Wichtiger Sieg gegen Stuttgart - Herthas Herz schlägt noch

Sa 06.05.23 | 21:25 Uhr | Von Till Oppermann
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Marc Oliver Kempf feiert sein Tor gegen den VfB Stuttgart. (Foto: IMAGO / Pressefoto Baumann)
Audio: rbb24 Inforadio | 07.05.2023 | Stephanie Baczyk | Bild: IMAGO / Pressefoto Baumann

Pal Dardai und Hertha BSC sind dem Abstieg vorerst von der Schippe gesprungen. Im direkten Duell mit Stuttgart zeigte die Mannschaft, dass noch Leben in ihr steckt. Eine Leistung die für die restlichen Spiele Mut machen sollte. Von Till Oppermann

Jessic Ngankam spielt seit 17 Jahren bei Hertha BSC, mit sechs Jahren hat er angefangen. Bis in die Profimannschaft hatte es der Stürmer geschafft. Am Samstag gegen Stuttgart wurde er endgültig zum Symbol für den "Berliner Weg" der Hertha. Dabei hatte es Ngankam nicht einmal in Pal Dardais Startelf geschafft. Nach seiner Einwechslung glänzte er weder mit einem starken Dribbling noch mit gutem Torabschluss. Dafür zeigte Ngankam, wie ein Profi spielt, der wirklich für seinen Verein brennt. Er warf sich in jeden Zweikampf, riss seine Arme in die Luft und feuerte die Fans an.

Schließlich blickte Ngankam ins Publikum und schlug sich voller Wucht auf die Hertha-Fahne über seinem Herzen. Sehr passend, denn so laut wie im Abstiegsduell mit dem VfB Stuttgart schlug das Hertha-Herz lange nicht mehr. Mit Kampf, Leidenschaft und großer Willenskraft siegte die Mannschaft mit 2:1 gegen den direkten Konkurrenten aus Süddeutschland. Abwehrchef Marc Oliver Kempf brachte es auf den Punkt: "Dass wir als Mannschaft noch leben, haben wir gezeigt."

Pal Dardai als Herzdruckmassage

Das musste sie auch. Zwar hatte Trainer Pal Dardai unter der Woche selbstbewusst das Ziel "vier Spiele, vier Siege" ausgerufen, aber ohne einen Erfolg gegen den Tabellennachbarn Stuttgart wäre seine Mannschaft wahrscheinlich selbst mit drei Dreiern aus den letzten drei Spielen mausetot gewesen. Denn vor dem Spiel lag Hertha abgehängt auf dem letzten Platz, mit sechs Punkten Rückstand auf Stuttgart.

In diesem Jahr sind die Hertha-Fans zahlreich wie selten zuvor zu Auswärtsspielen gefahren, zu Hause steuert der Verein auf den sechstbesten Zuschauerschnitt seiner Geschichte zu. Doch auf dem Spielfeld taumelte die Mannschaft in den vergangenen Wochen dem Abstieg entgegen. Während die Konkurrenz punktete, blieb Hertha acht Spiele in Serie sieglos. Die Leistungen waren derart blutleer, dass kurz vor Saisonende Trainer Sandro Schwarz entlassen wurde. Das Training seines Nachfolgers Pal Dardai scheint auf den scheintoten Kader wie eine Herzdruckmassage gewirkt zu haben.

Der Plan geht auf

Auch am Samstag pilgerten wieder über 60.000 ins Olympiastadion und sahen eine Mannschaft, die offensichtlich verstanden hatte, dass es gegen Stuttgart um alles ging. Entsprechend gestaltete sich das Spiel. Oft sah es so aus wie das Finale eines Turniers. Dardai hatte das Team zwar nominell mit seinem Sohn Marton als Sechser im 4-2-3-1-System ins Spiel geschickt, doch das Mittelfeld war ab der ersten Minute so gut wie aufgelöst. Hin und her flogen die hohen Bälle: Beide Teams versuchten, schnell und direkt in die Spitze zu spielen. Zwar kombinierte der VfB mit etwas mehr Struktur, aber Hertha kam im ersten Durchgang von Anfang an häufiger zum Abschluss.

Mit zwei Treffern nach Standardsituationen, die Dardai wohl in den ersten 15 Tagen seiner dritten Amtszeit besonders intensiv trainieren ließ, gingen die Berliner trotz eines unnötigen Gegentors mit Vorsprung in die Pause.

Daran hatte der Trainer großen Anteil: Durch das direkte Spiel in die Spitze verloren seine Herthaner im Zweifel erst tief in Stuttgarts Hälfte den Ball. So blieb genug Zeit, sich vor den Gegenangriffen der Schwaben ordentlich zu organisieren. Deren schwache Passquote von 68 Prozent erzeugte kaum Gefahr für das eigene Tor. "Es war alles unter Kontrolle, wir haben die Gegner dahin gelenkt, wo wir wollten", so Dardai.

Qual schlägt Qualität

Dardai sage der Mannschaft, sie solle Spaß haben zu verteidigen, berichtete Kempf nach dem Spiel. Wenn das der Maßstab ist, müssen die Spieler in der zweiten Halbzeit einen besonders lustigen Tag erlebt haben. Trotz des dünnen Vorsprungs stellte sich Hertha fast nur noch hinten rein. Als Marton Dardai in der 54. Minute einen Stuttgarter Angriff mit einem Befreiungsschlag beendete, nahm der VfB-Verteidiger Dan-Axel Zagadou seinen Ball völlig unbedrängt in Herthas Hälfte an. Die Stürmer Florian Niederlechner und Stevan Jovetic standen als offensivste Hertha-Spieler 30 Meter vor dem eigenen Tor.

