Nach vier Niederlagen in Serie - Der 1. FC Union Berlin und die Frage nach der Krise

Di 26.09.23 | 11:14 Uhr
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Unions Sheraldo Becker im Spiel gegen Hoffenheim (Bild: IMAGO/Contrast)
Audio: Podcast Hauptstadtderby | Folge 150 | A. Kruse, C. Beeck & D. Walsdorff | Bild: IMAGO/Contrast

Zum ersten Mal seit 2020 hat der 1. FC Union vier Pflichtspiele in Serie verloren. Verletzte Leistungsträger, Systemumstellungen und die Neuzugänge brauchen Zeit. Die Frage ist: Reicht das schon für eine kleine Krise? Von Jakob Lobach

Urs Fischer dürfte rund um den Wochenwechsel ein wenig gebraucht haben, um in seinen üblichen, von ruhiger Entspanntheit geprägten Gemütszustand zurückzukommen. "Ich bin doch etwas angefressen im Moment", hatte der Trainer von Union Berlin am späten Samstagnachmittag gesagt. Gemessen an der diplomatischen Nüchternheit, mit der Fischer üblicherweise seine Interviews gibt, war es ein kleiner Gefühlsausbruch. Die 0:2-Niederlage seiner Mannschaft gegen die TSG Hoffenheim hatte den Schweizer Coach spürbar frustriert.

Die Frage nach der Krise

Frustration – ein Gefühl, das im Sport üblicherweise an der Tagesordnung ist. In der gänzlich unüblichen Erfolgsgeschichte des 1. FC Union Berlin aber hat es sich in jüngeren Jahren rar gemacht. Statt vielen Niederlagen und Abstiegssorgen, prägten Siege und Europapokaleinzüge Unions Saisons seit dem Bundesligaaufstieg 2019. Eine Entwicklung, die vorläufig im lange nicht für mögliche gehaltenen Abenteuer Champions League gipfelte. Dass die Köpenicker gegen Hoffenheim jüngst zum ersten Mal seit dem Frühjahr 2020 ein viertes Pflichtspiel in Folge verloren, passt da nicht so recht ins gewohnte Bild. Was also läuft derzeit anders bei Union als zuletzt? Und markieren vier Niederlagen in Serie bereits eine kleine Krise? Oder doch nur eine komplizierte Passage im vielleicht aufregendsten Kapitel der Union-Geschichte?

Die gute Nachricht für die Union-Fans ist, Urs Fischer war nach der Niederlage vom Wochenende zwar "angefressen", aber wirkte keinesfalls ratlos. Bereits in der Halbzeitpause hatte er seinen Spielern laut und nachdrücklich ihre Fehler vorgehalten. Die Niederlage gegen Hoffenheim, bei der die Mannschaft eine sehr schlechte und eine sehr solide Halbzeit gespielt hatte, war also erklärbar. So wie auch die schwierige Phase, in welche sie fiel, erklärbar ist.

Fehlende Leistungsträger als Teil des Problems

Den Anfang machen die Gegner der vergangenen Wochen: Niederlagen gegen RB Leipzig und Real Madrid sind natürlich keine Schande, und auch gegen gut-aufgelegte Wolfsburger und Hoffenheimer kann eine Mannschaft wie der 1. FC Union mal verlieren. Hinzukommt, dass den Berlinern mit Rani Khedira und Robin Knoche aktuell zwei enorm wichtige Stammspieler verletzt fehlen. "Khedira und Knoche haben über einen langen Zeitraum alle defensiven Mechanismen gesteuert, geleitet und nachjustiert", sagte Unions Ex-Spieler und -Sportdirektor Christian Beeck am Montag im "rbb24 Inforadio"-Podcast Hauptstadtderby.

Nahezu fehlerfreie Souveränität, die detaillierte und mühsam erspielte Abstimmung mit den Mitspielern, die vermittelte Sicherheit - was Knoche und Khedira Unions Spiel nahezu immer geben, ließen ihre neuverpflichteten Stellvertreter Leonardo Bonucci, Lucas Tousart und Alex Kral bislang zumindest teilweise vermissen.

Die verletzten Robin Knoche (li.) und Rani Khedira (re.) mit Janik haberer in ihrer Mitte (Bild: IMAGO/Matthias Koch)Die verletzten Robin Knoche (li.) und Rani Khedira (re.) mit Janik Haberer | Bild: IMAGO/Matthias Koch

Allerdings sagte nicht nur Urs Fischer am Wochenende über die Niederlagenserie seiner Mannschaft: "Das wäre mir jetzt zu einfach, das an den zwei Spielern aufzuhängen." Nicht zuletzt, weil Union in den vergangenen Wochen auch offensiv ungewohnt ungefährlich war. In den vergangenen Spielzeiten machten die Köpenicker aus nahezu nichts regelmäßig sehr viel. Mit wichtigen Toren in wichtigen Momenten, teils aus schwierigen Situationen heraus, gewann Union regelmäßig auch Spiele, in denen sie zwar die effizientere, aber nicht unbedingt die bessere Mannschaft war.

