Marode Schulsporthalle in Berlin - Wenn der Sportunterricht sechs Jahre lang ausfällt

Di 26.09.23 | 14:32 Uhr
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Turnbeutel hängen an Garderobe (Bild: Imago Images/Rolf Poss)
Video: rbb24 | 18.09.2023 | Torsten Michels | Bild: Imago Images/Rolf Poss

Wegen maroder Turnhallen fällt in Berlin mancherorts jahrelang der Schulsport aus. Ein Beispiel aus dem Wedding zeigt: Auch ein Provisorium löst das Problem nicht - mit Folgen für die Kinder. Die Politik ist massiv in der Kritik.

Die Schüler der Klasse 4b der Anna-Lindh-Schule im Wedding rennen ausgelassen durch die Sporthalle. In bunten Oberteilen jagen sie ihre Mitschüler oder umkreisen die mit kleinen Hütchen markierte Laufrunde.

So weit, so normal, könnte man meinen. Das Problem: Diese Kinder haben erst zum zweiten Mal überhaupt in ihrem Leben Sportunterricht. Und er findet gar nicht in ihrer Schule statt.

"Sie sind glücklich, dass sie wieder Sport machen können. Aber es sind natürlich nicht die besten Bedingungen", sagt Lehrer Uwe Süptitz. Denn seine Klasse muss erst sechs Kilometer mit dem Shuttlebus zurücklegen, um zur Sporthalle zu gelangen. Wertvolle Zeit, die von den eigentlich 135 Unterrichtsminuten abgeht.

Wegen Schimmelbefalls ist die eigentliche Sporthalle der Schule nämlich bereits seit 2017 - also seit inzwischen sechs Jahren - geschlossen. Hunderte Kinder hatten seitdem gar keinen oder nur sehr wenig Sportunterricht.

Höheres Gewaltpotenzial durch fehlende Sportangebote

Weil sich auch in anderen Schulräumen Schimmel ausbreitet oder es Wassereinbrüche gab, ist seit diesem Sommer sogar die ganze Schule dicht. Alle 500 Kinder werden täglich per Bus in ein nahegelegenes Bürogebäude gebracht. Der Umzug kostet die Stadt Berlin für sechs Jahre rund 40 Millionen Euro allein an Miete.

"Wir haben hier einen Schulstandort, der ist ein Provisorium", sagt Elternsprecher Tobias Weber. "Wir können wirklich nur rudimentär Sport- und Spielangebote machen. Wir haben keine Sporthalle. Für das Geld, das man in die Hand genommen hat, hätte man eine neue Schule bauen können", lautet Webers Kritik.

Seit Jahren streiten Denkmalschutz und Politik, ob die alte Schule abgerissen und neu gebaut - oder saniert werden soll. Auf Anfrage von rbb|24 antwortete die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF), dass "die zügige und möglichst unbürokratische Schaffung von Schulplätzen selbstverständlich oberste Priorität" habe. "Die SenBJF arbeitet deshalb aktuell mit allen Akteuren im Bezirk und Senat an einem Zeit-Maßnahmen-Plan für die Anna-Lindh-Schule."

In der Zwischenzeit bleibt den Betroffenen nur eines: Improvisieren. Eltern haben Sportgeräte gespendet, mit denen die Lehrer auf dem viel zu kleinen Pausenhof zumindest ein kleines Bewegungsangebot realisieren können.

Die Folgen von fehlender Bewegung und Sport sind dennoch längst spürbar. "Wir bemerken es im Schulalltag auch an einem höheren Gewaltpotenzial, wo wir versuchen, präventiv mit verschiedenen Kooperationspartnern gegenzusteuern. Aber direkt hier vor Ort ist es schwierig und es wird auch schwierig bleiben, Bewegungsangebote auf dem Weg zu bringen", beklagt Schulleiter Mathias Hörold.

Seine Schule ist nur eine von vielen mit maroder Sporthalle. In der Hauptstadt hat nahezu jede vierte Sportstätte schwerwiegende Schäden, 57 sind sogar gesperrt. Fast eine Milliarde Euro wären nötig, um sie instand zu setzen. Bundesweit sind es sogar 31 Milliarden Euro Sanierungsstau bei den Sportstätten.

Kritik an der Politik

Kurt Repmann ist Sportwissenschaftler, Sportlehrer und Mitglied der Sportkommission der Bildungsgewerkschaft GEW. Er kritisiert vor allem das offensichtliche Desinteresse der Politik. "Die Außendarstellung bedeutet immer Leistungssport, olympische Medaillen, Weltmeisterschaften. Da kann der Schulsport nichts bringen", sagt Repmann. Viel wichtiger finde er aber: "Wenn wir ein Kind dazu motivieren können, ein Leben lang Sport zu machen, haben wir weit mehr erreicht als mit einem ersten Platz auf irgendwelchen nationalen oder internationalen Turnieren."

