Verschwundene Vereine | SC Tegel - Ein "historischer Sieg" mit schriftlicher Bescheinigung

Di 03.01.23 | 21:30 Uhr
Ein Spieler des SC Tegel stemmt nach dem Sieg im Finale um die Deutsche Amateurmeisterschaft 1962 den Pokal in die Luft (imago images/Otto Krschak)
Bild: imago images/Otto Krschak

Der SC Tegel sorgte Anfang der 1960er völlig überraschend für einen der größten Momente der Berliner Amateurfußball-Geschichte. Das hat der Berliner Fußball-Verband sogar schriftlich bescheinigt. Mittlerweile ist von dem Verein aber nicht mehr viel übrig.

Teil 2 von 5 der rbb|24-Serie "Verschwundene Vereine"

Berlins Fußballvereine haben (Negativ-)Rekorde aufgestellt, unzählige Profis hervorgebracht, für unvergessene Spiele gesorgt. Einige dieser Berliner Klubs existieren heute nicht mehr. rbb|24 stellt sie vor: die verschwundenen Vereine.

Volker Behnke blickt stolz zurück in die Vergangenheit. Vor 60 Jahren gelang dem heute 83-jährigen Reinickendorfer und seinen Teamkollegen der vielleicht größte Überraschungserfolg der Berliner Amateurfußball-Geschichte: Mit dem SC Tegel wurden sie 1962 Deutscher Amateurmeister. "Das wird als Außenseiter diesen Erfolg erreicht haben, ist unfassbar", erzählt er. Denn mit einem Sieg des kleinen Vereins aus West-Berlin im Finale hatte damals niemand gerechnet.

Die Jungs aus Reinickendorf

Eingeleitet hatte der kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs gegründete SC Tegel seine erfolgreichste Phase mit dem Aufstieg in die damals zweitklassige Amateurliga Berlin. Nach nur drei Spielzeiten wurden sie dort 1962 Meister und stiegen nicht nur in die Stadtliga auf, sondern qualifizierten sich auch für die Deutsche Amateurmeisterschaft.

Der Wettbewerb erfreute sich damals in Deutschland großer Beliebtheit, da es die Bundesliga noch nicht gab. Professioneller Fußball von "Vertragsspielern" wurde lediglich in den Oberligen gespielt und der Amateurfußball war somit der wichtige Unterbau der Profis. Für die Spieler des SC Tegel war die Teilnahme aber auch aus einem anderen Grund etwas ganz Besonderes. Schließlich mussten sie für ihre Pflichtspiele West-Berlin zuvor nie verlassen. "Wir haben da ja so ein bisschen auf einer Insel gelebt", sagt Behnke.

Nach einem Sieg gegen die SpVgg Büchenbach aus Mittelfranken und dem 1:0-Halbfinalerfolg gegen Phönix Bellheim aus Rheinland-Pfalz standen sie plötzlich im Endspiel. Dort wartete der mächtige Gegner und haushohe Favorit TuRa Bonn aus der damaligen Bundeshauptstadt. "Das war für uns ganz ungewöhnlich. Wir waren fast alle einfache Jungs aus Reinickendorf und eng miteinander befreundet", erzählt Behnke. Heute macht er vor allem diese enge Bindung für den Überraschungserfolg verantwortlich. Die Mannschaft sei häufig zusammen ausgegangen und hätte getanzt, vor allem zur Musik von Elvis Presley.

"Wir waren von Beginn an nicht als Sieger vorgesehen"

Für das größte Spiel der Vereinsgeschichte traten die Freunde aus Reinickendorf nun die Reise nach Wuppertal an. Damals mit dem Flugzeug aus Tempelhof, weil einige der Spieler Polizisten waren und deshalb nicht mit dem Bus durch die DDR hätten reisen können. Angekommen in NRW, bekamen sie schnell ihre Rolle als Außenseiter zu spüren. "Wir waren in einem Hotel, in dem nicht einmal die Betten frisch gemacht waren", erinnert sich Behnke.

Im Stadion am Zoo erwarteten sie dann 12.000 Fans, die fast alle aus Bonn gekommen waren und fest von einem Sieg ihrer Mannschaft ausgingen. "Sogar die fertig vorbereiteten Siegerkränze mit dem Vereinsnamen TuRa Bonn lagen schon da. Wir waren von Beginn an nicht als Sieger vorgesehen", sagt Behnke. Vor dem Anpfiff sei er furchtbar nervös gewesen.

Höhepunkt der Vereinsgeschichte

Doch was dann passierte hat er sich mittlerweile vom Berliner Fußball-Verband schriftlich als "historisches Ereignis" bescheinigen lassen. Der SC Tegel bot dem großen Favoriten Paroli und erzielte in der 66. Minute durch Karl Bölk den entscheidenden Treffer, der zum Gewinn der Meisterschaft reichte. Lange Gesichter auf den Tribünen und bei den Spielern aus der Bundeshauptstadt und großer Jubel bei den Jungs aus Reinickendorf, die als Siegprämie 200 Mark und ein Abendessen bekamen.

Es sollte allerdings auch der Höhepunkt in der Geschichte des SC Tegel gewesen sein. In der folgenden Saison wurden sie in der Stadtliga Letzter und rutschten durch die Einführung der Bundesliga von der Erst- in die Drittklassigkeit ab. In den Jahren darauf folgten einige Auf- und Abstiege, doch der große Erfolg blieb aus. Aufgrund finanzieller Probleme und dem Mangel an ehrenamtlichen Mitarbeitern fusionierte der Verein schließlich 2002 mit dem SC Heiligensee zum neuen Nordberliner SC, der bis heute aktiv ist.

Der Erfolg schweißt zusammen

Neben seiner Mitgliedschaft im Förderverein hat Volker Behnke mit dem neuen Verein nicht mehr viel zu tun. Er findet, dass die Erfolgsgeschichte von 1962 dort eine zu kleine Rolle spielt und ist etwas enttäuscht, dass er und seine alten Mitspieler nicht häufiger eingeladen wurden, um den Jugendmannschaften mit ihren Erzählungen ein Vorbild zu sein.

Er selbst pflegte noch lange den Kontakt zu seinen ehemaligen Teamkollegen. "Keiner hätte damals damit gerechnet, das schweißt zusammen", sagt er. Mittlerweile seien aber viele von ihnen verstorben. Zum 50-jährigen Jubiläum des Titelgewinns hatte Behnke aber eine große Feier organisiert, zu der noch fast alle kamen. Dort hatte er dann ein selbst gedichtetes Lied auf der Melodie von Udo Jürgens "Griechischer Wein" zum Besten gegeben und die Überraschungssieger des SC Tegel noch einmal hochleben lassen.

"Nur mit Teamgeist kann man Erfolge erreichen. Dazu braucht es dann ein bisschen Glück und den notwendigen Ehrgeiz." Dieses Erfolgsrezept würde für damals sowie auch heute noch gelten, sagt Behnke.

Sendung: rbb24, 3.1.23, 21:45 Uhr

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