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Quelle: IMAGO/Daniel Lakomski

Rapper und Fußball

Hertha BSC hat Hiphop in seiner DNA entdeckt

Hertha ist plötzlich angesagt. Trotz Abstiegs schießt die Mitgliederzahl in die Höhe. Haben Rapper etwas damit zu tun? Immer mehr präsentieren ihre blau-weiße Liebe. Warum die Alte Dame jetzt dope ist und was cleveres Marketing damit zu tun hat. Von Shea Westhoff

Ein Abend wie ein Abziehbild der Stadt Berlin - zumindest wenn es sich um die Vorstellung einer ziemlich coolen, irgendwie undergroundigen und trotzdem dem Mainstream zugänglichen Großstadt handelt. Der Rapper Luvre47 schmeißt das letzte Konzert seiner Deutschland-Tour, quasi in seinem Wohnzimmer: in Neukölln, seiner Heimat, gleichzeitig das Elixier seiner düsteren und melancholischen Texte.

Rote Lichtstrahlen aus rotierenden Scheinwerfern ziehen über die Leinwand, auf der sich bedrohlich die dunkle Fassade des Gropiushauses auftürmt, einem markanten Giga-Wohnquartier im sogenannten Problemviertel Gropiusstadt. Über dem Pult des DJs leuchtet ein Schild im U-Bahn-Blauton: "Lipschitzallee".

Neues Votum der 36 Profi-Vereine

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Im Mai scheiterte eine Abstimmung der 36 deutschen Fußball-Profiklubs über einen Investor bei der DFL. Am Montag wird erneut abgestimmt. Der Ausgang des Votums bleibt unklar, auch weil Vereine wie der 1. FC Union ihre Meinung geändert haben. Von Jonas Bürgener

Hertha und Hiphop, ein PR-Gag?

Dies ist im Eventschuppen "Huxleys Neue Welt" die Kulisse, in der der Rapper während des Auftritts hin und her tigert und die auf dem Parkett wippende Menschenmenge animiert – Männer und Frauen, wahrscheinlich die meisten Anfang 20. Hier und da wabern krautig riechende Wölkchen.

Plötzlich skandiert die Masse: "Hertha BSC!" Wenig später ruft der Rapper ins Mikro: "Mein Herz schlägt blau-weiß!" Nanu? Und lief da nicht eben ein Konzertgänger in einem Oldschool-Hertha-Trikot herum, noch mit Sponsorenlogo der Deutschen Bahn?

Alles ein PR-Gag? Ein Marketing-Coup des Bundesligisten? Oder einfach die ehrliche Liebesbekundung eines Rappers für seinen Verein?

Klar ist: In einem Setting, das aufgeladen ist mit Symbolen und Zeichen, die für die Jugend als maximal reizvoll gelten – Neukölln, Exzess, Laszivität – ist plötzlich auch der einigermaßen ergraute Berliner Fußballklub eines der zentralen Motive. Hä?

Profidebüt mit 27 Jahren

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Ski Aggu, Capital Bra, Soho Bahni - alle Herthaner

Die Mitgliederzahl des sportlich abgestürzten Vereins aus Charlottenburg wächst derweil kontinuierlich, erst im November wurde die Schallmauer von 50.000 geknackt. Ob Rap etwas damit zu tun hat?

Luvre47 ist bei weitem nicht der einzige Rapper mit Westend-Kolorit. Der über Partys und Substanzgebrauch räsonierende Skibrillen-Rapper Ski Aggu zeigt sich in Videos immer wieder im Hertha-Trikot, genauso auch schon Superstar Capital Bra. Und Soho Bahni schuf gar eine ganz neue Synthese aus Hiphop und Fußball, indem er während eines Auftritts die Kluft der Hertha ("meines Herzensvereins") für die neue Saison präsentierte.

So viel basslastige Zuneigung für einen Bundesligisten macht natürlich neugierig.

Es fließe kein Geld, betont Colin Jahn, Direktor Marketing und Vertrieb bei Hertha BSC. Es handele sich bei den Rappern, die den Verein in Videos, Social-Media-Posts oder auf Konzerten promoten, um eine "organische Verbindung".

Jahn empfängt in der Geschäftsstelle des Klubs in einem Besprechungsraum und versucht, die neuen Entwicklungen zu erklären. Er spricht über den sogenannten "Berliner Weg", also die betont bescheidene Ausrichtung des Klubs, als Abgrenzung zur einst betont großspurigen Marschroute zur Zeit des Investors Lars Windhorst.

