Rechtsextreme bei TikTok - Mit einem Swipe in den Köpfen der Jugendlichen

Fr 09.02.24 | 12:03 Uhr | Von Esther Neumeier (ARD-aktuell), Kerstin Breinig und Tom Garus (beide rbb)
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Symbolbild: Auf einem Handydisplay ist die App Tiktok zu sehen am 25.01.2024.(Quelle: Picture Alliance/Mateusz Slodkowski)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 08.02.2024 | E. Neumeier und K. Breinig | Bild: Picture Alliance / Mateusz Slodkowski

Rechtsextreme erreichen auf Social-Media-Plattformen wie TikTok Millionen Kinder und Jugendliche. Vor allem die AfD verpackt ihre Inhalte sehr erfolgreich, damit junge Menschen sie als normale politische Thesen wahrnehmen. Von E. Neumeier, K. Breinig und T. Garus

  • Mehr als 20 Millionen Menschen sind in Deutschland bei TikTok, vor allem Kinder und Jugendliche
  • Unter den Parteien ist die AfD und die Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) sehr aktiv
  • Laut Experten werden rechte Perspektiven viel subtiler und niedrigschwelliger vermittelt

"Echte Männer sind rechts", sagt der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, in einem TikTok-Video - und erntet 1,4 Millionen Klicks dafür. Krah, 47 Jahre alt, adressiert mit seinem Video besonders junge User.

Er greift dabei auch zu geschichtsrevisionistischen Tönen: "Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher. Wir haben allen Grund, stolz auf unser Land zu sein und auf die Menschen, die es aufgebaut haben." Und er fordert sie auf, herauszufinden, "was Oma, Opa oder Uroma alles gemacht haben, wo sie herkamen, was sie gekämpft und gelitten haben".

AfD sehr erfolgreich

Die AfD ist in sozialen Netzwerken so erfolgreich wie keine andere deutsche Partei. Auch die rechtsextremistische AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) sendet bei TikTok ungefiltert ihre völkisch-nationalistischen Botschaften.

Erik Ahrens ist Social-Media-Experte und hat den TikTok-Kanal für Maximilian Krah aufgebaut. Im vergangenen Jahr sorgte er für Schlagzeilen mit der Forderung, deutsche Frauen müssten zur Eizellenspende verpflichtet werden, um die Demografie zu stabilisieren.

Bei einem Vortrag am privaten "Institut für Staatspolitik", der laut Verfassungsschutz wichtigsten rechtsextremistischen Denkfabrik, schwärmt er von den großen Reichweiten, die sich durch TikTok erzielen lassen. "So, wie man sich 1923 gefühlt haben muss, als man das Radio für sich entdeckt hat, so fühle ich mich, wenn ich mir meine TikTok-Accounts anschaue", so Ahrens.

Reichweiten mit exponentiellem Wachstum

TikTok ist die perfekte Plattform für Rechtsextremisten. Mehr als 20 Millionen Menschen sind in Deutschland bei TikTok, vor allem Heranwachsende.

Anders als Eltern oft denken, müssen Kinder und Jugendliche solche Videos gar nicht aktiv suchen. Sie kommen von allein, und das geht so: TikTok zeigt jedes hochgeladene Video wahllos einer bestimmten Anzahl von Menschen. Wenn es gelikt, kommentiert oder auch nur angesehen wird, wird es zusätzlich wieder neuen Menschen in die Timeline geschickt.

Die jungen User, die oft den teils extremen Charakter der Videos nicht auf Anhieb durchschauen, bekommen ähnliche Inhalte wieder vorgeschlagen. Und wieder. Und wieder. Exponentielles Wachstum ist so möglich.

Mit Musik, Emojis und Sarkasmus

Rechte Influencer gehen bei der Inszenierung der Videos geschickt und popkulturell zeitgemäß vor. Mit Musik, Emojis und Sarkasmus untermalen sie etwa ihre Redeausschnitte im Landtag. Immer per "Du" mit den Nutzern, teils im Duktus von Online-Coaches, die auf den Selbstwert der jungen Menschen abzielen und ihnen Orientierung bieten wollen.