Insbesondere vor anderthalb Wochen gegen Wolfsburg, aber auch in der zweiten Halbzeit gegen Hoffenheim war nun das Gegenteil der Fall: Union war die bessere Mannschaft, hatte in nahezu allen wichtigen Statistiken die Nase vorn, erarbeitete sich Chancen. Nur genutzt wurden diese zu selten. Insgesamt entstand ein eindeutiger Eindruck: Die Mannschaft von Trainer Urs Fischer machte das Spiel, statt dies dem Gegner zu überlassen.

Offensive Anpassungen

In den vergangenen Saisons lag ihr Hauptaugenmerk noch auf defensiver Kontrolle, gefolgt von einem darauf aufbauenden und von viel Tempo geprägtem Umschaltspiel. In dieser Saison versucht Urs Fischer seine Mannschaft nun spielerisch weiterzuentwickeln. Es ist ein Weg, der von seinem Kader diktiert wird. Offensiv hochveranlagte Spieler wie David Datro Fofana oder Brenden Aaronson haben eine neue individuelle und kreative Qualität, die in Unions Spielstil der vergangenen Saison nicht zur Geltung kommen würde. Dass es mehr brauchen wird als die oft erfolgreicheren überfallartige Konter und Flanken von den Flügeln, um Spieler wie Aaronson und Fofana bestmöglich einzusetzen, weiß auch Urs Fischer. Nicht umsonst steigen bei Union aktuell die Passquoten und die Frequenz flacher statt hoher Bälle im letzten Drittel.

Fakt ist aber auch, dass taktische Anpassungen genauso Zeit brauchen, wie die Integration spät verpflichteter Spieler wie Leonardo Bonucci, Robin Gosens oder Kevin Volland. Zeit, die in einem von einer Dreifachbelastung geprägten Alltag knapp bemessen ist. Hinzu kommen die nun vier Niederlagen in Serie, die laut Christian Beeck den Spielern im Hinterkopf herumschweben dürften. "Leicht ist die Situation natürlich nicht", sagte Beeck im Podcast Hauptstadtderby. Als Krise wollte er Unions aktuelle Situation aber nicht bezeichnen. "Das ist eine normale Entwicklung, wenn du erstmals Champions League spielst", sagte Beeck und verwies auf eine steigende Belastung, eine noch größere Aufmerksamkeit und noch bedeutungsschwerere Spiele.

Schlüsselspiel gegen Heidenheim

Auch beim 1. FC Union selbst wollten alle befragten Akteure nach dem Spiel gegen Hoffenheim von einer Krise nichts wissen. Stattdessen verwies man nicht zuletzt auf das offiziell ausgegebene Ziel, den Klassenerhalt. Klar ist aber: Union Berlin hat spätestens in dieser Saison eine Mannschaft, die sich mit diesem nicht zufriedengeben dürfte.

Wäre Union als Verein und als Mannschaft noch auf dem Level des Aufstiegs im Sommer 2019, wären vier Niederlagen in Serie kein Anlass zu großer Sorge. Sie wäre wohl sogar erwartbar. Allerdings ist Union eben nicht mehr auf dem Level einer Aufstiegsmannschaft. Die Berliner spielen in der Champions League, haben mittlerweile den sechstwertvollsten Kader der Bundesliga, dazu einen der besten Trainer der Liga. In anderen Worten: Zumindest Unions Spieler dürften inoffiziell eher eine erneute Qualifikation für Europa zum Ziel haben.

Ein erster Schritt in diese Richtung wäre ein Sieg am kommenden Sonnabend in Heidenheim. Ein solcher würde die Frage um eine mögliche Krise in Köpenick wohl erst einmal wieder verstummen lassen. Eine fünfte Niederlage in Serie, noch dazu bei einem Aufsteiger, könnte die Bezeichnung hingegen durchaus rechtfertigen.

Sendung: rbb24, 25.09.2023, 21:45 Uhr

13 Kommentare

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  1. 13.

    Zitat: "Das ist völlig normal. Es wird doch niemand angenommen haben, dass es bei Union immer nur steil nach oben gehen würde. Eine Krise ist das noch lange nicht."