Soll heißen: "Wir besinnen uns auf unsere Werte und unsere Stärken im Sport, setzen beispielsweise auf die eigene Jugend", erklärt Jahn. "Der Verein fokussiert sich aber auch über das Sportliche hinaus auf Nachhaltigkeit und Tugenden – die eigentlichen Stärken von Hertha BSC." Gewisse "Eigenschaften und Werte", die der Klub eigentlich schon lange hatte, habe man in der Vergangenheit "brach liegen lassen", sagt Jahn. Zum Beispiel den Bezug zur Hiphop-Kultur.

Hertha und Hiphop, historisch vereint

"Berlin hat den deutschen Hiphop in den letzten 25 Jahren sehr stark geprägt. Bei vielen etablierten, aber auch bei aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern herrscht eine organische lokale Verbundenheit zum Verein."

Rückfrage: Hertha ist bei weitem nicht der einzige Fußballklub in Berlin – und nicht mal der erfolgreichste. Warum sympathisiert ein Großteil der Szene dann mit den Blau-weißen? Für Jahn, der wie Luvre47 in Neukölln aufgewachsen ist, eine klare Sache: "In dieser Zeit, in der die Rap-Kultur so richtig Fahrt aufgenommen hat, war Hertha BSC der größte Verein in der Stadt", sagt er. Das strahle bis heute ab.

Hertha und Hiphop, also auch historisch vereint. Doch die Marketing-Abteilung hilft natürlich nach. Das bereits erwähnte, damals noch unveröffentlichte Hertha-Trikot, dass der Weddinger Rapper Soho Bahni beim "Splash"-Festival in die Höhe reckte, war eine von Herthas Werbestrategen angestoßene Aktion. Wie Colin Jahn es ausdrückt: "Die Idee war, Rappern, die ohnehin eine Verbundenheit mit Hertha BSC haben, das Privileg zu geben, vor allen anderen dieses Trikot beispielsweise auf der Bühne zu tragen." Auch Luvre47 und Ski Aggu erhielten die exklusive Textilie im Vorfeld des Festivals. Nur hatte Soho Bahni den ersten Act und erkannte offensichtlich das Momentum.

Wenn Ski Aggu für Hertha wirbt, bekommen das online einige mit. | Quelle: imago images/Eventpress

Den Verkauf des Sondertrikots "Schwarzer Beton" schob der Zweitliga-Klub ebenfalls mit Unterstützung aus der Rapszene an. Veröffentlicht wurde das Jersey, das mit schneidigen Graffiti-Schriftzügen versehen ist, gemeinsam mit einem hochwertig produzierten Werbevideo. Darin zu sehen sind die Berliner Rapper Luvre47, Kasimir und Ski Aggu, wie jeder ein geheimnisvolles schwarzes Stück Stoff in Herthas Mannschaftskabine hinterlegt. Die beiden Kicker Haris Tabakovic und Jeremy Dudziak streifen es sich daraufhin über und posieren damit, Tabakovic ist zusätzlich mit einer Spraydose ausgerüstet. Unterlegt ist das Ganze mit einer elektronischen Version der Hertha-Hymne "Nur nach Hause". Laut Jahn war es das "erfolgreichste Sondertrikot" der Vereinsgeschichte.

Wahr ist natürlich auch, dass die drei im Video auftauchenden Rapper außerdem Social-Media-Persönlichkeiten sind und allein bei Instagram eine Community von rund einer halben Million Follower aggregieren. Das bedeutet einen enormen zusätzlichen Echoraum für Hertha, das auf seinem klubeigenen Kanal nur gut 300.000 Abonnenten vereint. Und: Es ist ein Draht zu jungen Menschen.

Kampf um Aufmerksamkeit

"Wir merken bei allen Parteien im Fußball, mit denen wir zu tun haben, dass es ein Thema ist, wie man die junge Generation weiterhin erreicht", sagt André Rechlin von der Hamburger Kommunikationsagentur Brinkertlück. Aktuell berät er unter anderem den Deutschen Fußballbund (DFB) und den europäischen Fußballverband UEFA in ihrer Außendarstellung.