Ohne Kontrolle, ohne Filter, wie Social-Media-Experte Ahrens über die Videos der Neurechten in seinem Vortrag erzählt: "Wir können halt immer unsere Botschaft in den eigenen Worten, über unsere eigene Blase hinaus selbst direkt vor die Augen setzen." Und zwar so, "wie wir es tatsächlich sagen, sehen es die Leute auch".

Die Botschaft werde nicht etwa durch Faktenchecks von Medien verändert. "Und das ist so eine unmittelbare, direkte, parasoziale Beziehung sozusagen zwischen mir als Zuschauer und diesem Mann auf dem Bildschirm", sagt Ahrens.

Gezielte Propaganda ist ja immer nur ein Teil. Das andere ist, wenn Menschen mit einer entsprechenden Gesinnung über Lifestyle-Welten ganz normalen Einblick in den Alltag geben.

Daniel Hajok, Medienwissenschaftler an der Universität Erfurt

Subtile Botschaften auch über Lifestyle-Videos

Der Medienwissenschaftler Daniel Hajok von der Universität Erfurt warnt: "Gezielte Propaganda ist ja immer nur ein Teil. Das andere ist, wenn Menschen mit einer entsprechenden Gesinnung über Lifestyle-Welten ganz normalen Einblick in den Alltag geben." Dabei würden rechte Perspektiven viel subtiler und niedrigschwelliger vermittelt.

Die Folge: Ganz allmählich gewöhnen sich junge User so an die Inhalte und Sprache der Rechten. Und sie lernen die Gesichter der Neuen Rechten und der AfD kennen. Zum Beispiel das von Ulrich Siegmund, Fraktionsführer der AfD in Sachsen-Anhalt, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird.

201.000 Klicks bekommt der 33-Jährige zum Beispiel für ein TikTok-Video, in dem er versucht, den Verfassungsschutz zu delegitimieren. Nach Informationen des Recherchenetzwerks "Correctiv" war auch Siegmund mit dabei beim Treffen im Landhaus Adlon in Potsdam.

"Einfluss auf die Wahlen nehmen"

Siegmund treibt wie auch die "Junge Alternative" seine Social-Media-Aktivitäten mit viel Aufwand voran. "Da gibt es viele Mitglieder, die sehr aktiv sind, und da fließt offensichtlich auch sehr viel Geld rein in die Professionalisierung dieser Aktivitäten", sagt die Politologin Anna-Sophie Heinze im Deutschlandfunk-Interview [deutschlandfunk.de].

Über die Finanzierung von Social-Media-Videos wurde laut Informationen der Recherche-Plattform Correctiv auch bei dem Potsdamer Treffen gesprochen. Demnach hatte der mittlerweile entlassene persönliche Referent von AfD-Chefin Alice Weidel, Roland Hartwig, in Aussicht gestellt, dass die AfD eine Social-Media-Agentur für rechte Influencer mitfinanzieren könnte. Hartwig zufolge ist das Ziel, Einfluss auf die Wahlen zu nehmen, vor allem bei jungen Leuten: "Die Generation, die das Blatt wenden muss, steht da."

Löschen als Lösung?

TikTok löscht nach eigenen Angaben Inhalte, die gegen die Community-Richtlinien der Plattform verstoßen. Laut dem EU-Spitzenkandidaten der AfD, Krah, hat TikTok schon Videos von ihm gelöscht.

Auf Anfrage von tagesschau.de verweisen Innen-, Familien- und Digitalministerium auf den "Digital Service Act" der EU-Kommission. Demnach müssten große Plattformen empfindliche Strafen fürchten, wenn sie der Löschung von rechtswidrigen Inhalten nicht nachkommen.

Die Plattformen müssen laut Medienwissenschaftler Hajok jedoch lediglich Meldefunktionen für die User bereitstellen. Erst wenn TikTok eine Meldung zu einem zweifelhaften Inhalt erhält, muss die Plattform diese prüfen und gegebenenfalls an deutsche Strafverfolgungsbehörden weiterleiten.