Auch Paul Seidel vom Landesschülerausschuss Berlin zeigt sich von der Politik enttäuscht. "Wenn in Koalitionsverträgen auf Landesebene steht, wir wollen den Sportunterricht, die Sporthallen und generell Schulen gut ausstatten, ist das immer schön, aber das steht schon seit zehn Jahren drin und wir würden eigentlich gern mal Ergebnisse sehen", fordert der Berliner.

Die aktuelle Situation sorge sogar eher dafür, dass Sport als etwas Negatives angesehen würde, sagt Seidel. Denn teilweise finde der Sportunterricht auch vor oder nach dem eigentlichen Unterricht statt und werde so für die Kinder zur Belastung. "Und deswegen verfehlt der Sportunterricht seine Aufgabe auch so zu motivieren, dass Kinder außerhalb der Schule Sport machen oder sich einen Sportverein suche", so Seidel.

Senat: "Zahlreiche Sporthallen werden in den kommenden Jahren neu gebaut"

"Die Förderung des Schul- und Leistungssports gehen in Berlin Hand in Hand", entgegnet die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie auf Anfrage von rbb|24. In der Berliner Schulbauoffensive habe auch der Schulsport eine hohe Priorität, jeder Neubau verfüge über eine moderne Halle, Bestandshallen würden saniert. Auch im Rahmen des Typensporthallen-Programms würden derzeit dutzende Sporthallen in Berlin erreichtet werden. "Die Berliner Schulbauoffensive ist das größte Investitionsvorhaben der letzten und laufenden Legislaturperiode. Der größte Einzelanteil an der Investitionsplanung für die Jahre 2023-2027 entfällt mit rund vier Milliarden Euro an den Schulbau aus. In den kommenden Jahren werden also auch weiterhin zahlreiche Sporthallen neugebaut und saniert", so die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.

Eines ist sicher: Die Berliner Schüler, Eltern und Lehrer werden gespannt darauf schauen.

Beitrag mit Material von Matthias Wolf (Sportschau), Lisa Surkamp-Erler (rbb Sport)

Sendung: rbb24, 18.09.2023, 18 Uhr

30 Kommentare

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  1. 30.

    Und dann wird von offizieller Seite behauptet, wir seien so reich.
    Wenn das so weiter läuft sind wir bald alle pleite. Dann gibt es gar nichts mehr zu verteilen.

  2. 29.

    Sechs Jahre lang kein Sport! Damit wäre für mich als Schulkind ein Traum in Erfüllung gegangen.

  3. 28.

    "Denkmalschutz"
    Abgesehen davon, dass die Sanierung und der Erhalt der alten Gemäuer sehr viel mehr Geld kostet als Abriss und Neubau, sollte man auch daran denken, dass sich Kinder und Jugendliche auch ein wenig wohlfühlen sollten. Diese Gebäude, die um 1900 gebaut wurden, haben den Charme eines Gefängnisses oder geschlossener Psychiatrie. Daran ändert auch eine renovierte Fassade und etwas Farbe in den Räumen nichts.

  4. 27.

    Andere Generationen, andere Medien... Wussten Sie, dass man auf einem Tablet nicht nur wild umherzappen kann, sondern auch viele intressante Texte lesen kann? Das ist auch Lesen! Das Tablet kann das Buch von morgen sein. Sicher werden Display-Medien das gedruckte Buch nie komplett ersetzen können - so rein vom Lesegefühl, der Übersicht und auch der Augengesundheit her. EIne Bibliothek hat heutzutage auch mehr Aufgaben als nur Bücher verleihen. Das für Kinder wichtige spielerische Heranführen an Leseinhalten überhaupt mit Veranstaltungen z.B. auch. Wenn Kinder lieber ein Tablet in der Hand haben, dann kann man dieses Medium auch dafür nutzen. Die Schule heutzutage kann dies nicht leisten: Keine entspannt kreativen Räume, keine Zeit, kein Personal, kein Geld...

  5. 25.