Damit beherzigten sie zwar Dardais Grundprinzip, nie mehr als ebendiese 30 Meter Abstand zwischen dem hintersten und dem vordersten Feldspieler zu lassen. Allerdings bedeutete das auch, dass Stuttgart die Berliner mit ihrem Angriff schon bis zur Grundlinie zurückgedrängt hatte. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die Spieler in diesen Momenten 60.000 ängstlich klopfende Herzen auf dem Spielfeld hören konnten.

Denn Stuttgart zeigte immer wieder in Ansätzen, wie viel individuelle Klasse in der Mannschaft steckt. So richtig gefährlich wurde es aber nur bei einem Distanzschuss von Enzo Millot. Den Grund kennt Kempf: "In dieser Phase kommt es nicht mehr auf fußballerische Qualität an, sondern darauf, wie man als Mannschaft fightet."

Hertha braucht weiter Siege

Für viele Spieler im oft gescholtenen Kader ist das vor den drei ausstehenden Spielen eine gute Nachricht. Andere wie Dodi Lukebakio, die mehr können, als nur zu verteidigen, muss Hertha aber besser in Szene setzen, wenn es noch für die Relegation oder gar den direkten Klassenerhalt reichen soll. Dardai fand: "Es tut weh, dass wir unsere Konter nicht ausspielen konnten. Da müssen wir besser werden." Bereits am kommenden Freitag wird seine Mannschaft dazu die Gelegenheit bekommen.

Im nächsten Endspiel um den Klassenerhalt geht es zum 1. FC Köln. Hertha BSC hat gegen Stuttgart das Wort "Abstiegskampf" erstmalig in dieser Saison mit Leben gefüllt. Doch folgen keine weiteren Siege, hat das Herz der Mannschaft am Samstag zum letzten Mal geschlagen. "Wenn wir ehrlich sind, wissen wir, was passiert wäre, wenn wir verlieren" , sagte Pal Dardai.

Sendung: rbb24, 07.05.2023, 18 Uhr

Beitrag von Till Oppermann

14 Kommentare

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  1. 14.

    Wer gegen eine unterdurchschnittliche Zweitligameisterschaft verliert, sollte freiwillig in die dritte Liga absteigen. Der HSV und Saarbrücken würden sich freuen.

  2. 13.

    Unsinn. In der zweiten Liga ist kein Aufbau möglich. Das ist ein komplett anderes Spiel und erfordert andere Spieler. Diese Meinung, man gehe runter, um Aufzubauen ist eine Milchmädchenrechnung. Daher kämpft jeder um den Klassenerhalt

  3. 11.

    Der Realität ins Auge sehen. Seit Jahren kämpft Hertha mit viel Glück nur gegen den Abstieg. Ich hoffe innigst, das sie nun mal absteigen. Dann haben sie ein paarJahre Zeit für eine neuen Beginn. Mit einem sofortigen Wiederaufstieg ist ohnehin nicht zu rechnen. Das ist in der hart umkämpften zweiten Liga sehr schwierig. Der HSV kann ein Lied davon singen.

  4. 10.

    Worauf soll ich Sauer sein
    Nur weil Hertha mehr Glück als Verstand hatte und dieses Duell zweier ganz schlechter Mannschaften gewonnen hat

  5. 9.

    Das war eine Momentaufnahme gestern … vermutlich hatten die Herthas mal wieder mehr Glück als Können. Gegen Köln wird das so gar nix.

  6. 8.

    Uiuiui, da ist aber jemand sauer, dass das Spiel nicht in seinem Sinn ausgegangen ist

  7. 7.

    Gefightet hat gestern eigentlich Stuttgart
    Leider völlig unverdient bei einer unterdurchschnittlichen zukünftigen Zweitligamannschaft verloren
    Gut, es war ein Spiel von 2 Unterdurchschnittlichen Zweitligisten
    Ok, bevor das wieder Stolz verkündet wird, es waren 60000 Zuschauer da, von 3, 5 Millionen Berliner
    Ist aber nichts besonderes

  8. 6.

    Nun, ich wette eher darauf, dass das gestern eines dieser Schwalben war, die noch keinen Sommer machen.
    Die Truppe sollte sich von der 1.Liga verabschieden und einen ehrlichen Neuaufbau in der 2. vollziehen.
    Ansonsten wird die Truppe vollends zur Lachnummer in Berlin, in der Bundesliga.
    Es mag ja sein, dass man den Pal jetzt noch feiert, was sich auch schnell ändern kann, wie man an dem zweimalige Umgang mit ihm zeigte.
    Vielleicht schaffen sie wieder die Relegation gegen Hamburg, nur dann geht das Elend weiter.

  9. 4.

    Fighten fighten fighten!!!
    Die Hoffnung stirbt bekanntlichermaßen zuletzt

  10. 3.

    Immerhin wurde der Abstieg noch einmal verschoben.

  11. 2.

    Der Heimsieg war viel wert, weil der letzte Sieg überhaupt noch im Februar war, und weil es für den Verein und seine Fans sehr wichtig ist die Saison mit versöhnlichen Leistungen zu beenden. Der Abstieg ist das wahrscheinliche Endergebnis, aber der kann auch in würdevoller Weise erfolgen. Man konnte heute sehen, wie viel das den Fans wert ist.

  12. 1.

    Wieviel dieser "Heimdreier" gegen den potentiellen Mitabsteiger aus Stuttgart tatsächlich wert war, wird bereits am Freitag beim schweren Auswärtsspiel in Köln deutlich werden.

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