An der Grenze zum juristisch Verfolgbaren

Häufig sind die Videos allerdings an der Grenze zum juristisch Verfolgbaren, müssen also nicht gelöscht werden. Und selbst wenn: Laut dem AfD nahen Social-Media-Strategen Ahrens sind Influencer auf TikTok selbst mit Account-Löschungen nicht klein zu kriegen, denn "wenn dann dieser Kanal gesperrt wird aus irgendeinem Grund, dann kann diese Person sich einfach einen neuen Account machen". Sie könne dann innerhalb kürzester Zeit dieselbe Reichweite erneut erzeugen, weil sie in der Zielgruppe schon bekannt sei.

Der Rechtsextremismusexperte Maik Fielitz vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena findet, dass demokratische Inhalte eine größere Reichweite bekommen müssten. "Und deshalb sind Eingriffe in die Architektur digitaler Netzwerke wichtig", so Fielitz. Also in die Algorithmen von TikTok und Co.

Medienwissenschaftler Hajok findet, dass die anderen Parteien in der digitalen Welt von heute präsenter sein müssen. Sonst hätten diejenigen, die die neuen Technologien am besten beherrschen, auch gesamtgesellschaftlich den größten Erfolg.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 09.02.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Esther Neumeier (ARD-aktuell), Kerstin Breinig und Tom Garus (beide rbb)

25 Kommentare

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  1. 25.

    Gut zusammengefasst!
    Bleibt nur zu hoffen, dass bei einigen Medien tatsächlich mal ein Umdenken
    in die Richtung stattfinden.

  2. 24.

    Vielleicht sollten auch mal die klassischen Medien tief in sich gehen, warum sie derart gravierend versagen, dass selbst die abstrusesten Unsinnigkeiten in Social Media Angeboten überhaupt bei einer relevanten Masse verfangen können. Wenn erlebte Realität und die Berichte der offiziellen Medien nicht mehr überein passen, dann haben Andere überhaupt erst die Chance, ihre Behauptungen unters Volk zu bringen. Da hilft kein Jammern und Barmen sondern nur besser und realistischer werden.

  3. 23.

    "....braucht es noch irgendwelche weiteren Worte um zu sehen, was das für ein Mensch ist?"

    Braucht es noch irgendwelche andere Beweise um endlich die rechtsextreme AfD zu verbieten?

  4. 20.

    Vollkommen richtig, sehr guter Kommentar.
    Im grunde traurig, dass man Einigen die vorgebrachten Argumente noch näher bringen muss.
    Dennoch gut, dass es passiert!

  5. 19.

    Schlecht ist zum Beispiel, was andere Menschen schädigt, ausgrenzt, verachtet, usw. Z. B. Die Nazipolitik, Antisemitismus, Homophobie und ähnliches.
    Wer Hilflosigkeit mit Schwäche verwechselt, oder den Wunsch nach Gleichberechtigung und damit einhergehend das Gendern verachtet, weil die "Männlichkeit" verloren ginge.
    Da gibt es noch viel mehr an menschenverachtendes, was schlecht ist.

  6. 18.

    doch erst mal schauen unter wessen Kontrolle diese Medien stehen und vom wem die bezahlt werden...;-)und das lustige ist das Jene die Behauptungen aufstellen sich das im Presseclub so in Widersprüche verstricken...und so mit die Lüge aufgeflogen ist...;-) Schön zu sehen wie die Herde denen noch hinterher rennt...;-)

  7. 17.

    haben den Artikel 8 des Grundgesetzes außer Kraft gesetzt, das darf niemals geschehen ...ist es aber
    Ist das aussetzen der Grundrechte gut oder schlecht ?

  8. 16.

    wer legt fest was schlecht ist und was nicht ? Sie ?

  9. 15.