    Ja eben, Stefan. Die letzten drei, von erst vier BL-Saisons sind nahezu märchenhaft verlaufen. Und niemand im Umfeld des Vereins erwartet, dass man nun schon als Dauerkandidat für das internationale Geschäft abonniert ist. Das langfristige Hauptziel ist nach wie vor, den FCU fest in der Buli zu etablieren.

  2. 12.

    Schön, und wenig angestrengt, aus dem Artikel zitiert, Uli. Nur hat der FCU mit Aaronson, Fofana und Kral schonmal drei Leih-Spieler im Kader, die zusammen auf einen Marktwert von 42 Mio. kommen; den aktuellen MW also nicht wenig mitbestimmen. Und dass Fischer sich in kurzer Zeit als einer der besten Trainer der Liga "entpuppen" würde, war ja nun auch nicht unbedingt vorherzusehen, würde ich meinen.

  3. 11.

    Real steht mit zwei Punkten Rückstand auf Platz 3 der spanischen Liga und hat von den bisher sechs absolvierten Spielen nur das Stadtderby gegen Atletico am letzten WE verloren. Wie Sie angesichts dieser Bilanz von einer Schwächephase und miesem CL-Spiel der Madrilenen zu fabulieren meinen, um die Leistung des FCU abzuwerten, ist schon eine starke Analyse Ihrerseits, Mondez.

  4. 10.

    „ Die Berliner spielen in der Champions League, haben mittlerweile den sechstwertvollsten Kader der Bundesliga, dazu einen der besten Trainer der Liga.“

  5. 9.

    Das ist völlig normal. Es wird doch niemand angenommen haben, dass es bei Union immer nur steil nach oben gehen würde. Eine Krise ist das noch lange nicht. Natürlich steigt die Erwartungshaltung, wenn teure und renommierte Spieler verpflichtet werden. Aber Geld allein schießt eben nicht automatisch (mehr)Tore, wie ich als Herthafan nur allzu deutlich erleben durfte. Es wird darauf ankommen, wie gut sich die neuen Stars integrieren lassen.

  6. 8.

    Union ist immer noch Union. Kein großes Bundesligateam, sondern bestenfalls auf dem Weg dahin. Das dauert, ist mit Rückschlägen verbunden, mit Fehlern und hängt auch von Entwicklungen bei anderen ab. Es läuft nie alles glatt. Sonst wären alle immer Meister. Einfach weitermachen. Dann wird das auch.

  7. 7.

    Real hat eine schwache Phase, schau das letzte Spiel in der spanischen Liga. Nicht Union war so gut, sondern Real war so mies.

  8. 6.

    ... mit "fast" einen Punkt erkämpft, werden Sie doch sicher einsehen, dass man mit dieser Aussage gut und gerne auch absteigen kann. Das Ziel muss klar sein: Relegationsplatz am Saisonende um dann in den beiden Relegationsspielen gegen den HSV "fast" gewonnen zu haben.

  9. 5.

    >>Vor wenigen Tagen bei Real Madrid fast einen Punkt erkämpft<<

    Ich bin auch noch davon entfernt, Union eine Krise einreden zu wollen, aber für ähnliche Aussagen, also "wir haben ganz gut gespielt, aber unglücklich verloren" wurden Hertha-Fans hier im Forum in den letzten Jahren regelmäßig lächerlich gemacht, gerne mit dem Hinweis: "Was habt ihr in der Hand? Am Ende zählen nur die Punkte!".
    Es bleibt spannend, ob Union sich aus dem beginneden Loch herausgraben kann, oder ob es wirklich noch zu einer Krise kommt.

  10. 4.

    Ich bleibe dabei, die Eisernen spielen tatsächlich besser! Aber sie sind keine Überraschung mehr und wie oben beschrieben, durch Verletzungen und Neuverpflichtungen wird der Stil offensiver und spielerischer. Geben wir dem Team und dem Trainerteam die Zeit und genießen weiterhin die Spiele (oder die "Krise"?).
    Nur der Druck von außen, wie hier im Artikel, kann den Weg der Eisernen erschweren!
    Eisernes HaHoHe

  11. 3.

    Madrid, gut und schön, aber nicht zulange dran aufhalten. Die Basics liegen in der Bundesliga, sonst bleibt Madrid eine nostalgische Erinnerung. Wie heißt es, immer weiter, ganz nach vorn...
    Also Punkten in der Liga.

  12. 2.

    So aus Madrid zurück und vor dem Schüsselspiel und der Neapelreise: Wenn das eine Krise ist, liebe ich sie.

  13. 1.

    Krise??

    Tief durchatmen, kurz an die frische Luft. Vor wenigen Tagen bei Real Madrid fast einen Punkt erkämpft.

    Krise also??
    Nein, sowas von nein.

    Grüße aus dem tiefen Westen Berlins. Weiter so, union!

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