Olympische Spiele - Was es für den Modernen Fünfkampf bedeutet, vom Reiten auf Obstacle umzusatteln

Sa 21.10.23 | 09:51 Uhr | Von Lynn Kraemer
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Fünfkämpferin Cicelle Leh beim Obstacle-Training und während Springreiten bei den European Games 2023 (Bild: rbb/Lynn Kraemer; Imago/Newspix | Collage: rbb)
Bild: rbb/Lynn Kraemer; Imago/Newspix

Der Moderne Fünfkampf bleibt über die Sommerspiele 2024 hinaus olympisch. Und doch wird alles anders: Reiten fällt raus. Als fünfte Disziplin kommt der Hindernislauf Obstacle. Was macht das aus dem Sport? Von Lynn Kraemer

Cicelle Leh greift nach dem ersten Ring, der über ihr in der Luft baumelt und holt Schwung. Dann löst sie eine Hand, streckt sich und hangelt zum nächsten Ring. Stück für Stück bezwingt die 20-jährige Potsdamerin das Hindernis, das in der MBS-Arena aufgebaut ist. Ihr Zwillingsbruder Tim steht daneben und unterstützt sie. Die acht Ringe sind der Grund, warum sie weiter auf die fünf Olympischen Ringe hoffen können.

Fechten, Schwimmen, Laser-Run und nun der Hindernislauf – so setzt sich der neue Moderne Fünfkampf zusammen. Statt über Hindernisse mit Pferden zu reiten, überwinden die Sportlerinnen und Sportler nun selbst einen Parcours mit Wänden, schwingenden Ringen, kippenden Hangelstangen und Balancierstationen.

So funktioniert Obstacle

Die Sportlerinnen und Sportler müssen acht Hindernisse über eine 60 bis 70 Meter lange Strecke überwinden. Davon sind sechs Elemente immer gesetzt und zwei verändern sich je nach Wettkampf. Passiert an einem Element ein Fehler, darf es nochmal absolviert werden. Mit dem zweiten Fehler am selben Element scheidet der Sportler aus. Je schneller der Parcours absolviert wird, desto mehr Punkte gibt es.

Ausgelöst wurde die Veränderung einer ganzen Sportart durch die letzten Olympischen Spiele in Tokio. Die deutsche Fünfkämpferin Annika Zillekens (geb. Schleu) war bis zum Reiten auf Goldkurs. Doch der ihr zugeloste Saint Boy war verängstigt, verweigerte im Parcours und die Reiterin war mit der Situation überfordert. Zillekens setzte unter Tränen mehrere Hiebe mit der – im Reglement zulässigen – Gerte ein, um das Pferd durch den Parcours zu führen.

Danach entbrannte eine Debatte über Tierquälerei und das Internationale Olympische Komitee (IOC) nahm den Modernen Fünfkampf zunächst nicht ins Programm für die Sommerspiele 2028, die in Los Angeles stattfinden werden, auf.

Und der Fünfkampf-Weltverband (UIPM) musste eine neue Teildisziplin suchen, um das schon seit Jahren umstrittene Reiten zu ersetzen.

Erleichterung über gesicherte Zukunft

Mit Erfolg: Am Montag stimmte das IOC wieder für eine Aufnahme des Modernen Fünfkampfs in das Sportprogramm für Los Angeles 2028. "Bei uns allen gab es vorher eine gewisse Ratlosigkeit, weil wir trainiert haben, ohne zu wissen, was in der Zukunft passiert", sagt Fünfkämpfer Tim Leh, "wir haben unsere ganze Energie und unser Geld in etwas reingesteckt, von dem wir nicht wussten, ob es morgen noch genauso ist."

Seine Schwester Cicelle ergänzt: "Ich war schon erleichtert. Wenn man das seit neun Jahren macht und dann gesagt wird, 'ihr könnt sonst aufhören', ist das hart." Denn die IOC-Verantwortlichen verwiesen ausdrücklich darauf, dass ohne den Umstieg vom Reiten auf den Hindernislauf, der international "Obstacle" genannt wird, anders entschieden worden wäre. Und dann wäre auch die olympische Sportförderung weggefallen.