    Eigendlich braucht rbb24 die Artikel der letzten Jahrzehnte nur kopieren, am Zustand der Schulen, inkl. der Turnhallen, hat sich nichts geändert.
    Das Bestreben, Berlin auf dem letzten Platz im Bundesschülervergleich zu halten, wird weiterhin gelingen.
    Gendern, geschlechtsneutrale Toiletten sind im woken Hafermilchkosmos Berlins wichtiger.
    Darum, wer es finanziell fertig bringt und seinem Kind eine Chance geben will, kommt nicht umhin, das Kind in eine private Schule zu schicken.

  6. 24.

    In eine Bibliothek gehen nur alte Leute und Touristen ???
    Ich habe mich garnicht mehr eingekriegt vor lachen.
    Mein Mann, ich und unsere Kinder sind Mitglieder in einer Bibliothek, da kann sich nämlich u.a. Bücher ausleihen. Wissen Sie, dass sind die Dinger aus Papier zum lesen und blättern.
    Wissenschaftler sagen, dass das intelligententer macht, als auf einem Tablet rumzudrücken, verstehen Sie, was ich meine?

  7. 23.

    Die Sporthalle meiner Kinder wurde letztes Jahr saniert. In der Zwischenzeit wurde Sport im naheliegendem Wald, Park und/oder Sportplatz gemacht.

  8. 22.

    „ Höheres Gewaltpotenzial durch fehlende Sportangebote“
    Also wirklich, das höhere Gewaltpotential wird dem fehlenden Sportangebot in der Schule zugeschrieben???
    Lächerlicher geht es ja wohl nicht. Wie wäre es mit Verantwortung der Eltern und/oder Eigeninitiativen in der Freizeit oder ganz einfach Verstand einschalten!

  9. 21.

    Das hat mit Zuständigkeiten, die natürlich da sind, nichts zu tun. Im übrigen beteiligt der Bund sich auch an den Kosten für Schulen.
    https://www.erstenachhilfe.de/blog/bildungsausgaben-so-werden-schulen-finanziert

    Ich wollte nur aufzeigen, wo das Geld für Luxus zum Fenster raus geschmissen wird und wo es nötiger wäre.

  10. 20.

    Alle vorheigen Senate der letzten 20 Jahre haben das Thema Schulgebäude in Berlin verschlampt. Ein Gebäude ist nicht von heute auf morgen so desolat, dass Wasserrohre brechen, Fenster undicht werden und überhaupt der Putz von den Wänden rieselt. Jeder Häuslebesitzer weiß, dass immer was gemacht werden muss an der Hütte, damit nicht eines Tages ein kompletter Neubau ansteht. Merkwürdig: In Brandenburger Städten und Gemeinden sind die Schulgebäude besser in Schuss, obwohl die Kommunen nun wirklich nicht mit Reichtum gesegnet sind. Das ging die letzten Jahrzehnte auch nur, weil jedes Jahr immer ein Sümmchen in die Schulen, Turnhallen oder Kitas investiert wurde in Vorsorge eines evtl. dicken Endes, wenn man das nicht macht.

  11. 19.

    Kein Geld , kein Personal…aber für 600 Millionen eine Bibliothek bauen in die nur alte Leute und Touristen gehen werden.
    Unsere Kinder haben keinen Sport Unterricht, keinen Schwimmunterricht aber das Geld großzügig verteilen.
    Ein hoch auf unsere Regierung.

  12. 18.

    Man könnte die Schulen auch mit dem Geld für Bibliotheken statt Kaufhäusern,Regierungsparkplätzen statt Denkmalgeschützter Gebäude oder ein paar Waffen weniger Richtung Osten, sanieren.

  13. 17.

    Über 500 Millionen! EUR für ne Bilbliothek sind wohl kein Problem....finde den Fehler.

  14. 16.

    Ich glaube, Sie verwechseln hier Zuständigkeiten. Das Kanzleramt ist Bundespolitik mit all seinen Folgen. Die Berliner Schulen unterstehen dem Berliner Senat, mit all seinen auch hier wieder ersichtlichen Folgen.

  15. 15.

    Dann braucht man sich auch nicht zu wundern, daß unsere Land im Sport immer schlechter wird. Ich sehe ganz düstere Zeiten für den deutschen Sport voraus. Noch schlechter, wie man jetzt schon sind.

  16. 14.

    "Seit Jahren streiten Denkmalschutz und Politik, ob die alte Schule abgerissen und neugebaut - oder saniert werden soll."
    Das macht mich so fassungslos, dass ich darauf nur noch mit Ironie antworten kann: streiten Sie sich doch bitte noch weiter und lassen Sie sich Zeit. Alles am besten nochmal hin- und herwenden und ganz lange über jede Einzelheit nachdenken, denn hey klar, der Denkmalschutz ist natürlich auf jeden Fall wichtiger als die Kinder, ist doch klar!

