Auflösung Lehrstuhl Eisenbahnwesen - Großteil der Eisenbahn-Expertise verschwindet aus Cottbuser Uni

Mo 20.03.23 | 16:53 Uhr
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Ein ICE der Deutschen Bahn steht neben einer Wartungshalle der Deutschen Bahn auf dem Stellwerk. (Quelle: dpa/Christoph Hardt)
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 17.03.2023 | Rico Herkner | Bild: dpa/Christoph Hardt

Die Bahn baut gerade in Cottbus ihr modernstes Instandhaltungswerk Europas. Gleichzeitig schließt an der BTU Cottbus-Senftenberg der Lehrstuhl in Brandenburg, der Bahn-Fachleute ausgebildet hat. Während er beräumt wird, regt sich Widerstand. Von Rico Herkner

Im Lehrstuhl für Eisenbahnwesen an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) in Cottbus herrscht Endzeitstimmung. Dessen Chef Hans-Christoph Thiel geht in den Ruhestand, einen Nachfolger wird es nicht geben. Der Lehrstuhl wird im April 2023 Geschichte sein - er wird mit dem Ende des Wintersemesters aufgelöst.

In den Räumen stapeln sich Umzugskisten, hunderte Aktenordner, Projekt- und Bauzeichnungen in den Lehrstuhlräumen. Das Beräumen der Etage hat bereits begonnen.

Das Ende des Lehrstuhls werde die Bahn schon sehr bald spüren, sagt Hans-Christoph Thiel. "Es werden definitiv die Nachwuchsingenieurinnen und -ingenieure fehlen, die nun nicht mehr aus dem Hause der BTU kommen und im Bauingenieurwesen, Wirtschaftsingenieurwesen und in der Elektrotechnik arbeiten." Das werde sich "eher und sofort" bemerkbar machen, so Thiel.

Lehrstuhlende mit Unterstützung vom Ministerium

Der Cottbuser Lehrstuhl für Eisenbahnwesen zählte seit 1994 mehr als 400 Absolventen. Sie kamen vorrangig bei der Planung und Sanierung von Bahnanlagen zum Einsatz. Die BTU selbst übernahm sogar Vorentwurfsplanungen zum Ausbau der Strecke Berlin-Cottbus vor rund 13 Jahren. Ähnliches wird nun nicht mehr möglich sein.

Die BTU verteidigt die Schließung. "Die Entscheidung erfolgte mit Beschluss des Hochschulentwicklungsplanes 2015 - 2020 und Genehmigung durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur", heißt es in einer schriftlichen Antwort der Unileitung an den rbb. Das Ministerium unterstützt diese Position.

Student der BTU Cottbus-Senftenberg Lehrstuhl Eisenbahnwesen zeigt mit dem Finger auf einen Monitor, auf dem eine Luftaufnahme eines Bahnhofs zu sehen ist (Foto: rbb/Screenshot rbb24 Brandenburg Aktuell)
BTU-Student zeigt auf Luftaufnahme einer Bahnhofsanlage | Bild: rbb/Screenshot rbb24 Brandenburg Aktuell

Bahn sucht Möglichkeiten der Zusammenarbeit

Die Deutsche Bahn erklärte dem rbb schriftlich, dass sie mit der BTU eine enge Zusammenarbeit pflege. "Die ersten Studierenden nehmen bereits an einem gemeinsam etablierten, praxisnahen Dualen Studium teil, in dem akademische Fachkräfte gezielt für die Beschäftigung im neu entstehenden Instandhaltungswerk [...] vorbereitet werden." Die Bahn tausche sich außerdem mit der Uni darüber aus, wie bei weiteren Themenfeldern zusammengearbeitet werden können, schreibt die Bahn.

Deutlicher werden Bahnmanager in öffentlichen Verkehrsforen, aber nach rbb-Informationen auch bei der internen Kommunikation. Dort ist von einer Fehlentscheidung der Universität sowie von offenen Bedenken die Rede. Denn die Bahn brauche in den nächsten Jahrzehnten hunderte Bauingenieure für die Instandhaltung und den Bau neuer Gleistrassen.

Verbände fordern Erhalt und Neuausrichtung

Kritik am Lehrstuhl-Aus kommt unter anderem auch von der Bahngewerkschaft EVG. "Der Senat der BTU Cottbus hatte diese Entscheidung im Jahr 2015 unter damals völlig anderen Rahmenbedingungen getroffen", heißt es in einem Papier der Gewerkschaft und weiteren Verbänden, wie beispielsweise der "Allianz pro Schiene", dem Verband Deutscher Eisenbahn-Ingenieure (VDEI) und der Industrie- und Handelskammer (IHK) Cottbus. Inzwischen seien die Milliarden-Investitionen in den Bahnstandort sicher. Sie fließen im Zuge des Strukturwandels in die Region.

"Das erfordert eine Neubewertung der Situation und der daraus erforderlichen Maßnahmen in Bezug auf die Stärkung der Akademikerausbildung in der Lausitz." Die Unterzeichner des Papiers verlangen den Erhalt und die Neuausrichtung des Lehrstuhls an der BTU.