In Paris wird ein letztes Mal geritten

Den deutschen Profikader erreichte die Nachricht im Trainingslager in den USA. Doch Obstacle spielt hier aktuell noch keine Rolle. "Es wird eher ausgeblendet. Wenn ich zwischen den Trainingseinheiten in Potsdam Zeit habe, hangele ich da auch mal lang, aber ich kann jetzt noch gar nicht sagen, ob ich in der neuen Disziplin wettkampffähig bin", sagt Fünfkämpfer Patrick Dogue, der auch Athletensprecher ist.

Der Blick ist erst mal auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris gerichtet. Dort soll bei den Wettkämpfen, die vor der Kulisse des Schloss Versailles ausgetragen werden, ein letztes Mal Reiten dazugehören. Für Dogue wäre es die dritte Olympia-Teilnahme. Jeweils einen Quotenplatz für die Männer und Frauen hat das deutsche Team schon gesichert. Ein zweiter soll folgen. Wer am Ende nach Paris darf, soll sich im nächsten Frühjahr entscheiden. Danach will Dogue auch Obstacle einen Versuch geben und schauen, wie es läuft: "Wenn es nicht ist, dann ist es nicht. Und wenn es klappt, dann bin ich auch nicht traurig."

Der Charlottenburger Pele Uibel steht als jüngster Fünfkämpfer im Kader noch vor seiner ersten möglichen Olympia-Teilnahme. "Mit der neuen Disziplin und der ganzen Ungewissheit hat man schon überlegt, was man macht, wenn es nicht dabei ist. Aber in meinem Kopf habe ich schon immer mit Sport bis 2028 geplant und jetzt ist die Möglichkeit auf jeden Fall noch offen." In Paris wäre Uibel 23 Jahre alt, in Los Angeles dann 27.

Dazwischen müsste der Berliner Obstacle lernen: "Ich erwarte und glaube auch, dass ich da viel Unterstützung bekommen werde." Bis dahin will er sich voll auf die Qualifikation für Paris konzentrieren und Erfahrungen bei den Senioren sammeln: "Ich muss jeden Prozent dafür aufbringen und kann nicht noch anfangen, parallel Sachen auszuprobieren." Dadurch büßt Uibel ein Jahr Vorbereitungszeit gegenüber den Junioren ein, die schon jetzt Los Angeles als Ziel anvisieren.

Fünfkämpfer Pele Uibel läuft bei der Weltmeisterschaft 2023 (Bild: UIPM World Pentathlon/Nuno Gonçalves)Fünfkämpfer Pele Uibel

Die junge Generation ist schon umgestiegen

Denn für die drei Jahre jüngeren Cicelle und Tim Leh gehört der Hindernisparcours inzwischen schon zum Trainingsalltag. Bei den Junioren wurde die neue Disziplin in diesem Jahr schon bei Wettkämpfen eingeführt. Im September gab die Junioren-Weltmeisterschaft eine wichtige Einordnung: Das deutsche Team holte mehrere Medaillen, die Potsdamerin Josefine Unterberger konnte den WM-Titel feiern, dank der zweitschnellsten Zeit im Hindernislauf.

"Als die Umstellung kam, mussten sich unsere Trainer alles selbst beibringen, weil niemand auf diese Sportart spezialisiert ist. Wir lernen mit unseren Trainern zusammen", sagt Tim Leh. Ganz reibungslos liefen die ersten Versuche nicht: "Das erste Mal war schon ein Realitycheck, weil man sich dachte: Das kann ja gar nicht so schwer sein. Und dann hat man sich an die Ringe rangehangen, dachte es geht auch gut mit einer Hand und lag schnell auf dem Boden." Bei den Frauen habe die Höhe der Hindernisse zu Beginn Unsicherheit verursacht. "Viele stehen erstmal vor dem Hindernis, wollen springen, aber trauen sich nicht", sagt Cicelle Leh. Die Kraft sei bei allen vorhanden und es gehe eher darum, sich zu überwinden.

Das erste Mal war schon ein Realitycheck, weil man sich dachte: Das kann ja gar nicht so schwer sein. Und dann hat man sich an die Ringe rangehangen, dachte es geht auch gut mit einer Hand und lag schnell auf dem Boden.