  17. 13.

    Wow, der Rundumschlag bei der CDU von Schulen auf Autohass. Gekonnt! Mir gehts so mit den Grünen.

  18. 12.

    Hallo Verwaltungsfreund, ich hoffe und gehe eigentlich auch davon aus, dass sich die Ungerechtigkeit gegenüber den Autofahrern ändert.

    Denn so kann es doch nicht weitergehen wie es die GRÜNEN während ihrer Senatszugehörigkeit gemacht haben.

  19. 11.

    Herr Scholz sollte auf den Anbau für das Kanzleramt verzichten. Wozu braucht er z.B. noch eine 2. Kanzlerwohnung in Berlin? Wofür die vielen Büros, wenn doch so viele im Homeoffice arbeiten?
    Das zeigt mal wieder seine Arroganz und dass diese Regierung kein Gespür für wirklichen Sorgen der Menschen hat.
    Mal ganz abgesehen davon, dass es nicht bei den 777 Mio bleiben wird.

    Mit dem Geld könnte man viele Schulen sanieren oder andere wichtige Sachen in Angriff nehmen.

  20. 10.

    Erinnert mich an einen Umzug. 2. Klasse, am ersten Tag:
    - Wir müssen jetzt raus, die Mädchen ziehen sich jetzt im Klassenraum um.
    - ???
    - Wenn sie fertig sind, warten die Mädchen draußen und wir ziehen uns um.
    - ??? Und dann in die Turnhalle?
    - Häh, Turnhalle? Wir turnen auf dem Flur.
    Meine älteren Geschwister mussten in den benachbarten Stadtteil etwa eine halbe Stunde laufen. Das war dann am Nachmittag, der Weg hin und zurück war ihre Freizeit.
    Allerdings gab es da eine Perspektive: Wenn die Kaufhalle fertig ist, wird die Turnhalle wieder Turnhalle.
    Irgendwie hat das alles was von "Zurück in die Zukunft 2". Wer reist zurück und nimmt Biff den Almanach wieder ab?

  21. 9.

    Ja, was man für die hunderte Millionn die in die "Einheitswippe" gesteckt werden, alles an Schulen erreichen könnte...

  22. 8.

    Natürlich wird sich da was ändern. Die CDU stoppt sämtliche Gelder für den weiteren Ausbau, privatisiert die Hallen und lässt ausschließlich klekne GoKart Bahnen eröffnen, damit auch in Zukunft alles auf „Auto“ steht.

  23. 7.

    Als Schüler fand ich Ausfall beim Sport immer super. Ich habe als Erwachsener die Freude an Bewegung entdeckt, Schulsport mit Noten hätte mich nie motiviert. "Sport und Singen, kann man nicht erzwingen..."
    Nichtsdestrotz sollten intakte Schuleinrichtungen ein primäres Ziel sein!

  24. 6.

    In den frühen 80ern mussten wir zum Schwimmunterricht jedesmal aus Frohnau eine gefühlte Ewigkeit per Bus ins Märkische Viertel fahren und wieder zurück! Da hat keiner ne Beschwerde eingelegt, dass zuviel Zeit dadurch verloren geht...

  25. 5.

    Jetzt ist ja die CDU für das Bildungsressort zuständig. Ob sich da etwas ändert?

  26. 4.

    Dabei ist leider auf Grund des Handeln der Politik kein Ende abzusehen.
    Alles ist wichtiger. Schulen und Kinder nicht.
    Das vorhandene Geld wird für irgendwelche Prestigprojekte verbraucht.
    Die zum großem Teil nicht nötig sind.
    Und das seit Jahren.

  27. 3.

    Die Kinder sind unseren Volksvertretern nichts wert. Danke an die Regierung!

  28. 2.

    Kein Geld für die Sanierung der Schulen und Turnhallen. Wir stellen aber fest, das viele Kinder nicht schwimmen können und viel zu dick sind. Wichtig ist , dass wir ganz viel Geld in die Rüstung stecken und den Kampf der Ukraine weiter mit viel Geld und modernen
    Waffenlieferungen unterstützen. Dieses Geld sehen wir nie wieder. Aber solche Ansichten sind nicht gewünscht und entsprechen nicht der Meinung der Mehrheit.

  29. 1.

    Das ist typisch für Berlin und vor allem für die Partei SPD!!

    In vieles andere "z.B. ein 29-Euro-Ticket" - wird von der SPD angestrebt - soll Geld investiert werden

    ABER für die Schulen und die Bildung unserer Kinder NICHT.

    SEHR TRAURIG

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