Herthas Trikot-Launch auf einem Konzert durch einen Rapper hat auch Rechlin mitbekommen. Es könne dem Verein dabei auch darum gegangen sein, sich weiter in der Rap-Szene zu etablieren: "Weil man bei Hertha hofft, dass man im Zweikampf mit Union Berlin in der Hauptstadt ein paar Segmente in der Jugend erwischt, die vielleicht noch nicht ins Stadion gehen und aktuell noch nicht die Trikots tragen."

Es herrsche ein Kampf um Aufmerksamkeit, das gelte für Klubs wie Verbände: "Diese können sich nicht mehr auf der Position ‚König Fußball‘ ausruhen. Es gibt so viele alternative Content-Angebote, insbesondere für junge Menschen. Vereine müssen sich so aufstellen, dass sie diese über Social Media catchen können." Rechlin kann sich daher gut vorstellen, dass man bei Hertha die Reichweite der Rapper im Netz mit in die Kooperation einpreist.

Rapper verschaffen Hertha zusätzliche Reichweite, Aufmerksamkeit, und vor allem: Glaubwürdigkeit. Diese kann die als abgehoben geltende Fußballbranche nur allzu gut gebrauchen. Doch die Frage bleibt: Was, wenn schon kein Geld, haben eigentlich die Rapper von der Kooperation?

Luvre47 wirbt für Hertha, weil er will

Eine Begegnung mit Luvre47, vor seinem Auftritt im Huxleys. Er empfängt abseits der Bühne in einem Raum mit Sofas und Sesseln. Der Künstler trägt einen fliederfarbenen Trainingsanzug, dazu Badelatschen und Kappe. Das Interessante an Rappern ist ja, dass selbst in Monturen wie dieser eine große Ernsthaftigkeit von ihnen ausgeht. Bei Luvre47 kommt hinzu, dass er leise spricht, nachdenklich – und in der Tat glaubwürdig wirkt.

Was man dem Rapper – zumindest der Vorname ist der Redaktion bekannt – schon mal abkauft: Es geht bei seiner Hertha-Promo auf Konzerten oder Instagram nicht um Eigennutz. Er ist dem Verein einfach verfallen, von Kindesbeinen an. "Gropiusstadt und Neukölln als Ganzes ist definitiv Hertha-Gebiet", sagt er. Mit 12 oder 13 Jahren begann er, regelmäßig in die Ostkurve zu gehen. Bis zu seinem 18. Lebensjahr, so erzählt er, war er fest in der Ultra-Szene verankert. Dauerkartenbesitzer sei er nach wie vor, aber er schaue sich die Spiele nun "ganz entspannt an", wenn er Zeit finde zwischen den Touren und Terminen.

Vielleicht eine blöde Frage, aber wieso das Zurschaustellen der Fußball-Leidenschaft? Wenn schon Sport, waren Hiphopper nicht eigentlich eher bekannt für Basketballtrikots von NBA-Teams? Schöne Antwort: "Hiphop war damals so wack, dass die Leute das getragen haben, was andere getragen haben, um genauso cool zu sein wie die. Ich repräsentiere einfach das, wo ich herkomme. Meine Stadt, meine Farben, meinen Verein. Anstatt, dass ich mir ein Lakers-Trikot anziehe, weil Snoop Dogg das mal getragen hat."

Dass diese gelebte Verbindung zwischen Hiphop-Kultur und Hertha eine relativ neue Erscheinung ist, das sieht aber auch der Rapper. Noch vor wenigen Jahren habe er sich immer gewundert: "Die ganzen Artists, von denen ich weiß: 'Ihr geht doch auch ins Stadion, wir haben uns doch schon oft getroffen!' Aber keiner redet darüber, keiner trägt die Trikots. Das hat sich krass gewandelt."

Offizieller Botschafter des Vereins zu sein oder eine vertragliche Festlegung über das Engagement zu vereinbaren halte er für überflüssig. "Ich bin so oder so Hertha-Fan. Ich muss dafür nichts unterschreiben", sagt er.

Dann muss er los, sein Konzert fängt gleich an. Draußen kreisen bereits die Scheinwerfer über der Wohnblock-Fassade von Gropiusstadt. Der Künstler betritt die Bühne, um sein Berlin zu repräsentieren. Und ein Teil davon ist eben auch Hertha BSC.

Hinweis: Dieser Text wurde erstmals am 10. Dezember 2023 veröffentlicht.

Beitrag von Shea Westhoff

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