Tim Leh, Fünfkämpfer aus Potsdam

In einem Teil des Fechtraums in der Potsdamer MBS-Arena, in der die Fünfkämpfer trainieren, wurde eine Traversenkonstruktion aufgebaut. Daran sind schwingende Ringe und kurze Taue befestigt. Die anderen Elemente sind improvisiert: Umgedrehte Bänke werden zu Balancebalken und ein Sprungkasten zum hohen Hindernis. "Zum Trainieren ist das ganz gut, reicht aber nicht aus", sagt Tim Leh.

Bis zur IOC-Entscheidung blieben die Verbände zurückhaltend. Denn die Anschaffungskosten für eine Obstacle-Anlage liegen im sechsstelligen Bereich. Nur in Nürnberg wurde bereits ein Parcours aufgebaut. An den Stützpunkten in Bonn und Berlin sollen durch die jetzt gesicherte Förderung zwei weitere Anlagen folgen. "Sie sollen die Grundlage bilden, die nächste Generation an Modernen Fünfkämpfern auszubilden", so Jan Veder, Vizepräsident des deutschen Verbands.

Geritten wird nur noch privat

Veder sieht der olympischen Zukunft des Modernen Fünfkampfs optimistisch entgegen: "Alle Sportarten sind aufgefordert, sich ressourceneffizienter, telegener und im Sinne der globalen Bewegung auszurichten – und das kann Obstacle." Der Fünfkampf würde so auch zugänglicher für Anfänger werden.

Parallel zum Aufbau der neuen Disziplin musste sich der Verband auch um den Abschied vom Reiten kümmern: "Was die bestehende Infrastruktur betrifft, haben wir schon mit einem Auge draufgeschaut, dass die Verträge entsprechend kündbar sind und man eine Flexibilität hat, um die Mittel auftragsgemäß verwenden zu können", so Veder.

Am Bundesstützpunkt in Berlin hat der Verband vier Pferde, mit denen der Profikader bis Paris trainieren wird. Patrick Dogue überlegt, ob er danach eines der Tiere kaufen wird: "Wir haben eine Beziehung zu den Pferden und es wäre schade, wenn sie ganz weggehen." Er könnte sich eine Reitbeteiligung mit einem anderen Teammitglied vorstellen. Auch Pele Uibel will sich nicht ganz vom Reiten verabschieden: "Ich denke, ich werde auf jeden Fall immer mal wieder in meinem Leben reiten, aber nicht auf dem Niveau."

Sendung: rbb UM6, 21.10.2023, 18 Uhr

Beitrag von Lynn Kraemer

7 Kommentare

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  1. 6.

    O Gott ... "Beim zweiten Fehler am selben Element, wird der Sportler eliminiert." Hoffen wir mal, lieber RBB, daß der Sportler nicht eliminiert wird, sondern nur ausscheidet.

  2. 5.

    Da is sie wieder, die Doppelmoral, einmal im profisport ein unpassendes Pferd Reiter paar gesehen und das Geschrei ist groß. Wie wäre es, statt Sportschau täglich eine Stunde Schlachtschau von den täglich hunderttausenden Tieren in den Schlachthöfen? Wird das auch geändert? Nein? Ach so das ist was ganz anderes. Die Tiere werden ja nur zur Ernährung der Menschen in minimalen Lebensräumen kaum artgerecht gehalten. Das ist was anderes? Oder was???

  3. 4.

    Der Moderne Fünfkampf wurde durch den Wegfall des Springreiten um die Königsdisziplin amputiert. Da schieden sich schon immer die Geister. Ich spreche aus eigener Erfahrung! Die neue Disziplin ist eine vom TV adaptierte Spielerei. Schade

  4. 3.

    "Was macht das aus dem Sport? "
    Es wird interessanter weil nur noch die Leistung des Sportlers in persona zählt. Fürs Fechten könnte auch ein Ersatz gefunden werden. Dies erscheint mir irgendwie etwas aus der Zeit gefallen.

  5. 2.

    Wenn man bedenkt, was einer leistungsbereiten Sportlerin angetan und nachgesagt, falsch interpretiert wurde, dann wünscht man Ihr noch viele Goldmedaillen. Denjenigen allerdings, die Ihr das angetan hatten, hat man sich für immer gemerkt...
    auch die Kommentare von damals.

  6. 1.

    Was ein Sportler wie Arnika alles erreichen kann. Was denn, Austausch einer Sportart beim Fünfkampf! War da noch was mit dem Ausdruck "Kameltreiber". Tokio bleibt in Erinnerung.

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