwehrtruppe in Klein Briesen.

Hinter der Flügeltür kommt ein knallroter Kleintransporter mit blauem Warnbalken zum Vorschein. Modell: Volkswagen LT 28, Baujahr 1993. In diesem Alter müsste das Feuerwehrauto eigentlich in Rente gehen. Aber für ein modernes Fahrzeug fehlt der Stadt Friedland das Geld, und zu der gehört Klein-Briesen.

Maik Neumann (Quelle: rbb/Margarethe Neubauer)
| Bild: rbb/Margarethe Neubauer

"Bis vor sechs Jahren hatten wir nur einen Anhänger, den man mit einem Traktor ziehen konnte. Von daher sind wir eigentlich froh", sagt Maik Neumann, der sich schon als Teenager in der Freiwilligen Feuerwehr engagierte. Das größere Problem sei, dass das Feuerwehrhaus aus den Fünfzigerjahren so schmal sei. Wenn der fünf Meter lange Bus drinsteht, bleibt kaum Platz für die Kameraden. "Bevor wir uns anziehen können, muss der Erste, der bei einem Einsatzfall kommt, das Auto rausfahren." Das kostet wertvolle Zeit.

Dauerflaute in der Stadtkasse

An der Feuerwehr zeigt sich besonders deutlich, dass in der Kasse der amtsfreien Stadt Friedland Dauerflaute herrscht. Erst im vergangenen Jahr entschied sich die Stadt trotz Förderung vom Landkreis gegen zwei neue Fahrzeuge, weil sie die 50 Prozent Eigenanteil nicht stemmen konnte.

Dabei sieht der Bedarfsplan für die nächsten fünf Jahre Investitionen in die Feuerwehr in Höhe von rund zwölf Millionen Euro vor. Umsetzbar sei das kaum, sagt, sagt Bürgermeister Maik Koschack, der den Plan im Dezember mit der Stadtverordnetenversammlung beschlossen hat. Denn Plan hin oder her – es fehlt das Geld.

17 Einwohner pro Quadratkilometer

Friedland verfügt seit der Gemeindereform von 2003 über 15 Ortsteile und erstreckt sich auf einer Fläche von 174 Quadratkilometern. 3.000 Menschen leben hier – das sind 17 pro Quadratkilometer. Große Industrie und Gewerbe gibt es nicht. Steuern, Gebühren und Geld vom Land, das pro Kopf kalkuliert wird, reichen nicht aus, um die Ausgaben zu decken. Daher befindet sich Friedland seit Jahren in der Haushaltssicherung.

"Das bedeutet, wir müssen uns auf unsere Pflichtaufgaben konzentrieren: Brandschutz, Straßen, Friedhöfe, Kita-Plätze und Grundschulen", erläutert Christian Friedrich, Kämmerer der Stadt. Und selbst das sei kaum zu leisten. Kultur, Sport und Co. hingegen fallen unter freiwillige Aufgaben – und damit oft hinten runter. "Wir haben uns als Stadt vorgenommen, viel für Kinder und Jugendliche zu tun. Aber wir können nicht in jeden Ort einen Spielplatz bauen", sagt Bürgermeister Maik Koschack, der seit drei Jahren im Amt ist.

Keine Zukunft ohne Jugend

Genau diese Kür jenseits der Pflicht sei der Kitt, der die Gemeinschaft zusammenhalte. So sehen es Lena und Marian Mietchen, die im Ortsteil Leißnitz wohnen. Das Erzieher-Paar, Anfang 30, gestaltet auf seinem Vierseithof kostenlose Freizeitprogramme für Kinder und Jugendliche. Malen, Tanzen, Gemüse ernten, Zirkus und Musik. Da nur selten Busse über die Dörfer fahren, haben die Mietchens via Crowdfunding einen Kleinbus gekauft, der die Kinder holt und bringt. Ihr Projekt finanzieren sie durch Förderungen und Spenden.

"Es ist notwendig, dass wir in die Jugend investieren. Friedland wird sonst eingehen. Immer mehr Geschäfte machen zu, keiner will sie übernehmen. Es muss hier aber auch lebenswert sein", sagt Lena Mietchen, die vor vier Jahren aus Berlin nach Leißnitz kam. Und dazu gehörten eben auch Kultur, Restaurants, Kreativorte. "Na klar haben wir einen Wust an Problemen und die Stadt muss Prioritäten setzen. Aber es braucht auch Mut, Entscheidungen zu treffen und die Mittel, die es gibt, sinnvoll einzusetzen."

"Man kann vieles darauf reduzieren, dass es wenig Geld gibt", ergänzt Marian Mietchen. "Es steht und fällt aber mit den Leuten, die Bock haben." Mietchen ist in Leißnitz aufgewachsen, hat den Hof von seiner Urgroßtante übernommen und wünscht sich eine Zukunft in seinem Heimatort, auch für die dreijährige Tochter des Paares.

"Man muss etwas dafür tun, dass sich die Leute wohlfühlen und hierbleiben", sagt Mietchen. Gerade seien sie mit der Stadt im Gespräch um die unbesetzte Stelle des Jugendkoordinators, sagt Lena Mietchen: "Sinnvoll wären auch Netzwerktreffen von Engagierten hier."

Franziska Häusler (Quelle: rbb/Margarethe Neubauer)

Immer kümmern sich die Gleichen

Engagierte gibt es in Friedland. Seit dem vergangenen Herbst wird die Kneipe des 90-Seelen-Ortsteils Reudnitz, 17 Autominuten von Leißnitz, alle paar Monate zur Dorfdisco. Aktuell zeigt sich, was die Friedländer außerdem noch verbindet – seit Jahrhunderten schon: das Zampern. Von Januar bis März laden die Ortsteile zu ihren Fastnachtsfeiern ein, ziehen die Friedländer mit Kostümen und Musik von Haus zu Haus und bringen Leben in die Dörfer.