    Gute Nacht Deutschland, mit der AFD geht es endgültig bergab, deren sog. Lösungen funktionieren leider nicht. Deren Vertreter leugnen notfalls ihr Parteiprogramm, allein um sich im "recht" zu fühlen. Schaut euch den AFD Vertreter letzten Montag bei "Hart aber fair" an und ihr könnt es verstehen.

  10. 14.

    genau das ist nicht Duldsamkeit

  11. 13.

    "Erik Ahrens ist Social-Media-Experte und hat den TikTok-Kanal für Maximilian Krah aufgebaut. Im vergangenen Jahr sorgte er für Schlagzeilen mit der Forderung, deutsche Frauen müssten zur Eizellenspende verpflichtet werden, um die Demografie zu stabilisieren."

    ....braucht es noch irgendwelche weiteren Worte um zu sehen, was das für ein Mensch ist?

  12. 12.

    ZeitOnline hat gerade auch ein Artikel zu dem Thema. Der social Media Verantwortliche (Rechtsextremismus Erik Ahrens)für den EU Spitzenkandidat Krah sagt: "So wie man sich 1923 gefühlt hat, als das Radio erfunden wurde, so fühl ich mich, wenn ich meine TikToks anschaue",

    Eine gefährliche Entwicklung. Die Medienkompetenz muss in der Schule und im Elternhaus stärker geschult werden. Und Medien abseits des rechten Mainstream müssen das unterstützen.

  13. 11.

    >"Eltern sollten ihre Jugendlichen darüber aufklären, dass die afd schlecht ist und man
    über deren Propaganda lieber einen großeb Bogen machen sollte."
    Leichter gesagt, als getan. Ofmals ist schwer zu erfassen, wer welche Beiträge oder Funvideos mit suptilem Hintergrund dort eingestellt hat. Viele teilen das schnell mal weiter, ohne sich über die Verfasser zu informieren. Erwachsene übrigens ebenso.

  14. 9.

    Sehe ich auch so und ein paar Funklöcher mitten im Flacherdeuniversum sind eine gute Sache, wenn man seine Ruhe haben und unerreichbar sein will.
    Oma brauchte nur ein Haarnetz nach der Dauerwelle für damals 16,50 Aluchips und wurde ohne Apps aber mit Kaffeeklatsch und Dorftratsch 91. Die Erde drehte sich trotzdem weiter. Schönes Wochenende an Alle und einfach mal abschalten.

  15. 8.

    Eltern sollten ihre Jugendlichen darüber aufklären, dass die afd schlecht ist und man
    über deren Propaganda lieber einen großeb Bogen machen sollte.
    Das wäre meiner Ansicht nach der erste Schritt, alles weitere werden Sie im Laufe der Zeit
    schon lernen.

  16. 7.

    Früher war Tik Tok nicht halbnackte Frauen bekloppte Mutproben und Möchtegernköche und echte Köche bei der Zubereitung von Esden zugucken. Inzwischen muss man solche Beiträge aber schon suchen zwischen den ganzen Nazi-Propaganda-Müll. Hab die App inzwischen gelöscht, genauso wie die Hetz-und Lügen-App von Elon Musk, nur noch Schwurbelmist von Flacherde-Theoretiker, Neonazis und ähnlich schrägen Vögeln, was da in die Timeline gespült wird...

  17. 6.

    Für mich persönlich ist geistige Freiheit die größte Freiheit überhaupt und diese bekommt man nur, wenn man unabhängig von allen Netzwerken agieren kann und seine Vernunft und den Verstand durchdacht und hinterfragend in Verbindung mit seriösen Quellen nutzen kann.
    Diese Abhängigkeit von anderer Leute Meinung in Gruppen und Blasen ist Gift für den Geist und macht süchtig und abhängig. Da hilft nur löschen und abschalten. Dann kommt der Entzug, dann die geistige Freiheit.
    Früher war es die Religion, von der Marx meinte, sie wäre wie eine Droge für die Leute. Heute hat man die Droge immer dabei, man muss dabei sein, in Gruppen sich Meinungen immer und immer wieder wiederkäuen, um ja nicht selbst denken zu müssen. Das befriedigt keinen klugen Geist auf Dauer.

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