Füchse Berlin vor Pokal-Viertelfinale - Keine Zeit für Chaos im Kopf
Die Heim-EM ist gerade einmal eine Woche vorbei, da sind die Füchse Berlin wieder im Vereinsalltag gefordert. Im Pokal kommt Gummersbach in die Max-Schmeling-Halle. Trainer Jaron Siewert ist auch als Stimmungsmanager gefragt. Von Johannes Mohren
Jaron Siewert atmet einmal kurz und tief, ehe der Trainer der Füchse Berlin offen antwortet: "Ja, das wird interessant". Nur sieben Tage nach dem Finale einer aufreibenden Handball-Europameisterschaft ist sein Team am Sonntag um 16:30 Uhr im Viertelfinale des DHB-Pokals gegen den VfL Gummersbach gefordert. Wie die vielen EM-Spieler dann drauf sein werden? Das wird eben "interessant" - oder anders formuliert: Es ist kaum vorherzusehen.
Denn es ist ein harter Clash. Die EM und ihre Emotionen treffen - zeitlich nahezu ungebremst - auf den Vereinsalltag. Die Dänen Mathias Gidsel und Hans Lindberg, der Schwede Max Darj und der deutsche Shootingstar Nils Lichtlein sind erst seit drei Tagen wieder im Training, wenn der Anwurf im so wichtigen Pokalspiel erfolgt. Torwart Dejan Milosavljev und Kreisläufer Mijajlo Marsenic sowie Hakun West av Teigum, die für Serbien beziehungsweise die Färöer Inseln am Turnier teilnahmen und mit ihren Nationen bereits nach der Vorrunde ausschieden, sind immerhin bereits seit vergangenen Montag zurück beim Team. "Ich finde, das ist ein bisschen hart, dass wir jetzt spielen müssen. So ist das Programm. Aber in Ordnung ist es nicht", sagt Gidsel.
Gidsel: "Wir waren wirklich traurig"
Neun Spiele hat der 24-Jährige - der Unterschiedsspieler unter vielen Topstars bei den Füchsen - bei der EM gemacht. Er stand im Schnitt fast 54 Minuten auf der Platte und musste sich mit seinen Dänen am Ende im Finale in der Verlängerung Frankreich geschlagen geben. Das gilt es nun, im Eiltempo abzuhaken. Keine leichte Aufgabe. "Wir waren wirklich traurig. Auch heute ist es noch ein bisschen ein schlechtes Gefühl von diesem Finale", sagt der Rückraumspieler - und: "Wir sind körperlich müde und natürlich auch im Kopf."
Sein Kopf beschäftigt auch Nils Lichtlein. Es sei "ein bisschen Chaos", so die ehrliche Eigendiagnose des 21-Jährigen. Er hatte im deutschen Team bei weitem nicht so viele Spielanteile wie sein Berliner Teamkollege Gidsel bei den Dänen, aber er erlebte sein erstes großes Turnier bei den Männern und das auch noch im eigenen Land. Es endete - "ein bisschen unglücklich" (Lichtlein) - ohne Medaille. Sein Trainer litt mit: "Der vierte Platz für Nils ist wirklich der undankbarste. Auch wenn du drei, vier Mal darüber geschlafen hast, hast du nichts in den Händen", sagt Siewert.
Nun muss auch Lichtlein Mechanismen finden, um sich wieder voll auf Liga und Pokal einstellen zu können. Seine scheinbar simple Strategie? "Wir hatten zum Glück ein paar Tage frei. Das hat dem Kopf gut getan. Und dann versucht man, sich so wie vor der Nationalmannschaft einfach auf die Gegner zu fokussieren und das Drumherum auszublenden. So zumindest mache ich das und hoffe, dass ich einfach wieder in den normalen Rhythmus hineinfinde."
Viel steht auf dem Spiel
Diesen normalen Rhythmus werden die Füchse als gesamtes Team brauchen. Denn die Berliner haben keine Zeit, sich langsam wieder in den Alltag hineinzutasten. Zu viel steht auf dem Spiel. Und zwar direkt gegen Gummersbach. Ein Sieg würde den Einzug ins Final Four in Köln bedeuten, mit einer Niederlage hingegen wäre die erste von drei Titelchancen passé. Das lässt auch Gidsel bei allen Emotionen nüchtern werden. Das Leben gehe weiter, sagt er - und: "Wir müssen weiter. Ich muss weiter. So ist Sport. Der Fokus ist jetzt auf Berlin."
Denn der Verein bietet auch große Chancen. Chancen auf eben die Trophäe, die den Nationalspielern bei der Europameisterschaft die Franzosen wegschnappte - und damit ausgerechnet die einzige Nation im Halbfinale, bei der nicht mindestens Fuchs auf der Platte stand. Aus dieser Frustration, so hofft der Trainer, kann auch Power erwachsen: "Sie werden jetzt motiviert sein, ihre Ziele hier mit den Füchsen zu erreichen. Weil: In diesem Jahr haben wir ja eventuell noch ein paar Goldmedaillen zu verteilen", sagt Siewert.
Siewert: "Wie ein Reboot"
Im Pokal wartet eben das Viertelfinale. In der European League dominieren die Berliner ihre Hauptrunden-Gruppe. Und in der Liga sind sie punktgleich mit Tabellenführer Magdeburg Zweiter. Die erste Meisterschaft in der Vereinshistorie ist greifbar. Dazu wird es die sieben EM-Teilnehmer brauchen, aber auch die anderen Spieler des Kaders. Die bereiten sich seit dem 10. Januar in Berlin und auf Fuerteventura auf die zweite Saisonhälfte vor - eng abgestimmt und oft gemeinsam mit dem Partnerklub VfL Potsdam. "Wir haben die Zeit genutzt, um an den athletischen und konditionellen Inhalten zu arbeiten und haben viel im individuellen Bereich trainiert", so Siewert.
Die Unterbrechung durch die EM, sagt der Trainer, sei "wie ein Reboot". Es gelte nun, "sich erstmal auf sich zu konzentrieren". Jeder müsse - sei es nach der spielfreien Zeit oder dem Ausflug in andere (Nationalmannschafts-)Systeme - "wieder auf Füchse-DNA gepolt werden". Gelingt das, gibt es viel Grund zu Optimismus. Und so kann Gidsel dann auch schon wieder lächeln, wenn es um seine Saisonziele mit den Berlinern geht: "Ich habe wirklich ein gutes Gefühl. Wir haben eine fantastische, unfassbar gute Mannschaft in diesem Jahr. Ich bin bereit."
Sendung: rbb UM6, 03.02.2023, 18 Uhr