Franziska Häusler, Vorsitzende des Faschingsvereins, sitzt am Tresen der Baracke neben der Grundschule in Friedland, die gerade von einer Gruppe Frauen für den "Eierkuchenball" geschmückt wird. "Es sind immer die Gleichen, die sich kümmern", sagt Häusler. Sie selbst ist auch in der Feuerwehr und im Schulförderverein. "Einige Ältere treten langsam aus, die Jugend kommt nicht nach."

Der Faschingsverein bereitet den Eintopf fürs Zampern vor. (Quelle: (Quelle: rbb/Margarethe Neubauer)

Fördermittel überfordern Kommunen

Hoffen auf großzügige Fördermittel könne man kaum, erklärt Kämmerer Friedrich. "Einen Eigenanteil muss die Kommune immer selbst stemmen. Wenn ich eine Million Euro Fördermittel akquiriere, muss ich bei 80 Prozent Förderung 200.000 Euro aus eigener Tasche finanzieren. Das sind circa zehn Prozent der Unterhaltungskosten für die gesamte Stadt. Das ist einfach nicht leistbar." Für eine kleine Kommune sei es außerdem sehr aufwändig, sich überhaupt um Fördermittel zu bemühen.

Ein Lichtblick für Friedland heißt möglicherweise Solarenergie. Für 2024 ist ein 70 Hektar großer Photovoltaikpark bei Leißnitz geplant, von dem die Kommune finanziell profitieren würde. Geschätzte Peak-Leistung pro Jahr: 70 Megawatt.

Da könnte der kürzlich vom Brandenburger Landtag beschlossene Solar-Euro Geld in Friedlands Kassen bringen. Denn ab 2025 müssen Betreiber von Solarparks auf freien Flächen den Kommunen 2.000 Euro pro Megawatt Leistung im Jahr zahlen. Allerdings sind diese Einnahmen zweckgebunden und sollen etwa in Bildung und Kultur fließen. Die Friedländer Feuerwehren beispielsweise gingen dann wieder leer aus.

"Schmaler Grat zwischen sparsamer Haushaltsführung und Totsparen"

Für Bürgermeister Koschack müsste eindeutig eine Reform der Zuweisungen vom Land her. Aktuell orientiere sich der Verteilungsmechanismus an den 3.000 Einwohnern. In Friedland sei aber der Aufwand durch überproportional viele Straßen, Friedhöfe, Feuerwehren pro Kopf besonders hoch. Für diese Mehrbelastung müsse es Ausgleichszahlungen geben, die die verhältnismäßig große Fläche der Kommune berücksichtigen, sagt Koschack.

Dass es so nicht weitergeht, ist der Stadt bewusst: "Wir können nicht durch Kürzungen das gesellschaftliche Miteinander gefährden. Sonst reden wir perspektivisch nicht mehr über 3.000 Einwohner sondern über 1.500. Es ist ein schmaler Grat zwischen sparsamer Haushaltsführung und Totsparen."

Sendung: rbb-Fernsehen, 20.02.2024, 20:15 Uhr

Beitrag von Margarethe Neubauer

8 Kommentare

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  1. 8.

    So lange Politik immer nur auf eine Legislatur hin gemacht wird und nicht andauernd langfristig, wird das Land mit jedem Entwicklungssprung ein großes Stück komplizierter, bürokratischer, auseinanderdriftender.

    Beispiel Rentensystem: Der Umschlagpunkt 2025 wurde bereits in den 70-ern thematisiert. Hat die Politik das System stabil ausgerichtet? Nein.

    Beispiel Folgeschäden der Naturzerstörung: Seit den 60-ern analysiert und die Folgen dargestellt. Alle konnten es sehen. Wenige wollten die wählen, die's anpacken und abändern. Nun fahren wir alle vor die Wand.

  2. 7.

    Die Eigenständigkeit der Kommune wird durch die Mitverwaltung nicht aufgehoben, denn es findet kein Zusammenschluss der Kommunen statt.

    Ob es eine gute Alternative wäre, konnte im Diskussionszeitraum nicht geklärt werden.

  3. 6.

    Vor einigen Jahren hatte Friedland die Möglichkeit, mit der Kreisstadt Beeskow im Rahmen der Mitverwaltung zusammen zu gehen. Friedland hatte damals abgelehnt. Nun muss man sehen, wie man eigenständig klar kommt.

  4. 5.

    Die meisten Dörfer wurden vor einigen Hundert Jahren gegründet, weil man viele Arbeitskräfte in der Landwirtschaft brauchte. Das ist nicht mehr so. Und damit ist der Gründungszweck dieser Dörfer entfallen. Es hat diese Orte davor nicht gegeben und es wird sie in Zukunft auch mit viel Geld nicht mehr geben. Man sollte lieber jetzt abwickeln und das Geld dafür einsetzen, den Menschen Möglichkeiten in wachsenden Regionen zu verschaffen. Damit würde man auch die Zersiedelung der Landschaft wieder etwas zurückfahren.

  5. 3.

    Die Gemeindereform war ein ganz grosser Wurf, niemand hat sich Gedanken über die Folgen gemacht. Nicht nur dort.

  6. 2.

    Tja, da wäre es vielleicht doch besser gewesen, wenn sich die amtsangehörigen Gemeinden seinerzeit nicht zu einer amtsfreien Großgemeinde zusammengeschlossen hätten.

  7. 1.

    LT 28
    steht sogar auf dem Auto

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