Jens Krause von der IHK Cottbus im Interview mit dem rbb (Foto: rbb/Screenshot rbb24 Brandenburg Aktuell)
Jens Krause, IHK Cottbus | Bild: rbb/Screenshot rbb24 Brandenburg Aktuell

Laut Jens Krause von der IHK Cottbus müssten jetzt die Landesregierung sowie die Akteure aus Wissenschaft und Wirtschaft an einen Tisch zusammenkommen. Sie sollten "Rahmenbedingungen schaffen, um wieder eine verstärkte Ausbildung an der BTU Cottbus durchführen zu können."

Unterdessen geht ein großer Teil der Cottbuser Lehrstuhlausrüstung, wie Dokumentationen und Technik, an den neuen "Rail-Campus" [railcampus-owl.info] nach Minden (Nordrhein-Westfalen) sowie an die TU Dresden (Sachsen). Der in den Ruhestand gehende Bahnprofessor Hans-Christoph Thiel sowie Wirtschaftsverbände zweifeln aber daran, dass die Universitäten künftig ausreichend Bahningenieure für die Lausitz begeistern können.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 17.03.2023, 19:30 Uhr

15 Kommentare

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  1. 15.

    Wiederstand gab es genug. Gerade von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG in Cottbus. Doch wir haben hier eine Landesregierung und Verantwortliche, die nicht bereit sind Fehler einzugestehen. Da scheint man beim DB Konzern deutlich heller zu sein.

  2. 14.

    Es ist zu befürchten, das Zusammenhänge mit dem Ausbau der Eisenbahnverbindungen mit unseren Nachbarländern
    zu kurz kommen. Auch habe ich die Befürchtung , das die Hochschule für Verkehrswesen in Dresden mit der Fülle der Aufgaben überfordert werden kann.

  3. 12.

    Einzige Erklärung: Der Zug ist abgefahren. Wahrscheinlich ist das der Start der Verkehrswende. Die BTU schiebt sich auf's Abstellgleis. KI kann alles sein, z.B. Keine Idee*innen

  4. 11.

    Ich bin fassungslos, wenn ich "Während er beräumt wird, regt sich Widerstand" lese. WÄHREND?
    Wo war der Widerstand vorher, warum gab es keinerlei Proteste.
    Oder fiel die Entscheidung, den Cottbuser Lehrstuhl für Eisenbahnwesen zu schließen, einfach so vom Himmel? "In den Räumen stapeln sich Umzugskisten, hunderte Aktenordner, Projekt- und Bauzeichnungen in den Lehrstuhlräumen. Das Beräumen der Etage hat bereits begonnen."
    Wo all die hin, die für jeden Scheiß demonstrieren, sich an Straßen und Gemälde kleben, Mitmenschen mit ihren Aktionen drangsalieren, das Ende der Welt skandieren, die "Aktivisten"?

  5. 10.

    Auch hier gilt, das Budget für Hochschulen kann nur einmal verteilt werden. In Deutschland (Stand: 2019) existieren 217 Professuren die sich Vollzeit oder in Kombination mit einem anderen Fachbereich mit „Gender Studies“ befassen. Die Förderquoten sind vergleichbar mit anderen Fächern, was ein Grund dafür ist, warum die Genderwissenschaften in der „Wissenschaftslandschaft verankert seien“, so die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen.

  6. 9.

    Da soll sich dann keiner der Verantwortlichen über einen Fachkräftemangel beschweren.

  7. 8.

    Wird deshalb vielleicht die Suche nach Fachkräften im Ausland von Brandenburg gerade verstärkt?

  8. 7.

    Wissen verschwindet heutzutage. Wie überall zu sehen kann man es aber durch Nonsens ersetzen. Wie wäre es mit dringend erforderlichen Lehrstühlen zu hochwissenschaftlichen Gendertheorien

  9. 6.

    Wissen verschwindet heutzutage. Wie überall zu sehen kann man es aber durch Nonsens ersetzen. Wie wäre es mit dringend erforderlichen Lehrstühlen zu hochwissenschaftlichen Gendertheorien

  10. 5.

    Wissen verschwindet heutzutage. Wie überall zu sehen kann man es aber durch Nonsens ersetzen. Wie wäre es mit dringend erforderlichen Lehrstühlen zu hochwissenschaftlichen Gendertheorien

  11. 4.

    Und die Planung macht jetzt die KI oder was? Egal, Dresden ist auch eine schöne Stadt zum Studieren.
    Wieder mal ein 'Meisterstück' des Potsdamer Wissenschaftsministeriums in Sachen längerfristiges Denken.

  12. 3.

    Klar - wir brauchen ja keine Fachkräfte! Oder ist die Ausbildung zu teuer !?

  13. 2.

    Ein gutes Beispiel für Kurzsichtigkeit auf Seiten der führenden Köpfe in Wissenschaft und Politik, hier konkret in Brandenburg. Man kann nur hoffen, dass hier kurzfristig Abhilfe geschaffen werden kann.

    Was das Land braucht sind Studiengänge, die ein handfestes Thema beackern.

  14. 1.

    Über solche Entscheidungen lohnt sich nicht mehr aufzuregen. Neubewertungen von Entscheidungen damaliger Entscheider im Landtag doch nicht in Brandenburg. Wo komm wa denn dahin…….

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