Ehemaliges Tennis-Wunderkind Rudi Molleker - Spiel, Satz ... Spaß

So 11.02.24 | 20:13 Uhr
Tennis-Profi Rudi Molleker (imago images/Juergen Hasenkopf)
Bild: imago images/Juergen Hasenkopf

Er galt als kommender Superstar im Tennis, schaffte aber nicht den Durchbruch. Warum Rudi Molleker den Schläger dann erst zur Seite legte und ihn nun doch wieder hervorholte. Und wieso sein Hauptziel nichts mit Titeln zu tun hat. Von Ilja Behnisch

Wahrscheinlich hat sich Rudolf Molleker eher nicht mit der Attributionstheorie beschäftigt. Was kein Wunder wäre. Rudolf, genannt Rudi, Molleker, ist 23 Jahre jung und Tennis-Profi. Die Attributionstheorie wiederum zählt zur Psychologie und beschäftigt sich mit Ursachenzuschreibungen. Grob gesagt geht es dabei darum, dass der Mensch ein besonders großes Interesse entwickelt hat, herauszufinden, warum etwas passiert ist. Häufig, um sich vor unliebsamen Wiederholungen ungewollter Ereignisse zu schützen. Abstürze zum Beispiel. Mit dem Flugzeug. Oder im Tennis. So wie von Rudi Molleker.

Deutsche Tennishoffnung aus der Ost-Ukraine

Molleker galt einmal als Wunderkind. Zusammen mit dem späteren Olympiasieger Alexander Zverev war er auserkoren, der nächste Boris Becker, ein deutscher Tennisheld zu werden. Molleker ist im ukrainischen Sjewjerodonezk geboren. So wie Nikolai Dawydenko, der bis 2014 auf der Profi-Tour der ATP unterwegs war, 14 Einzel-Titel gewann und eine Weile als Weltranglisten-Dritter geführt wurde. Nicht schlecht für eine 100-Tausend-Einwohner-Stadt.

Allerdings verbrachte Rudi Molleker auch nur die ersten drei Jahre seines Lebens in der Ost-Ukraine. Dann zog er mit seinen Eltern, Spätaussiedlern, in einen Plattenbau in Oranienburg (Oberhavel). Nicht gerade der klassische Startpunkt für eine Tennis-Karriere. Doch der ältere Bruder German begann zu spielen, Rudi folgte ihm und wurde alsbald nicht nur von seinem Vater, sondern auch vom Deutschen Tennis Bund trainiert und gefördert.

Zu früh raus aus dem familiären Umfeld?

Dann ging alles ganz schnell. U14-Europameister. Wildcard mit 16 beim ATP-Turnier in Hamburg 2017, Überraschungsiege mit 16 beim ATP-Turnier in Hamburg 2017. Mit 17 der Einzug in die Top-Ten der Junioren-Weltrangliste. Er qualifiziert sich für das Hauptfeld von Grand-Slam-Turnieren, mit 19 steht er auf Platz 146 der ATP-Rangliste. Das schaffen nicht viele in diesem Alter. Und dann? Der Absturz. Molleker ist viel verletzt, dazu kommen "mentale Probleme". Er verliert die meisten seiner Matches und den Spaß am Tennis. Er habe "die Richtung verloren", wird er später immer wieder sagen über diese Zeit.

Auch im Gespräch mit rbb|24 bleibt all das eher vage und nur so eine Ahnung über davon, was in ihm vorgegangen sein muss. Man ist dann ja schnell mit den Schablonen dabei. Zu viel Druck. Von außen. Von sich selbst. Boris Becker, der, den Molleker beerben sollte, sagte 2022 im Eurosport-Podcast "Das Gelbe vom Ball" [eurosport.de]: "Du kannst einen 14-jährigen Jungen oder Mädchen eigentlich nicht aus dem familiären Umfeld reißen. Wir haben das mit unserem geliebten Rudi Molleker versucht. Das war vielleicht damals ein Fehler." Vielleicht.

Auszeit rein sportlich ein Fehler

Molleker selbst sagt heute einfach nur: "Ich habe gute Turniere gespielt. Turniere, die ich spielen möchte. Aber wenn man da hinfährt und eigentlich gar nicht da sein möchte. Wenn man an der Sache nicht wirklich Spaß hat, bringt es auf Dauer nichts." Also legt er den Schläger beiseite, zu Beginn der Corona-Pandemie spielt er Monate lang nicht. "Ich wusste wirklich nicht, ob ich nochmal Tennis spielen möchte", sagt er heute.

Stattdessen: Keine Reisen mehr, dafür zehn Stunden am Tag Playstation. Er spielt "Call of Duty", beginnt zu streamen. Er lernt viele neue Freunde kennen. Er sagt: "Ich habe gemacht, worauf ich Lust hatte. Habe mich mit neuen Dingen beschäftigt." Er klingt dabei, als hätte er eine wirklich gute Zeit gehabt.

Doch irgendwann habe er es doch vermisst. Es, Tennis. Irgendwann kam die Lust wieder. Die Lust darauf, zum Training zu gehen. Die Lust aufs Reisen. Da war diese Erkenntnis, dass das Leben an einem Ort nicht das war, das er auf Dauer würde führen wollen. Dass es nicht das war, wofür er sein bisheriges Leben geopfert hatte.

Molleker hat so einige Spiele verloren, ehe es wieder bergauf ging. Im Sommer 2023 hat er mit dem Turnier in Prag das zweite Challenger-Turnier seiner Karriere gewonnen, das erste war noch vor seiner Auszeit das Turnier in Heilbronn 2018. Aktuell belegt Molleker schon wieder Platz 185 der Weltrangliste. Das Niveau im Tennis sei extrem gestiegen, sagt er. Nicht nur unter den Top-Spielern. Ob Top-250 oder Top-100 - es könne jeder jeden schlagen. Rein sportlich sei die Auszeit ein Fehler gewesen. Trotzdem war sie der "Schlüssel fürs Weitermachen".

Das "latent Arrogante", dass der Tagesspiegel ihm einst als Markenzeichen attestierte, ist zumindest am Telefon nicht auszumachen. Molleker wirkt sanft und vor allem: sehr entspannt. Er würde gern bei allen vier Grand-Slam-Turnieren des Jahres an den Start gehen, sagt er über seine Ziele für 2024, bei den Australian Open im Januar scheiterte er in der zweiten Runde der Qualifikation.

Vor allem aber, und das sagt er immer wieder, möchte er Spaß haben. An seinem Tennis, am Reisen, an "all den Dingen, die dazugehören". Er freue sich, da zu sein, wo er gerade ist. Nicht gerade der nächste Boris Becker. Oder auf Augenhöhe mit Alexander Zverev. Aber glücklich mit sich und seinem Tennis. Auch ganz ohne Attributionstheorie.

Sendung: rbb24, 11.02.2024, 22 Uhr

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